Die Versorgung mit Trinkwasser sollte nicht als normale Dienstleistung behandelt werden
Unter dem Motto "Wasser ist ein Menschenrecht" hat "Brot für die Welt" eine Kampagne gestartet. Sie ruft die Bundesregierung auf, sich dafür einzusetzen, dass alle, auch die Ärmsten, Zugang zu sauberem Trinkwasser erhalten. Die Wasserversorgung soll nicht Gegenstand der internationalen Verhandlungen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) sein.
von Bernd Ludermann
Die Wasserkampagne von "Brot für die Welt" greift im "Internationalen Jahr des Süßwassers" ein drängendes Problem auf. Etwa 1,1 Milliarden Menschen haben nach Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser und 2,4 Milliarden keinen zu Abwassersystemen und sanitären Anlagen. An davon verursachten Krankheiten sterben jährlich über zwei Millionen Menschen.
Dass es eine internationale Aufgabe ist, das zu ändern, ist unumstritten: Zu den Millenniums-Zielen, welche die UN-Vollversammlung im Beisein zahlreicher Staats- und Regierungschefs im Herbst 2000 beschlossen hat, gehört es, die Zahl der Menschen ohne Trink- und Abwasserversorgung bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Umstritten ist aber, wie das erreicht werden kann. Die vorherrschende Strategie setzt auf private Investitionen in den Ausbau und den Betrieb der Wasser- und Abwasserversorgung. Trinkwasser soll als Ware betrachtet werden, die kostendeckend abzugeben ist. Das vertreten unter anderem die Weltbank und der Internationale Währungsfonds; auch der wissenschaftliche Beirat des deutschen Entwicklungs-Ministeriums hat sich im Grundsatz dafür ausgesprochen.
Als Begründung wird erstens angeführt, dass die riesigen Summen an Kapital, die für den Ausbau der Wasser- und Abwassersysteme nötig sind, anders nicht aufgebracht werden könnten. Zweitens müssten die Wassergebühren sowohl den Preis des Wassers selbst als auch die Kosten für den Aufbau und Unterhalt der Infrastruktur wie Staudämme und Leitungen decken, damit Wasserverschwendung verhindert wird und der Ausbau der Wassersysteme sich rentiert. Sonst seien dafür Subventionen nötig. Das aber sei drittens weder wirtschaftlich sinnvoll, noch nütze es den Armen. Denn öffentliche Wasserversorger könnten in armen Ländern leicht politisch missbraucht werden: Politiker versorgten ihre eigene Klientel mit subventioniertem Wasser, während die Ärmsten auf die teuerste Art sicheren Trinkwassers angewiesen blieben, nämlich das in Flaschen.
Diese Argumentation wird von Organisationen wie "Brot für die Welt" mit guten Gründen angezweifelt. Erstens, weil die Schätzungen über den riesigen Kapitalbedarf auf der Bevorzugung von großtechnischen Lösungen wie Großstaudämmen und Fernleitungen beruhen. Ob die überall nötig und angemessen sind, ist fraglich. Zweitens ist offen, ob überhaupt genug privates Kapital für Wassersysteme im Süden verfügbar ist. Laut einer Untersuchung der Public Services International Research Unit (PSIRU) an der Universität Greenwich vom letzten März ziehen sich internationale Wasserkonzerne inzwischen wieder aus dem Süden zurück, wo sie ohnehin nur in großen Städten und nicht in den ärmsten Ländern investiert hatten. Um sie zu halten, müsste der Staat die Risiken privater Investitionen noch stärker absichern - das heißt sie subventionieren.
Gegen die Forderung nach kostendeckenden Wasserpreisen führt Danuta Sacher vom Referat Politik und Kampagnen bei "Brot für die Welt", die Koordinatorin der Wasser-Kampagne, das Menschenrecht auf Wasser ins Feld. Die UN-Konvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ist im vergangenen November mit einem Rechtskommentar dahingehend präzisiert worden, dass sich aus dem Recht auf Nahrung und Gesundheit auch ein Menschenrecht auf Wasser ergibt. Regierungen müssen also dafür sorgen, dass für Alle genügend sauberes Wasser zum persönlichen Gebrauch erreichbar ist, und zwar zu Preisen, die die Betroffenen zahlen können. Kostendeckende Wasserpreise müssen dem nicht widersprechen, sie können es aber. Sie haben zum Beispiel in der Township Nkobongo in Südafrika dazu geführt, dass viele Einwohner wieder Wasser aus verschmutzten Flüssen getrunken haben. Sie hatten das Geld für die höheren Wassergebühren einfach nicht. Die Folge war eine Cholera-Epidemie, die Tausende das Leben kostete und zudem für den Staat teuer war.
Zudem ist unstrittig, dass die Wasserversorgung per Leitung ein "natürliches Monopol" ist. Man kann nämlich nicht verschiedene Anbieter dasselbe Leitungsnetz benutzen lassen wie bei elektrischem Strom, weil ein "schwarzes Schaf" das Wasser aller Anbieter verschmutzen könnte. Unternehmen können daher zwar um die Lizenz für ein Gebiet konkurrieren. Aber wer die einmal hat, der hat den "Markt" für sich. Deshalb und wegen der Bedeutung für die Umwelt und die Gesundheit müssen private Wasserversorger staatlich beaufsichtigt werden.
Das relativiert das dritte Argument, dass öffentliche Versorger in armen Ländern korruptionsanfällig sind und Subventionen oft nicht die Ärmsten erreichen. Die Weltbank betont im demnächst erscheinenden Weltentwicklungsbericht 2004 mit dem Schwerpunkt öffentliche Dienste, dass die Kontrolle der Bürger über öffentliche Versorger den Umweg über den Staat nehmen muss und oft schlecht funktioniert. Das trifft zu. Aber das Grundproblem ist der Mangel an demokratischer Kontrolle. Ob man den gerade bei der Wasserversorgung mit Privatisierung mildern kann, ist fraglich und müsste im Einzelfall geprüft werden. Die Weltbank argumentiert, der Verbraucher nehme auf private Versorgungsbetriebe, für deren Produkte er zahlen müsse, mehr Einfluss. Aber kann dieser "Demokratie-Ersatz" funktionieren - zumal bei einem natürlichen Monopol? Ein System, in dem ein Konzern den Markt beherrscht und dabei von einem wenig demokratischen Staat beaufsichtigt wird, scheint ja auch nicht unbedingt korruptionsresistent.
Danuta Sacher ist skeptisch gegenüber Versuchen, den Armen mit Hilfe privater Investoren zu sauberem Wasser zu verhelfen. Sie fordert, zunächst die bisherigen Erfahrungen damit sorgfältig auszuwerten. Sacher lehnt private Lösungen nicht ab, wo sie nicht zu Lasten knapper Entwicklungshilfe gehen - das ist zu befürchten, wenn aus der Hilfe Privatisierungen bezuschusst werden - und wenn sie die staatlichen Regulierungsmöglichkeiten nicht einschränken.
Dies aber droht das GATS-Abkommen zu tun. Dieses "Allgemeine Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen" soll Schranken abbauen, die ausländische Anbieter von nationalen Märkten für Dienstleistungen fernhalten wie Telekommunikation, Verkehr und Bildung. Hoheitlich erbrachte Dienste sind ausgenommen, aber die Zulassung privater Anbieter oder des Wettbewerbs schafft die Voraussetzung, dass ein Dienstleistungssektor im Prinzip unter das GATS fällt.
Die Vertragsstaaten können jedoch einzelne Sektoren ausnehmen. Der Wassersektor ist vom GATS bisher wenig erfasst. Doch die Kommission der Europäischen Union (EU) verlangt in der laufenden GATS-Verhandlungsrunde von über 100 Ländern Marktöffnungen im Wassersektor. Das würde Privatisierungen im Süden praktisch unumkehrbar machen - unter anderem weil das GATS den betroffenen Firmen Entschädigungsrechte nicht nur für die Anlagen, sondern auch für entgangene Gewinne zugesteht. Außerdem entwickelt eine Arbeitsgruppe des GATS einen "Notwendigkeitstest", nach dem staatliche Regulierungen nur zulässig sein sollen, wenn sie ihr Ziel nachweislich mit der geringsten Beeinträchtigung des Freihandels erreichen. Damit würde ein von Regierungen ausgehandeltes Abkommen das Recht der Parlamente und Kommunen beschränken, öffentliche Dienstleistungen zu regeln; Auflagen für die Wasserqualität und den Gewässerschutz können zum Beispiel betroffen sein.
Das alles würde vor allem internationalen Wasserkonzernen nutzen. Unter den größten sind zwei französische und ein deutsch-britischer (RWE-Thames), die Einfluss auf die EU-Kommission ausüben. Kommunale Wasserwerke würden dagegen noch stärker unter Druck geraten. Daher unterstützen nicht nur Naturschutzverbände und die globalisierungskritische Bewegung Attac die Wasser-Kampagne, sondern auch der Verband kommunaler Unternehmen.
Sie alle klagen mit Recht, dass die GATS-Verhandlungen außerhalb öffentlicher Kontrolle ablaufen. Wasser ist ein unersetzbares Lebensmittel. Entscheidungen darüber sind eine Frage der Daseinsvorsorge. Zu befürchten ist ein Prozess in drei Schritten: Zuerst Zulassung von Wettbewerb, dann Privatisierung aller Anbieter, schließlich ein GATS-Abkommen, das den Sektor dem internationalen Wettbewerb öffnet und den Prozess auch für demokratische Regierungen praktisch unumkehrbar macht.
Selbst wer private Lösungen befürwortet, kann sich eigentlich zwei Forderungen nicht verschließen: Erstens, Entscheidungen darüber gehören in die Parlamente; und zweitens, bevor Entwicklungsländer weiter zu Privatisierungen der Wasserwirtschaft gedrängt werden, müssen die bisherigen Erfahrungen ausgewertet und die Ergebnisse veröffentlicht werden. Auch Alternativen sollte man ernsthaft prüfen. So könnte die Entwicklungspolitik auch mit kommunalen Wasserwerken zusammenarbeiten, wie sie in großen Teilen Europas üblich sind. Warum soll man nicht ihnen die Chance geben, ihre Kenntnisse und dezentralen Ansätze an Kommunen im Süden weiterzugeben?
Die Wasserkampagne hat die Internet-Seite www.menschen-recht-wasser.de; dort findet man Hintergrundmaterial und kann Postkarten an die Bundesregierung bestellen, um sich an der Kampagne zu beteiligen.
Weitere nützliche Internetseiten zum Thema sind die der Vereinten Nationen zum Weltwasserjahr 2003 (www.wateryear2003.org), die der Weltbank zu Wasserfragen (www.worldbank.org/water) und die der "Public Service International Research Unit" (www.psiru.org/).
aus: der überblick 02/2003, Seite 122
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".