Raue Männer auf rauer See
Sie sitzen alle im selben Boot - wettergegerbt, schlecht rasiert, sehnig, die Hände krumm von der Nässe - und ziehen an einem Strang: das Netz aus dem Meer. Sie verlassen sich aufeinander. Jeden Tag. Jeden Tag wieder im Kampf gegen das Meer.
von Eva-Maria Eberle
Jeden Tag in der Hoffnung, dass die Fischgründe genügend Nahrung für die Familien hergeben und dass dann noch etwas bleibt, um es zu verkaufen. Sie sind mutig, eine eingeschworene Mannschaft, stolz auf ihre Lebensweise - nicht jeder legt sich mit den Naturgewalten an. Nicht jeder blickt aufrecht in den Schlund von Scylla und Charybdis. Wenn die Ausrüstung stimmt, auf das eigene Können und das der anderen Verlass ist, fehlt nur noch ein Segen an Bord.
Rund 30 Millionen Menschen leben vom Fischfang: Kleinfischer ebenso wie Hochseefischer, die Besatzungen von großen Fabrikschiffen und Küstenfischer. Das Meer ernährt sie und ihre Familien. Und je weniger sie fangen, desto länger müssen sie unterwegs sein, um genügend Beute zu machen, um so tiefer wird das Wasser, um so gefährlicher die See und um so länger die Reise, die Trennung von der Familie.
Ein hoher Grad an Identifikation mit der Arbeit an Bord ist notwendig, um mit den Gefahren beim Fischfang umgehen zu können, und ein Gefühl der Unabhängigkeit, Freiheit und Selbstverantwortung. Auch wenn es sich um Gesellschaften handelt, die nicht das ganze Jahr über fischen können, weil es die Fischgründe, die Laich- und Wanderungszeiten der Meeresbewohner nicht zulassen, so ist doch das Fischen die Tätigkeit, die sich die Menschen von Fischergemeinschaften als wichtigste Zuschreibung geben.
Harte Arbeit, Gefahr, dem Wind und Wetter ausgesetzt, was soll daran reizvoll sein, noch dazu, wenn der Lebensstandard, den das Fischen mit sich bringt, nicht gerade der höchste ist? Kleinfischer sind kaum erfolgsverwöhnt. Zwar können sie durch die Früchte ihrer Arbeit ihren Bedarf an Eiweiß decken, doch bietet Fisch als Handelsware kaum Aussicht auf Reichtümer.
In Gemeinschaften, die sich überwiegend vom Fischfang ernähren, hat die Bedeutung von Fisch über Geschichten, Überlieferungen und Mythen Eingang in Kultur und Religion gefunden, als sei das Fischen nicht nur eine Art, den Lebensunterhalt zu erwirtschaften, sondern auch eine Lebens- und Anschauungsweise. Und weil sich alles um den Fisch dreht, sind Fischer (verglichen mit anderen Berufsgruppen) flexibel, wann und wo sie arbeiten. Sie nehmen in Kauf, den Wohnort zu verlassen, um den Fischgründen hinterher zu ziehen oder andere Spezies zu jagen, wenn das ein besseres Auskommen verspricht.
Üblicherweise sind Fischer Männer - besonders jene Besatzungsmitglieder, die weiter und auch über längere Zeit aufs Meer hinausfahren. Das hat auch Auswirkungen auf die soziale Organisation an Land. Frauen könnten zwar - ist die Frage, wer die Kinder beaufsichtigt, geklärt - auch an Bord eines Schiffes mitarbeiten, im allgemeinen sind es aber andere Aufgaben, die das Rollenverständnis ihnen zuschreibt: Häufig sammeln sie in Küstennähe im flachen Wasser Muscheln, Krebse oder andere Meeresfrüchte, weniger zum Verkauf als für die eigene Ernährung. Auch wenn auf Fabrikschiffen der Anteil der weiblichen Belegschaft zunimmt, bleiben in den meisten Kleinfischergemeinschaften die Rollen klar verteilt: Frauen organisieren das tägliche (Über)Leben an Land. Zu den wichtigsten Aufgaben gehört dabei der Handel mit dem gefangenen Fisch. Je länger die Männer auf See sind, um so eher sind es die Frauen, die die Organisation der Gemeinschaft in die Hand nehmen, und an Land mehr Verantwortung haben als Frauen anderer Gemeinschaften oder Berufsgruppen und höheres Ansehen genießen.
Zwar kennen die Kleinfischer das Meer oder ihre Fischgründe wie ihre Westentasche, wissen um die Zusammenhänge im Ökosystem, um eine formale Bildung ist es aber meist schlecht bestellt. Vielleicht ist das einer der Gründe, weshalb Fischer in anderen Bevölkerungsgruppen oftmals kein hohes Ansehen genießen, sondern als Mitglieder der Unterschicht angesehen werden. Besonders Kleinfischer werden für rückständig gehalten, gelten als isoliert von der modernen Welt.
Hinzu kommen weitere Vorurteile, Zuschreibungen wie aggressives Verhalten, Schlägereien, Macho-Gehabe und ausgiebiger Alkoholgenuss. Ein Teil dieser Beobachtungen mag schlicht damit zu begründen sein, dass viele der Fischer junge unerfahrene Männer sind, die sich von der Arbeit als Fischer Abenteuer und ein Entwischen vor der sozialen Kontrolle an Land erhoffen.
Noch dazu ist die Lebensweise für Nicht-Fischer ungewohnt: Oft findet die Arbeit nachts statt, ist dreckig und mit strengen Gerüchen verbunden. Sind die Fischer an Land, wirkt es, als hätten sie nichts Besseres zu tun als tagsüber auf der faulen Haut zu liegen, zu trinken und sich keinen Deut um die Gemeinschaft zu scheren. Besonders wenn Fischer längere Zeit auf See sind (für Hochseefischer kann die Reise auf modernen Industrieschiffen mehrere Monate dauern), kann das die soziale Einbindung in die Gemeinschaft an Land erschweren. Gleichzeitig sind auf den Fischerbooten Privatsphäre, soziale Kontakte und Ablenkung sehr begrenzt.
Die Fischerei ist ein unsicheres Geschäft. Nie weiß man, ob eine Ausfahrt einen reichen (oder wenigstens ausreichenden) Fang beschert. Alle Produktionsmittel können in den Tiefen versinken. Die Gefahr, selbst über Bord gespült zu werden, Schiffbruch zu erleiden, rettungslos im Meer zu treiben, bleibt auch für große, mit der neusten Technik ausgerüstete Schiffe, bestehen. Zumal auch die schwere Ausrüstung Gefahren birgt.
Darum gilt der Beruf in Fischergemeinschaften als heldenhaft und ist hoch angesehen. Wegen der großen persönlichen Gefahren und der ökonomischen Unsicherheit haben Fischer oftmals etwas mit Spielern gemein: Sie suchen das Risiko und Abenteuer und brauchen den Nervenkitzel. Diese Heldenhaftigkeit hat auch Einzug gehalten in eine reiche Mythologie. Sie wird in Ritualen beschworen und durch Tabus gefestigt, lebt im Glauben ans Göttliche und Übernatürliche. Je länger die Fischer auf See und je weiter sie vom rettenden Ufer entfernt ihrer Arbeit nachgehen, um so ausgeprägter sind abergläubische Vorstellungen, was an Bord Glück und Unglück bringt.
aus: der überblick 02/2004, Seite 66
AUTOR(EN):
Eva-Maria Eberle:
Eva-Maria Eberle ist Redakteurin beim überblick.
Der Beitrag basiert (unter anderem) auf den Forschungsergebnissen von
James R. McGoodwin, die er in dem Buch "Crisis in the World's Fisheries. People, Problems, and Policies"
zusammengefasst hat.