Eher neugierig als ängstlich
Hanna Rorarius ist unfreiwillig ausgereist als Kind. Sie war sechs, als ihre Eltern sie und ihren anderthalb Jahre jüngeren Bruder mit nach Tansania nahmen, in die Usambara-Berge. Ihr Vater arbeitete dort von Ende 1991 bis Ende 1995 als Berater für Berufsbildung sowie Handwerks- und Gewerbeförderung; ihre Mutter unterstützte zeitweise Theaterprojekte zu Aids und über Ernährungsfragen in den umliegenden Dörfern.
von Bernd Ludermann
An die Ausreise hat Hanna keine bedrückenden Erinnerungen. "Ich musste gute Freunde in meiner Heimatstadt Aachen aufgeben", erzählt sie. Aber sie kann sich nicht erinnern, dass sie Angst hatte. Eher war sie neugierig.
Viel schlimmer empfand sie die unfreiwillige Rückkehr nach Deutschland. "Wenn ich zurückdenke, erscheint mir die Zeit in Tansania fast paradiesisch eine der schönsten Zeiten in meinem Leben", sagt Hanna, und ihre Augen leuchten. Die Familie wohnte etwas außerhalb von Loshoto, und wenn Hanna daran denkt, fällt ihr der Baobab-Baum vor dem Sonnenuntergang ein oder die rote Erde, auf der sie so gern barfuß herumlief. Der Umgang mit mehreren Sprachen war für sie kein Problem: Nach einem Jahr konnte sie Kisuaheli, in der internationalen Schule, die ihre Eltern mit gegründet haben, sprach sie Englisch und zu Hause Deutsch.
Beeindruckt hat Hanna auch der Umgang der Menschen in Tansania miteinander, nicht zuletzt die Höflichkeit gegenüber Älteren. "Es erschreckt mich, dass die hier fehlt", erklärt sie. Allerdings fügt die heute 19-Jährige nachdenklich hinzu, dass sie möglicherweise diese Zeit in der Rückschau verklärt. Später, mit 16 Jahren, ist sie in Malawi gewesen; erst auf dieser Reise ist ihr die Armut aufgefallen und bewusst geworden, wie sehr sie in Afrika als Reiche gelten musste.
Eins aber weiß sie über die zehnjährige Hanna noch genau: "Ich wollte aus Tansania nicht weg." Deutlich erinnert sie sich, wie sie sich fühlte, als sie in Deutschland aus dem Flugzeug stieg: "Es war kalt, ich hatte Schuhe an und fand das sehr unangenehm. Um mich herum waren lauter weiße Gesichter und Leute, die ständig auf die Uhr sahen. Das war schrecklich."
In den ersten Jahren danach fühlte sie sich in Deutschland fremd. Rückblickend hält sie das für normal; "wenn man ein paar Jahre im Ausland war, ist man erst einmal anders", sagt sie. Damals aber machten Gewohnheiten und Auffassungen, die sie aus Tansania mitgebracht hatte, sie zuweilen zur Außenseiterin. Das Kind machte eine Erfahrung, von der auch viele Fachkräfte berichten: Nur wenige, etwa in ihrer Schulklasse, interessierten sich überhaupt für ihre Erlebnisse in Afrika. "Die meisten Fragen danach waren stark von Vorurteilen geprägt", erzählt Hanna. Von heute aus gesehen hat sie dafür Verständnis. Damals aber hat es sie sofort "auf die Palme gebracht", wenn in der Schule Begriffe fielen wie "Neger". Mit ihren Protesten dagegen eckte sie dann an. Etwa zwei Jahre brauchte Hanna, um wieder in Deutschland heimisch zu werden. Dann hatte sie neue, sehr gute Freunde gefunden, erzählt sie.
Trotz ihrer anfangs schwierigen Stellung hat Hanna an Einsichten und Erfahrungen festgehalten, die sie in Tansania gewonnen hatte. Die sind ein Grund dafür, dass sie nun in Passau Kulturwirtschaft studieren will (das verbindet Sprach- und Kulturstudien mit Betriebswirtschaft); gerade hat sie den Studienplatz bekommen. Sie möchte viel reisen und vielleicht im Ausland arbeiten etwa in der Entwicklungsarbeit. Vor allem aber möchte sie dazu beitragen, "die Welt ein bisschen besser zu machen".
aus: der überblick 03/2004, Seite 119
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".