Gleichberechtigung erzielt man nicht allein durch mehr Bildung für Frauen und Mädchen
Entwicklungsprogramme, die lediglich mehr Mädchen den Schulzugang verschaffen, reichen nicht aus, die gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen und Mädchen zu beenden. Dazu ist vielmehr ein Ansatz nötig, der die Beziehungen zwischen den Geschlechtern im Bildungswesen berücksichtigt und auf ein verändertes Rollenverhalten in der Gesamtgesellschaft abzielt.
von Margaret Sutton
Unter dem Motto "Bildung für alle" veranstalteten verschiedene Organe der Vereinten Nationen - UNESCO, UNDP, UNFPA, UNICEF - und die Weltbank 1990 eine Weltkonferenz im thailändischen Jomtien. "Alle" - das bezog sich besonders auf Frauen und Mädchen. Denn zwei Drittel der Kinder, die nicht zur Schule gehen, sind Mädchen, insbesondere in der Dritten Welt. Die Bildung für Mädchen wurde in der "Weltweiten Erklärung für Bildung für alle" von den internationalen Organisationen und den nationalen Regierungen als eine äußerst dringliche Aufgabe bezeichnet. Zwar hatte die UNESCO, die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation, schon in den sechziger und siebziger Jahren Schriften zu diesen Themen veröffentlicht, aber eine umfangreichere programmatische Unterstützung seitens internationaler Institutionen für die Bildung von Mädchen und Frauen setzte erst einige Jahre vor Jomtien ein.
Zwischen 1988 und 1991 hat die US-amerikanischen Hilfsorganisation für Internationale Entwicklung (USAID) drei länderbezogene Programme aufgelegt, die im Laufe der Zeit zu Modellen für die Bildungsförderung von Mädchen in Entwicklungsländern geworden sind. Auch die Weltbank, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) und die UNESCO haben bei der Erweiterung ihrer Programme häufig auf diese Modelle zurückgegriffen. In Guatemala etwa sorgte das Projekt BEST dafür, dass indigene Mädchen eine Grundschule besuchen konnten. Das gelang, weil die Regierung und große Interessengruppen aus dem Privatsektor gemeinsam Stipendien für den Schulbesuch anboten. In Pakistan schlossen im Rahmen des Belutschistan-Projekts Gemeinden mit den Behörden der Zentralregierung Entwicklungsverträge , um Mädchen in die Schule zu schicken. Zu diesem Zweck wurde eine nichtstaatliche Organisation (NGO) gegründet, die heute noch für die Bildung von Mädchen in Pakistan von großer Bedeutung ist. Das GABLE-Projekt in Malawi setzt Theater für Entwicklung ein, um in dörflichen Gemeinden dafür zu werben, Mädchen zur Schule zu schicken.
Inzwischen haben die Mädchen etwas aufgeholt: Auf der Folgekonferenz von Jomtien, die im Jahr 2000 in der senegalesischen Hauptstadt Dakar stattfand, nannte die UNESCO die neuesten Zahlen: In der Zeit von 1990 bis 1999 ist die Zahl der Grundschülerinnen in Afrika von 68 Prozent auf 76 Prozent gestiegen. In Süd-und Westasien konnten sogar 94 Prozent (1990 waren es 78 Prozent) zur Schule gehen. Gerade das waren in der Vergangenheit die Regionen, wo Mädchen beim Schulbesuch stark unterrepräsentiert waren.
Angesichts der stark angestiegenen Schulbesuchsrate fragen sich Beobachter und Experten im Entwicklungseinsatz bereits, ob es noch angemessen sei, weiterhin besonderes Augenmerk auf die Bildung von Mädchen und Frauen zu richten oder ob das nicht zu Lasten des Ziels gehe, bessere Bildung für alle Kinder in der Dritten Welt zu ermöglichen.
Man braucht sich wohl keine Sorgen zu machen, dass Bildungsförderprogramme für Mädchen den Jungen schaden. Die jüngste in mehreren Ländern durchgeführte Untersuchung des zu USAID gehörenden "Zentrums für Entwicklungsinformation und Bewertung" (CDIE) zeigt im Gegenteil, dass solche Programme für Jungen positive Auswirkungen haben. In vier der untersuchten Länder profitierten Jungen mindestens im gleichen Maße wie Mädchen. In Pakistan und Guinea wurde das für Mädchen gedachte Programm, Schulen in näherer Umgebung der Elternhäuser einzurichten, weil die Eltern Mädchen nicht auf lange Schulwege schicken, von mehr Jungen wahrgenommen: Ihre Schulbesuchsrate wuchs stärker als die der Mädchen.
Der Bericht liefert einige plausible Erklärungen für dieses Phänomen. Während die Diskriminierung von Mädchen in allen Gesellschaftsschichten vorkommt, trifft das unzureichende Bildungsangebot des Staates Mädchen und Jungen gleichermaßen, wenn sie aus unterprivilegierten Bevölkerungsschichten, besonders der armen ländlichen Bevölkerung kommen oder einer nationalen Minderheit angehören. Daher dienen Programme, die für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Armen oder für sozial benachteiligte Mädchen entworfen wurden, auch der Bildung von Jungen. In ähnlicher Weise tragen Programme wie das von der UNICEF unterstützte Programm Joyful Learning (Fröhliches Lernen), das die Klassenzimmer "mädchenfreundlicher" machen sollen, zu einer kindgemäßeren Pädagogik bei, von der Jungen genauso profitieren. Daher lässt sich das Argument nicht halten, dass Bildungsförderprogramme unterschiedslos für beide Geschlechter durchgeführt werden müssten, um etwaige nachteilige Auswirkungen auf Jungen und Männer zu vermeiden.
Trotzdem mussten viele Menschen erkennen, dass Anstrengungen, die Bildung von Mädchen zu verbessern, ebenso wie Entwicklungsprojekte für Frauen häufig in den nationalen Bildungsinstitutionen unter "ferner liefen" angesiedelt werden und selten Einfluss auf die für Bildung zuständigen Behörden oder das Bildungsangebot haben. In Nepal, so hat Sibbons beobachtet, werde der Nutzen von Bildungsprogrammen speziell für Mädchen von dortigen Bildungsexperten als "unbedeutend" für Kinder insgesamt angesehen, obwohl diese Programme mit erheblichen Spenden unterstützt wurden. Außerdem führte die Einrichtung einer (spendenfinanzierten) Abteilung für Frauenbildung im nepalesischen Bildungsministerium keineswegs zur Schaffung einer dynamischen Kraft für Veränderung, sondern eher zu einer Marginalisierung von geschlechtsspezifischen Anliegen innerhalb des Ministeriums.
Sind dieses und andere Beispiele Belege für das Argument, Bildungsbelange von Mädchen sollte man besser in breiter angelegte Kampagnen integrieren? Die bescheidene Wirkung von Bildungsprogrammen für Mädchen auf die Haltung von Lehrkräften und auf das Bildungssystem in Nepal führt Sibbon nicht so sehr auf die institutionelle Struktur zurück, sondern auf die männlich dominierte Machtbasis, die das Bildungssystem kontrolliert. In anderen Ländern wie Guinea haben spezielle mit der Bildung von Mädchen befasste Institutionen zu allgemeinen Veränderungen bei den Einstellungen und im Verhalten geführt - und dies ohne die Rückendeckung anderer Institutionen. Gewiss verändern Investitionen in die Bildung von Mädchen nicht über Nacht die unterschiedliche Behandlung der Geschlechter. Denn institutionalisierter Sexismus wird viel schwerer zu überwinden sein als individuell bedingte geschlechtsspezifische Vorurteile. Die bisher begrenzte Wirkung von Bildungsprogrammen für Mädchen (zumindest in Nepal) deutet darauf hin, dass solche Programme langfristig und stärker unterstützt werden müssen.
Gerade weil soziale Geschlechterunterschiede sich so hartnäckig in den meisten Gesellschaften halten und es starken Widerstand gegen einen grundlegenden Wandel gibt, müsste sich die Debatte mehr mit der Frage von Geschlecht und Bildung befassen und nicht nur mit der Bildung für Mädchen und Frauen. Im Zusammenhang mit Entwicklung wird dieser Ansatz bereits verwendet. Gender and Development (GAD) konzentriert sich nicht auf geschlechtsspezifische Fragen an sich, sondern auf Fragen der Beziehungen der Geschlechter untereinander. Das heißt, ein GAD-Ansatz zielt nicht nur auf die Verbesserung des Alltags von Frauen wie die Möglichkeit, höhere Einkommen zu erzielen. GAD versucht darüber hinaus auch zu einem Wandel im Verhältnis der Geschlechter zueinander und bei geschlechtsbezogenen Rollen beizutragen, indem bestehende Formen der Beziehungen von Männern und Frauen zueinander in verschiedenen Gesellschaften in Frage gestellt werden. Bei reinen Bildungsprogrammen für Mädchen gibt es bislang wenig Anzeichen für eine solche Perspektive.
Auch die Kampagnen für die Verbesserung der sozialen Stellung und Bildungsförderung von Mädchen in den von USAID unterstützten Programmen in Malawi, Guatemala und Guinea lassen einen GAD-Ansatz vermissen. Diese Kampagnen haben sich vor allem darauf konzentriert, die Eltern davon zu überzeugen, dass Mädchen bessere Ehefrauen und Mütter sein werden, wenn sie eine Schulbildung erhalten. Die in Malawi durchgeführte interaktive Kampagne hat jedoch deutlich gemacht, dass es zumindest einen Arbeitsbereich gibt, wo ein GAD-Ansatz unbedingt erforderlich ist. Hier geht es um sexuellen Missbrauch von Schülerinnen durch Lehrer und Klassenkameraden. Man hat erkannt, dass sexuelle Belästigung und Ausbeutung Faktoren sind, die die Bildung von Mädchen in einer Reihe von afrikanischen und asiatischen Ländern behindern. Sexuelle Gewalt behindert die Mobilität und das berufliche Vorankommen von Frauen auf der ganzen Welt.
übliche Praktiken sexueller Ausbeutung und Gewalt können nicht verändert werden, wenn sich solche Programme ausschließlich auf Mädchen und Frauen richten. Männliche Einstellungen, Verhaltensweisen und Werte müssen von Männern und Frauen, von Mädchen und Jungen kritisch hinterfragt werden. Das muss sich auch auf die Ausbildung von Lehrern und auf die Bildungsverwaltung auswirken. Bei der Lehrerausbildung hat es lobenswerte Fortschritte bei der Sensibilisierung von Lehrern gegeben. In Indien erfolgte dies durch die UNICEF und in vielen afrikanischen Ländern durch das "Forum für afrikanische Lehrerinnen" (FAWE). Lehrer sollten demnach Mädchen und Jungen unterschiedlich behandeln und über normative geschlechtsspezifische Merkmale und Rollen kritisch nachdenken.
Zwei afrikanische Studenten, mit denen ich an der Universität von Indiana zusammengearbeitet habe, haben einen vielversprechenden Ansatz vorgelegt. Sie schlagen vor, dass Lehrer geschlechtsbezogene Vorurteile in einheimischen Sprichwörtern und Märchen untersuchen sollten. Dies bietet einen vorteilhaften und lebensnahen Einstieg, wie die Menschen eines Kulturkreises die Rollen von Männern und Frauen entwerfen und vorgeben; dazu gehören auch sexuelle Privilegien von Männern.
Wenn Verstoße gegen vorhanden Gesetze, die die sexuellen Beziehungen zwischen Lehrern und Schülerinnen regeln, von der Verwaltung konsequent sanktioniert werden, kann das das Verhalten von Lehrern beeinflussen. Wo solche Gesetze noch fehlen, müssen sie erlassen und durchgesetzt werden. Wie sich in den USA gezeigt hat, ist es möglich, innerhalb einer einzigen Generation die Einstellungen (oder sogar das Verhalten insgesamt) gegenüber sexueller Belästigung und Ausbeutung zu ändern. Was sich die Mächtigen wie selbstverständlich herausnahmen, ist inzwischen ein zu ahndendes Vergehen geworden.
In den Bildungsprogrammen ein kritisches Bewusstsein für die Beziehungen der Geschlechter untereinander zu fördern, kann mittelfristig zu Veränderungen in der Kultur der Schulen führen. Sie können die Verurteilung und Bestrafung gewalttätigen sexuellen Verhaltens einschließen.
Natürlich kann man sagen, dass sich in den Kulturen an Schulen eher verbreitete Werte widerspiegeln, als dass sie zu deren Wandel beitragen können. Gerade deshalb sollte man in der Bildung die Argumente für einen GAD-Ansatz ernst nehmen. Schließlich geht es dabei um die Gesamtheit sozialer Organisation, des wirtschaftlichen und politischen Lebens. Spendenfinanzierte Programme zur Förderung der Schulbildung von Mädchen und allgemeine Bildungsförderkampagnen gleichermaßen haben einer solchen umfassende Perspektive stets widerstanden. Und es zeigt sich an nach wie vor bestehenden Bildungsbarrieren für Mädchen, dass die soziale, politische und wirtschaftliche Diskriminierung von Frauen auch die größten Anstrengungen zur Förderung der Bildung von Mädchen zunichte machen kann.
Wer für die Förderung der Schulbildung von Mädchen eintritt, muss über den Bildungssektor hinausgehen, um geschlechtsbezogene und andere Diskriminierung aus der Gesellschaft insgesamt zu verbannen. Wenigstens innerhalb des Bildungssektors kann man sich für umfassende Veränderungen in den zwischengeschlechtlichen Beziehungen einsetzen. Hier sind zwei Ansätze denkbar. Zunächst sollten diejenigen, die mit der Ausarbeitung und Umsetzung von Bildungsprogrammen befasst sind, Aktivistinnen und feministische Organisationen auffordern, sich stärker an der Ausarbeitung der Programme zu beteiligen. Der andere Weg zu einer gesamtgesellschaftlichen Förderung der Bildung für Mädchen besteht darin, einen auf das ganze Leben bezogenen Ansatz zu wählen. Dadurch wird die Ausbildung verbessert. In einer Studie haben Kurz und Prather 1995 die sich verändernden Bildungs-und Gesundheitsbedürfnisse von Mädchen und Frauen im Laufe ihres Lebens sehr gut skizziert. Leider hat das wenig Einfluss auf die Gestaltung von spendenfinanzierten Förderprogrammen für ihre Schulbildung gehabt. Stattdessen drehte sich die Diskussion eher darum, welche Bildungsphase unterstützt werden sollte, die frühe Kindheit, Grundschulbildung, weiterführende Bildung oder Hochschulbildung? Oder Grundlagen der Erwachsenenbildung? Auch wenn es die Möglichkeiten eines einzelnen Spenders übersteigt, die Gleichheit der Geschlechter auf allen Bildungsstufen zu fördern, sollte unbestritten sein, dass dies auf allen Stufen geschehen muss. Warum sollte ein zwölfjähriges Mädchen, das arbeiten und Geld verdienen könnte, die Grundschule abschließen, wenn es kaum darauf hoffen kann, eine weiterführende Bildung zu erhalten?
Die fast ausschließliche Konzentration auf die Grundbildung von Mädchen und Frauen - sei es mit Grundschulbildung, alternativen informellen Bildungsprogrammen oder Alphabetisierungsprogrammen - ist ein Fehler. Eine gute Ausbildung führt dazu, mehr wissen zu wollen. Diejenigen von uns, die sich darum bemühen, dass alle Mädchen eine Grundschulausbildung erhalten können, müssen gleichzeitig Bemühungen unterstützen, ihnen den Zugang zu weiterführender Bildung und zur Hochschulbildung zu ermöglichen und ihnen weitere Optionen auf informelle Bildungsangebote zu eröffnen. Ohne Rollenmodelle für gebildete Frauen werden nur Mädchen mit der lebhaftesten Phantasie sich eine solche Zukunft vorstellen können und die nötige Motivation aufbringen, um nach einem höheren Bildungsniveau zu streben. Ohne wirkliche Beschäftigungsmöglichkeiten, politisches Engagement und soziale Anleitung treffen Mädchen und junge Frauen - ganz zu schweigen von ihren Eltern - eine höchst realistische Wahl, wenn sie sich nach Erhalt einer minimalen Schulbildung aus dem Bildungssystem verabschieden, um zum Unterhalt des Haushaltes beizutragen oder in den informellen Arbeitsmarkt wechseln.
Dieser Ansatz zur Schulbildung von Mädchen über den ganzen Lebenszyklus hinweg ist Teil eines allgemeinen strategischen geschlechtsbezogenen Ansatzes. Ich benutze den Begriff strategisch bewusst und unter Bezug auf die von Maxine Molyneux vorgenommene Unterscheidung von "praktischen" und "strategischen" geschlechtsrelevanten Interessen. Molyneux unterscheidet einerseits zwischen Notwendigkeiten des täglichen Überlebens, die in Zusammenhang mit Geschlechterrollen stehen und die sie als "praktische geschlechtsrelevante Interessen" bezeichnet, und andererseits Notwendigkeiten, die nur durch eine Veränderung der Beziehungen der Geschlechter zueinander erfüllt werden können. Letztere bezeichnet sie als "strategische geschlechtsrelevante Interessen". Wenn eine Frau auf dem Land sauberes Wasser haben will - nicht nur lebensnotwendig für sie selbst, sondern für ihren gesamten Haushalt - dann ist das ein praktisches geschlechtsrelevantes Interesse. Ein strategisches geschlechtsrelevantes Interesse wäre hingegen die Neuverteilung von Tätigkeiten im Haushalt unter den männlichen und weiblichen Haushaltsangehörigen, so dass die Frau und Mutter nicht 24 Stunden am Tag arbeiten muss, um die Grundbedürfnisse zu befriedigen.
Was wäre, wenn Bildungsexperten bei der Förderung der Schulbildung von Mädchen sich auch um strategische geschlechtsrelevante Interessen kümmerten? Es bedeutete unter anderem, eine große Zahl von Frauen über das Grundschulniveau hinaus auszubilden, damit sie in modernen Gesellschaften hochqualifizierte berufliche Funktionen und Führungspositionen wahrnehmen könnten. Wenn durch Bildung strategische Interessen der Frauen erfüllt werden sollen, dann gehört dazu auch eine grundlegende Überprüfung und Kritik der Lehrpläne und der Pädagogik.
Es ist also mehr Engagement nötig, die strategischen geschlechtsrelevanten Interessen von Mädchen und Jungen, von Frauen und Männern jeweils in Frage zu stellen und auf einander abzustimmen. Für viele Bildungsexperten ist dies eine unangenehme Aufgabe, da sie der bürokratischen Kontrolle - ein Hauptmerkmal staatlicher Bildungssysteme - und der meist konservativen Rolle der Schule als kultureller Vermittler entgegensteht. Doch die gegenwärtige moralische Aufgabe, alle Kinder zu bilden, kann nicht erfüllt werden, wenn wir vor solchen Herausforderungen zurückschrecken. Wenn der GAD-Ansatz ernst genommen wird, bedeutet Entwicklung einen komplexen Prozess, zu dem der soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Fortschritt von Individuen und der Gesellschaft insgesamt gehört. Wie könnten wir uns als Bildungsexperten und Förderer der allgemeinen Schulbildung mit weniger zufrieden geben?
Literatur
Maxine Molyneux: Mobilization Without Emancipation? Women s InterestsState and Revolution in Nicaragua. In: Feminist Studies, Volume 11, Number 2, 1985
Kathleen M. Kurz und Cynthia J. Prather: Improving the Quality of Life of Girls. New York 1995
Mo Sibbons: From WID to GAD: Experiences of Education in Nepal. In: Christine Heward, C. (Hrsg.): Gender, Education and Empowerment: Beyond Access to Empowerment. London 1999
Nelly P. Stromquist u.a.: Improving Girls' Education in Guatemala. (Impact Evaluation). Center for Development Information and Evaluation, USAID, Washington, D.C. 1999
Margaret Sutton und Karen Tietjen: Promoting Primary Education for Girls in Guinea. (Impact Evaluation). Center for Development Information and Evaluation, USAID, Washington, D.C. 2000
Rollenbilder in LesothoLesen oder Viehhüten?Ein richtiger Mann ist in Lesotho nur, wer Hirtenjunge war, die Initiation erfolgreich hinter sich gebracht und im benachbarten Südafrika in den Minen gearbeitet hat. Zu lernen, wie man mit Tieren umgeht, wird als lebensnotwendig erachtet. Die Schulbank zu drücken, gehört nicht zu den erstrebenswerten Dingen. Eva-Maria Eberle Dass Schulbildung Mädchensache ist, zeigt auch die Statistik. Frauen sind im Schnitt besser ausgebildet. Schon in die Grundschule werden zwei Prozent mehr Mädchen als Jungen geschickt, bei weiterführenden Lehranstalten sind es sogar 10 Prozent. Die fünfte Klasse schließen 16 Prozent mehr Schülerinnen als Schüler ab. Auch beim Schulerfolg liegen Mädchen vorn: Sie gehen im Schnitt 10 Jahre zur Schule und bleiben weniger häufig sitzen als Jungen. Sogar an der Universität erreichen mehr Studentinnen den Abschluss. So stehen die jungen Frauen gut da: Fast 99 Prozent können lesen und schreiben, während lediglich 83 Prozent der Männer der gleichen Altersstufe (15 bis 24 Jahren) über diese Fertigkeiten verfügen. Auch im afrikanischen Vergleich liegen sie vorn (mit 27 Prozent über dem Mittel, 18 Prozent über dem Durchschnitt aller Entwicklungsländer und nur 0,2 Prozent unter dem Mittel der Industriestaaten), während die gleichaltrigen Männer nur den afrikanischen Durchschnitt erreichen. Doch die gute Ausbildung nützt der weiblichen Bevölkerung wenig, im Berufsleben bleibt sie benachteiligt. Nicht die Frauen besetzen die Führungspositionen. Gerade in Politik und im Staatsdienst sind sie kaum vertreten. Nur in Gewerkschaften, Arbeitgeber-Organisationen und nichtstaatlichen Organisationen (NGO) stellen sie mehr als dreißig Prozent. Gesetzlich sind sie sogar von ihren Ehemännern abhängig; sie können nur mit der Unterschrift ihrer Männer einen Pass beantragen oder einen Kredit aufnehmen - das Absurde der Situation ist, dass viele der Frauen ihren Männern die Anträge vorlesen müssen, weil diese nicht lesen können. Die Erziehungswissenschaftlerin Matseliso Mapetla von der Universität Lesotho erklärt das Bildungsgefälle nicht allein mit der Männerrolle: Männer wollen zwar ihre Machtpositionen nur ungern mit Frauen teilen. Aber auch das Rollenverständnis der Frauen trage zu der ungleichen Verteilung zwischen Bildungsstand und Führungspositionen bei. So seien die Mädchen zwar ehrgeizig, einen Beruf zu erlernen und dadurch finanziell unabhängig zu werden. Doch verzichten einige lieber auf eine gute Stellung als ihre Aufgabe als Hausfrau zu vernachlässigen. Hinzu komme, so Mapetla, die auch Gender-Beauftragte der Instituts für südafrikanische Studien (ISAS) ist, dass die jungen Frauen von sich aus Studienfächer wählen, die der gesellschaftlich akzeptierten Rolle als Frau entsprechen: Sie werden Krankenschwestern, Lehrerinnen oder Hauswirtschaftlerinnen. Zudem nehmen sie selten an Fortbildungen teil, die Führungsqualitäten vermitteln und auf Leitungsaufgaben vorbereiten. Gemeinsam mit den anderen Ländern der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC) will Lesotho Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass bis zum Jahr 2005 Frauen mindestens 30 Prozent der Entscheidungsträger in allen Bereichen stellen. Gegen das Bildungsgefälle hat die lesothische Regierung im Jahr 2000 kostenlose Grundschulbildung für alle eingeführt. Dafür setzen sich besonders NGOs und das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF), das ein Alphabetisierungsprogramm hauptsächlich für Vieh hütende Jungen anbietet, ein. Die Fern- oder Abendkurse sollen den Hirten helfen, dass sie diese Form der Kinderarbeit nicht mehr ausüben müssen. Denn in den abgelegenen Gebieten ist die Arbeit geprägt von Einsamkeit und wegen der vielen bewaffneten Viehdiebstähle für die Kinder gefährlich. Dass der Bildungsunterschied zwischen Jungen und Mädchen kleiner wird (von 20 Prozent vor 10 Jahren ist er im Jahr 2000 auf 16 Prozent gesunken), liegt aber weniger an den Kampagnen von Regierung und NGOs als an der wirtschaftlichen Lage in Lesotho. Immer weniger Männer finden Arbeit in den Minen. Die Arbeitslosigkeit wächst, die Armut nimmt zu und der Viehbestand sinkt. Für die Mädchen bedeutet das, dass ihr Bildungsvorsprung verschwindet. Für die Jungen, dass sie Zeit haben, in die Schule zu gehen. Wenn zwei von drei Bedingungen, wie man ein Mann wird, kaum noch zu erfüllen sind, und gut bezahlte Arbeit nur über eine solide Ausbildung zu finden ist, wird sich das Rollenbild wohl anpassen. Dieser Artikel beruht auf Informationen der Neue Zürcher Zeitung |
aus: der überblick 04/2002, Seite 42
AUTOR(EN):
Margaret Sutton:
Margaret Sutton ist Assistant Professor an der "W. W. Wright School of Education" der Indiana University.