Ein altes Gewerbe mit moderner Ausrüstung
Als Li, ein Bauer in Sichuan, die Erde an seinen Obstbäumen auflockerte, lugte plötzlich ein seltsamer grüner Ziegelstein mit zierlich eingekerbtem Muster aus dem Boden. Li grub weiter und stieß auf die Wölbung eines Grabes. Darin lagen nicht nur Knochen, sondern er fand auch eine Tierstatue aus Bronze und alte Münzen.
von Jutta Lietsch
Mit dem Fund im 500-Seelen-Dorf Bieli Anfang dieses Jahres begann eine große Schatzsuche: Kaum hatten die Nachbarn von Lis Glück gehört, machten sie sich ebenfalls daran, ihre Felder und die Obstgärten an den Hügeln der Umgebung zu durchpflügen. Aus fast 50 antiken Grabstätten, in denen vor zweitausend Jahren vermutlich hohe Mandarine und wohlhabende Kaufleute bestattet worden waren, klaubten die Dörfler in den nächsten zwei Monaten Ornamente aus Gold, Silber und Jade sowie bronzene Haushaltsgegenstände.
Schon tauchten die ersten Händler auf, die reiche Beute witterten. Als die Polizei kam, war es zu spät. "Tausende historischer Relikte sind gestohlen worden", klagten chinesische Zeitungen. Wertvolle Indizien für das Leben in alter Zeit gingen Forschern verloren.
Hoffnung, die geraubten Schätze wiederzufinden, besteht kaum. Grabplünderei ist in China längst zu einem lukrativen Zweig des international organisierten Verbrechens geworden. Nachweise über die Herkunft von Antiquitäten sind selten überprüfbar.
"Das ist ein ganz heißer Dauerbrenner", sagt eine deutsche Forscherin, die sich oft in China aufhält. Sie selbst erlebte nach einem Besuch einer Gruppe von Archäologen an einer vermuteten Fundstätte, wie Anwohner schon am nächsten Tag anrückten und eilig nach alten Stücken gruben.
"Immer schlimmer" wird das Problem, klagt Xie Zhensheng von der Chinesischen Gesellschaft für Kulturschätze. Über kriminelle Banden finden mittlerweile wertvolle Keramikfiguren, Bronzekrüge oder goldener Schmuck ihren Weg in die feinen Antiquitätengeschäfte von Hongkong oder Tokio. Andere landen in den Vitrinen und Tresoren von Privatsammlern.
Grabraub ist - in China wie im Rest der Welt - freilich kein neues Phänomen. Weil die Chinesen glaubten, sie würden nach ihrem Tode weiterleben, nahmen sie wertvolle Dinge (und nicht selten auch Ehefrauen und Konkubinen) mit in die Gruft. Nicht ohne Grund ließen damals reiche und mächtige Männer ihre Totenpaläste durch Falltüren und andere ausgeklügelte Vorrichtungen schützen. Zuweilen tötete man die Konstrukteure der Anlagen, damit sie die geheimen Zugänge nicht verraten konnten.
Diebe schreckte dies allerdings nicht ab. Archäologen stoßen bei ihren Ausgrabungen fast immer auf Anzeichen von Plünderungen. Museen in der ganzen Welt sind voller gestohlener chinesischer Antiquitäten. Nach einem Bericht des Wochenmagazins Shenghuo liegen in den Ausstellungshallen und Magazinen 1,63 Millionen Kulturschätze. Viele waren Grabbeigaben, die Kaisern, Konkubinen und Kaufleuten das Leben im Jenseits erleichtern sollten.
In den letzten Jahren hat die Pekinger Regierung versucht, wertvolle Artefakte aus dem Ausland zurückzubekommen. Mittlerweile bieten finanzkräftige chinesische Firmen wie etwa der Rüstungskonzern Poly-Group schon mal bei Auktionen mit, um begehrte Antiquitäten in die Heimat zurückzuholen.
Wie professionell das Geschäft inzwischen organisiert ist, erlebte ein Shenghuo-Reporter, als er im Januar dieses Jahres in die Nordwestprovinz Shaanxi reiste. Dort, in der Region des Gelben Flusses, an den Ursprüngen der chinesischen Kultur, war kurz zuvor eine mehr als 2000 Jahre alte Nebenkammer des Grabs von Liu Bang, dem ersten Kaiser der westlichen Han-Dynastie, ausgeraubt worden. Um den Ort Xianyang liegen zahlreiche andere Gräber von hohen Würdenträgern aus neun Generationen der westlichen Han-Dynastie verstreut. Allein das Grab Liu Bangs hatte 63 Nebengelasse.
Ruhig und fast verlassen lag die Landschaft am Tage da. Als die Dunkelheit fiel, wandelte sich das Bild: Schatzsucher aus allen Ecken von Shaanxi, sogar aus der Nachbarprovinz Henan, tauchten plötzlich auf. Nicht nur einfache Bauern mit Schaufel und Hacke, sondern auch professionelle Grabräuber machten sich mit Sonden, Nachtsichtgeräten und Sprengstoff an die Arbeit.
Zwar versucht die Pekinger Regierung seit einigen Jahren, gegen solche Beutejäger mit aller Härte vorzugehen. Mitte April wurden zum Beispiel in der Nordostprovinz Jilin drei Männer hingerichtet, die zwischen 1997 und 2000 mehrere Gräber ausgeraubt und ihre Beute an einen Händler in Südkorea verkauft hatten. Aber die Todesstrafe schreckt kaum jemanden davon ab, sein Glück zu versuchen. Im Gegenteil: Bestechliche Polizisten und Beamte sind oft mit den Ganoven im Bunde. So war es wohl auch in Xianyang. 700 Beamte seien allein für den Schutz von Kulturschätzen abgeordnet, berichtet Zhang Minsheng vom Denkmalsamt. Und doch sei es nicht gelungen, die Räuber vom Buddeln abzuhalten.
Grabräuber benötigen mittlerweile nicht mehr als fünf Tage, um Fundstellen genau auszumachen. Mit Sprengstoff entfernen sie dann die Bodendecke. Später setzen sie Infrarotdetektoren ein, um die Grabkammern innerhalb weniger Stunden auszuräumen. Wer den Verbrechern in die Quere kommt, wird mit Schüssen vertrieben. Über Satellitentelefon erfahren die Auftraggeber in Hongkong, Paris oder Seoul noch vom Tatort, welche Schätze gehoben wurden.
Immer häufiger sitzen die Liebhaber der alten Stücke gar nicht so weit entfernt. Auch die neue chinesische Oberschicht zwischen Peking, Shanghai und Kanton sammelt inzwischen edle Artefakte. "In der Provinz Shaanxi besitzen alle hohen Beamten vom Abteilungsleiter aufwärts einige dieser Kulturschätze", erzählt ein Antiquitätenhändler dem Reporter von Shenghuo.
Auch für einfache Bauern wie den Sichuaner Li bleibt die Grabräuberei daher ein überaus verlockendes Abenteuer. Für eine einzelne Figur, für die Experten Millionen hinblättern, erhalten sie zwar höchstens einige Tausend Yuan (einige Hundert Euro). Doch das ist mehr, als sie mit der Feldarbeit in Jahren verdienen.
aus: der überblick 02/2003, Seite 100
AUTOR(EN):
Jutta Lietsch:
Jutta Lietsch ist freie Journalistin und lebt als Auslandskorrespondentin in Peking, Volksrepublik China.