Schwierige Diplomatie im Verteilungskampf um das kostbare Nass
Lange hat das Arrangement gehalten: Kirgisistan und Tadschikistan versorgen Usbekistan und Kasachstan mit Wasser für den Baumwollanbau und erhalten im Gegenzug fossile Brennstoffe. Doch seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind ernsthafte Konflikte über die Aufteilung der Wasserressourcen entbrannt, und Wassermanagement ist ein hochbrisantes politisches Thema geworden.
von Zainiddin Karaev
Das Ferghana-Tal ist das fruchtbarste und am dichtesten bevölkerte Gebiet Zentralasiens, aufgeteilt zwischen Kirgisistan, Usbekistan und Tadschikistan: Hier leben 20 Prozent der Bevölkerung der gesamten Region. Heute ist das Tal verarmt und seit 1989 Schauplatz vieler gewaltsamer Zwischenfälle. Zu Sowjetzeiten entstand hier ein riesiges Anbaugebiet für Baumwolle. Das damalige Produktionssystem ignorierte die Grenzen zwischen den Republiken. So wurden zum Beispiel in Kirgisistan Wasserreservoirs für die Baumwollbewässerung in Usbekistan gebaut, während kirgisische Baumwolle in Usbekistan entkernt und auf dem Weg dorthin durch Tadschikistan transportiert wurde.
Mit dem Zusammenbruch der UdSSR und der Unabhängigkeit der Republiken wurde diese Arbeitsteilung unterbrochen. Dadurch kam praktisch die Wirtschaft des ganzen Tals zum Erliegen. Große Bevölkerungsteile verarmten, es kam zu sozialen Unruhen. Die Unzufriedenheit ist Nährboden für militante und separatistische Gruppen.
Die Sowjetherrschaft hatte die soziale Struktur, die Wirtschaft und Umwelt in der Region radikal verändert, Modernisierung ebenso wie Zerstörung mit sich gebracht. Eine diese Veränderungen hat heute noch fatale Auswirkungen: die Grenzziehung zwischen den Republiken. Sie erfolgte ohne Rücksicht auf historische oder nationale Gegebenheiten. Große Gruppen einer Nationalität leben heute im Grenzgebiet der Nachbarrepublik, so dass die komplizierten Grenzverhältnisse die politischen Beziehungen belasten und auch die wirtschaftliche Entwicklung erschweren.
Im Ferghana-Tal wird die Lage noch dadurch verkompliziert, dass es kirgisische und tadschikische Enklaven gibt, die nur auf dem Weg über usbekisches Staatsgebiet zu erreichen sind. Und die nördlichen Teile Kirgisistans und Tadschikistans sind die meiste Zeit des Jahres über wegen der Wetter- bzw. Straßenverhältnisse im Gebirge von den südlichen Landesteilen abgeschlossen. Zudem verfolgt Usbekistan seit der Unabhängigkeit 1991 gegenüber seinen Nachbarländern eine Politik der Isolierung. So hat es den Transitverkehr auf den Straßen seines Landes eingeschränkt, weil die Nachbarn angeblich Extremismus exportieren.
Ein zentraler Streitpunkt zwischen den Republiken ist heute die Verfügung über das Wasser. Insgesamt ist Zentralasien eine regenarme, trockene Region. Die Topographie ist allerdings sehr abwechslungsreich: Auf der einen Seite liegen Hochgebirge mit Gletschern, auf der anderen weite und dürre Steppen- und Wüstengebieten. Über 90 Prozent der reichen Wasservorkommen befinden sich in den Bergen von Kirgisistan und Tadschikistan. Die beiden größten Flüsse der Region, der Syrdarja und der Amudarja, entspringen in diesen beiden Ländern, während Usbekistan, das Land mit dem größten Wasserverbrauch, sowie Kasachstan und Turkmenistan flussabwärts gelegen sind.
Als die Region in den sechziger und siebziger Jahren in eine riesige Baumwollplantage verwandelt wurde, stieg der Wasserverbrauch. Der Ausbau und die Modernisierung der Landwirtschaft, die ihren Höhepunkt in den achtziger Jahren fand, führte dazu, dass 83 Prozent des Wassers aus dem Syrdarja und Amudarja entnommen wurden. Im Dienste des Baumwollanbaus wurde ein beeindruckendes Netz an Bewässerungskanälen und -becken konstruiert. Mehr als die Hälfte des Wasserverbrauches geht auf die extreme Spezialisierung der Region auf den Baumwollanbau zurück. So ist die Region zu einem der weltgrößten Baumwollproduzenten aufgestiegen. Die Bewässerung der Felder macht den größten Teil des Wasserverbrauchs aus, nur 10 Prozent gehen auf das Konto der Industrie.
Die Sowjetregierung hatte in den siebziger Jahren in Kirgisistan und Tadschikistan riesige Wasserreservoirs gebaut. Das Toktugul-Staubecken in Kirgisistan zum Beispiel sollte die ganzjährige Bewässerung für den Baumwoll-, Weizen-, Reis-, Obst- und Gemüseanbau in Usbekistan und im südlichen Kasachstan sicherstellen. Auch mehrere gigantische Wasserkraftwerke wurden errichtet. Gegen Ende der 1980er Jahre produzierte die Region etwa 35 Prozent ihres Stroms mit Wasserwerken. Das Energieversorgungsnetz des gesamten Gebietes wurde zu einem einzigen Netz zusammengefasst. Dank dieses Netzes exportierten die stromaufwärts gelegenen Länder im Winter Strom in die Unterliegerstaaten und importierten im Sommer Strom, wenn das Wasser für die Baumwollfelder gebraucht wurde. Die Anweisungen für die Umleitung des Wassers in die Baumwollanbaugebiete in der heißen Jahreszeit kamen direkt aus Moskau, vom Bewässerungsministerium.
Für die Umwelt waren die Folgen dieser Wasserpolitik verheerend. Die beiden größten Flüsse, Amudarja und Syrdarja, wurden fast vollständig umgeleitet, um die Baumwollbewässerung sicherzustellen. Dadurch ist der Aralsees, der von diesen beiden Flüssen gespeist wird, zwischen 1960 und 1990 auf die Hälfte seiner ursprünglichen Fläche geschrumpft und soll in den späten neunziger Jahren 90 Prozent seines Wasservolumens eingebüßt haben.
Bereits gegen Ende der achtziger Jahre, im Vorwege zur Unabhängigkeit, gab es heftige Meinungsverschiedenheiten über die Wasserverteilung sowie die Grenzziehung. Der Konflikt wurde jedoch von Moskau unterdrückt. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde für die Wassernutzung, die zuvor immer ein internes Problem gewesen war, eine internationale Vermittlungstätigkeit unumgänglich. Jeder der heute souveränen Staaten hat nämlich das Konzept der Hoheit über seine natürlichen Ressourcen in der nationalen Verfassung fest verankert. Um Konflikten daraus vorzubeugen, wurde als eine der ersten Amtshandlungen der neuen Staaten 1992 die Zwischenstaatliche Kommission für Wasserkoordinierung eingerichtet.
Die wasserreichen Länder Kirgisistan und Tadschikistan stellen Usbekistan und Kasachstan Wasser zur Verfügung. Letztere sind die Hauptwasserverbraucher und können nur jeweils 14 bzw. 45 Prozent ihres Wasserbedarfes aus eigenen Vorkommen decken. Allein Usbekistan verbraucht die Hälfte des Wassers der Region, davon 90 Prozent für den Bewässerungsfeldbau.
Kirgisistan und Tadschikistan, welche die Kontrolle über das Wasser haben, das in Usbekistan und Kasachstan benötigt wird, betrachten das kostbare Nass als ein Wirtschaftsgut, das sie zu ihrem Nutzen einsetzen können, zumal sie kaum andere Reichtümer haben. Außerdem benötigen sie Wasser, wenn sie mit dessen Hilfe ihren eigenen Strombedarf decken und nicht auf Kohle- und Gaslieferungen aus Usbekistan angewiesen sein wollen. Usbekistan seinerseits hat Kontrolle über Wasser, das in den südlichsten Teil Kasachstans fließt, und hat den Zufluss gelegentlich reduziert und damit unter kasachischen Kleinbauern wütende Proteste hervorgerufen.
Aus all dem ergibt sich ein Pokerspiel, in dem die wichtigsten Trümpfe usbekische Gasvorkommen und kirgisische Wasserressourcen sind. Das relative Kräfteverhältnis verschiebt sich im Jahresverlauf: Im Sommer sind Usbekistan und Kasachstan im Nachteil, wenn sie für die Baumwollpflanzungen große Mengen Wasser benötigen. Im Winter sitzen sie aber am längeren Hebel, wenn sie die kirgisische und tadschikische Bevölkerung mit Gas und Kohle beliefern: Sie können jederzeit die Energieversorgung oder den Straßentransitverkehr beschränken. Die Länder am Oberlauf der Flüsse, können dagegen damit drohen, im Winter ihre Stauseen zu öffnen und dabei ihre Stromturbinen mit voller Kraft laufen zu lassen und die Täler weiter unten zu überfluten. Im Sommer, wenn die Länder am Unterlauf der Flüsse Wasser für ihre Felder benötigen, stünde dann nicht mehr genügend zur Verfügung. Aber Usbekistan und Kasachstan sind militärisch bedeutend stärker als ihre Nachbarn stromaufwärts. Das stärkt auch ihre Verhandlungspositionen.
Meistens gelingt es, Differenzen auf dem Verhandlungswege auszuräumen. Allein Kirgisistan und Usbekistan haben zwischen 1997 und 2004 zehn Verträge über die wechselseitigen Lieferungen unterzeichnet. Trotz vieler Abkommen gibt es aber keine verlässlichen Zusagen. Wähnt sich eines der Länder gerade im Vorteil, kommt es seinen Verpflichtungen nicht nach und versucht, günstigere Bedingungen auszuhandeln. Die politisch Verantwortlichen stehen im Inland unter ständigem Druck besonders von Seiten der Bauern , die jeweiligen Vertragskonditionen zu verbessern.
Auch internationale Faktoren beeinflussen das Kräfteverhältnis zwischen den zentralasiatischen Staaten. Die flussaufwärts gelegenen Staaten Kirgisistan und Tadschikistan sind Verbündete Russlands. Das verleiht ihnen zumindest potenziell zusätzliches Gewicht. Russland hat sich aber bisher nicht in den Wasserstreit eingemischt und wird das wohl auch in Zukunft nicht tun.
Der Druck, den die internationale Gemeinschaft auf alle Länder in der Region ausübt, kommt wiederum den flussabwärtsgelegenen Staaten sehr zupass. Internationale Organisationen wie die Weltbank, die Vereinten Nationen (UN) und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) bieten diesen Ländern Finanzhilfen für die Umstellung der Landwirtschaft auf Produkte mit geringerem Wasserverbrauch als Baumwolle. Dagegen setzen sie die flussaufwärts gelegenen Staaten unter Druck, die Wassermengen so zu regulieren, dass der Aralsee nicht weiter austrocknet.
Seit der Unabhängigkeit verfolgen die flussabwärtsgelegenen Staaten die Strategie, sich mit Energie selbst versorgen zu können, und damit ihre Abhängigkeit von der Wasserkraft aus den Nachbarländern zu verringern. Wasser brauchen sie aber weiterhin für den Baumwolleanbau. In Usbekistan ist die politische Führung zudem eng mit dem Baumwollgeschäft verbunden; der Staatshaushalt und Deviseneinkünfte hängen von der Baumwolle ab. Deshalb hat die Regierung gar kein Interesse an einer Wasser sparenden Reduzierung der Anbaufläche.
Kirgisistan und Tadschikistan wiederum haben sich das Ziel gesetzt, mehr Wasserkraft für sich selbst zu nutzen. Durch den Ausbau von Staubecken wurde die Wassermenge in den Flüssen noch einmal deutlich reduziert. Gleichwohl bleibt die Stadtbevölkerung vor allem im Winter noch in hohem Maße von der Gas- und Kohlelieferungen aus den Nachbarländern abhängig. Kirgisistan und Tadschikistan könnten es sich auch gar nicht leisten, ihre eigene Wasserkraftnutzung so weit auszubauen, dass sie als Folge vertragsbrüchig würden und im Sommer nicht mehr genug Wasser an die flussabwärts gelegenen Staaten liefern könnten. Denn diese könnten ihnen die Transitrouten sperren und damit den Zugang zum Weltmarkt abschneiden. Die Regierungen der stromabwärts gelegenen Staaten hätten dagegen die Bevölkerung auf ihrer Seite, wenn sie mit den Muskeln spielten, um ein Austrocknen durch die Staaten an der Quelle abzuwehren.
Die Vorgeschichte eines Abkommens über die Aufteilung der Wasser- und Energieressourcen, das am 17. März 1998 in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek zwischen den Ländern Kasachstan, Kirgisistan und Usbekistan unterzeichnet wurde, ist beispielhaft für den anhaltenden Wasserkonflikt. 1997 eskalierten die Spannungen zwischen Kirgisistan und Usbekistan, bis usbekisches Militär aufmarschierte und ein Wasserreservoirs auf kirgisischem Staatsgebiet gleich jenseits der Grenze besetzte. Daraufhin verabschiedete Kirgisistan ein Gesetz, das Wasser zum Handelsgut erklärt und Kirgisistans Recht bekräftigt, dieses Gut profitabel zu nutzen. Außerdem drohte das Land damit, Wasser an China zu verkaufen, wenn Usbekistan sich weigern würde, dafür zu bezahlen.
Kurz vor Beginn der Verhandlungen, im Februar 1998, unterbrach Usbekistan seine Gaslieferungen an die wasserreichen Länder Kirgisistan und Tadschikistan. Daraufhin drohte Kirgisistan, so viel Wasser aus dem Toktogul-Stausee abzulassen, dass weite Teile der Baumwollfelder überflutet würden. Kirgisistan und Tadschikistan kündigten außerdem an, dass sie ihre Energieproduktion auf der Basis von Wasserkraft steigern würden, um ihre Abhängigkeit von usbekischen Gaslieferungen zu verringern.
Usbekistan verhandelte nicht mit Tadschikistan. Es nahm einfach an, dass sich Tadschikistan unter Druck gesetzt auch an einen Vertrag halten würde, der ohne seine direkte Beteilung abgeschlossen wurde. Als aber Usbekistan Druck ausübte, indem es Tadschikistans Zugang zu seinem Straßennetz beschränkte und die Gaslieferungen drosselte, reduzierte Tadschikistan mit russischer Unterstützung im Rücken mitten in der heißen Jahreszeit die Wasserzufuhr für Usbekistan. Das wirkte. Im Juni 1998 konnte Tadschikistan dem Vertrag beitreten und bekam nun auch seine Energielieferungen aus Usbekistan garantiert.
Vorerst konnte so ein größerer Konflikt vermieden werden. Es wird aber nicht leicht sein, auf Dauer das Kräftegleichgewicht in diesem Geflecht wechselseitiger Abhängigkeiten zu wahren.
aus: der überblick 01/2006, Seite 44
AUTOR(EN):
Zainiddin Karaev
Zainiddin Karaev hat seinen Master in Politikwissenschaft an der Zentraleuropäischen Universität in Budapest gemacht. Sein besonderes Forschungsinteresse gilt der wirtschaftspolitischen Entwicklung in Tadschikistan und Usbekistan in postkommunistischer Zeit sowie der Politik des Wassermanagements in Zentralasien.