Mit einer neuen Abteilung will "Brot für die Welt" die politische Arbeit stärken
"Brot für die Welt" ändert seinen inneren Aufbau. Dabei werden die politisch arbeitenden Referate in einer eigenen, neuen Abteilung zusammengefasst. So soll der Einspruch zugunsten des Südens in Deutschland stärker vernehmlich werden. Damit greift das Werk unter anderem Wünsche der Partner im Süden auf.
von Bernd Ludermann
In der Diemershaldenstraße 48 in Stuttgart muss umgeräumt werden. "Brot für die Welt", das hier einen Teil seiner Büros untergebracht hat - das Haus liegt neben dem Stammsitz im Hauptgebäude des Diakonischen Werkes -, fügt aus verschiedenen Arbeitsbereichen eine neue Abteilung zusammen: Die Abteilung Politik und Kampagnen. Mehrere Mitarbeitende müssen dazu von einem Büro in ein anderes ziehen. Zum Beispiel Werner Lottje, der die neue Abteilung leitet. Sie soll, so erklärt er, die politische Arbeit von "Brot für die Welt" wirksamer machen. Zu dieser Arbeit gehören die Versuche, Partner im Süden zu stärken und für die Achtung der Menschenrechte in ihrem Heimatland einzutreten. Weiter gehört dazu die Advocacy, also die Anwaltschaft, mit der das Hilfswerk Anliegen der Partner in Deutschland vertritt.
Dass "Brot für die Welt" solche Aufgaben übernimmt, ist an sich nichts Neues. Warum also nun eine neue Abteilung? "Das geht zurück auf die Debatten über unser Grundsatzpapier 'Den Armen Gerechtigkeit 2000'", erklärt Werner Lottje. Bei der Arbeit an diesem Papier (vgl. "der überblick" 3/2000, S. 89ff) zeigte sich unter anderem, dass die politische Arbeit unter den Bedingungen zunehmender weltweiter Verflechtungen wichtiger wird, wenn man den Armen zu ihrem Recht verhelfen will. Eine Konsultation mit Partnern im März 2000 hat das bestätigt: "Partner aus allen Kontinenten haben dafür plädiert, dass "Brot für die Welt" sich stärker politisch engagiert", sagt Lottje. "Wir haben uns dann gefragt, ob unsere Organisationsform noch geeignet ist, um diesen Teil unserer Ziele umzusetzen."
Einer Arbeitsgruppe unter Lottjes Leitung schien das fraglich. Denn die politisch tätigen Referate waren aus historischen Gründen auf drei Abteilungen verstreut: Das Grundsatzreferat sowie das Referat Landwirtschaft, Ernährung und Umweltschutz gehörten zur Abteilung Projekte und Programme. Das Referat Advocacy war bei der Öffentlichkeitsarbeit angesiedelt. Und das Menschenrechtsreferat gehörte wie die Katastrophenhilfe zur Ökumenischen Diakonie, die bereits vor der Gründung der Aktion "Brot für die Welt" bestand.
Diese vier Arbeitsgebiete sind nun in der neuen Abteilung "Politik und Kampagnen" zusammengeführt worden. Es ist in vier Teams aufgeteilt. Das erste befasst sich mit entwicklungspolitischen Grundsatzfragen sowie speziell mit Landwirtschaft, Umwelt und Ernährungssicherung. Das zweite Team führt die Advocacy weiter und das dritte die Menschenrechtsarbeit. Hinzu kommt als vierter Arbeitsbereich Bildung und Stipendien, der aus der Projektabteilung gelöst wird. Dies deshalb, weil "Brot für die Welt" den Bildungs- und Stipendienprogrammen in der kirchlichen Entwicklungsarbeit grundsätzliche Bedeutung beimisst, erklärt Lottje: "Die ökumenische Bewegung muss systematisch in den Aufbau von Kompetenz und Führungsfähigkeit bei ihren Partnern im Süden investieren."
Im ersten Team der neuen Abteilung finden sich zwei "alte Hasen" aus der Projektabteilung von "Brot für die Welt": Reinhard Koppe und Peter Rottach. Koppe, der Leiter des neuen Teams, hat vorher das Referat für Grundsatzfragen geleitet und Rottach das für Ernährung, Landwirtschaft und Umwelt. Die Leitung des Stipendien-Referates ist noch nicht besetzt. An der Spitze der übrigen beiden Teams stehen zwei neuere Gesichter bei "Brot für die Welt": Danuta Sacher leitet das Team Advocacy und Kampagnen und Andreas Selmeci das Team Menschenrechte.
Selmeci ist Schweizer von ungarisch-jüdischer Herkunft. Das Schicksal seiner Familie hat ihn früh den Wert der Menschenrechte gelehrt: Sein Vater, erzählt er, hat in Budapest den Zweiten Weltkrieg und den Judenmord der Nazis überlebt, jedoch einen großen Teil seiner Familie verloren. Er floh in die Schweiz, als während des Ungarn-Aufstands 1956 unter den ungarischen Nationalisten auch judenfeindliche Töne hochkamen. Selmeci hat in Germanistik promoviert und dann als Redakteur von "pogrom" gearbeitet, die von der Gesellschaft für bedrohte Völker herausgegeben wird - zuletzt als Chefredakteur der Zeitschrift und stellvertretender Leiter der Menschenrechtsorganisation. Im Juli hat er bei "Brot für die Welt" das Team Menschenrechte übernommen, das vorher, als es noch ein Referat bei der ökumenischen Diakonie war, Werner Lottje geleitet hat. Die Akten, die sich in dessen jahrzehntelanger Tätigkeit angesammelt haben, füllen noch jeden freien Fleck in Selmecis Büro.
Warum ist der Menschenrechtsschutz eine wichtige Aufgabe kirchlicher Entwicklungswerke? "Angefangen hat das mit der Hilfe für bedrängte Kirchen und für Partner", erklärt der bedächtig wirkende Selmeci. "Es hat sich aber gezeigt, dass sie am wirksamsten geschützt werden, wenn wir mit Menschenrechtsorganisationen auch außerhalb der Kirchen zuammenarbeiten, etwa mit regionalen Kommissionen." Daraus ist im Laufe der Zeit ein Partnernetz entstanden, auf das Selmecis Team aufbauen kann. Er will sich besonders für den Schutz von Menschenrechts-Verteidigern, für die Einschränkung von Kinderarbeit sowie für den internationalen Strafgerichtshof einsetzen. Regional möchte Selmeci in Afrika und der früheren Sowjetunion mehr tun, weil dort die einheimische Zivilgesellschaft weniger stark entwickelt ist als in Lateinamerika und großen Teilen Asiens.
Danuta Sacher arbeitet schon etwas länger bei "Brot für die Welt" als Selmeci: Sie übernahm das Referat Advocacy und Kampagnen im Juni 2001, als es noch zur Öffentlichkeitsabteilung gehörte. Sacher ist Geografin und leitete in den 1980er Jahren die Informationsstelle Guatemala in Bonn. Ab 1990 betreute sie fünf Jahre Programme der EZE in Mittelamerika und der Karibik, so dass sie den kirchlichen Entwicklungsdienst von innen kennt. Danach leitete sie in Lateinamerika zunächst ein Flüchtlingshilfsprogramm eines internationalen Konsortiums, dann ein Ausbildungsprogramm für nichtstaatliche Organisationen (NGOs). Dieses vermittelte etwa an Bauern- und Frauengruppen Methoden, mit denen sie Einfluss auf die Politik ausüben können.
Solche Methoden kann Danuta Sacher nun selbst anwenden. Zu ihren Aufgaben gehören einerseits Gespräche mit Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft. Andererseits unterstützt Sachers Team Kampagnen, mit denen die deutsche Öffentlichkeit für ein Problem sensibilisiert werden soll; ein Beispiel ist die Kampagne "Mahlzeit" (vgl. den Beitrag von Greiner in diesem Heft). Indirekt soll damit auch politischer Druck auf Entscheidungsträger aufgebaut werden.
Unter den Kampagnen ist Danuta Sacher zur Zeit die zu Aids besonders wichtig, die "Brot für die Welt" und der EED mit angestoßen haben. Kirchengemeinden, Aktionsgruppen, Hilfswerke sowie Kirchen in Deutschland treten damit für bezahlbare Medikamente und mehr Hilfe für Aids-Opfer im Süden ein. Andere, von "Brot für die Welt" mit angeregte Kampagnen wie die erwähnte Teppichkampagne haben sich inzwischen teilweise verselbstständigt; den Einsatz für gerechte Produktions- und Handelsbedingungen bei Bananen koordiniert zum Beispiel ein eigener Verein, BanaFair. Bei der Politikbeeinflussung steht für Sacher im Vordergrund, auf Verhaltensregeln für Rohstoffe abbauende Konzerne im Süden zu drängen; "Brot für die Welt" beteiligt sich an den Vorbereitungen zu einem Netzwerk, das über die Folgen der Ölförderung in Ländern wie dem Sudan und dem Tschad informiert. Außerdem setzt Sachers Team sich für eine faire Entschuldung armer Länder ein. Geplant ist auch eine Kampagne zum Thema Wasser, die sich unter anderem kritisch mit Modellen zur Privatisierung der Wasserversorgung in Nord und Süd befassen soll.
Welchen Vorteil soll die Bündelung dieser "politischen" Arbeitsbereiche in dem neuen Referat haben? Es soll, erläutert Werner Lottje, ihre Selbstständigkeit gegenüber der Projektarbeit stärken, ohne sie davon zu lösen: "Wir arbeiten mit der Projektabteilung eng zusammen, aber wir sind nicht mehr den Projekten nachgeordnet." Dadurch soll das Gewicht dieser Arbeit wachsen und sie mehr nach außen ausstrahlen. Denn wer sich in Deutschland politisch einmischen will, kann sich seine Themen und Methoden nicht nur nach den Wahrnehmungen der Partner im Süden aussuchen. Er muss die Debatten in Deutschland in Rechnung stellen und zu aktuellen entwicklungspolitischen Streitfragen etwas zu sagen haben. "Wir können keinem Thema richtig ausweichen", sagt Lottje. "Die Frage ist aber: Setzen wir es in eine Kampagne um?"
Die Antwort hängt laut Danuta Sacher von drei Faktoren ab. Der erste ist, ob das Thema den Spendern und Unterstützern von "Brot für die Welt" vermittelt werden kann. Der zweite ist, ob eine Chance besteht, darüber in einen Dialog mit Entscheidungsträgern in Europa zu kommen. Der dritte Faktor ist der Bezug zu den Partnern: Hat "Brot für die Welt" im Süden Partner, die einer Kampagne fachlich zuarbeiten können - etwa Forderungen der Betroffenen formulieren? "Solche Partner kann man allerdings aktiv suchen und unterstützen", sagt Sacher. So hat "Brot für die Welt" im Fall Tschad die Kompetenz Einheimischer NGOs gefördert, die sich mit den Umständen der Ölförderung befassen. Ohne solche Partner geht es aber nicht. Eine frei schwebende Lobbygruppe wird Lottjes neue Abteilung nicht werden.
Sie kann auch aus einem weiteren Grund nicht jedes Thema zur Kampagne machen: Die Abteilung ist auf die Mitarbeit der Projektreferate und der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit angewiesen. Auf deren Arbeitskapazität muss sie Rücksicht nehmen, betont Lottje. Dann kann im Idealfall das Zusammenwirken von Projekten und Advocacy die Wirksamkeit von beiden erhöhen.
Könnte die neue Abteilung damit dem EED auf dem Feld der Advocacy Konkurrenz machen? Diese Gefahr sieht Lottje nicht. Er verweist darauf, dass beide Werke ihren Rückhalt im Inland in verschiedenen Bereichen finden: Die Mitglieder des EED sind Landes- und Freikirchen, während "Brot für die Welt" sich auf Gemeinden, Basisgruppen und Spender stützt. Daher sind die Medien und Methoden beider Werke verschieden. Zudem arbeiten beide im Ausland selten mit denselben Partnern. Und schließlich ist die Advocacy-Arbeit von "Brot für die Welt" dort, wo sie das gleiche Thema aufgreift wie der EED, noch stärker partnerbezogen.
Am Einsatz für die Entschuldung armer Länder wird das deutlich. Dies ist auch für den EED ein Schwerpunkt der Advocacy, erklärt Wilfried Steen, der Leiter des Ressorts Öffentlichkeitsarbeit und Publizistik im EED. Dieser begleitet zum Beispiel internationale Verhandlungen wie in Monterrey und Kananaskis (vgl. den Beitrag von Steen in diesem Heft) und äußert sich zu Grundsatzfragen, etwa zu einer Devisenumsatzsteuer. Dagegen konzentriert sich "Brot für die Welt" darauf, dass in Ländern wie Mosambik und Nicaragua, für die eine Entschuldung ausgehandelt ist, die Zivilgesellschaft und damit die eigenen Partner tatsächlich wie versprochen an der Umsetzung beteiligt werden.
Lottje ist daher überzeugt, dass die Advocacy-Arbeit von "Brot für die Welt" und des EED sich gegenseitig unterstützen werden. Eine Schwierigkeit kann allerdings sein, dass beide aufgrund der unterschiedlichen Unterstützerkreise in Deutschland von verschiedenen politischen Kulturen beeinflusst sind: Auf den Fluren von "Brot für die Welt" weht stärker der Geist von Gemeinde- und Basisgruppen, und zu Ministerien und Behörden ist eine größere Distanz spürbar als im EED. Doch das muss kein Schaden sein, wenn Lottjes neue Abteilung und ihr Pendant im EED verschiedene politische Rollen übernehmen, aber dasselbe Ziel ansteuern.
Mit der Zusammenfassung der politischen Arbeitsbereiche in einem Referat ist "Brot für die Welt" jedenfalls, sagt Werner Lottje, "für die zukünftigen Advocacy-Aufgaben gut aufgestellt." Zumindest, wenn erst der Übergang bewältigt ist: Noch sind in der Diemershaldenstraße 48 nicht alle Ordner in die richtigen Regale einsortiert.
aus: der überblick 03/2002, Seite 134
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".