Je eine Gruppe von Äthiopiern und Ostdeutschen erleben das andere Land
Umweltbildung und Landwirtschaft sind in Äthiopien mit völlig anderen Problemen verbunden als in Ostdeutschland. Trotzdem kann ein Austausch zwischen beiden zum gegenseitigen Nutzen sein. Ein Programm der EED-Projektstelle Umwelt und Entwicklung hat das jüngst gezeigt.
von Bernd Ludermann
Für Hailu Araya war der Besuch in Gatersleben eine Art Visite in der Höhle des Löwen. Der Geograph ist Mitarbeiter des Instituts für nachhaltige Entwicklung (Institute for Sustainable Development, ISD) in Addis Abeba, das sich für den Erhalt der Artenvielfalt und für ökologisch und kulturell angepasste Anbauweisen in der äthiopischen Landwirtschaft einsetzt. Die kleine nichtstaatliche Organisation geht auf eine Initiative des Leiters des äthiopischen Umweltamtes und Trägers des alternativen Nobelpreises Tewolde Egziabher zurück. Das Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK), das Araya in Gatersleben besucht hat, versteht sich dagegen als ein Zentrum der landwirtschaftlichen Biotechnologie. Es unterhält eine der weltweit größten Saatgutbanken; seine gut 130 Wissenschaftler beschäftigen sich auch mit genetisch veränderten Nutzpflanzen.
Ein Professor des Instituts, so erzählt Araya, hat die modernen Techniken vorgeführt. Araya fand sie durchaus beeindruckend. Aber er wollte dann doch wissen, wem sie nützen und wem die Forschung letzten Endes zugute kommt. Diese Frage machte den Professor beinah ärgerlich, sagt Araya. Sein Misstrauen war wohl spürbar: Araya vermutet, dass am Ende nur große Konzerne profitieren, die Patente auf das Saatgut halten. Den bitter armen äthiopischen Kleinbauern, denen er bessere Anbauweisen zu vermitteln sucht, nütze es jedenfalls nicht: Fast alle äthiopischen Bauern ziehen ihr Saatgut selbst. Sie wollen nicht eine Sorte wegen des Patentschutzes jedes Jahr neu kaufen, erläutert er.
Arayas Besuch in Gatersleben war Teil eines Austauschs, den die in Wittenberg (Sachsen-Anhalt) angesiedelte Projektstelle Umwelt und Entwicklung des EED in Gang gesetzt hat. Vier Mitarbeiter des ISD waren im April in Deutschland. Sie haben sich über Naturschutz und Naturreservate, Umweltbildung und biologische Landwirtschaft informiert und an Schulen über ihre Arbeit in Äthiopien berichtet. Im Gegenzug reiste im Juli und August eine achtköpfige Gruppe nach Äthiopien, um etwas über ländliche Entwicklung, Naturschutz und Umweltbildung dort zu erfahren. Dabei waren Lehrerinnen aus Brandenburg und Sachsen-Anhalt, eine Mitarbeitende des Landesumweltamts sowie Katja Geißler, die Leiterin der Projektstelle.
Anne Noack ist mit gereist. Nachdem sie gesehen hat, wie die Bauern im Norden Äthiopiens ihren kleinen Äckern mit dem Ochsenpflug den Lebensunterhalt abringen, teilt sie Hailu Arayas Überzeugung, dass Gentechnik dort nicht helfen wird. Vor der Reise, so erzählt die Biologielehrerin, traute sie sich kein Urteil über diese Frage zu. Jetzt denkt sie, dass genveränderte Pflanzen für Afrika nicht geeignet sind und wenig zur Bekämpfung des Hungers beitragen können. Das Thema möchte sie in der 12. Klasse ihres Gymnasiums in Michendorf südlich von Potsdam aufgreifen und dabei ihre Erfahrungen einfließen lassen.
Unter anderem solche Wirkungen erhofft sich Katja Geißler von dem Projekt. Ich glaube, den Teilnehmenden ist klar geworden: Hunger ist ein strukturelles Problem und kann nicht mit technischen Mitteln gelöst werden. Das sollten sie weitergeben gerade an Jugendliche, die oft von Technik fasziniert sind, erklärt sie.
In Sachsen-Anhalt ist das ein brennendes Thema. Dort haben sich um das IPK in Gatersleben mehrere Biotechnologie-Firmen angesiedelt. Die Landesregierung verspricht sich von der Agro-Gentechnik wirtschaftliche Impulse und klagt beim Bundesverfassungsgericht gegen die gesetzlichen Haftungsbestimmungen für ihren Einsatz. Die Bevölkerung, sagt Geißler, steht der Technik aber skeptisch gegenüber. Dass die das Welternährungsproblem lösen helfe, sei ein wichtiges Argument ihrer Befürworter. Da wollen wir zu der Einsicht beitragen, dass es so einfach nicht ist.
Für Geißler zeigen die Projekte des ISD im Norden Äthiopiens, dass man Hunger mit einfacher Technik bekämpfen kann. Ein großes Problem ist dort, dass die Regenzeiten nicht zuverlässig sind. Oft ist es zu trocken, doch wenn es regnet, wird der Boden an den baumlosen Hängen fortgeschwemmt. Deshalb haben die Bauern jetzt Gräben entlang einer Höhe gezogen, erzählt Geißler. Die fangen das Wasser auf, verhindern die Erosion und füllen gleichzeitig Wasserspeicher für die Trockenzeit. Die Bodenerosion vermindert es auch, wenn man das Vieh nicht frei grasen lässt, sondern im Stall hält und das Futter anbaut. Wenn man die Bauern von solchen Neuerungen überzeugt, kann man mit ganz einfachen Mitteln viel erreichen, betont Geißler.
Das ISD propagiert solche Nutzungsmethoden anscheinend mit Erfolg. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit ist die Umweltbildung. Schülern und Lehrern soll der Wert der Artenvielfalt und der lokalen Kulturtraditionen vermittelt werden. Anne Noack war beeindruckt vom Engagement der Lehrenden in den vier Schulen auf dem Lande, die die Gruppe besucht hat: Obwohl sie achtzig bis hundert Schüler in der Klasse haben, machen sie immer noch etwas über das Pflichtprogramm hinaus. Die Lehrmethoden allerdings sind, wie Geißler bemerkt, nicht optimal auch wenn man unter solchen Bedingungen kaum etwas anderes machen kann als Frontalunterricht.
Araya bestätigt das indirekt: Er ist beeindruckt vom Stand der Umweltbildung in Deutschland. Das Unterrichtsmaterial ist lebendig und attraktiv, der Naturschutz weit entwickelt, und Lehrer bringen Schulkinder in Naturschutzgebiete und machen sie mit der Natur vertraut. Das alles gibt es in Äthiopien nicht, sagt er. Allerdings, so bemerkt er, ist manches auch weniger nötig: Die meisten äthiopischen Kinder wachsen auf Bauernhöfen auf. Ihnen muss man nicht erst erklären, wo Brot und Joghurt herkommen.
Umgekehrt war Araya wichtig, in Deutschland die Klischees über Äthiopien und Afrika in Frage zu stellen. Die vier Gäste vom ISD sind während des Aufenthaltes in Deutschland an mehreren ostdeutschen Schulen gewesen. Ihnen ist aufgefallen, dass viele dort denken, in Äthiopien herrschten nur Hunger, Trockenheit und Krieg. Konnten sie dieses Vorurteil korrigieren? Der Besuch ist in den Schulen sehr gut angekommen, sagt Geißler. Ob das nur ein kurzer Eindruck ist oder die Schüler sich länger mit dem Thema befassen, hängt aber davon ab, wie gut sich die Schulen vorbereitet und es in ihren Schulablauf integriert hatten.
Aus der Idee, Partnerschaften zwischen äthiopischen und ostdeutschen Schulen aufzubauen, wird vorerst nichts werden aus technischen Gründen: Die Schulen, zu denen die Besuchsgruppe Kontakt aufgenommen hat, liegen auf dem Land. Dort gibt es kaum Strom und Telefon, die Kommunikation ist sehr schwierig. Zudem sprechen die Schüler und auch viele Lehrer nur schlecht Englisch.
Dafür möchte Katja Geißler auf den Vorschlag eines äthiopischen Landrats eingehen, dass die Ostdeutschen die Patenschaft für einen kleinen Berg übernehmen und die Wiederaufforstung sowie ein Umwelt-Informationszentrum dort mit finanzieren. Sie hofft, dass einige Schulen dafür sammeln werden. Lohnend fände sie auch eine Auseinandersetzung mit dem Naturverständnis der äthiopischen orthodoxen Kirche. Die erhält im Umkreis ihrer Ortskirchen die letzten Reste Wald, der dort einen sakralen Status hat. Es wäre interessant zu vergleichen, welchen Einfluss kulturell und historisch verschiedene christliche Auffassungen von der Natur darauf haben, wie wir mit der Schöpfung umgehen, erklärt Geißler. An Fragen und Themen für die Fortsetzung des Austauschs fehlt es also nicht.
aus: der überblick 04/2005, Seite 91
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann