Wenn zu viel Hilfe zur Selbstbedienung einlädt
Uganda hat viel Geld bekommen, um HIV/Aids zu bekämpfen. Doch die internationale Großzügigkeit hatte unerwünschte Nebenwirkungen: Eine Geländewagen-Kultur und die Verschwendung von Millionen. Ein Kommentar.
von Helen Epstein
Vor kurzem hielt ich mich in Uganda auf und machte bei meiner Reise auch Halt im dortigen Büro des "Weltfonds zum Kampf gegen Aids, Tuberkulose und Malaria" (Global Fund to Fight AIDS, Tuberculosis and Malaria). Der Fonds wurde 2002 gegründet und hat seinen Hauptsitz in Genf. Sein innovativer Ansatz besteht in der Zusammenarbeit von internationalen Organisationen, Regierungen, nichtstaatlichen Organisationen (NGOs), privaten Stiftungen und von den Krankheiten betroffenen Gemeinschaften. Er verfügt über einen Etat von mehreren Milliarden US-Dollar, von denen 54 Millionen für Uganda ausgegeben wurden.
Im August 2005 hatte die Rechnungsprüfungsfirma PricewaterhouseCoopers allerdings festgestellt, dass der Verbleib eines großen Teils des nach Uganda geflossenen Geldes unbekannt ist. Niemand weiß genau, wie hoch die vermisste Summe ist, doch Schätzungen gehen von vielen Millionen US-Dollar aus. Nach dem Pricewaterhouse-Bericht und Berechnungen, die Zeitungen in Uganda vornahmen, ist ein Teil des Geldes auf Privatkonten von Regierungsmitgliedern gelandet. Ein anderer Teil wurde für Vergnügungsreisen und angebliche Dienstreisen zu Veranstaltungen und "Workshops" im Ausland ausgegeben. Weiteres Geld dürfte in die Kampagne gegen die Begrenzung der Amtsperioden für den Präsidenten geflossen sein. Die Kampagne war erfolgreich. Ugandas Präsident Yoweri Museveni konnte bei den Präsidentschaftswahlen im Februar 2006 erneut kandidieren und wurde wieder gewählt.
Im September 2005 hat die Zentrale des Global Fund daraufhin alle Zahlungen an Uganda vorübergehend gestoppt. Die ugandischen Behörden reagierten prompt: Sie entließen die gesamte Projektmanagement-Einheit, das örtliche Gremium, das die Hilfsgelder beaufsichtigt einschließlich der Sekretärinnen und Putzfrauen. Ein neues Team wurde eingestellt und eine Untersuchungskommission eingerichtet, die herausfinden soll, wie viel Geld entwendet worden ist, wer es genommen hat und was damit geschehen ist. Als ich im Februar 2006 das Büro von Global Fund in Kampala besuchte, standen vier bewaffnete Wächter am Eingang, und das neue Rezeptionspersonal las in der Bibel. Es ist zwar ermutigend zu sehen, wie ernst die Ugander die Angelegenheit jetzt nehmen. Aber an der Tatsache, dass einfach verprasst wurde, was beachtliche internationale Hilfsbereitschaft, die sich so nicht wiederholen dürfte, aufgebracht hat, lässt sich nichts mehr ändern.
Die Betrugsaffäre hat fatale Konsequenzen. Die Programme zur Behandlung der drei Krankheiten sind in Verzug. Ein Ugander beklagte vor Kurzem auf einem Internet-Portal, dass sein Kind fast an Malaria gestorben sei, weil das gesamte Gesundheitspersonal der örtlichen Klinik auf einem Workshop in der Hauptstadt oder im Ausland gewesen sei. In Kampala hörte ich, wie die in die Affäre verwickelten Funktionäre als "Nachttänzer" bezeichnet wurden böse Geister aus der ugandischen Mythologie, die auf Friedhöfen spuken und sich von Toten ernähren.
Die Paradoxie des Ganzen ist, dass der Global Fund eigentlich ein transparentes und effizientes Verfahren haben sollte. Die Politisierung bilateraler Hilfsprogramme und die hoffnungslos ineinander verhedderte Bürokratie der UN-Agenturen sollte dabei vermieden werden. Als der Fonds unter großem Tamtam geschaffen wurde, kündigten seine Vertreter an, dass seine Mittel von Aufpassern in den Nehmerländern kontrolliert werden würden, von Mitarbeitern der lokalen Verwaltungen und von nichtstaatlichen Organisationen (NGOs). Geberregierungen wie die USA und Großbritannien sowie Privatgönner wie Bill Gates haben dem Global Fund bis jetzt etwa fünf Millionen US-Dollar zur Verfügung gestellt, mit denen einige Modellprojekte in aller Welt unterstützt werden sollen. Einige mächtige Ugander scheinen sich jedoch eingebildet zu haben, dass es sich beim Global Fund um ein Büffet gehandelt hat, an dem man sich beliebig bedienen kann. Als ich gerade im Land war, verbrachte die Untersuchungskommission einen Nachmittag damit, den Direktor des Uganda Center for Accountability zu befragen. Er hatte 120.000 US-Dollar vom Global Fund erhalten, um damit Gemeindeorganisationen im Finanzmanagement auszubilden. Der Direktor, Teddy Cheeye, ist ein enger Weggefährte von Präsident Museveni und ein hoher Funktionär in der Spionageabteilung des Landes.
Zwei Tage, nachdem Geld aus dem Global Fund auf die Konten des Uganda Center for Accountability im März 2005 überwiesen worden war, hat Cheeye 33.000 USDollar abgehoben und ein Flugticket nach China gekauft. Das zeigen Bankunterlagen, die der Untersuchungskommission vorliegen. Mit leicht irritiertem und betont unbekümmertem Gesichtsausdruck erzählte Cheeye den Kommissionsmitgliedern, dass er seine Konten verwechselt hätte und das Geld für das Flugticket nichts mit dem Geld des Global Fund zu tun gehabt hätte. Als er einen Beweis dafür erbringen sollte, dass er das Geld für Managementausbildung ausgegeben hat, legte Cheeye ein Bündel von Tankbelegen vor, um zu beweisen, dass er im ganzen Lande zu Workshops gefahren sei.
In Uganda schreiben die Tankwarte die Autokennzeichen auf die Quittungen. Ein Kommissionsmitglied verglich die Angaben mit dem Fahrzeugregister und fand heraus, dass das Fahrzeug, das Cheeye für die Fahrten zu diesen Workshops benutzt haben will, ein Raupenschlepper aus dem Jahre 1977 ist. All das hat mich persönlich getroffen, denn ich liebe Uganda. Uganda war das erste afrikanische Land, in dem es landesweit einen Rückgang der HIV-Rate gab, ein Erfolg, der vielleicht einer Million Menschen in den 1990er Jahren das Leben gerettet hat. Es wurde viel darüber diskutiert, ob dies hauptsächlich das Ergebnis von rigoroser Enthaltsamkeit, von Kondomgebrauch oder die von mir bevorzugte Erklärung der pragmatischen Vermeidung beiläufigen Sexualverkehrs ist.
Doch das wirklich Entscheidende für den Erfolg bei der Aidsbekämpfung ist wohl grundsätzlicher. Es war eher etwas, wofür die Experten des öffentlichen Gesundheitswesens keinen Namen haben. Man kann dies nur mit einem gemeinsamen Sinn von Menschlichkeit, mit gesellschaftlichem Zusammenhalt, gegenseitiger Hilfe und Einsatzbereitschaft erklären. Das lässt sich unmöglich quantifizieren oder programmieren. Während der 1980er und frühen 1990er Jahre, als viele andere afrikanische Staaten die sich abzeichnende Aids- Krise ignorierten, entstanden überall in Uganda Hunderte von winzigen Aids- Gruppen in den Gemeinden. Sie ermutigten die Kranken, kümmerten sich um die Waisen, halfen den Nachbarn, mit den Folgen von Aids fertig zu werden, und eröffneten eine Debatte über das Sexualverhalten. Museveni, dessen politische Partei jetzt tief in der Affäre der Veruntreuung von Geldern des Global Fund verwickelt ist, hatte sich an diesen Kampagnen beteiligt.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hatte Uganda für seinen frühen Kampf gegen Aids einiges Geld zur Verfügung gestellt, doch zusätzlich kam vieles aus den Taschen der Armen selbst. Ihr Mitgefühl und ihre harte Arbeit brachte die Krankheit an die Öffentlichkeit und veranlasste die Leute, darüber zu reden. Sie verringerte das Leugnen von Aids und die damit verbundene Stigmatisierung ganz erheblich und führte zu einem tiefgreifenden Wandel der gesellschaftlichen und sexuellen Normen. Obwohl dieser Prozess sehr afrikanisch war, glich er doch in vielerlei Hinsicht der leidenschaftlichen und lautstarken Antwort auf Aids unter den homosexuellen Männern in den westlichen Ländern während der 1980er Jahre. Und das wirkte sich aus: Ende der 1980er Jahren waren die HIV-Neuinfektionen bei Homosexuellen in den USA um zirka 75 Prozent zurückgegangen.
Seit dem Jahr 1993 erhöhten die internationalen Geberinstitutionen, unter ihnen die Weltbank und die US-Agentur für Internationale Entwicklung (USAID), ihren finanziellen Anteil an Ugandas Aids-Programmen. Sie unterstützen viele richtungsweisende Programme, mit denen die gesundheitliche Infrastruktur ausgebaut, Kondome leichter verfügbar sein und die Aids-Behandlung verbessert werden sollten. Doch sie haben auch zur Bürokratisie rung der Aids-Politik beigetragen. Eine große Summe aus Ugandas Gesundheitsetat, etwa 50 Millionen von rund 170 Millionen US-Dollar pro Jahr, wird zur Bekämpfung von Aids bereitgestellt. Das trug zu dem bei, was die Ugander eine "Pajero- Kultur" nennen ein Verweis auf die extravaganten Geländewagen der Hilfsagenturen, die in Kampala bald das Straßenbild prägten und heute noch prägen. In den nachfolgenden Monaten und Jahren haben einige Leute Aids weniger als eine schreckliche Plage als vielmehr eine Wachstumsindustrie und eine günstige Gelegenheit gesehen, einen Karrieresprung zu machen. Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist, dass die HIV-Rate in Uganda immer langsamer zurückgegangen ist, seit sich in den späten 1990er Jahren die Pajero-Kultur verbreitete. Während der letzten fünf Jahre ist die Rate der HIV-Infektionen überhaupt nicht mehr gefallen, obwohl das Aids-Budget sich noch weiter aufgebläht hat.
Für diesen Trend sind eine Menge Faktoren verantwortlich. Es wäre nicht fair, allein die Hilfsindustrie aus dem Ausland dafür verantwortlich zu machen. Doch es verweist auf ein beunruhigendes Paradoxon. Das schildert der New Yorker Universitätsprofessor und frühere Weltbank-Ökonom William Easterly in seinem neuen Buch "The White Man's Burden: Why the West's Big Plans to Aid the Rest Have Done So Much Ill and So Little Good" ("Die Bürde des weißen Mannes: Warum die Großpläne des Westens zur Hilfe an den Rest so viel Krankes und so wenig Gutes hervorgebracht haben"). Darin argumentiert er, dass schlecht verwaltete Auslandshilfe kontraproduktive Anreize produzieren kann.
Verwaltungsbeamte von Global Fund sagen mir, dass sie aus dem ugandischen Fiasko eine Menge Lehren gezogen haben und dass sie beabsichtigen, die Überwachungsmechanismen zu verbessern. Doch ich frage mich: Wann werden wir endlich lernen, dass gravierende globale Probleme andere Antworten brauchen?
So wie Ökologen gelernt haben, dass es keinen Sinn macht, einen komplexen unberührten Wald zu roden, um Narzissen zu pflanzen, so wie Stadtplaner gelernt haben, das städtische Erneuerungsprogramme Gemeinschaften entwurzeln können, die zwar arm sind, aber funktionieren, und so wie jeder weiß, dass Planwirtschaften gescheitert sind, so lernen wir etwas von dem neuen Wind, der aus dem Osten weht: Wenn man in armen Ländern das Feuer mit einer Geldspritze voll Entwicklungshilfedollars löschen will, riskiert man einen wahnwitzigen Ansturm auf das Geld. Es nützt nichts, Afrikanern (einmal mehr) die Schuld dafür zu geben, dass mit Geld Missbrauch betrieben wird.
Wirklich gut entworfene Hilfsprogramme schließen harte, glanzlose Arbeit ein. Sie zeichnen sich aus durch anspruchslose Ziele. Sie erfordern die genaue Überwachung einfacher Projekte. Und sie müssen von Funktionären geleitet werden, die aus ihren Fehlern schnell lernen und wissen, dass Hilfe zwangsläufig politisch ist. Nur so können sie derartige Probleme antizipieren und bereits im Entstehen anpacken.
Das Wichtigste dabei ist, dass sie sich den Sinn für Engagement und Solidarität bewahren, ohne die kein Entwicklungshilfeprogramm Erfolg haben kann. Vor einigen Jahren traf ich Nkululeko Nxesi, damals Vorsitzender der "Südafrikanischen Nationalen Vereinigung von Menschen, die mit HIV/Aids leben". Ich fragte ihn, warum die HIV-Rate in seinem Land so hoch und nicht wie in Uganda zurückgegangen sei. Nxesi hatte sich dieselbe Frage gestellt. Jahre zuvor lange, bevor der Global Fund und andere große Geber damit begonnen hatten, Geld nach Afrika zu pumpen hatte Nxesi einen ugandischen Aids-Arbeiter auf einer Konferenz getroffen. Der sagte ihm: "In Uganda haben wir vielleicht keine Highways und Hochhäuser, doch wir kümmern uns um unsere Menschen." Nxesi hat seine Schlüsse daraus gezogen: "Nach und nach werden wir feststellen, dass Entwicklung nicht allein damit zu tun hat, wie gut deine Infrastruktur ist. Es ist auch eine Frage des Herzens."
aus: der überblick 02/2006, Seite 38
AUTOR(EN):
Helen Epstein
Helen Epstein ist Gastwissenschaftlerin im Center for Health and
Wellbeing an der Woodrow Wilson School of Public
and International Affairs der Princeton-Universität.
Sie arbeitet derzeit an einem Buch mit dem Titel
Why Don't They Listen: Africa, the West and the
Fight Against AIDS, das im Frühjahr 2007 bei Farrar,
Straus and Giroux, New York, erscheinen soll.