NGOs sind weniger effizient als oft angenommen und fördern doch Entwicklung und Demokratisierung
Was können nichtstaatliche Organisationen (NGOs) aus dem Süden besser als staatliche Stellen? Lange galt es als ausgemacht, dass sie Entwicklungsprojekte kostengünstiger und wirksamer umsetzen und zur Demokratisierung ihres Heimatlandes beitragen. Ob das stimmt, ist selten am Einzelfall geprüft worden. Die Ergebnisse weisen aber darauf hin, dass die meisten NGOs bei Entwicklungsprojekten nur einen klaren Vorzug haben: besseren Zugang zu den Armen. Eine Demokratisierung können sie kaum in Gang setzen, wohl aber die Demokratie festigen helfen.
von Gero Erdmann
Sie drohten zur entwicklungspolitischen Monstranz zu werden, bis die Kritik sie wieder entzauberte: nichtstaatliche Organisationen (non-governmental organisations, NGOs). Als partielle Alternative zur staatlichen Entwicklungszusammenarbeit wurden sie in den achtziger Jahren erst hoch gelobt und hoch gefördert, um dann in den neunziger Jahren vermehrt in der Kritik zu stehen, ohne dass allerdings die Förderung geringer wurde.
Die Begründung dafür, dass Staaten und internationale Organisationen NGOs im Süden besonders förderten, erschien bestechend einfach: Diese seien im Vergleich zu staatlichen Organisationen effektiver, das heißt sie erreichten die gesetzten Ziele besser, und sie seien effizienter bezogen auf die Kosten. Ermöglicht werde dies dadurch, dass NGOs basis- und zielgruppennäher und damit partizipativer und demokratischer seien und dass ihre Mitglieder ein hohes persönliches und werteorientiertes Engagement mitbrächten. Implizit war damit behauptet, dass die entwicklungspolitischen Projekte der NGOs im Süden ein höheres Maß an Legitimität hätten, da sie viel stärker auf die Bedürfnisse der "Betroffenen", der Zielgruppe, zugeschnitten wären.
Dabei wurden Erfahrungen und Erwartungen, die im Norden mit ähnlichen Organisationen etwa der privaten Entwicklungs- und Wohlfahrtshilfe gemacht worden waren, auf Süd-NGOs übertragen. Einen zusätzlichen Impetus erhielt die NGO-Euphorie mit der Demokratisierungswelle in Osteuropa und Afrika, die mit der Wiederentdeckung der "Zivilgesellschaft" und damit der wichtigen Rolle von NGOs für die politische Entwicklung einer Gesellschaft einher ging. Auch die neue Rolle, die NGOs auf der internationalen Ebene etwa im Umfeld der großen UN-Konferenzen anscheinend so erfolgreich zu spielen vermochten, besonders in der Umweltpolitik, stimulierte die hohen Erwartungen an die Süd-NGOs.
Doch bald machte sich unter Experten der Entwicklungspolitik Ernüchterung breit. Mit den wachsenden Finanzzuwendungen an die NGOs im Süden schienen auch dort die gleichen Probleme aufzutauchen, die aus der Entwicklungszusammenarbeit mit staatlichen Stellen vertraut waren: Ineffizienz und Korruption. NGOs im Süden, vor allem in Afrika, konnten den gestiegenen Leistungsansprüchen vieler Geber nur bedingt gerecht werden. Vereinzelte akademische Untersuchungen - es gab dazu kaum Projektevaluierungen, die den Erfolg der Projekte überprüften - deuteten in die gleiche Richtung. Die NGOs als neues Patentrezept der Entwicklungspolitik scheinen zwar etwas entmystifiziert. Doch stellt sich weiterhin die Frage, ob sie unter ähnlich problematischen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht vielleicht doch Vorteile gegenüber der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit aufweisen können und ob die kritischen Berichte nicht überhaupt auf der Kolportage von besonderen Problemfällen beruhten.
Der Versuch, die Leistungsfähigkeit von NGOs zu beurteilen und diese mit staatlicher Entwicklungszusammenarbeit zu vergleichen, stößt auf eine Reihe von grundsätzlichen Schwierigkeiten. Das Evaluierungswesen war und ist vor allem im NGO-Bereich - trotz vieler zwischenzeitlicher Verbesserungen - nur wenig entwickelt. Daher liegt nur wenig empirisches Material für solche Vergleiche vor. Im Rahmen der staatlichen Entwicklungshilfe wird zwar sehr viel häufiger evaluiert - allerdings auch hier nur deutlich weniger als fünf Prozent aller Projekte -, grundlegende Probleme der Evaluierungspraxis sind aber weiterhin ungelöst. Darüber hinaus gibt es nur wenige unabhängige, methodisch abgesicherte und vergleichende Untersuchungen über NGOs. Dies gilt für die praxisnahe wie für die universitäre Forschung.
Zudem ist der Untersuchungsgegenstand NGOs selbst höchst heterogen: NGOs sind sehr verschieden im Hinblick auf ihre Größe, Aufgabenstellung, Organisationsstruktur, Operationsebene (lokal, regional, national, international) und ihre größere oder kleinere Distanz zu Regierungen. Höchst unterschiedlich sind zudem die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen, unter denen NGOs arbeiten. Jenseits aller Wunschvorstellungen macht all dies fundierte und verallgemeinerbare Aussagen über "die NGOs", über ihre Leistungsfähigkeit und ihre Probleme sehr schwierig. Entsprechend sind auch die zumeist definitorisch wenig präzisen Versuche, durch immer neue Wortungetüme (GONGO, GRINGO, BRINGO, PANGO, MONGO usw.; siehe Kasten) eine typologische Ordnung in die Erscheinungswelt der NGOs zu bringen, wenig erfolgreich geblieben.
Eine Auswertung der Literatur über Entwicklungsleistungen und -projekte von NGOs in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Kredit in Afrika, Asien und Lateinamerika macht dennoch inzwischen - bei großer Vorsicht auf Grund der unsicheren Datenlage - einige allgemeine Trendaussagen möglich. So ist zunächst festzuhalten, dass die Behauptung von den komparativen Vorteilen der NGOs nicht uneingeschränkt aufrecht zu erhalten ist. Dies gilt vor allem für größere Projekte. Besonders jüngere Studien über Basisorganisationen und NGOs in Afrika stellen die allgemeinen Annahmen über die Flexibilität, die Kosteneffizienz, die Innovationsfähigkeit, die Basisbeteiligung und den Zugang zu Armutsgruppen infrage. Zudem sind viele Süd-NGOs nicht in anderen Bereichen tätig als die staatliche Entwicklungshilfe, sondern "konkurrieren" mit dieser im gleichen Bereich.
Allerdings gibt es offenbar Beispiele einzelner Groß-NGOs etwa in Asien, die kosteneffizienter als kommerzielle oder staatliche Stellen operieren. Diese günstigen Ergebnisse können jedoch nicht auf andere NGOs übertragen werden, wie es etwa die UN tun. Offensichtlich gibt es keine Studie, die empirisch zeigen kann, dass NGOs allgemein kostengünstiger als öffentliche Einrichtungen arbeiten könnten. Damit wird natürlich nicht bestritten, dass es NGOs gibt, die effizienter und effektiver sind. Nur sind dies Einzelfälle, die nicht verallgemeinert werden können.
Im Hinblick auf die behauptete Fähigkeit der NGOs, vor allem die Armen zu erreichen, ist festzuhalten, dass sie dies gewöhnlich besser können als andere - kommerzielle oder staatliche - Entwicklungsinstitutionen. Allerdings gilt auch hier eine Einschränkung: Die Ärmsten der Armen erreichen auch NGOs nur in Ausnahmefällen und nur in geringem Maße.
Kritisch beurteilt wird in zahlreichen Studien zudem die extreme finanzielle Außenabhängigkeit der Süd-NGOs. Dies wird in Zusammenhang gebracht mit dem Mangel an "doppelter gesellschaftlicher Anbindung" (Manfred Glagow) der NGOs beispielsweise in Afrika. Diese Anbindung besteht idealtypisch darin, dass NGOs auf der einen Seite etwas für besondere gesellschaftliche Gruppen leisten und auf der anderen Seite sich dabei auf Mitglieder, ehrenamtliche Mitarbeiter und Spender stützen können - unter anderem finanziell. Vor allem die Trägergruppen fehlen oft bei Süd-NGOs oder sind nur ansatzweise vorhanden.
Aus der finanziellen Abhängigkeit der Süd-NGOs, die durch das vermehrte Förderangebot von staatlichen und zwischenstaatlichen Gebern verstärkt worden ist, folgern viele Kritiker, dass die Süd-NGOs gleichsam zwangsläufig einer Wertesteuerung von außen unterliegen. Tatsächlich liegt der Verdacht nahe, dass über die Finanzen vor allem die Entwicklungsvorstellungen der Geber, weniger die der Empfänger, in die Projektzielsetzung und -planung eingehen - kurz: dass die Geber Projekte steuern und auf lokale Bedürfnisse und Interessen nur wenig oder gar keine Rücksicht mehr nehmen. Dies ist auch in der Praxis zu beobachten. Die staatliche Entwicklungshilfe ist davon übrigens genauso betroffen.
Indessen wäre es falsch, aus der finanziellen Abhängigkeit allein pauschal auf die Werteabhängigkeit und damit auf die inhaltliche Ausgestaltung der Projekte und Programme zu schließen. Schließlich gibt es auch im Norden NGOs, die in weiten Teilen staatsfinanziert sind ("Staats-, EU- und US-Stiftungsknete"), aber eine unabhängige, regierungskritische Ausrichtung und Politik bewahren können. Die Möglichkeiten der Süd-NGOs zu einer eigenständigen Politik, zur Verwirklichung eigener Entwicklungsvorstellungen hängt allerdings auch davon ab, in wie weit sie überhaupt über "eigene", autochthone Entwicklungskonzepte und Projektvorstellungen verfügen beziehungsweise wie weit sie universelle Vorstellungen übernommen haben. Eigene Konzepte sind in Asien eher anzutreffen als in Afrika. Dies soll nicht darüber hinweg täuschen, dass in der Tat Geber - teils bewusst, teils aus Bequemlichkeit - die Situation nutzen, um eigene Vorstellungen durchzusetzen. Das Problem liegt also nicht so sehr in der Finanzierung von außen per se als vielmehr in der inneren Schwäche eines Teils der Süd-NGOs, in ihrer fehlenden gesellschaftlichen Anbindung über aktive Mitglieder und Spender. Mit der ausgeprägten Außenfinanzierung verschiebt sich auch die Rechenschaftspflicht zu den Gebern und damit noch weiter weg von den "Betroffenen".
Eine Ausnahme bilden hierbei - das wird in den verschiedensten Studien betont - kirchliche Organisationen. Sie verfügen in der Regel über die "doppelte gesellschaftliche Anbindung" über die Kirchenmitglieder. Sie sind damit zunächst einmal basisnäher. Ob sie damit auch tatsächlich besser im Sinne von effizienter und effektiver als andere NGOs oder gar staatliche Institutionen sind - diese Schlussfolgerung mag nahe liegen, kann aber bisher kaum nachgewiesen werden. Im Hinblick auf Partizipation und Rechenschaftspflicht ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei kirchlichen Institutionen gewöhnlich nicht um demokratische, sondern um hierarchische Organisationen handelt. Ihre Entscheidungen können allerdings ein beträchtliches Maß an Legitimität beanspruchen und bieten damit ein höheres Maß an Sicherheit, dass Pläne auch umgesetzt werden, als andere, vielleicht staatliche Institutionen.
Basisnähe allein, das zeigen Untersuchungen in Lateinamerika zu Graswurzel-Organisationen im Vergleich zu NGOs, garantiert allein noch keine größere Rechenschaftspflicht den Armen oder "Betroffenen" gegenüber und noch kein stärkeres Eingehen auf ihre Wünsche. Nur weil sie überschaubar sind, zeichnen sich die sozialen und politischen Verhältnisse im lokalen Milieu nicht automatisch durch weniger soziale und politische Hierarchie und mehr Partizipation aus. Nicht selten ist das Gegenteil der Fall.
Als Organisationen der Zivilgesellschaft ist den NGOs im Süden auch eine besondere Rolle bei der Demokratisierung zugeschrieben worden. Grundsätzlich wurde erwartet, dass sie sich an der politischen Artikulation gesellschaftlicher Interessen beteiligen, das heißt dass sie Einfluss etwa auf die Entwicklungspolitik oder andere Politikbereiche nehmen. Deshalb wurden sie als Partner und Empfänger für Demokratie- und Menschenrechtsförderung auserkoren. Teilweise geschah dies in völliger Verkennung der politischen und gesellschaftlichen Realität, nämlich wenn NGOs als zentrale Träger der Demokratisierung identifiziert wurden.
Eine Reihe von Studien ist der Frage nachgegangen, in wie weit die NGOs diesen Aufgaben gerecht geworden sind. Dabei war ein Vergleich mit staatlichen Organisationen der Entwicklungshilfe naturgemäß nicht möglich. Denn bei der Demokratieförderung wird gewöhnlich zwischen dem staatlichen und dem nichtstaatlichen Bereich unterschieden. Die Tätigkeit einer anwaltschaftlichen NGO im Süden lässt sich nicht sinnvoll mit der Reform des Justizwesens oder mit der Dezentralisierung der Staatsorgane vergleichen. So bleibt nur zu fragen: Welchen Effekt haben die Tätigkeiten von NGOs auf diesem Feld? Tragen sie zu Demokratisierung bei, nehmen sie wirksam Einfluss auf bestimmte Politikbereiche?
Einige Studien über die politische Arbeit mit entwicklungspolitischen NGOs besonders in Afrika kommen zu einem ernüchternden Ergebnis. So schrieb Dieter Neubert zu Kenia und Ruanda: "der Einfluss der NGOs auf die Sozial- und Entwicklungspolitik ist allerdings in nur geringem Umfang spürbar". Diese Beobachtungen bieten teilweise den Hintergrund für weiterreichende pessimistische Urteile über die Möglichkeiten der Zivilgesellschaft in Afrika.
Die Krux vieler dieser Studien ist, dass sie den politischen Einfluss der sozial- und entwicklungspolitischen NGOs zu einem Zeitpunkt untersuchten, als ihnen jegliche politische Betätigung untersagt war, also vor dem Regimewechsel und der Demokratisierung. Es fehlten damals die institutionellen Voraussetzungen - zum Beispiel Grundfreiheiten -, unter denen sich die politische Tätigkeit der NGOs erst entfalten kann. Entwicklungs-NGOs oder sozial engagierte NGOs können zwar auch unter autoritären Verhältnissen arbeiten - vorausgesetzt, sie mischen sich nicht zu sehr politisch ein. Für sie stellt sich unter solchen Verhältnissen aber die Frage, in wie weit sie auf politische Einmischung verzichten können, um die dringend benötigte soziale und entwicklungspolitische Arbeit im Interesse der Betroffenen entfalten zu können. In einer solchen Situation gibt es zweifellos vernünftige Gründe, politisch nicht - oder nicht auffällig - aktiv zu sein. NGOs sind also weitgehend von den Rahmenbedingungen des politischen Regimes abhängig.
Die politikwissenschaftliche Transitionsforschung macht diesen Punkt ganz deutlich: Mit der Liberalisierung eines autoritären Regimes, mit der teilweisen politischen Öffnung geht die "Wiedergeburt der Zivilgesellschaft" einher, eine Vielzahl alter Organisationen werden gegründet oder wiederbelebt und artikulieren sich politisch. Die Liberalisierung selbst kann von Gemäßigten innerhalb eines Regimes angestoßen sein, die durch eine begrenzte Gewährung von Grundfreiheiten ihre Herrschaft sichern wollten; sie kann aber auch von Massenprotesten, von einer Demokratiebewegung provoziert werden, aus der dann NGOs hervorgehen können. Unter den Bedingungen der Liberalisierung können dann die NGOs überhaupt erst beginnen, politisch tätig zu werden. Welchen Stellenwert sie dabei gewinnen, hängt unter anderem von der Geschichte, das heißt vom Erfahrungsschatz autonomer zivilgesellschaftlicher Organisation einer Gesellschaft ab. Sie mögen während der Transition, wie etwa in den Nationalkonferenzen im frankophonen Afrika oder in Osteuropa, in einer frühen Phase zeitweise eine wichtige Rolle spielen. Bei einer leidlich erfolgreichen politischen Transition aber übernehmen spätestens bei den ersten Gründungswahlen in aller Regel die politischen Parteien die entscheidende politische Repräsentationsfunktion und werden zu den wichtigsten politischen Akteuren, während die NGOs eher in den Hintergrund treten.
Über die Wirksamkeit der vielen vor allem politischen und anwaltschaftlichen NGOs, die unter liberalisierten oder halbwegs demokratischen Verhältnissen entstanden oder wiederbelebt worden sind, ist bisher nur wenig aus empirischen Untersuchungen bekannt. Die Urteile hängen von den zu Grunde gelegten Maßstäben ab. Dass NGOs eine Rolle spielen, wird kaum bestritten.
Dies bezieht sich nicht nur auf die Rolle von anwaltschaftlichen (darunter menschenrechtlichen) und politisch aktiven NGOs, sondern auch auf bereits etablierte oder neue entwicklungspolitische NGOs. Sie benötigen einige Zeit, um sich unter veränderten politischen Regimebedingungen neu zu orientieren und ihre neuen politischen Möglichkeiten auszuloten. Allerdings ist unklar, welchen politischen Einfluss sie tatsächlich ausüben. Grundsätzlich gibt es Schwierigkeiten, den Einfluss solcher Gruppen zu "messen". Sein Ausmaß ist oft auch für größere Gruppen wie Parteien nur schwer zu bestimmen - außer dass festzustellen ist, dass er eben vorhanden und immer erst im Vergleich zu anderen Organisationen als "größer" oder "kleiner" zu beurteilen ist. Einzelne NGOs oder selbst ganze Gruppen von NGOs sind kaum irgendwo die maßgeblichen politischen Kräfte. Dazu sind sie in der Regel zu klein. Sie bilden keine homogene Gruppe, die als einheitliche Macht auftreten könnte. Sie verfolgen ganz unterschiedliche Interessen und Anliegen und können allein deshalb schon nicht alle zusammenarbeiten. Und ihnen fehlt gewöhnlich ein Machtmittel, wie es etwa Gewerkschaften oder Unternehmern zur Verfügung steht. NGOs allein können auch keine Gesellschaft demokratisieren; sie können nur - neben Verbänden, Gewerkschaften und Parteien - dazu beitragen.
Bemerkenswert ist, dass sich gerade die finanziell sehr stark von ausländischen Gebern abhängigen NGOs in den außerordentlich schwachen Zivilgesellschaften Afrikas durch eine Kunst auszeichnen: durch das agenda setting, das heißt sie bringen bestimmte Themen auf die Tagesordnung der Politik. Das beherrschen sie ganz ähnlich wie Umwelt-NGOs auf internationaler Ebene. So bringen etwa in Kenia, Sambia und Malawi vor allem NGOs immer wieder Verfassungs- und Regimefragen in die öffentliche Debatte, mobilisieren die Öffentlichkeit und werden dabei von Parteien und anderen Verbänden begleitet und unterstützt. Mehr als andere zivilgesellschaftliche Organisationen tragen vor allem NGOs - darunter kirchliche an prominenter Stelle - die soziale Frage, die Frage der Armut in die Öffentlichkeit. Allein diese Funktion des agenda setting, auf das andere politische Kräfte reagieren, sollte nicht leichtfertig unterbewertet werden, bestimmt sie doch auch einen beträchtlichen Teil der Bedeutung (neben materiellen Leistungen), die NGOs in den europäischen Gesellschaften haben.
So zeigen vergleichende Analysen, dass NGO-Projekte im schwierigen Bereich der politischen Bildung (civic education) nicht nur erfolgreich durchgeführt werden, sondern auch politische Wirkung haben. In Sambia beispielsweise waren die Teilnehmer solcher Programme weitaus stärker als Andere davon überzeugt, dass eine "gewählte" einer "effektiven" Regierung vorzuziehen ist. Allerdings waren auch unbeabsichtigte Wirkungen zu verzeichnen, nämlich dass die Teilnehmer sowohl den Regierungsinstitutionen wie auch ihren Mitbürgern ein größeres Misstrauen entgegen brachten. Zudem erreichten die Programme - abhängig von ihrer Konzeption - besser gebildete und informierte Gruppen, die vergleichsweise privilegiert sind, und weniger marginalisierte Gruppen.
Ernst Hillebrands auf Afrika gemünzte, vor allem rhetorische und pessimistische Frage "Sind NGOs tatsächlich die Antwort auf die Entwicklungsprobleme?" ist sicherlich zu verneinen. Aber ist die darin unterstellte These je formuliert worden? Bei allen berechtigten Einwänden gegen die Leistungsfähigkeit von NGOs vor allem in Afrika - sie seien außenfinanziert, gebergesteuert, personalisiert, korrupt, opportunistisch, ineffizient, wenig demokratisch, am eigenen Einkommen orientiert, fragmentiert und so weiter - erfüllen sie dennoch eine unverzichtbare Funktion für die weitere Demokratisierung beziehungsweise für den Erhalt der Demokratie - auch wenn diese Aufgabe vielleicht nur als "Nebenprodukt" neben anderen eigentlich beabsichtigten Ergebnissen erreicht wird.
Offenkundig ist ferner, dass die Süd-NGOs nicht generell effizienter und effektiver als andere Organisationen sind, wie dies gerne behauptet wird. Einen leichten komparativen Vorteil haben sie offenbar nur darin, dass sie Armutsgruppen etwas besser erreichen können, allerdings nicht immer auch die Ärmsten der Armen. Auch wenn diese Vorteile - je nach Standpunkt - nur mehr oder minder bedeutsam erscheinen mögen, so gibt es dennoch einen entscheidenden Punkt, der die NGOs zwar nicht als Antwort auf alle Entwicklungsprobleme erscheinen lässt, sie aber unverzichtbar macht. Dies ist die Stärkung und Entwicklung des Sektors zwischen Markt und Staat als Teil der Zivilgesellschaft, die für eine demokratische und soziale Entwicklung notwendig ist.
aus: der überblick 03/2001, Seite 32
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Gero Erdmann:
Gero Erdmann ist Mitarbeiter des Instituts für Afrika-Kunde und Repräsentant im Berliner Büro des Instituts sowie Lehrbeauftragter am Institut für Politische Wissenschaft in Hamburg.