Der Markt als Lösung?
Eine private Initiative, der Marine Stewardship Council (MSC), will den Raubbau an den Fischbeständen mit Hilfe der Kräfte des Marktes bekämpfen.
von Hans-Albrecht Wiehler
Nach vielversprechenden Anfängen, die Umwelt weltweit zu schützen, wurde in den neunziger Jahren so manche Hoffnung zerstört. Trotz zahlreicher internationaler Initiativen zum weltweiten Schutz des Klimas erwärmt sich die Erde infolge von Treibhausgasen weiter, wird sauberes Trinkwasser immer knapper, ist der Bestand von immer mehr Fischarten gefährdet. Schon 1968 hat der amerikanische Professor Garett Hardin in der Zeitschrift Science vor der Tragedy of the Commons gewarnt, vor dem Problem, dass gemeinsame Nutzung von Gütern zu deren Raubbau führt, weil jeder einzelne seinen Ertrag maximieren will. Regulierungen durch die Politik haben dieses Problem bisher nicht gelöst.
Vielleicht hat gerade aus diesem Grund in jüngster Zeit eine private Initiative von sich Reden gemacht: der Marine Stewardship Council (MSC). Dieser Meeresverwaltungsrat, wie man den Begriff übersetzen könnte, wurde 1996 gemeinsam vom World Wildlife Fund (WWF) und Unilever (Iglo, Langnese), dem weltweit größten Fischgroßhändler, gegründet. Laut Dierk Peters, dem International Marketing Manager Sustainability Projects Frozen Foods von Unilever, ist "der MSC eine unabhängige Plattform, die alle möglichen Interessengruppen zu einer "Allianz der Gewillten" zusammenbringen soll, deren gemeinsames Interesse darin besteht, dass es weiterhin Fisch gibt". Umweltverbände, Fischer, die Fisch verarbeitende Industrie, Händler und Wissenschaftler sind deshalb im MSC organisiert. Mit einem zertifizierten Siegel für die Vermarktung von Fischen, die gefangen worden sind, ohne deren Bestand und die Umwelt zu gefährden, wollen sie den Raubbau an Fisch und Meeresfrüchten bekämpfen.
Vorbild ist die Zertifizierung im Tropenholzhandel durch den Forest Stewardship Council (den Weltforstrat, FSC; vergl. "der überblick" 4/1999 und 3/2001). Nach diesem Modell sollen nun auch vermehrt zertifizierte Fische aus bestandserhaltender Bewirtschaftung auf den Markt gelangen. Um ein MSC-Zertifikat für eine Fischerei und den daraus gefangenen Fisch zu erhalten, müssen drei Grundprinzipien erfüllt werden: Die Nutzung darf nicht zur Überfischung der Bestände führen, die befischten Ökosysteme müssen in ihrer Art erhalten bleiben, und es muss ein Managementplan für die Befischung vorliegen. Diese Grundprinzipien sind wiederum in einer Vielzahl von Kriterien näher ausgeführt. Ob diese Kriterien eingehalten werden, wird regelmäßig überprüft.
Dieses Zertifikat soll dem Verbraucher an der Ladentheke deutlich machen, welcher Fisch umweltschonend gefangen wurde. So kann er durch seine Kaufentscheidung Einfluss auf den Erhalt der Fischbestände nehmen. Die Nachfrage nach dem Siegel regelt dann alles weitere: Der Großhändler fordert ein Siegel vom Zulieferer und der wiederum vom Fischer. Dieser stellt seine Fangweise nach den vorgegebenen Richtlinien um, um ein Siegel für seinen Fisch zu erwerben und damit im Geschäft zu bleiben.
Soweit die Theorie. Ob die Konsumenten allerdings wirklich bei ihrer Nachfrage die Unterscheidung zwischen "nachhaltig" und "nicht-nachhaltig" treffen, muss sich noch zeigen. Die Motivation der Unternehmen dabei ist klar: "Wir wollen die Versorgung mit Rohwaren langfristig sichern und die Kunden dadurch an unsere Marken binden, dass er mit diesen Marken einen verantwortungsvollen Umgang mit der Natur assoziiert", betont Peters. Wer also Fischstäbchen mit MSC-Siegel kauft, bekommt zur Zeit zertifizierten Hoki aus Neuseeland. Bislang gibt es sieben zertifizierte Fischereien, darunter neben dem Hoki die Lachsfischerei vor Alaskas Küste, die Heringsfischerei in der Themse oder die Langustenfischerei West-Australiens. 30 weitere sind im Zertifizierungsprozess.
Bei einer Reihe von Fischarten könnte allerdings die Marktnachfrage gar nicht gedeckt werden, wenn nur zertifizierter Fisch geliefert würde. Die Überfischung von Beständen außerhalb der zertifizierten Fischerei aber wird das Angebot weiter verknappen und die Preise in die Höhe treiben. Dieser Gegensatz zwischen Ökologie und Ökonomie zeigt sich auch an den sich widersprechenden Erwartungen und Interessen der im MSC vertretenen Gruppen. Die Großhändler wollen eine möglichst hohe zertifizierte Fangmenge in kurzer Zeit und zu gleichbleibendem Preis. Die Fischer wollen das Zertifikat ohne hohe Investitionskosten für die Umstellung auf neue Fangweisen. Und die Umweltverbände wollen möglichst hohe Auflagen und Sanktionen. Alle gemeinsam wollen Glaubwürdigkeit, damit sich das Siegel durchsetzen kann. So sind Reibereien nicht selten, und manchmal ist ein Kompromiss nicht zu erzielen. Der Umweltverband Greenpeace beispielsweise ist nach anfänglicher Kooperation dem MSC jetzt kritischer. Ihm gehen die Auflagen nicht weit genug. Außerdem wirft er dem MSC vor, zu stark von den Interessen der Industrie und der Fischwirtschaft dominiert zu sein.
Einige in der Entwicklungspolitik engagierte Organisationen fürchten darüber hinaus, dass über die Zertifizierung besonders die kleinen Fischereibetriebe im Süden ausgegrenzt werden könnten. Diese können sich in der Regel kaum eine (kostenpflichtige) Zertifizierung leisten und auch keine Daten sammeln, um eine nachhaltige Bewirtschaftung nachzuweisen. Sollte das MSC-Siegel also eine breite Anerkennung erfahren, argwöhnen sie, dass sie künftig als Lieferanten gemieden und weltweite Fischereikonzerne bevorzugt werden.
Gleichwohl findet das MSC-Konzept mehr und mehr Unterstützung seitens der Politik. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und die Europäische Gemeinschaft (EU) beziehen bei ihrer Fischereipolitik das MSC-Modell in ihre Überlegungen ein. Das deutsche Ministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft empfiehlt das MSC-Siegel, und das britische Umweltministerium will die Zertifizierung finanziell unterstützen. Es besteht also eine Chance, dass die private MSC-Initiative künftig einen spürbaren Einfluss auf die Fischereipolitik nehmen wird.
Würde die Politik nicht mitziehen, stünde das MSC auf verlorenem Posten im Kampf gegen die Überfischung. Denn nur mit politischen Rahmenregelungen wird es möglich sein, die Kapazitäten der Fischfangflotten zu verringern, Schutzgebiete einzurichten, kleinere Fangquoten zu vereinbaren, die illegale Fischerei zu bekämpfen und die Nutzungsrechte gerechter zu verteilen. Der MSC kann jedoch dazu beitragen, dass das Problem der Überfischung einer größeren Öffentlichkeit bewusst wird, Fischfang und -handel auch für die Verbraucher transparenter werden und die Fischereiwirtschaft leichter zu kontrollieren und zu überwachen ist.
aus: der überblick 02/2004, Seite 62
AUTOR(EN):
Hans-Albrecht Wiehler:
Hans-Albrecht Wiehler ist Fortwirt und Biologe. Er war bei der Vorbereitung und Redaktion dieses Heftes Hospitant bei "der überblick".