Plötzlich war Gott kein Franzose mehr
Seit gut vierzig Jahren sind die ehemaligen französischen Kolonien unabhängig. Trotzdem bleibt eine enge Verbindung. Was macht das Verhältnis zwischen Frankreich und Afrika so besonders und warum verfolgt die französische Republik keine gleichbleibende Politik?
von Philippe Leymarie
Das Jahr 2004 ist gekennzeichnet von schmerzlichen Jahrestagen angesichts der äußerst engen, fast bundesstaatlichen Beziehungen, die Frankreich weiterhin mit seinen früheren Kolonien und den frankophonen Ländern Afrikas unterhält. Vor zehn Jahren wurde der Franc CFA abgewertet. Zehn Jahre sind seit dem Völkermord in Ruanda vergangen, einem Land, das seinerzeit mit Frankreich durch ein Kooperationsabkommen verbunden war. In der Folge dieser beiden Ereignisse, die Missfallen bei seinen Partnern südlich der Sahara erregten, stand Frankreich am Beginn des 21. Jahrhunderts, mehr als 40 Jahre nach der Welle der Unabhängigkeitsbewegungen, ohne einen erkennbaren Plan für Afrika da und sah sich auch nicht in der Lage, die Menschen zu integrieren, die aus seinem früheren Kolonialreich stammen: Im April und Juni 2002 musste die französische Linke dafür an den Wahlurnen büßen. Die konservativen Gaullisten unter Führung von Präsident Jacques Chirac, die immer "besondere Beziehungen" zu den Regierungen des Südens unterhalten hatten - auch zu höchst umstrittenen - versuchten wieder an ihre "franko-afrikanische" Tradition anzuknüpfen und gleichzeitig die Grundlagen für eine neue Partnerschaft zu legen.
Als moderner "Kaiser der Franzosen" (mit einem - sonst in Afrika üblichen - Stimmenanteil von 82 Prozent im zweiten Durchgang der Präsidentschaftswahlen) hat Jacques Chirac nicht mit Umarmungen und guten Worten gespart für ein Afrika, dem er immer wieder seine "Liebe" beteuert. Mit ihm haben die Personalisierung und die Gefühlsduselei in den franko-afrikanischen Beziehungen noch schöne Tage vor sich. Präsident Chirac hat auch nie versäumt, auf internationalem Parkett zu betonen, dass "ohne Afrika Frankreich nur eine drittklassige Macht wäre."
Kaum wiedergewählt, lag es dem französische Staatschef am Herzen, auf "das Gefühl der Vernachlässigung" einzugehen, unter dem ein Teil der afrikanischen Eliten leide, besonders Regierungsbeamte, die überzeugt sind, mit der Abwertung des F CFA 1994 habe man sie hilflos in den Netzen des Internationalen Währungsfonds (IWF) zappeln lassen. Ohne die von der Linken eingeführten Verwaltungsreformen in Frage zu stellen, hat Chirac die Zusammenarbeit wieder zur "Chefsache" gemacht: Gelenkt vom Elysée-Palast durch den fortbestehenden Beraterkreis Cellule africaine für Afrikapolitik ist sie getreulich von dem "Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten und Entwicklungszusammenarbeit" ausgeführt worden. Dieses leitet Dominique de Villepin, ein Vertrauter des Staatspräsidenten, der sieben Jahre lang der allgegenwärtige Sekretär des Präsidialamts gewesen ist. Im Namen eines "neuen Interventionismus", um "Afrika in den Mittelpunkt französischer Prioritäten zu stellen", wurde im Elysée-Palast die Friedensmission Licorne (Einhorn) lanciert, um schnellstmöglich die Teilung Côte d'Ivoires abzuwenden.
Die französische Regierung hat neben der Aufstockung des Entwicklungshilfeetats (siehe den Artikel von Nathalie Gillet) eine strategische Annäherung an die Staaten des Maghreb eingeleitet und die Idee des Co-Développement (gemeinsame Entwicklung) wiederbelebt: Diese geht davon aus, dass eine wirtschaftliche Stabilisierung dieser Länder zur Eindämmung der Migrantenströme beitragen wird, die der Norden magisch anzieht, auch wenn manchmal auf der Reise der Tod wartet. Für die französische Rechte, die eine Politik der starken Hand zur Verbesserung der Sicherheitslage vertritt, war die damit unmittelbar zusammenhängende Frage der Integration der Einwanderer ein Test.
Die Unfähigkeit, sich dieser Herausforderung direkt zu stellen, war sicher eine der Ursachen der spektakulären Niederlage der französischen Linken 2002. Sie hatte sich in dieser Frage, die ihr doch besonders am Herzen liegen müsste, auf ein "gewerkschaftliches Minimum" beschränkt - was moralische Grundsätze betrifft, auf das Mitleid mit den "Verdammten dieser Erde" und die Pflicht zur Wiedergutmachung für das vom Kolonialismus verschuldete Unglück, mit einem fast religiösen Vertrauen auf die "integrativen Fähigkeiten der Republik". Auf der Ebene konkreter Maßnahmen, abgesehen von einer umfassenden Legalisierung von Illegalen und einer faktischen, (wenn auch nicht offiziellen) Öffnung der Grenzen, fehlte es an jeglicher Initiative zur Erleichterung der Einbürgerung, zur Sozial- und Kulturarbeit, zu kompetenter Hilfestellung bei Schulproblemen und der Wahrnehmung der Bürgerrechte.
Die Illegalität, die Arbeitslosigkeit und das Fehlen kultureller Bezugspunkte haben dazu beigetragen, dass diese jungen Immigranten der zweiten oder dritten Generation fasziniert von Konsummustern außerhalb ihrer Reichweite oft im sozialen Aufzug steckenbleiben. Manche leben von der Hand in den Mund und tragen dazu bei, dass die Statistiken ein Umsichgreifen der Unsicherheit ausweisen. Andere versuchen, an traditionellen Sitten festzuhalten, die von einer westlichen Gesellschaft als unerträglich empfunden werden müssen und die das Gesetz verbietet.
Frankreich ist in den Augen der Afrikaner nicht unbeschadet aus den Wahlen vom 21. April 2002 hervorgegangen, bei denen der rechtsextremistische Jean-Marie Le Pen den sozialistischen Kandidaten überflügelte. "Ein Mythos ist gestorben", schrieb ein senegalesischer Kommentator: "Die Nation, die so sehr dazu geneigt hat, sich zum Lehrmeister aufzuschwingen, ist von ihrem Sockel gestürzt", als sie "einem Verfechter der Ungleichheit der Rassen" gestattete, im zweiten Wahlgang für das Amt des Staatschefs anzutreten.
Als Reaktion auf eine öffentliche Meinung, die immer empfänglicher wird für fremdenfeindliche Parolen der extremen Rechten, hat die französische Regierung wieder Sonderprogramme für städtische Problemzonen eingeführt, die Schaffung eines Französischen Rats für Islamische Religionsausübung gefördert und sich gleichzeitig für das Verbot "auffälliger" religiöser Kennzeichen (speziell moslemischer Kopftücher) in öffentlichen Schulen und Krankenhäusern stark gemacht. Sie hat auch für zwei unbedeutende Ressorts - Veteranen und nachhaltige Entwicklung - Staatssekretäre ernannt, die aus dem Maghreb stammen, und den Gedanken einer besonderen Förderung Benachteiligter bei der Vergabe von Arbeitsplätzen wieder ins Spiel gebracht.
Bis zu ihrer Ablösung im April 2002 hatte die Regierung des Sozialisten Lionel Jospin ihr Hauptaugenmerk auf die Öffnung gegenüber Osteuropa gerichtet und sich, was den schwarzen Kontinent betraf, an eine vage Devise geklammert: "weder Einmischung noch Gleichgültigkeit" - das sollte ihre gesamte Afrikapolitik auf den Nenner bringen. Sie hatte damit traditionelle afrikanischer Herrscher verschreckt, die das Gefühl hatten, vernachlässigt zu werden. Andererseits hatte sie auch Oppositionsgruppen zur Verzweiflung getrieben, die auf eine "Einmischung zur Förderung der Demokratisierung" hofften. Indem sie den Klientelismus anprangerten und das Ende der Zusammenarbeit mit suspekten Regimes verkündeten, war es den Sozialisten gelungen, in Vergessenheit geraten zu lassen, dass Frankreich bislang der "Königsmacher" in seinem "Jagdrevier" auf dem afrikanischen Kontinent gewesen war. Und dass seine Botschafter - an deren Seite im Tschad, in der Zentralafrikanischen Republik oder in Gabun einflussreiche (Geheimdienst-)Agenten traten - ungeniert die Richtlinien der Innenpolitik bestimmten.
Dem Premierminister Lionel Jospin - einem der wenigen französischen Staatsmänner von Bedeutung, die nicht über ein "afrikanisches Netzwerk" verfügten - war es 1998 gelungen, durchzusetzen, dass das Ministerium für Entwicklungszusammenarbeit, das lange als "Afrika-Ministerium" galt, vom Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten absorbiert wurde. Ein Symbol für die Abnabelung von vergeblichen Umgestaltungsversuchen und Untersuchungsberichten, die 35 Jahre lang leere Worte geblieben waren. Aber diese Reform stand im Kontext einer zunehmenden Erosion der staatlichen Entwicklungshilfe, die 2002 nicht einmal die Hälfte des Betrags ausmachte, den sich 1981 die erste Regierung der Vereinigten Linken zum Ziel gesetzt hatte - 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts (BSP).
Die Neudefinierung der Tätigkeitsfelder der Entwicklungszusammenarbeit, die darauf abzielte, den sehr neokolonialen Begriff der Länder des champ - die frankophonen Länder Afrikas als so genannter "Hinterhof Frankreichs" - vergessen zu machen, hat dazu geführt, dass die Hilfe auf sechzig Länder und drei Kontinente verstreut wurde. Die Fusion der Ministerien Coopé(ration) und Quai(d'Orsay) hatte die Afrikaner auch plötzlich eines Ansprechpartners in Paris beraubt. Dies zu einem Zeitpunkt als Großbritannien, das Afrika nach der Schließung seiner Militärbasen östlich des Suezkanals nach 1967 und der Unabhängigkeit Ex-Rhodesiens 1985 links liegen gelassen hatte, seine Hilfe wieder deutlich aufstockte, bis ihr Umfang den der französischen überstieg. Diese Reform markierte auch den Abschied von einer Kultur des "Überseeischen", die jahrzehntelang aufgebaut worden war und wesentlich zum french touch in Afrika gehörte.
Allerdings bleibt Frankreich der wichtigste Abnehmer und Lieferant für Afrika, mit einer positiven Handels- und Leistungsbilanz, auch wenn man die staatliche Entwicklungshilfe und die Schuldenstreichungen mit einrechnet, und nimmt nach wie vor ein Viertel aller afrikanischen Exporte ab. Trotzdem wird das Engagement auf dem afrikanischen Kontinent immer kleiner: Der Anteil Afrikas an den privaten Auslandsinvestitionen hat sich zwischen 1995 und 2000 halbiert; die Zahl der in Afrika lebenden Franzosen ist in zehn Jahren um 40 Prozent gesunken. Die auf dem Kontinent stationierten Truppen wurden von 8000 auf 6000 Mann reduziert (insbesondere durch die Schließung der Stützpunkte in Zentralafrika).
Die französischen Sozialisten wussten zwar, welcher Politik sie ein Ende machen wollten, sie sind aber daran gescheitert, eine neue zu entwickeln und beschränkten sich mehr und mehr auf eine rein diplomatische Abwicklung der Zusammenarbeit. Die Mehrheit im "Syndikat afrikanischer Staatschefs", speziell die frankophone Klientel einschließlich des Maghreb, rechnete nicht damit, dass man unter Chirac zu einer gaullistischen Politik alten Schlags zurückkehren würde: militärische Interventionen, die so genannten Foccart-Netzwerke (nach de Gaulles Sekretär für Afrikanische Angelegenheiten benannt), die Allgegenwart der Ölgesellschaft Elf, Entwicklungsprojekte wie "weiße Elefanten", Gehaltszahlungen für Beamte am Monatsende, Geldkoffer für die politischen Parteien des Mutterlands und Ähnliches.
45 Jahre lang hatte sich der Kurs zwischen dem Franc CFA zum französischen Franc nicht verändert: 1 Franc der gemeinsamen Währung von 14 west- und zentralafrikanischen Staaten entsprach 50 F CFA. Bis im Januar 1994 die französische Regierung ihre in der Hauptstadt des Senegal versammelten Partner dazu zwang, den F CFA um 50 Prozent abzuwerten. Ein Schock für das frankophone Afrika. Plötzlich war Gott kein Franzose mehr. Man erfuhr zudem, dass "von jetzt an die finanzielle Hilfe durch Frankreich von der Durchführung glaubwürdiger Wirtschafts- und Finanzprogramme abhängig gemacht werden sollte, die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) unterstützt werden."
Nach Meinung ihrer Befürworter war diese drastische Maßnahme unvermeidlich geworden: Die terms of trade (Preisverhältnisse im Warentausch) hatten sich zwischen 1985 und 1993 für Afrika um die Hälfte verschlechtert, die Preise für die wichtigsten afrikanischen Exportprodukte blieben im Keller, die Haushaltsdefizite verschlimmerten sich zusehends. Paris musste die Gehälter afrikanischer Beamter subventionieren, das Vertrauen privater Investoren ging verloren, es gab mehr und mehr Kapitalflucht. Die Lage war unhaltbar. Paris verschanzte sich hinter IWF und Weltbank und wollte die "Bürde des weißen Mannes" nicht länger tragen.
Man erwartete für Afrika von diesem finanziellen Schock eine deutliche Steigerung der bäuerlichen Einkommen, einen Anreiz für Exporte, eine Zunahme der Staatseinnahmen und eine Konzentration der wirtschaftlichen Aktivitäten auf eigene Ressourcen dank eines neuen Aufschwungs der verarbeitenden Industrie.
Zehn Jahre später ist man weit entfernt vom großen erhofften Sprung nach vorn. Die Indikatoren sagen eher "Zurück auf Los!" Die afrikanischen Produzenten hatten keinerlei Einfluss auf die Preise, die immer in US-Dollars festgesetzt werden. Die Defizite wachsen wieder. Fast die Hälfte der Einwohner der CFA-Zone muss heute von weniger als einem Euro am Tag leben und in manchen Ländern, besonders in den Sahelstaaten, aber auch in Togo oder dem Kongo, liegt ihr Anteil bei 60 Prozent oder gar 75 Prozent der Einwohner wie in Mali.
Zudem ist in diesen Ländern die Kaufkraft der städtischen Mittelschicht weggeschmolzen. Das Wirtschaftswachstum erreicht nirgendwo die 7 oder 8 Prozent, die nötig sind, wenn die Armut sich verringern soll. Mit Ausnahme von Mali und dem Senegal haben fast alle Länder der Zone in den letzten zehn Jahren schwere politische Wirren durchgemacht. Staatsstreiche, auch mehrmals, wie in Zentralafrika und auf den Komoren, Bürgerkriege (Kongo und Guinea-Bissau), ganz zu schweigen von der Destabilisierung in Côte d'Ivoire, der Lokomotive für die Wirtschaft der Franc-Zone.
Heute, vier Jahre nach seiner Kopplung an den Euro, leidet der F CFA unter dem Höhenflug der europäischen Währung, deren Wechselkurs zum US-Dollar in einem Jahr um 25 Prozent gestiegen ist. Man fragt sich bereits wieder, ob der F CFA überbewertet ist. Manch einer träumt davon, die Franc-Zone in einer größeren westafrikanischen Währungsunion aufgehen zu lassen. Bisher hat allerdings kein Land die CFA-Zone verlassen; ihr starker Zusammenhalt hat es den Mitgliedsländern ermöglicht, ihre Devisenreserven wieder aufzustocken und der Inflation Herr zu werden. Für Frankreich bleibt die CFA-Zone weiterhin "ein erstklassiges Mittel, die politischen Bindungen zu bewahren, die es mit diesen Ländern geknüpft hat", wie der französische Minister hervorhebt, der für die Schock-Therapie von 1994 verantwortlich war.
Paradoxerweise sind es nur die Militärs - die nach einigen Jahrzehnten politischer Interventionen auf dem Kontinent auch einiges wiedergutzumachen haben -, die in den letzten Jahren, ein Reformprogramm entworfen haben. Das völlig neue Konzept - Renforcement des capacités africaines de maintien de Paix (Recamp) - lässt eine völlige Neudefinition der Rolle der Militärs in Afrika erwarten. Nach der schmerzlichen Erfahrung der Opération Turquoise in Rwanda 1994 beschränkten sich die Interventionen der französischen Armee südlich der Sahara bis zum September 2002 auf innerafrikanische Manöver im Rahmen des neuen Kooperationsprogramms Recamp oder auf die Evakuation von Franzosen und Europäern in Notfällen.
Dieser Zustand war reichlich seltsam, denn zugleich war Frankreich die einzige Großmacht, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch über ständige Militärbasen auf dem afrikanischen Kontinent verfügte: In der Côte d'Ivoire, dem Senegal, Gabun, dem Tschad und Dschibuti sind 7000 Mann stationiert, zu denen noch 1000 Mann auf La Réunion und Mayotte und weitere 1000 auf Schiffen der französischen Flotte kommen, von der ein Teil sich ständig im Indischen Ozean aufhält und ein anderer entlang der Atlantikküste unterwegs ist.
Diese Nichteinmischung stand im Gegensatz zum militärischen Aktivismus in Afrika zwischen 1960 und 1994. Bis zu dem verhängnisvollen Abenteuer in Rwanda hatten Eilinterventionen in der frankophonen Einflusssphäre in der Regel dazu gedient, Regimes unter die Arme zu greifen, die mit dem ehemaligen Mutterland Frankreich verbündet waren: Brutale "Säuberung" der Bamiléké-Region in Kamerun Anfang der sechziger Jahre; wiederholte Interventionen im Tschad gegen die Offensiven der Rebellen aus dem Norden; häufige Fallschirmspringereinsätze in den Bergbauprovinzen des ehemaligen Zaire in den siebziger Jahren; Unterstützung für pro-französische Söldner in Angola, Guinea, Benin, den Komoren... Die französische Armee war weltweit dafür berüchtigt, dass sie sich wie der "Gendarm Afrikas" aufführte - dank einer Reihe von Verteidigungsabkommen mit sieben Staaten, Militärhilfeabkommen mit weiteren 25, einem Netz von Truppenkontingenten, die ständig auf vier Militärbasen stationiert waren und Austauschabkommen mit einheimischen Armeen (pro Jahr tausend Auszubildende in französischen Militärakademien, etwa 15 gemeinsame Manöver und 250 Besuche von Schiffen der französischen Marine. All das gestützt auf eine "historische" Kenntnis des Terrains.
Der neuen ungewöhnlichen Zurückhaltung war es geschuldet, dass Frankreich in den letzten Jahren nicht versucht hat, militärisch in die Krisen in Kongo-Brazzaville, im Niger, in Dschibuti, der Zentralafrikanischen Republik und dem Tschad einzugreifen - bis dato traditionelle Manövergebiete der ehemaligen Kolonialarmee. Nicht einmal in Côte d'Ivoire wurden 1999 nach dem "Weihnachtsputsch", der als "Erdbeben in Frankreichs Hinterhof" empfunden wurde, Truppen geschickt - und dies entgegen dem Wunsch von Präsident Chirac. Der rechtmäßige Präsident Henri Konan Bédié (der Nachfolger von Félix Houphoët-Boigny) war gestürzt worden.
Für den "Clan der Dinosaurier" - die ewigen Staatschefs aus dem frankophonen Sumpf wie Gnassingbé Eyadéma in Togo, Paul Biya in Kamerun, Omar Bongo in Gabun - war das französische Zögern unbegreiflich. Diese relative Lähmung des einst so aktiven französischen Militärapparats hatte ihren entscheidenden Grund in dem Trauma, das das verhängnisvolle Eingreifen in Ruanda bei Militärs und Politikern hinterlassen hatte, das von vielen als "eine Intervention zuviel" empfunden wurde.
Wenn man noch einmal den Bericht zur Hand nimmt, den im Dezember 1998 der Untersuchungsausschuss der Nationalversammlung über die umstrittene Intervention in Ruanda veröffentlicht hat, lassen sich in den dort erhobenen Vorwürfen die tieferen Beweggründe für die Politik entnehmen, die seit fast zehn Jahren verfolgt wird. Demnach hatte sich die Opération Noroit, die 1990 in Kigali begann, vom traditionellen Schutz der eigenen Landsleute ausgeweitet auf die Verteidigung der Hauptstadt, dann deren Umgebung, schließlich der Grenze zu Uganda und die Anfänge einer technischen und taktischen Übernahme des Kommandos über die ruandische Armee, bis es schließlich zur Feindberührung kam. Die zügige Bestellung und Lieferung von Waffen, von Paris vermittelt, sowie die rasche Vergrößerung der ruandischen Armee in der Zeit, die dem Abkommen von Arusha vorausging, die Verfahrensweise ihrer Ausbildung und Ausrüstung durch die Franzosen - all dies bewirkte, dass in diesem Zeitraum 70 Prozent der regulären Staatsausgaben Ruandas für die Kriegsanstrengung aufgewendet wurden.
Der Bericht der Parlamentarier betont zwar, dass "Ruanda seine Geschichte selbst gemacht", "der ruandische Staat den Völkermord befohlen" habe und die Massenmörder Ruander gewesen seien, dass es aber nichtsdestotrotz "einige Fehleinschätzungen" der damaligen französischen Verantwortlichen gegeben habe: nämlich eine zu enge militärische Zusammenarbeit und eine Unterschätzung des autoritären, ethnischen und rassistischen Charakters des ruandischen Regimes; Hinzu kam eine antiquierte geopolitische Vorstellungswelt um die Verteidigung der "Frankophonie" gegen die "Angelsachsen".
Der Bericht kritisiert auch die Widersprüchlichkeit der "Opération Turquoise", die im Juli 1994 in der Folge des Völkermords lanciert wurde - die Schaffung einer "humanitären Schutzzone im Westen des Landes - die dazu geführt hat, dass hunderttausende Ruander in das damalige Zaire flüchteten, was eine regionale Krise heraufbeschwor, deren Folgen noch heute zu spüren sind. Die französischen Militärs wurden insbesondere kritisiert, weil sie die Milizionäre nicht entwaffnet, sie vielmehr dazu benutzt hätten, frühere Funktionäre der ruandischen Interimsregierung "herauszufiltern". Das Parlament stellt auch eine Liste "institutioneller Funktionsstörungen" auf und bedauert, niemals über die Ziele und die Kontrolle dieser Interventionen im Ausland informiert worden zu sein. Frankreich wird vorgeworfen, zur "Machbarkeit des Völkermords" beigetragen zu haben und auf jeden Fall "darin verwickelt zu sein", auch wenn es nicht für den Völkermord "verantwortlich" oder "schuld" daran sei.
Die französischen Truppen wurden daraufhin aus der Region der Großen Seen abgezogen, man wollte sich möglichst still verhalten. Dies erklärt das "weder - noch" der letzten sozialistischen Regierung, das einen faktischen Rückzug aus dem militärischen Engagement verschleiern sollte. Es ist auch der Grund dafür, dass man in den letzten Jahren nach neuen Formen zur Zusammenarbeit bei der Friedenssicherung gesucht hat, wie etwa Recamp, für das ein Fünftel des Gesamtbudgets der Militärhilfe zur Verfügung steht: Drei Zyklen zur Weiterbildung innerhalb von zwei Jahren für die Armeen West- und später auch Zentralafrikas und neuerdings Ostafrikas - verbunden mit Manövern, die ab 1996 im Senegal, in Gabun und 2002 in Tansania veranstaltet wurden. In jeder großen Region soll ein Bataillon einer Eingreiftruppe stehen, die samt Ausrüstung in Dakar (Senegal), Libreville (Gabun) und Dschibuti in Bereitschaft gehalten wird. Hinzu kommen spezialisierte regionale Weiterbildungszentren wie die école des soldats de la paix in Zambraco (Côte d'Ivoire).
In diesem Rahmen wird auch eine Reihe von neuen Kriterien definiert, die zukünftige Interventionen erfüllen sollen: Im Vorfeld müssen die Zustimmung der betroffenen Kriegsparteien eingeholt werden, die überstaatlichen Organisationen der afrikanischen Region dahinterstehen, ein internationales Mandat, operative Zusammenarbeit mit anderen europäischen Ländern sowie größere Transparenz in der Informationspolitik vorhanden sein. Die neuen Interventionen, deren Intensität in den letzten zwei Jahren wieder zunimmt, haben sich zumindest teilweise an die vorgegebenen Kriterien gehalten: "Einhorn" in Côte d'Ivoire (mit 4000 Mann), um eine Teilung des Landes abzuwenden; die Unterstützung (mit 350 Mann) für die Interafrikanische Eingreiftruppe MISAB in der Zentralafrikanischen Republik, wo die Staatsmacht zusammenzubrechen drohte und die Opération Artemis (mit 1000 Mann) im Osten der D.R. Kongo von Juni bis August 2002, um den Massakern in Ituri ein Ende zu machen.
Die Operation "Artemis" wies Merkmale auf, die, wenn schon nicht ein Modell, so doch wenigstens eine neue Art des Eingreifens charakterisieren. Das Zielgebiet war eine geschundene Region des afrikanischen Kontinents, in der der ruandische und der burundische Völkermord verübt wurden und wo sich in einen regionalen Krieg acht umliegende Länder eingemischt haben. In den letzten Jahren ist die kongolesische Provinz Ituri an der Grenze zu Uganda zu einem der unruhigsten Gebiete des Landes geworden; die Internationale Eingreiftruppe, die im Rahmen von MONUC (Mission des Nations Unies au Congo) dorthin entsandt worden war - ein paar hundert uruguayische Blauhelme, die keine Erfahrung mit dem afrikanischen Terrain hatten und sich an ihr Mandat als Beobachter halten mussten - war nicht in der Lage gewesen, die interethnischen Massaker zu beenden.
Eine der Bedingungen, die Frankreich stellte, falls es als Führungsmacht einer Eilintervention tätig werden sollte - die Vereinten Nationen (UN) wollten zusätzliche Truppen mit einem offensiveren Mandat schicken - bestand darin, gemäß Kapitel 7 der UN-Charta das Recht zu erhalten, das Feuer zu eröffnen - im Fall legitimer Verteidigung oder um die ihm anvertrauten Bevölkerungsgruppen zu schützen. Als Voraussetzung für ihr Engagement verlangten die französischen Militärs außerdem, dass die Intervention - für die ein Truppenkontingent von etwa 1500 Mann vorgesehen war - multinational sein sollte (mehrere europäische Länder sollten insbesondere beim Lufttransport Unterstützung leisten). Zudem sollte das Mandat räumlich (auf die Stadt Bunia) und zeitlich begrenzt sein (bis zum 1. September 2003). Nötig sei des weiteren die Zustimmung der D.R. Kongo (die schon zu Beginn vorlag), Ugandas (das den Flughafen in Entebbe als Versorgungsbasis zur Verfügung stellte) und Ruandas (das auf britischen und amerikanischen Druck zustimmte). Die wohlwollende Neutralität dieser beiden Nachbarländer war umso wichtiger, weil ihnen vorgeworfen wurde, sie stünden hinter den Milizen, die in Bunia agierten, und hätten es auf die Reichtümer Ituris abgesehen.
Frankreich wollte sich nicht dem Verdacht aussetzen, es habe mit geopolitischen Hintergedanken eine "Rückkehr an die Großen Seen" vor, und bemühte sich darum, diese Intervention durch die gesamte EU absegnen zu lassen. Die Entscheidung vom 4. Juni 2003 hat diesbezüglich historische Bedeutung, denn es war das erste Mal, dass die EU in dieser Weise die politische Verantwortung für eine Intervention außerhalb ihrer Grenzen und unabhängig von der NATO übernahm. Die Mehrheit der 15 EU-Staaten hat sich in unterschiedlicher Weise an dieser Intervention beteiligt. Das französische Oberkommando, das einen internationalen Generalstab in Paris installiert hatte, erstattete den Brüsseler Behörden regelmäßig Bericht. Dieses Eingreifen sollte ein Modell für künftige Friedensmissionen sein und zeigen, dass man von nicht mehr zeitgemäßem Gebaren Abschied genommen hat. Wenn auch das militärische Eingreifen der Franzosen in der Côte d'Ivoire zeigt, dass es nicht so einfach ist, mit der Vergangenheit zu brechen.
aus: der überblick 01/2004, Seite 14
AUTOR(EN):
Philippe Leymarie:
Philippe Leymarie ist Journalist bei dem Hörfunksender "Radio France Internationale" (RFI). Er ist spezialisiert auf Afrika und den indischen Ozean.