Gespräch mit Christoph Benn
Ist Aids-Arbeit für deutsche kirchliche Hilfswerke und auch für Kirchen und Kirchenpartnerschaften ein vordringliches Thema?
Ja. Im Laufe der 1990er Jahre ist Aids zu einem ganz wichtigen Thema in der kirchlichen Zusammenarbeit geworden. Die Hilfswerke haben nicht nur viele Projekte bei ihren Partnern unterstützt, besonders in Afrika. Sie haben auch ökumenische Initiativen mit begründet. Und sie machen politische Arbeit, etwa in der Frage der Medikamentenversorgung. Auch für Missionswerke und Kirchenpartnerschaften spielt Aids eine große Rolle, weil das Thema bei vielen Besuchen von Gemeinden und Diözesen in Übersee immer wieder angesprochen wird. Deshalb ist es wichtig, dass die Gesprächspartner sich damit auseinandergesetzt haben.
Der Globale Fonds und private Stiftungen wie die von Bill Gates stellen in letzter Zeit gigantische Summen für den Kampf gegen Aids und andere Infektionskrankheiten zur Verfügung. Fällt da der finanzielle Beitrag von Kirchen immer weniger ins Gewicht?
Es ist richtig, dass die Mittel für den Kampf gegen Aids enorm zugenommen haben. 1996 standen dafür weltweit ungefähr 300 Millionen US-Dollar zur Verfügung. 2001 waren es schätzungsweise 2 Milliarden Dollar und 2005 ungefähr 6 Milliarden. Etwa 2 Milliarden stammen aus den nationalen Budgets der betroffenen Länder, die ihre Ausgaben dafür stark erhöht haben; das ist sehr zu begrüßen. Der Rest stammt zum größten Teil aus staatlicher Entwicklungshilfe, und ein Teil davon wird über den globalen Fonds geleitet. Man muss aber sagen, dass dies alles den Bedarf bei weitem nicht deckt. Wir sind der Epidemie nach wie vor immer einige Schritte hinterher. Wir schaffen es nicht, genügend Mittel für die Behandlung zur Verfügung zu stellen, so dass immer noch etwa 3 Millionen Menschen pro Jahr an Aids sterben. Auch die Prävention ist nicht genügend ausgebaut, so dass sich jedes Jahr etwa 5 Millionen Menschen neu anstecken.
Hat der Globale Fonds Schwierigkeiten, die Mittel zu bekommen, die ihm zugesagt sind?
Ja. Der Fonds hat nach wie vor Probleme, die Mittel für die Bekämpfung der drei wichtigsten Infektionskrankheiten Aids, Tuberkulose und Malaria einzuwerben, an denen jährlich zusammen etwa 6 Millionen Menschen sterben. Wir brauchend dieses Jahr 2,43 Milliarden US-Dollar und uns wurden bisher etwa 1,4 Milliarden zugesagt. Die Botschaft kann also nicht lauten, es ist so viel Geld vorhanden, dass kirchliche Hilfswerke sich nicht mehr bemühen müssen. Ich argumentiere vielmehr: Ihre Rolle muss sich ändern.
In welcher Hinsicht?
Noch in den 1990er Jahren hatten kirchliche Gesundheitseinrichtungen etwa in Afrika fast keinen Kontakt zu säkularen Geldgebern. Sie erhielten Geld von Kirchen, Missionswerken und kirchlichen Hilfswerken im Norden. Aber dass die Weltbank oder Entwicklungsministerien sie unterstützten, war die große Ausnahme. Viele Geber waren eher der Auffassung, dass die Kirchen Schwierigkeiten mit dem Thema Aids hatten. Das hat sich völlig geändert. Praktisch alle internationalen Organisationen und Geldgeber sind inzwischen der Ansicht, dass die Kirchen einen wichtigen Beitrag zur Lösung des Problems leisten und das auch finanziert werden muss. Es gibt heute fast einen Wettbewerb: Wer unterstützt am meisten kirchliche Einrichtungen? Die erhalten jetzt von internationalen Finanzinstitutionen Summen, die weit höher sind, als kirchliche Hilfs- und Missionswerke vergeben können. Einer der bevorzugten Partner des Globalen Fonds ist zum Beispiel die Churches' Health Association Zambia (CHAZ), eine Dachorganisation der Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen von protestantischen und katholischen Kirchen in Sambia. Für die Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria erhält sie allein vom Globalen Fonds etwa 10 Millionen US-Dollar für zwei Jahre. CHAZ ist ein langjähriger Partner von Hilfswerken wie ICCO und Brot für die Welt, die aber keinesfalls Summen in dieser Größenordnung zur Verfügung stellen können.
Und die Frage ist jetzt, wie Kirchen im Süden so viel Geld sinnvoll verwenden können?
Genau. Erstens sollten die Partner befähigt werden, mit Anträgen bei internationalen Institutionen umzugehen. Oft ist es sinnvoller, wenn kirchliche Werke ihnen helfen, das Geld woanders einzuwerben, als wenn sie ihnen selbst das Geld geben. Zweitens brauchen die Partner dringend Unterstützung für die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden. Drittens ist die Vernetzung der kirchlichen Partner sehr wichtig, ihr Austausch untereinander. Das unterstützen die internationalen Finanzinstitutionen nicht. Wir vom Globalen Fonds versuchen jetzt dabei zu helfen, dass zum Beispiel andere kirchliche Koordinationsbüros aus Afrika vom Fall Sambia lernen können: Wie habt ihr diesen Antrag gestellt, wie verwendet und verwaltet ihr das Geld? Aber das wird von Gebern wie der Weltbank normalerweise nicht finanziert. Hier liegen klassische Aufgaben für die kirchlichen Hilfswerke.
Worin liegen aus der Sicht des Fonds die besonderen Stärken der Kirchen in der Aids-Arbeit?
Sie sind oft besonders nahe bei den Menschen. Die staatlichen Gesundheitseinrichtungen konzentrieren sich zum Beispiel in Afrika auf die Hauptstädte und vielleicht noch die großen Städte. Sie sind auf dem Land, wo nach wie vor der Großteil der Bevölkerung lebt, äußerst schwach. Diesen Bereich abzudecken wird oft den Kirchen und Religionsgemeinschaften überlassen. Dann tritt das Problem der Korruption also ob das Geld angemessen verwendet wird zwar immer auf, aber bei kirchlichen Einrichtungen im Verhältnis eher weniger stark. Die Menschen haben großes Vertrauen zu den Kirchen und gehen im Zweifel lieber in ein kirchliches als in ein staatliches Krankenhaus. Hinzu kommt, dass die Kirchen oft eine große moralische Autorität haben; das ist wichtig dafür, wer die Menschen überhaupt ansprechen kann. Und Kirchen sind entscheidend für die Versorgung der Millionen von Aids-Waisen in Afrika. Eine Studie des UN-Kinderhilfswerks Unicef hat vor kurzem ergeben, dass die allermeisten dieser Waisenkinder von Religionsgemeinschaften, vor allem lokalen Kirchengemeinden, versorgt werden.
Gibt es auch Schwächen der Kirchen in der Aids-Arbeit Dinge, die sie nicht so gut können?
Ja. Die Mitarbeitenden der kirchlichen Einrichtungen machen oft hervorragende Arbeit. Sie kümmern sich um die Menschen, aber nicht unbedingt auf die professionellste Art. Im Bereich Finanzmanagement und Evaluation, also der Auswertung dessen, was man tut, sind die Kirchen sehr schwach. Oft ging das bisher nach dem Motto: Wir tun viel Gutes, da brauchen wir doch nicht groß Daten sammeln, um zu belegen, wie viele Menschen wir behandeln. Hier stellen die Finanzorganisationen heute aber hohe Ansprüche. Kirchliche Träger sind da nicht sehr qualifiziert und kommen deshalb manchmal nicht in den Genuss der Zuschüsse. Das könnten die kirchlichen Hilfswerke mit relativ einfachen Mitteln beheben helfen.
Sie plädieren dafür, dass die kirchlichen Werke der Unterstützung für die Management- Fähigkeiten der Partner Vorrang geben. Haben sie angefangen, das zu tun?
Ich denke schon. Aber es braucht eine gewisse Zeit. Zum Teil ist noch nicht richtig bewusst geworden, in welch großem Ausmaß kirchliche Partner inzwischen von anderen Geldgebern unterstützt werden. Der Prozess, sich darauf einzustellen, muss weitergehen.
Gehören auch andere als christliche Religionsgemeinschaften zu den begehrten Partnern im Kampf gegen Aids?
Ja, aber vor allem Kirchen. Der Globale Fonds arbeitet auch mit anderen Religionsgemeinschaften zusammen, etwa mit buddhistischen Klöstern in Thailand, die Hospize eingerichtet haben. Aber das geschieht auf einem niedrigeren Niveau. Die christlichen Kirchen haben bei weitem die größte Gesundheits-Infrastruktur. In afrikanischen Ländern decken sie bis zu 40 oder gar 50 Prozent des Gesundheitssystems ab.
Wenn sehr viel Gebermittel in nichtstaatliche Gesundheitsdienste fließen, besteht dann nicht die Gefahr, besonders in Afrika den Aufbau glaubwürdiger staatlicher Behörden zu behindern?
Die Arbeit der Kirchen in Afrika läuft nicht an der Regierung vorbei, sondern man koordiniert das. Zum Beispiel ist die CHAZ auch eingerichtet worden, um die Kirche gegenüber dem Staat in Sambia zu vertreten. Oft finanziert der Staat die kirchlichen Einrichtungen in gewissem Maß aus Steuermitteln und überlässt ihnen bestimmte Bereiche, etwa auf dem Land. Auf absehbare Zeit ist nicht zu erwarten, dass die afrikanischen Staaten den gesamten Gesundheitsbereich übernehmen könnten. Und der globale Fonds unterstützt sehr wohl auch staatliche Einrichtungen. Etwa die Hälfte unseres Geldes geht an Regierungen und die andere Hälfte an nichtstaatliche Organisationen; davon bekommen die Kirchen einen Teil.
aus: der überblick 02/2005, Seite 91
AUTOR(EN):
die Fragen stellte Bernd Ludermann