Pfingstkirchen können unter bestimmten Voraussetzungen entwicklungspolitisch interessant sein
Pfingstgemeinden haben früher wenig Interesse an Entwicklungszusammenarbeit gezeigt. Sie beschränkten sich darauf, mit moralischem Rigorismus ihre Mitglieder voranzubringen. Inzwischen werben sie auch damit, dass sie Gelder in Sozialprogramme und Entwicklungshilfe investieren. Das soll den Argwohn gegen ihr finanzielles Gebaren besänftigen. Aber externe Geldgeber sollten sich an solchen Projekten nur beteiligen, wenn finanzielle Transparenz und demokratische Kontrolle gewährleistet sind.
von Prof. Jean-Pierre Bastian
Die Pfingstbewegung ist sehr lebendig. Wie ein biologischer Organismus setzt sie sich aus vielen unterschiedlichen Zellen zusammen. Sie pflanzt sich durch Teilung fort und strebt mit Hilfe ihres Schneeballsystems der Bekehrung nach exponentiellem Wachstum. Der phänomenale Erfolg, den einige Teile dieser Bewegung in den letzten dreißig Jahren erlebt haben, ist auf eine quasi unternehmerische Strategie zurückzuführen. Über nationale Grenzen hinweg konnten Millionen von Menschen als Anhänger gewonnen werden. Gerade für junge und ehrgeizige Mitglieder aus sehr armen Verhältnissen ist die Pfingstbewegung zu einem der wenigen Wege für einen raschen sozialen Aufstieg geworden. Mit ihrem Charisma üben sie eine sehr große Anziehungskraft auf viele junge Menschen aus.
Für alle Teile der Pfingstbewegung, kleine wie große, sind zahlenmäßige Erfolge und Ergebnisse wichtiger als die Verkündung der Wahrheit. Die Ausweitung der Bewegung ist das oberste Ziel. Sobald eine Bewegung einen gewissen Erfolg hat, steht das Geld im Mittelpunkt der Pfingstliturgien. Nach dem Prinzip »Aus mehr wird mehr« halten die Führer die Gläubigen systematisch dazu an, großzügig zu spenden, denn der von ihnen angestrebte Wohlstand hängt davon ab, wie viel sie selbst geben.
Kern der Verkündigungsarbeit der Pfingstler ist deshalb nicht eine protestantische Ethik, sondern eine Politik des Wunders, die den religiösen Führer zu einem unerlässlichen Mittler macht. Durch seine charismatischen Kräfte sorgt er für die notwendige Vermittlung des Geistes, er heilt und treibt böse Geister aus. Das geschieht in einer Beziehung der Gegenseitigkeit, die von den Gläubigen ein finanzielles Engagement in Form von Spenden erfordert. Dieser charismatische Führer steht an der Spitze eines religiösen Unternehmens, das in immer raffiniertere Kommunikationsmittel investieren muss, wenn es wachsen will. Hat sich eine neue Gemeinschaft gerade gegründet, werden bescheidene elektronische Ausrüstungen wie Musikverstärker angeschafft. Ist sie eine Massenorganisation geworden, werden Rundfunk- und Fernsehkonzessionen gekauft. Für das Pfingstunternehmen als Organisation sind zunehmende Investitionen in Massenkommunikationsmittel vorrangig, sie sind für seine Ausweitung unerlässlich. Das ist umso notwendiger, als alle Pfingstorganisationen auf einem äußerst wettbewerbsintensiven religiösen Markt bestehen müssen, auf dem Dutzende einander ähnliche Organisationen um eine relative Hegemonie kämpfen. Es geht nicht nur um den Machtwillen des einzelnen, sondern um eine strukturelle Beziehung.
Das Spendengeld, das in die organisatorische Logistik investiert wird, ist somit der nervus rerum, der Nerv aller Dinge, die Triebkraft. Investitionen in Soziales und Entwicklung kommen erst an zweiter Stelle. Allerdings zeichnen sich die Pfingstorganisationen nicht gerade durch finanzielle Transparenz aus. Gemeindeversammlungen, auf denen die Jahresabschlüsse debattiert werden, gibt es bei den Pfingstgemeinschaften nicht. Denn die wirtschaftliche und finanzielle Kontrolle erfolgt nach Belieben des Führers und oder der Gründerfamilie der Bewegung. Die Gebäude gehören Vereinigungen, deren Kontrolle sich die gleichen Führer über Strohmänner versichert haben. Das Gleiche trifft auf bedeutende Investitionen insbesondere im audiovisuellen Bereich zu. Und so haben informelle Religionen wie die Pfingstbewegungen großen Anteil an der in den Ländern der Dritten Welt sehr dynamischen informellen Wirtschaft. Sie entziehen sich allen Steuergesetzgebungen und jeglicher demokratischer Verwaltung der Ressourcen.
Die Sensationspresse hat den Aspekt der Geldorientierung besonders in den Vordergrund gestellt. Daher versuchen einige Pfingstvereinigungen ihr Image durch Einrichtung so genannter Sozialprogramme zu verbessern. Ihre Uneigennützigkeit und Großzügigkeit wollen sie beispielsweise mit Suppenküchen für Straßenkinder, der Unterstützung unverheirateter Mütter sowie Bildungsprogrammen oder ländlichen, mit Mikrokrediten finanzierten Entwicklungsprogrammen unter Beweis stellen. Solche Tätigkeiten sind jedoch nachrangig. An erster Stelle steht eindeutig das Wachstum der Organisation. Auch das soziale Engagement trägt zu diesem Wachstum bei, indem es Bewegungen, die manchmal von Finanzskandalen erschüttert und häufig der Gewinnsucht verdächtigt werden, mehr Legitimität verschafft.
Im Gegensatz zu dem etablierten missionarischen Protestantismus der die soziale Aktion zur Speerspitze seines Verkündigungshandelns gemacht hatte ist das Interesse mancher Pfingstorganisation an sozialer Arbeit völlig neu. Die Pfingstbewegung geht davon aus, dass sie durch die Bekehrung einer Person und deren Zugang zum Heiligen Geist die Entwicklung des Einzelnen und eventuell auch der Gesellschaft bewirkt. Deshalb haben sich die Pfingstkirchen nicht mit Entwicklungsfragen befasst. Und wenn sie nun an Entwicklungsarbeit Interesse zeigen, dann vor allem deshalb, weil sie als nicht demokratisch verwaltete religiöse Organisationen das Bedürfnis hatten, sich zu rechtfertigen und zu legitimieren. Denn die hierarchische und vertikale Macht, die mit der Person des Bischofs, Apostels, Pastors oder Propheten, des Gründers oder Bewahrers des ursprünglichen Charismas verbunden ist, verhindert jede Möglichkeit einer transparenten Verwaltung von Mitteln, die eventuell in Entwicklungsprogramme gesteckt werden.
Ohne demokratische Verwaltung der Mittel und ohne finanzielle Transparenz kann es keine Entwicklung geben. Das sollte eine Vorbedingung für jeglichen externen finanziellen Beitrag zu Entwicklungsprogrammen dieser Kirchen sein. Eine demokratische Verwaltung der Mittel ist aber nur möglich, wenn diese nicht mehr der Kontrolle des charismatischen Führers unterstehen. Die Erfüllung einer solchen Forderung könnte das autoritäre Verwaltungsmodell der Pfingstorganisation erheblich destabilisieren, und sie könnte zu einer Umwandlung von Organen führen, die an demokratische Verfahrensweisen nicht gewöhnt sind.
Noch eine andere Frage ist zu prüfen: Nämlich ob die Bekehrung von Menschen zur Pfingstbewegung überhaupt eine gewisse individuelle und kollektive Entwicklung mit sich bringt. Die wenigen soziologischen Arbeiten dazu über Lateinamerika zeigen ein widersprüchliches Bild. Eine 1992 in El Salvador durchgeführte Erhebung ergab, dass die Pfingstbewegung dort unter den Ärmsten der Armen neue Anhänger rekrutierte, und zwar mit einer Strategie, ihnen das Überleben zu sichern, ohne sich aber für eine Veränderung der sozialen Verhältnisse zu engagieren. Andererseits zeigt eine Erhebung in Costa Rica aus dem Jahr 1997, dass sich mit der Zugehörigkeit zur Pfingstbewegung die wirtschaftliche Lage der bekehrten Familien verbesserte. Es handelt sich dabei nicht um eine protestantische Berufsethik im eigentlichen Sinne, sondern eher um einen gewissen moralischen Rigorismus. Dieser hat zur Folge, dass das Arbeitseinkommen nicht verschwendet, sondern in den Lebensunterhalt der Familie investiert wird. Man kann den positiven Einfluss, den die Pfingstbewegung ausübt, nicht ignorieren, wenn diese den von ihr bekehrten Menschen erfolgreich hilft, den Alkoholismus, den Drogenkonsum und die sexuelle Promiskuität zu überwinden.
Ein religiös begründeter moralischer Rigorismus hat darüber hinaus auch eine wirtschaftliche Auswirkung: Die Mitgliedschaft in einer Pfingstgemeinschaft lässt den Einzelnen vertrauenswürdig erscheinen. Aus diesem Grunde sind die Frauen und Männer solcher Bewegungen als Arbeiter und Hausangestellte sehr gefragt. Der moralische Rigorismus und der Vertrauensvorschuss tragen erheblich zur Entwicklung bei oder anders gesagt zur Überwindung des Elends in Bevölkerungsteilen, die in der Pfingstbewegung eine Form der Lobpreisung finden, die ihrer Sensibilität und ihrer volkstümlichen Ästhetik entspricht.
Auch im benachbarten Guatemala, das heute mit Gebäuden von Pfingstkirchen übersät ist, geht die Bekehrung zu dieser Art von Religiosität mit einer wirtschaftlichen Entwicklung einher. Insbesondere einige von Indios bewohnte Regionen haben ihre wirtschaftliche Lage verbessert. So hat sich die Kleinstadt Almoloya del Rio in der Provinz Quetzaltenango, wo drei Viertel der Einwohner der Pfingstbewegung angehören, in ein prosperierendes Zentrum des Mikrogartenbaus verwandelt. In den Dörfern am See Atitlan, wo die Webkunst Tradition hat, hat die Pfingstbewegung bewegliche und fähige Kaufleute angezogen. Ein ähnliches Phänomen lässt sich in Ecuador in der Provinz Chimborazo bei den Quechua-Indios feststellen. Von dort stammende Migranten bilden inzwischen in Städten Kolumbiens und Venezuelas als Kaufleute und Pfingstler eine erfolgreiche Diaspora.
In der Pfingstbewegung kann der Einzelne und die Familie dem Würgegriff der häufig entfremdenden Traditionen der katholischen Volksreligion entkommen, die in den Händen der Kaziken und der traditionellen Führungskräfte geblieben ist. Pfingstgemeinden ermöglichen eine soziale Öffnung, die zu einer Erlösung, zu einer Umwandlung des Einzelnen führt. Diese Transformation muss in den Beziehungen zu anderen, im täglichen Leben spürbar sein und führt so zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Verhältnisse.
Die Einstellung der Pfingstbewegung zu Entwicklungsfragen ist somit zwiespältig. Entwicklungsarbeit als solche ist erst seit Kurzem ein Aspekt ihrer Tätigkeit. Das gilt vor allem für die wohlhabenden Pfingstkirchen, die solche Hilfe als Instrument für ihre Verbreitung und Legitimation nutzen.
Wo große transnationale und städtische Pfingstorganisationen Sozialprogramme durchführen wollen, sollten Entwicklungsorganisationen hohe Ansprüche an die Qualität der Unterstützung stellen. Losgelöst vom religiösen Diskurs der Brüderlichkeit ist es notwendig zu untersuchen, welchen Nutzen die Programme für die Organisation und ihren allmächtigen Führer haben. Auf jeden Fall sollte die Transparenz der Finanzverwaltung innerhalb der Pfingstorganisation eine unbedingte Voraussetzung für jegliche verantwortliche Hilfe sein. Bescheidene Pfingstkirchen, die ihren örtlichen Wurzeln oft eng verbunden geblieben sind und eine Tradition der Gemeinschaftsverwaltung haben, bieten dafür eher Anknüpfungspunkte. Sie sind insbesondere unter der ländlichen Indio-Bevölkerung zu finden.
aus: der überblick 01/2005, Seite 18
AUTOR(EN):
Prof. Jean-Pierre Bastian:
Jean-Pierre Bastian ist Professor für Religionssoziologie an der Marc-Bloch-Universität in Straßburg und Forschungsleiter am »Institut des Hautes Etudes de l'Amérique latine, Paris III, Sorbonne nouvelle«.