Wenn öffentliche Großgeber direkt mit Süd-NGOs zusammenarbeiten
Die neue Bereitschaft der Europäischen Kommission und anderer Großgeber, Süd-NGOs direkt zu fördern, birgt Chancen und Risiken für diese. Sie können so mehr Geld bekommen und sich von Nord-NGOs emanzipieren, von denen sie bislang abhängig waren. Aber wenn sich solidarische Unterstützung in ein Verfahren mit umfangreicher Bürokratie verwandelt, wird der Trend zu NGO-Konzernen mit Großprojekten gefördert.
von Berthold Kuhn
Große öffentliche Geber wie die Europäische Kommission haben in den vergangenen Jahren neue Formen der Entwicklungszusammenarbeit entwickelt. Bisher wurden Projekte durch Zahlungen an staatliche Institutionen im Süden finanziert oder die Hilfsgelder über NGOs im Norden geleitet. Jetzt suchen die großen Geber mehr und mehr auch die direkte Partnerschaft mit nichtstaatlichen Organisationen im Süden. Damit wollen sie auch die Zivilgesellschaft und deren Vielfalt in diesen Ländern stärken. Für die NGOs im Süden mögen solche neuen "Zapfstellen" für Hilfsgelder zunächst willkommen sein. Aber sind sie auch auf den völlig anderen Charakter der Partnerschaft vorbereitet, den eine Zusammenarbeit mit großen öffentlichen Gebern mit sich bringt? Die traditionelle Entwicklungszusammenarbeit entstammt nämlich einer ganz anderen Kultur.
Kirchliche Partnerschaften, die aus der Missionsarbeit entstanden sind, bildeten die ersten Formen der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit. Missionare verbrachten zumeist einen großen Teil ihres Lebens in Entwicklungsländern, um Missions- und Sozialarbeit zu leisten. Auch als sich daraus eine mehr formale Zusammenarbeit zwischen Kirchen und kirchlichen Organisationen des Nordens und des Südens entwickelte, war diese überwiegend auf dauerhafte Partnerschaft im Rahmen der christlichen Glaubensgemeinschaft und der Nächstenliebe angelegt und in großem gegenseitigen Vertrauen begründet. Finanzielle Zuwendungen wurden informell verabredet und je nach Anlass für missionarische Dienste, Kirchenbau oder karitative Sozialarbeit verwendet. Dabei mussten die Partner im Süden nicht jeden Pfennig genau abrechnen. Die Beziehung wurde getragen vom Geist der Solidarität und vom Vertrauen, das auf persönlichen Bekanntschaften beruhte. Die Partner im Süden konnten das Geld weitgehend eigenständig so ausgeben, wie sie es für richtig hielten. Es genügte, dass die Partner aus dem Norden von Zeit zu Zeit mit eigenen Augen sehen konnten, dass das Geld sinnvoll verwendet wurde.
Auch als nichtstaatliche Organisationen (NGOs) und die politischen Stiftungen des Nordens mit ihrer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit Partnern im Süden begannen und sich im Süden formelle NGOs gründeten, basierte die Zusammenarbeit anfangs auf solcher Solidaritätskultur. Je mehr aber die Partner im Norden ihre Etats aus Zuwendungen der öffentlichen Hand speisen, desto mehr sind sie auch dem Steuerzahler verantwortlich und müssen genaue, überprüfbare Einzelabrechnungen vorlegen.
Das verlangen sie dann folglich auch von ihren Partnern im Süden. Die Solidaritätskultur geht deshalb mehr und mehr in eine Vertragskultur über, und es werden nur noch zeitlich begrenzte Projekte finanziert. Drastisch kann man es so ausdrücken: Der Trend geht vom Bruderwort zum Antragsmarathon. Wenn aber eine dauerhafte Partnerschaft ohnehin nicht mehr zu erwarten ist, liegt es nahe, dass die NGOs im Süden nach Gebern Ausschau halten, die ein besonders großes Füllhorn haben. Das sind zumeist öffentliche Großgeber (siehe Kasten).
NGOs im Norden, die traditionellen Partner der Süd-NGOs, betrachten solche direkte Zusammenarbeit großer öffentlicher Geber mit lokalen NGOs im Süden mit Argwohn. Sie befürchten, dass öffentliche Geber lokale Süd-NGOs mit ihren großen Fördersummen zuschütten und dadurch sorgfältige Bemühungen zunichte machen könnten, diesen schrittweise die nötigen Fähigkeiten zu vermitteln, ihre Projekte eigenständig zu managen (capacity building). Viele Süd-NGOs begrüßen dagegen eine direkte Zusammenarbeit mit großen öffentlichen Gebern. Sie wollen sich damit von ihren NGO-Partnern aus dem Norden stärker emanzipieren, von denen sie zumeist finanziell abhängig sind.
Der Argwohn der Nord-NGOs spiegelt aber auch die Eigeninteressen dieser Organisationen wider. Sie fürchten nämlich eine Kürzung der Gelder für Projekte, die von mehreren Partnern gemeinsam getragen und finanziert werden. Bei solchen Kofinanzierungsvorhaben stellen Nord-NGOs gemeinsam mit Süd-NGOs die Projektanträge bei den öffentlichen Gebern. Und dann fließt den Nord-NGOs ein beachtlicher Teil des Projektetats für Fortbildungsmaßnahmen, Fortschrittskontrollen, Projektverwaltung und Erfolgskontrolle (Evaluierungen) zu.
Die Statistiken belegen bislang nicht, dass die Befürchtungen der Nord-NGOs berechtigt sind. Das Gegenteil ist der Fall. Bei der Europäischen Kommission etwa ist der wichtigste Haushaltsposten für die Kofinanzierung von Projekten europäischer NGOs die sogenannte Budgetlinie B7-6000. Bei dieser hat die Europäische Kommission ihre Zuwendungen von durchschnittlich 76 Millionen Euro pro Jahr im Zeitraum von 1986 bis 1990 auf 155 Millionen Euro zwischen 1991 und 1995 bis auf 206 Millionen Euro von 1996 bis 1998 aufgestockt.
Die Süd-NGOs haben von der direkten Zusammenarbeit mit großen öffentlichen Gebern durchaus profitiert. Diese hat in vielen Ländern zu ihrem Organisationswachstum und zu einer größeren Reichweite ihrer Sozialarbeit beigetragen. Aber es sind auch erhebliche Probleme deutlich geworden. Viele Süd-NGOs merken erst spät, auf was sie sich dabei einlassen. Zunächst erscheint ihnen die Zusammenarbeit mit großen öffentlichen Gebern aufgrund der bedeutenden Fördersummen besonders lukrativ. Mit großzügigen Förderbeträgen sind für die Süd-NGOs Hoffnungen verbunden, die Reichweite der eigenen Programme vergrößern zu können. Sie erwarten auch, neue hauptamtliche Mitarbeiter einstellen und besser bezahlen zu können. Das Wachstum ihrer Organisation eröffnet ihnen auch besseren Zugang zu Banken und Versicherungen. Sie verlieren damit aber leicht ihren vermutlichen komparativen Vorteil, nämlich die Flexibilität, die Motivation der Mitarbeiter und das ehrenamtliche Engagement.
Wenn NGOs mit öffentlichen Gebern zusammenarbeiten, sind sie quasi auf Wachstum programmiert. Denn diese fördern bevorzugt Großprojekte. Das ist in der Arbeitsweise öffentlicher Institutionen begründet. Die Betreuung vieler kleiner Projekte würde das Personal der meisten großen Geberorganisationen überfordern und die umfangreichen Antragsverfahren kaum rechtfertigen. Dies begünstigt wiederum große NGOs, die hohe Summen planvoll verwenden können. Das schließlich führt zur Entstehung von Riesen-NGOs mit Jahresbudgets von zwei- bis dreistelligen Millionenbeträgen, wie dies beispielsweise in Bangladesch zu beobachten ist.
Die Ernüchterung bei vielen lokalen NGOs, die auf Großgeber gesetzt hatten, folgte recht bald. Ihre Geduld und ihre finanziellen Mittel waren in den umfangreichen Antragsverfahren schnell aufgebraucht. Öffentliche Geber unterliegen einem größeren öffentlichen Legitimationsdruck bei der Auswahl von Partnern und der Förderung von Projekten. Sie lassen daher vor der Bewilligung einer Finanzierung die Projektanträge von internationalen und nationalen Beratern umfassend prüfen - ein oftmals zeitraubender Prozess, den die lokale NGO leicht unterschätzt und manchmal finanziell nicht überbrücken kann. Dabei werden an die einheimischen Partnerorganisationen höchste Ansprüche in Bezug auf Berichtswesen und Dokumentation gestellt.
Viele lokale NGOs, die bisher nur mit kirchlichen Hilfswerken oder Nord-NGOs zusammengearbeitet haben, sind damit überfordert und können den Anforderungen nur nachkommen, wenn sie sich von Consultants beraten lassen. Wird das Geld schließlich - und häufig mit Verspätung - vom Großgeber genehmigt, stehen beide Seiten unter Druck, die Projektstrukturen um so rascher aufzubauen. Dabei wird die notwendige Sorgfalt etwa bei der Einstellung von Mitarbeitern leicht vernachlässigt. In der Phase der Umsetzung sind viele lokale NGOs mit dem Schreiben von Berichten und der Kommunikation mit Großgebern überfordert. Oftmals wird dann qualifiziertes Personal von der Arbeit mit den Zielgruppen abgezogen, um die Ansprüche der Geber zu bedienen; die Arbeit mit den Zielgruppen wird also vernachlässigt, um den weiteren Mittelzufluss nicht zu gefährden.
Läuft das mehr oder weniger erfolgreiche Projekt schließlich nach nur wenigen Jahren aus, müssen die neu geschaffenen umfangreichen Strukturen meistens wieder abgewickelt werden, denn öffentliche Geber können es sich - anders als eine Nord-NGO - kaum leisten, mit einzelnen NGOs des Südens längerfristige Partnerschaften einzugehen. Schließlich wollen öffentliche Institutionen - ungeachtet der Leistungsfähigkeit des Partners - nicht in den Verdacht der Vorteilsgewährung für einzelne Partnerorganisationen geraten.
In vielen Staaten in Südasien und Lateinamerika gibt es dennoch bereits NGOs mit beachtlichen Kompetenzen, die große Projekte internationaler Geber durchführen. In Bangladesch wird beispielsweise in Anspielung auf die Gruppe der mächtigen Wirtschaftsnationen vom G 7- Phänomen gesprochen, um die Macht einiger Riesen-NGOs zu illustrieren. Die NGO "BRAC", die ihr Kürzel jetzt als Markenzeichen gebraucht (früher hieß sie ausgeschrieben Bangladesh Rural Advancement Committee), etwa verfügt über ein Jahresbudget von über 130 Millionen US-Dollar.
In Afrika sieht die Situation vielerorts anders aus. Zwar sind einige Staaten wie Burkina Faso, Botswana, Kenia, Ruanda, Togo, Senegal und Simbabwe für einen lebendigen NGO-Sektor bekannt, in anderen Ländern wie Tschad, Angola und Republik Kongo-Brazzaville (siehe Kasten) aber gibt es bisher kaum etablierte entwicklungspolitische NGOs.
Weil die Zusammenarbeit mit öffentlichen Gebern bei Großprojekten zeitlich begrenzt und die Mittelverwendung genau definiert ist, müssen NGOs auf andere Weise dafür sorgen, dass sie als funktionsfähige Institutionen erhalten bleiben. Aus Unsicherheit über die Kontinuität der Förderung haben einige Süd-NGOs ihre entwicklungspolitischen Prioritäten zu Gunsten profitträchtiger Geschäfte verschoben, um finanziell von den Gebern unabhängiger zu werden. Dies ist beispielsweise in Bangladesch der NGO BRAC gelungen, die eigentlich die Arbeits- und Ausbildungschancen für die Ärmsten in ländlichen Gebieten verbessern will. Sie betreibt eine Vielzahl profitträchtiger kommerzieller Unternehmungen. Dazu zählen etwa Druckereien, ein Hotelbetrieb, ein Internet-Provider, Legebatterien, Tiefkühlkost-Fertigung, Textilproduktion und die Herstellung von Kunstgewerbeartikeln. Die Steuererleichterungen für gemeinnützige NGOs führen dabei zu Wettbewerbsverzerrungen gegenüber privatwirtschaftlichen Konkurrenten.
Unterhalten die Süd-NGOs aber etwa im Bildungs-oder Gesundheitswesen Dauerstrukturen, wird die Bindung institutioneller Partnerschaften an zeitlich sehr begrenzte Projektmittel besonders problematisch. Das zeigt der Fall der in der Bildungsarbeit zunächst sehr erfolgreichen NGO Gonoshahajjo Sangstha (GSS) in Bangladesch. Die Organisation wurde von einem Geberkonsortium gefördert. Trotz der engen Zusammenarbeit der Geber kam es zu Schwierigkeiten bei der Anschlussfinanzierung der vielen Bildungs- und Aufklärungsprogramme von GSS. Gerüchte um die Person des Direktors führten schließlich zu einem Vertrauensverlust, den die Organisation nicht rückgängig machen konnte. Die Geber verließen das sinkende Schiff. Obwohl achttausend Angestellte heftig protestierten, musste sich die Organisation im Mai 1999 auflösen. Mehr als hunderttausend Schulkinder waren die Leidtragenden.
Die Probleme in der Zusammenarbeit zwischen Großgebern und Süd-NGO wurden lange von der rasant steigenden Nachfrage nach NGO-Partnern im Süden kaschiert. So gelang es vielen Süd-NGOs immer wieder, neue Großprojekte zu akquirieren. Im Namen der Entwicklung dauerhafter Institutionen (institutional sustainability) war in den ersten zehn Jahren die Bereitschaft einiger Großgeber zur Anschlussfinanzierung noch größer. Erst um die Jahrtausendwende, also etwa zehn Jahre nach Beginn des NGO-Booms, setzte die große Ernüchterung bei vielen Süd-NGOs ein. Der Zusammenbruch einer großen Süd-NGO wie Gonoshahajjo Sangstha wird deshalb kein Einzelfall bleiben.
Wie aber sieht es heute in den Partnerschaften zwischen Süd-NGOs und Nord-NGOs aus, den traditionellen Partnern der Süd-NGOs? Sind sie bei den traditionellen Solidaritätsmustern geblieben? Keineswegs. Viele der Nord-NGOs sind inzwischen den großen öffentlichen Gebern in ihren Beziehungen zu den Süd-Partnern sehr ähnlich geworden, weil sie selbst durch Kofinanzierungsabkommen weitgehend an die vertragstechnischen Anforderungen der Großgeber gebunden sind und zur Rationalisierung ihrer Arbeit die finanziellen Volumina ihrer einzelnen Projekte ständig erhöht haben. Den Partnern im Süden wird dann suggeriert, dass die neuen Ansprüche besonders professionell seien. Die Projekte werden größer und umfassender, die Anforderungen an die Antragstellung und ihr Berichtswesen steigen. Den meistem Geberorganisationen und ihren Mitarbeitern mangelt es einerseits an dem Willen und an der Fähigkeit, die eigenen institutionellen Zwänge ihren Partnern in Entwicklungsländern zu vermitteln. Andererseits fehlt es den Organisationen im Norden an institutioneller Flexibilität, ihre (verständlicherweise) hohen verwaltungstechnischen Ansprüche bei Kooperationsvorhaben mit NGOs des Südens zu relativieren.
Ehrenamtliche Mitarbeiter von Kirchen sind mit dieser neuen Professionalisierung oftmals überfordert. Ihre Arbeit wird von den sogenannten Experten immer geringer geschätzt. Das ist eine große Gefahr für die kirchlichen Träger und die NGOs, deren komparativer Vorteil eigentlich genau darin liegt, dass sie im Gegensatz zum Staat und zur Privatwirtschaft ehrenamtliche Mitarbeiter mobilisieren können.
Auch aus den spezifischen vertragstechnischen Ansprüchen der Nord-NGOs - analog zu den großen öffentlichen Geber - entstehen so erstens fragwürdige Förderungskriterien für die Auswahl von Süd-NGOs als Partner und zweitens entwicklungspolitisch unerwünschte institutionelle Anpassungsleistungen von Süd-NGOs, weil letztere die Arbeit mit den Armen vernachlässigen, um mit Hilfe teurer Fachkräfte Dokumentationen und Fortschrittsberichte für die Geber zu schreiben. Solche Fachkräfte sind außerdem in vielen Ländern nur schwer zu bekommen, und sie wären in anderen Aufgaben vielleicht sinnvoller eingesetzt.
Im entwicklungspolitischen Dialog mit ihren Partnern weisen die Geber zwar zurecht darauf hin, dass NGOs infolge der Notwendigkeit der Projektplanung, einer sorgfältigen Buchführung und eines strukturierten Berichtswesens einiges an Managementtechniken lernen können, was ihnen bei der weiteren Arbeit zugute kommen wird. Aber sie gehen angesichts der Qualifikation und Anzahl der Fachkräfte bei ihren Partnern häufig in ihren Anforderungen weit über die Verhältnismäßigkeit hinaus.
Öffentliche Geber sollten ihre Anforderungen an das Berichtswesen deshalb kritisch überdenken und sich Gedanken um alternative Methoden der Erfolgskontrolle machen. Statt umfangreicher schriftlicher Fortschrittsberichte in einer Fremdsprache schreiben zu müssen, könnte eine einheimische NGO ihre Erfolge etwa in einer öffentlichen Veranstaltung mit Beteiligung eines Consultants oder eines Mitarbeiters der Geberorganisation vorstellen. Parallel dazu könnten Studenten einheimischer Universitäten Forschungsvorhaben mit Programmevaluierungen verbinden. Solche Veranstaltungen würden auch dazu beitragen, die Dialogfähigkeit verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, die direkt und indirekt am Projekt beteiligt sind, untereinander zu stärken und die oftmals neidstiftende Exklusivität zwischen der einheimischen NGO und ihrem Geber aufzuweichen.
Immer mehr NGOs im Süden und Norden greifen auf Berater zurück, um aufwändige Projektanträge an große Geber zu erstellen. In den Ministerien und Generaldirektionen der öffentlichen Geber besteht eine Chance auf eine Bewilligung, wenn der Antrag einen guten Eindruck macht, selbst dann, wenn es in Wahrheit um die Motivation und die Leistungsfähigkeit der NGO nicht gut bestellt ist. Das wissen auch die Nord-NGOs und engagieren deshalb gute Berater und Experten für die Antragstellung. An der Fortbildung der lokalen Partner durch kompetente Experten wird jedoch aus Kostengründen gespart. Bei manchen - besonders den von außen finanzierten - Fortschrittskontrollen und Evaluierungen werden die Gutachter außerdem von ihren Auftraggebern dazu angehalten, die "unabhängige Prüfung" mit Trainingsmaßnahmen für die Organisation zu verbinden oder dieser bei der Antragstellung neuer Projektvorhaben behilflich zu sein. Beides verträgt sich schlecht mit einer kritischen und unabhängigen Projektprüfung.
Die Tatsache, dass lokale NGOs häufig nicht die Kapazitäten haben, umfangreiche Mittel planvoll und zügig einzusetzen, und mit Antragstellung und Berichtswesen überfordert sind, hat dazu beigetragen, dass einige Geber von sich aus Dachverbände und Netzwerke von NGOs in Entwicklungsländern aufgebaut oder unterstützt haben - teils mit beträchtlicher finanzieller Förderung. Dahinter steht zwar die Absicht, dass die NGOs ihre Arbeit besser koordinieren, auf der anderen Seite sind aber auch institutionelle Eigeninteressen der Geber damit verbunden. Viele der großen Geber bevorzugen aus vertragstechnischen Gründen, ihre erheblichen Geldsummen über Dachverbände und NGO-Netzwerke in den Empfängerländern zu leiten. So haben sie nur einen Ansprechpartner, der ihnen gegenüber rechenschaftspflichtig ist. Das vereinfacht die Kommunikation und die Verwaltung des Projektes.
Dabei wird zuweilen übersehen, dass einige der Dachverbände und Netzwerke keine sehr transparenten und demokratischen Strukturen aufweisen, dass sie selten eine breite Mitgliederbasis haben und manchmal auch nicht im Interesse einer solchen Basis arbeiten. Ihre Zeit verbringen sie auf Konferenzen, in Workshops und in Meetings mit Geberorganisationen. Kommunikationsfähigkeiten von NGO-Eliten sagen jedoch nur wenig über die Motivation und Leistungsfähigkeit der NGOs und ihrer einfachen Mitarbeiter in Zusammenarbeit mit den Ärmsten aus, zumindest weniger als von Gebern vermutet. Manche Netzwerke entwickeln weit über die Vertretung ihrer Mitglieder hinausreichende Eigeninteressen, andere neigen dazu, politisch Partei zu ergreifen, weil das für die Lobbyarbeit gegenüber der Regierung und den Behörden opportun erscheint. Nur wenige Netzwerke haben ausführliche Statuten, die Rechte und Pflichten der Mitgliedsorganisationen regeln. Ganz wenige schulen ihre Mitglieder-NGOs nach deren Bedürfnissen, um sie zur eigenständigen Durchführung größerer und fachlich anspruchsvollerer Projekte zu befähigen. Die meisten Netzwerke sind stark zentralisiert, sie konzentrieren Personal und Aktivitäten auf die Hauptstadt.
Die Zusammenarbeit mit Netzwerken sollte also nicht dazu dienen, sich leichtfertig der entwicklungspolitischen Verantwortung bei der Zusammenarbeit mit einheimischen Partnerorganisationen zu entziehen. Bevor sie sich solche Dachverbände oder Netzwerke als Partner aussuchen, sollten öffentliche Großgeber internationale und nationale Berater hinzuziehen, die Analysen über solche Netzwerke erstellen und - falls nötig - den Verbänden vorher Schulungen anbieten. Ideenwettbewerbe oder Ausschreibungen wären der bisherigen Praxis der weitgehend freihändigen Projektvergabe vorzuziehen. Statt ein Projektvorhaben nur mit einer einzelnen NGO durchzuführen, sollten offene Trägerstrukturen in Erwägung gezogen werden, die ermöglichen, dass im Verlauf des Projektes neue Partner mit einbezogen werden können. Bei solch einem prozessorientierten Arrangement wäre die finanzielle Förderung für keine NGO garantiert. Ein solches Modell bietet größere Anreize als eine geschlossene Trägerschaft mit einer einzigen Partnerorganisation, die neue Finanzmittel gegen die Vorlage von Projektfortschrittsberichten erhält.
Neuorientierung von GrossgebernMehr Geld direkt an Süd-NGOsDie Europäische Union hat im Juni 2000 in Cotonou mit 77 afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP-Staaten) einen neuen Vertrag über handels-und entwicklungspolitische Zusammenarbeit unterzeichnet. Der Vertrag von Cotonou, der den bisherigen sogenannten Lomé-Verträgen nachfolgt, spiegelt neue Schwerpunkte der Europäischen Union in der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit wider. Aktive Gruppen in der Zivilgesellschaft sollen zukünftig eine stärkere Rolle spielen und am Europäischen Entwicklungsfonds (EEF - aus diesem Fonds außerhalb des EU-Haushalts fließt die den AKP-Staaten zugesagte Hilfe) finanziell stärker beteiligt werden. Sie sollen rund 15 Prozent der pro Land zur Verfügung stehenden Gelder bekommen. Seit Anfang der neunziger Jahre haben besonders die Europäische Kommission, die Weltbank, verschiedene Organisationen der Vereinten Nationen, die britische Entwicklungsbehörde Department for International Development (DFID), die United States Agency for International Development (USAID), die Canadian International Development Agency (CIDA) und die Swiss Agency for Development and Cooperation (SDC) zunehmend die direkte Zusammenarbeit mit NGOs des Südens gesucht und dort viele Großprojekte in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Kleinstkreditwesen sowie Umwelt- und Ressourcenschutz gefördert. Die Weltbank und die verschiedenen Organisationen der Vereinten Nationen beteiligen NGOs vor allem an Entwicklungsfonds und Programmen, die zwar nur mit der Regierung unterzeichnet werden, aber bei einer steigenden Anzahl von Vorhaben eine umfassende Beteiligung von NGOs vorsehen. Die deutsche staatliche Entwicklungszusammenarbeit war aus unterschiedlichen Gründen zurückhaltender bei der direkten Zusammenarbeit mit NGOs im Süden - mit wenigen Ausnahmen: So unterstützt sie etwa über die Kreditanstalt für Wiederaufbau in Bangladesch die NGO BRAC (einst Bangladesh Rural Advancement Committee genannt) und in Indien die NGO Self-Employed Women's Association (SEWA). Die finanzielle Zusammenarbeit ist im Prinzip auf staatliche Garantien angewiesen, der technischen Zusammenarbeit werden in Regierungsverhandlungen bestimmte staatliche Stellen als Partner empfohlen, und die personelle Zusammenarbeit hat über lange Zeit hinweg sehr standardisierte Fortbildungsprogramme angeboten, die der Vielfalt nichtstaatlicher Gruppen und Organisationen wenig Rechnung tragen konnten. Beim Thema Menschenrechte gibt es eine direkte Zusammenarbeit der Europäischen Kommission mit Süd-NGOs möglich. Im Jahr 2001 hat die Europäische Kommission erstmals formal Menschenrechtsprojekte in Entwicklungsländern ausgeschrieben, und Experten haben die Anträge der Bewerber dafür nach einem Punktsystem bewertet. Nur noch in wenigen Fällen werden individuelle Anträge auf Finanzierung von Menschenrechtsprojekten freihändig an Organisationen in Partnerländern vergeben, etwa zu sehr aktuellen Themen, die Schwerpunktbereiche der Europäischen Kommission im entsprechenden Land darstellen. Die Europäische Kommission hat auch in Staaten, in denen die organisierte Zivilgesellschaft bisher keine bedeutende Rolle in der Entwicklungspolitik spielte, größere Vorhaben finanziert, so etwa das Tschad-Projekt Renforcement du Sectuer Associatif dans le Domaine Médico-Social au Tchad (Stärkung des Verbände-Sektors im medizinisch-sozialen Bereich im Tschad). Im Rahmen der neuen Cotonou-Verträge steht die Europäische Kommission vor der schwierigen Aufgabe, auch in Staaten mit noch schwach entwickeltem NGO-Sektor größere Vorhaben mit zivilgesellschaftlichen Organisationen durchzuführen. Berthold Kuhn |
Kongo-BrazzavilleHilfe sucht PartnerDie Europäische Kommission ist einer der wichtigsten Geber beim Wiederaufbau der Republik Kongo-Brazzaville. Zivilgesellschaftliche Organisationen haben dort nach vielen Jahren autoritärer sozialistischer Regierungsführung lange kaum eine Rolle gespielt. Auch in den Jahren des Kalten Krieges erhielt die Republik Kongo von westlichen Gebern - mit Ausnahme Frankreichs - keine nennenswerte Entwicklungshilfe. Geostrategisch ist das Land im Vergleich zu anderen afrikanischen Nachbarstaaten wegen der geringen Größe nicht bedeutend, und die Erdölvorräte wurden erst in den späten achtziger Jahren entdeckt. Nach drei Bürger- und Milizenkriegen will die Europauml;ische Kommission nun eine Vorreiterrolle beim Wiederaufbau des Landes übernehmen und dabei die zivilgesellschaftlichen Kräfte unterstützen. Dabei hat sich die Kommission bemüht, zunächst einen Überblick über die aktiven Gruppen der Zivilgesellschaft zu erhalten, bevor eine Zusammenarbeit mit ausgewählten Partnern vorbereitet wurde. Dafür wurden europaweit Beratungsaufträge ausgeschrieben. Internationale und nationale Berater identifizierten danach zunächst die entwicklungspolitisch orientierten zivilgesellschaftlichen Organisationen des Landes, informierten diese ausführlich über die Möglichkeiten entwicklungspolitischer Partnerschaften mit der Europäischen Kommission und vermittelten Erfahrungen aus anderen afrikanischen Staaten. Anschließend halfen sie der Kommission dabei, jeweils geeignete aktive Gruppen und Organisationen für Projekte in der Infrastruktur (wie Straßen-und Wegebau), in der Bildungsarbeit, dem Gesundheitswesen und bei der sozialen Wiedereingliederung zu identifizieren. Nach den Informationsveranstaltungen und Fortbildungskursen, die die Europäische Kommission angeboten hatte, sehen sich die lokalen NGOs nun in der Lage, die notwendige Buchführung und das Berichtswesen in Eigenregie zu leisten. Wenn das Pilotvorhaben erfolgreich abgeschlossen ist, erwarten sie, sich für weitere Vorhaben mit der Europäischen Kommission im Rahmen des neunten Europäischen Entwicklungsfonds qualifiziert zu haben. Es bleibt zu hoffen, dass die Europäische Kommission und die lokalen NGOs die richtigen Konsequenzen aus vergangenen Erfahrungen schwieriger Partnerschaften zwischen öffentlichen Großgebern und lokalen NGOs ziehen und so beiderseits keine falschen Erwartungen entstehen. Berthold Kuhn |
aus: der überblick 03/2001, Seite 36
AUTOR(EN):
Berthold Kuhn:
Dr. Berthold Kuhn arbeitet als entwicklungspolitischer Berater und Mitbegründer von InnovateCo - Consultants in Partnership GbR besonders für die Europäische Kommission und die GTZ in Asien und Afrika. Er ist als Lehrbeauftragter zu NGO-Themen an verschiedenen deutschen und indischen Universitäten tätig gewesen und habilitiert sich in Leipzig zum Thema Innovation und Entwicklung zwischen Markt und Staat.