Krieg und Erdöl im Tschad
Die Erdölförderung im Tschad hat der Bevölkerung kaum Nutzen gebracht. Das war zu erwarten in einem Land am Rande des Bürgerkriegs, erklärt Delphine Djiraibé. Sie ist Anwältin und Mitglied der "Vereinigung für die Förderung und Verteidigung der Menschenrechte im Tschad". Zudem koordiniert sie die "Initiative für Frieden und Versöhnung im Tschad". Beide werden unter anderem von "Brot für die Welt" und Misereor unterstützt.
Gespräch mit Delphine Djiraibé
Sie haben das Projekt der Erdöl-Pipeline vom Tschad nach Kamerun von Anfang an begleitet. Welche Bilanz ziehen Sie nach fast zehn Jahren?
Eine überwiegend negative. Die Schäden, vor denen wir Ende der 1990er Jahre gewarnt haben, sind leider eingetreten. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass das Öl unter besseren Umweltbedingungen gefördert, die Rechte der Bevölkerung gewahrt und die Öleinnahmen zum Nutzen der Menschen verwendet würden. 1999 verlangten wir ein Moratorium: Die Förderung sollte erst beginnen, wenn Minimalbedingungen gesichert wären. Aber die Weltbank ist uns nicht gefolgt. Die Förderung begann, während im Tschad bewaffnete Konflikte ausgetragen wurden und von guter Regierungsführung keine Rede sein konnte. Weder bestanden die Voraussetzungen für Transparenz noch waren demokratische Prozesse vorangekommen. Unter diesen Umständen war zu erwarten, dass die Regierung Öleinnahmen umleiten und für die Kriegführung benutzen würde. Schon im Jahr 2000, als das Projekt gerade beschlossen war, hat das Ölkonsortium der Regierung einen Bonus gezahlt, und ein Teil davon wurde für Waffenkäufe verwendet. Wir haben uns an die Weltbank gewandt und eine vage Antwort bekommen, die darauf hinauslief, Bonus- Zahlungen seien nicht Teil der Öleinnahmen. Das hat keinen Sinn und zeigte bereits, dass die Weltbank in einer zu schwachen Position ist, um die Einhaltung der vereinbarten Konditionen zu erzwingen.
Haben sich die Lebensbedingungen für die Bevölkerung in den Fördergebieten nicht verbessert zum Beispiel durch bessere staatliche Sozialdienste?
Nein. Die Weltbank und die Regierung haben das Projekt als Chance für die Bevölkerung dargestellt, Schulen, Gesundheitsstationen, Trinkwasser und Einkommenschancen zu erhalten. Wir müssen leider heute feststellen, dass davon kaum etwas eintreten wird. Zum Beispiel hat man zwar dafür bezahlt, dass Menschen im Projektgebiet Land aufgeben mussten oder von Zugang zu Wasser abgeschnitten wurden. Aber die Ausgleichszahlungen wurden ohne jede Vorbereitung geleistet. Die Empfänger, die ihre Produktionsgrundlage verloren hatten, wussten nicht, wie sie das Geld investieren konnten. Viele haben es in ein, zwei Monaten verbraucht. Heute sind viele von ihnen noch ärmer als zuvor, weil sie kaum mehr Ackerland besitzen. Zudem kaufen gut Betuchte Land in den Fördergebieten auf, und das führt zu Konflikten.
Die Behörden haben kleinere Investitionen getätigt, zum Beispiel Straßen zwischen den Städten gebaut. Doch wenn man genau hinsieht, wird klar, dass dies kein Zeichen für eine Verbesserung der Lebensumstände ist. Im Gegenteil, die Not im Tschad ist offenbar größer geworden. Die Lebenshaltungskosten sind gestiegen, weil das Projekt zu einer Inflation geführt hat. Deshalb können sich viele nur noch eine Mahlzeit am Tag leisten und keine Gesundheitsdienste mehr. Daher streiken jetzt die Angestellten im öffentlichen Dienst und verlangen Lohnerhöhungen. Bei der Bevölkerung ist von den Öleinnahmen kaum etwas angekommen.
Die Kreditverträge enthalten strenge Regeln für die Verwendung dieser Einnahmen, und ein Gremium unter Beteiligung der Zivilgesellschaft sollte das beaufsichtigen. Hat das nichts bewirkt?
Das Gesetz ist klar, und das Kontrollgremium ist eingerichtet worden. Aber eine Institution kann nur etwas bewirken, wenn das soziale und politische Umfeld das zulässt. Dies ist im Tschad nicht der Fall. Das Kontrollgremium hat seinem Auftrag entsprechend gearbeitet: Es hat Projektvorschläge für die Verwendung des Geldes geprüft und das Geld dann jeweils ausgezahlt, beispielsweise für den Bau von Schulen und Hospitälern. Doch die Durchführung lag dann bei den zuständigen Ministerien. Das Kontrollgremium konnte lediglich noch an den Ort des Vorhabens reisen und sehen, ob es ausgeführt worden war. Wenn nicht, wenn also das Geld verschwand, dann war das Gremium machtlos. Es konnte die Verantwortlichen nicht belangen, denn die Justiz wird von den Machthabern kontrolliert. Auf allen Ebenen des Gerichtswesens sitzen an den entscheidenden Stellen Vertreter der Staatsführung.
Ist es unrealistisch, unter den Bedingungen eines Bürgerkrieges eine saubere Verwaltung von so viel Geld zu erwarten?
Ja. Das ist genau unser Argument: Man muss zuerst die Voraussetzungen für Frieden schaffen. Nur im Frieden kann man die Regierungsführung verbessern. Sonst hat die Regierung stets Vorwände, Geld für den Krieg zu verwenden. Die "Initiative für Frieden und Versöhnung", die ich koordiniere, schlägt deshalb eine neuartige Friedensinitiative vor, die alle Dimensionen des Problems berücksichtigt: die Demokratie, das Wahlsystem, Sicherheit sowie nationale Aussöhnung.
Wer trägt diesen Appell?
Die Organisationen der Zivilgesellschaft und die Oppositionsparteien in Verbindung mit den Führern der Religionen sowie der Vereinigung der traditionellen Würdenträger. Das zeigt, dass im Grunde eine Mehrheit der Bevölkerung diesen Appell unterstützt. Wir fordern den Präsidenten des Tschad auf, einen umfassenden Friedens- und Dialogprozess zu starten. Wir haben genug vom Krieg.
Wir wollen nicht, dass die Macht im Staat mit Waffengewalt ergriffen wird oder ein Präsident sich mit Waffengewalt an der Macht hält. Das ist Präsident Déby im Begriff zu tun. Die jüngsten Wahlen im Mai 2006 hat er nur bei extrem geringer Beteiligung gewonnen ganze fünf Prozent der Bevölkerung haben für ihn gestimmt. Wir sagen, das Ergebnis akzeptieren wir zunächst, aber das Land muss vorwärts kommen Richtung Frieden.
Hat die Zivilgesellschaft Möglichkeiten, die Kriegführenden zum Dialog zu zwingen?
Nein, noch nicht. Daran arbeiten wir jetzt. Wir haben auf die Einwirkung der internationalen Gemeinschaft gesetzt. Aber uns scheint inzwischen, dass diese den Präsidenten nicht auf den Weg des Friedens zwingen will. Deshalb muss die Zivilgesellschaft die Fähigkeit erlangen, die Bevölkerung zu mobilisieren und so Druck auf die Machthaber auszuüben.
Versucht Idriss Déby mit Hilfe der Öleinnahmen seine militärischen Widersacher zu kaufen?
Das ist unser Verdacht. Unsere Erfahrung ist, das partielle Friedensvereinbarungen im Tschad nie funktioniert haben. Oft waren sie im Grunde ein Handel: Sobald das Geld nicht mehr floss, hat ein Teil der Beteiligten wieder zu den Waffen gegriffen. Deshalb brauchen wir einen umfassenden Friedensprozess. Wir schlagen vor, alle politisch-militärischen Gruppen zu einem Treffen außerhalb des Tschad und unter einem neutralen Vermittler zusammenzurufen, damit sie ihre Anliegen vortragen können. Wenn man die politischmilitärischen Gruppen je einzeln zu kaufen versucht, wird das den Konflikt nicht lösen.
Sind Sie in Kontakt mit Gruppen, die Déby militärisch bekämpfen?
Wir haben mit einigen ihrer Vertreter sprechen können. Das hat uns auch ermöglicht, unseren Vorschlag für einen Dialog zu präzisieren, denn diese Kräfte waren im Prinzip damit einverstanden. Wenn Präsident Idriss Déby zu einem Dialog aufrufen würde, der tatsächlich allen offen steht, dann glaube ich, sie würden sich nicht verweigern. Es ist aber wichtig, dass auch ein offener Dialog mit der Zivilgesellschaft und mit Religionsführern in Gang kommt. Das würde ein Gespräch aller Kräfte im Ausland über einen Ausweg aus der Krise erleichtern.
Welche Rolle spielt die Religion für die Kämpfe im Tschad?
Es handelt sich nicht um einen Religionskonflikt. Hier kämpfen nicht Christen gegen Muslime, das muss man ganz klar sagen. Allerdings benutzen die Machthaber die Religion in erster Linie den Islam, Déby ist Muslim -, um ihre Herrschaft zu sichern. Auch hier halten wir Dialog für wichtig. Zum "Appell" gehören Führer von Christen und Muslimen. Für uns ist Frieden keine Frage der Religion oder der ethnischen Zugehörigkeit. Wir wollen einen geeinten Tschad.
Haben die Konflikte im Tschad auch Ursachen in Umwelt- oder Klimaverschlechterungen?
Umweltprobleme sind Teil der Konflikte. Das ökologische Gleichgewicht ist sehr fragil. Ein großes Gebiet im Norden ist Wüste und es steht im Tschad insgesamt sehr wenig Wasser zur Verfügung. Es scheint auch, dass die vergangenen Jahre im Tschad bereits heißer waren als normal. Diese Probleme werden im Osten des Landes verschärft durch die große Zahl der Flüchtlinge aus Darfur (Sudan); zwischen ihnen und Einheimischen sind bereits Konflikte um Wasserquellen oder Brennholz aufgetreten. Ein weiteres Umweltproblem sind die ökologischen Folgen der Ölförderung. In den Fördergebieten sind inzwischen Krankheiten der Atemwege und der Augen aufgetreten, die man vorher nicht kannte.
Die Konflikte im Tschad sind verwoben mit denen in der Zentralafrikanischen Republik und mit dem Krieg in Darfur. Haben Sie Kontakte in diese Nachbarländer?
Das ist ein großes Problem, zumal auch das Verhältnis zwischen den drei Staatspräsidenten kompliziert ist. Wir haben begonnen, gemeinsame Strategien der Zivilgesellschaft zu entwickeln, damit eine Lösung für alle drei Länder gefunden wird. Wir arbeiten daran, dass alle drei Gesellschaften zugleich einen Friedensprozess verlangen. Aber das ist schwierig.
Welche Art internationale Unterstützung bräuchten Sie?
Wir arbeiten gut und solidarisch mit nichtstaatlichen Gruppen aus dem Norden zusammen. Eine Koalition unter Leitung des katholischen "Komitees gegen den Hunger und für Entwicklung" vertritt unser Plädoyer in Frankreich. In Deutschland unterstützen uns "Brot für die Welt" und Misereor. Von den Staaten aus dem Norden würden wir uns aber wünschen, dass sie auf einen umfassenden Dialog hinwirken besonders die Europäische Kommission. Die hat Anfang 2007 einen Dialog initiiert, an dem die Partei von Déby und Oppositionsparteien teilnehmen; im Mittelpunkt stehen Fragen der Wahlverfahren. Wir fordern aber umfassende Gespräche unter Beteiligung der politisch-militärischen Gruppen, der Religionsführer, traditionellen Würdenträger und der Zivilgesellschaft. Auch internationale Organisationen sollten beteiligt sein, vor allem die Afrikanische Union. Die internationale Gemeinschaft sollte die Anstrengungen der Gesellschaft unterstützen und nicht die Machthaber im Tschad.
aus: der überblick 03/2007, Seite 148
AUTOR(EN):
Die Fragen stellte Bernd Ludermann.