Liberia hat einen Schritt Richtung Frieden getan
Die ersten Wahlen in Liberia nach dem Bürgerkrieg sind weitgehend frei und fair verlaufen. Die Wahlbeobachtung, nicht zuletzt unter Beteiligung von Kirchen, hat dazu beigetragen. Ob der Urnengang den Beginn eines dauerhaften Neuaufbaus markiert, hängt aber davon ab, ob die Staatengemeinschaft diesen weiter dauerhaft unterstützt.
von Uwe Kerkow
Dominique K. Henna ist zufrieden. Das ist die erste richtige Wahl in Liberia, stellt er Nachdruck fest. Es ist Sonntag, der 9. Oktober ein verregneter Morgen. Doch das hat Herrn Henna nicht davon abgehalten, zum Gottesdienst in die Neuapostolische Kirche in Kakata zu kommen, das etwa 60 Kilometer nordwestlich von der Hauptstadt Monrovia liegt. Henna ist jetzt 77 Jahre alt ein wahrhaft biblisches Alter in dem westafrikanischen Land, wo wechselnde Kriegsherren von 1989 bis 2003 einen blutigen Bürgerkrieg geführt haben. Wir, die Zivilisten, hatten immer am meisten zu leiden, fügt Henna hinzu, und aus seinem Munde klingt das nicht wie eine jener Floskeln, die man schon zu oft gehört hat.
Nach und nach versammelt sich die Gemeinde in dem grauen, aber nicht wirklich unansehnlichen Kirchenbau. Eine gewisse Nervosität ist nach wie vor zu spüren, doch die Hoffnung auf einen Neuanfang überwiegt. Noch zwei Tage bis D-Day, erinnert der Pastor seine Gemeinde nach der Predigt und meint damit den Wahltag am Dienstag, den 11. Oktober. Er wirbt nebenbei allerdings auch für einen lokalen Kandidaten, der seiner Meinung nach gewählt werden sollte, weil er einer von unseren Leuten ist.
Drei Tage zuvor hatte der Liberianische Kirchenrat (Liberian Council of Churches, LCC) in der etwa 60 Kilometer entfernten Hauptstadt Monrovia einen Orientierungsworkshop für die gerade eingetroffenen internationalen Gäste abgehalten, für Wahlbeobachter aus den USA, Schweden, Finnland und Deutschland. Zwei Kollegen aus Sierra Leone und weitere Vertreter von westafrikanischen und internationalen Kirchenorganisationen auch vom Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) werden noch erwartet. Von Seiten der liberianischen Kirchen sind eine ganze Reihe hochrangiger Vertreter anwesend, darunter fünf Bischöfe und der Generalsekretär des LCC. Die Atmosphäre ist professionell und die Gastgeber wissen genau, was sie von den Neuankömmlingen wollen.
Dass der LCC so gut vorbereitet ist, kann nicht verwundern. Schließlich haben er und seine Mitgliedskirchen in den letzten Monaten bereits eine breit angelegte Aufklärungskampagne für die Wähler und Wählerinnen durchgeführt. Darüber hinaus haben sie rund 400 lokale Wahlbeobachter ausgebildet, die jetzt auf Wahllokale in sieben der insgesamt 16 Provinzen des Landes verteilt werden. Diese Arbeit hat der EED über die Gemeinschaft der Christenräte und Kirchen in Westafrika (Fellowship of Christian Councils and Churches in West Africa, FECCIWA) finanziell unterstützt. So kann der LCC den Urnengang in immerhin etwa 13 Prozent der 3070 Wahllokale beobachten, in denen die 1,3 Millionen registrierten Wahlberechtigten über einen Präsidenten sowie die Zusammensetzung des Senats und des Repräsentantenhauses entscheiden.
Welche Bedeutung das Informationsbüro der Vereinten Nation (UN) und die Nationale Wahlkommission (National Electoral Commission, NEC) den Kirchen beimessen, wird während des Vorbereitungsworkshops ebenfalls deutlich. Der Vertreter des UN-Büros erklärt, bis zu vier Fünftel seines Informationsmaterials habe er den Kirchen überlassen in der Hoffnung, dass diese ihre vergleichsweise gute Infrastruktur dazu nutzten, die Wähler bis zum letzten Tag unparteiisch zu informieren und motivieren. Schließlich verteilt der Vertreter der NEC ganze Packen eines einfach gehaltenen, kurzen Informationsbulletins mit der Bitte, dieses am Sonntag in den Kirchen zu verlesen. Etwa 80 Prozent aller Liberianer sind Christen. Nur die Radiostation der über 15.000 Mann starken UN-Friedenstruppe, UNMIL-Radio, das auf Kurzwelle und UKW sendet, hat eine vergleichbare Reichweite wie die Kirchen.
Am Sonntag sind dann fast alle 18 internationalen Wahlbeobachter des LCC an ihren Einsatzorten angekommen. Sie haben sich entschieden, den Gottesdienst in verschiedenen Kirchen zu feiern, um mehr von der Stimmung auffangen zu können und um zu prüfen, ob das Bulletin der NEC wirklich verlesen wird. Bei den Lutheranern in Kakata übernimmt der Pastor diese Aufgabe. In der Neuapostolischen Kirche bittet der Geistliche den ausländischen Gast, ein paar Worte zur Wahl zu sagen. Der greift zunächst das biblische Motiv von Jakob und Esau auf und mahnt, das derjenige, der seine Stimme verkauft, sein Geburtsrecht veräußert. Alle nicken ja, dieses Bild kennen sie. Dann erklärt er noch einmal das technische Prozedere des Wahlvorgangs. Wieder hören alle gebannt zu. Das mag verwundern, denn in dieser Kleinstadt sollten mittlerweile alle hinreichend informiert sein. Aber in einem Land mit einer Analphabetenrate von etwa 75 Prozent stellen schon die drei großen, langen Stimmzettel mit den vielen Kandidaten vor allem ältere Wählerinnen und Wähler vor große Probleme.
Insgesamt sind die beiden letzten Tage vor dem wichtigen Ereignis von gespannter Ruhe geprägt. Alle Parteien halten sich an die Vorschriften der NEC und veranstalten keine Wahlkundgebungen mehr. Sogar die zum Teil aufgeregten politischen Diskussionen der letzten Tage verstummen nach und nach. Offensichtlich will niemand die erfolgreiche Durchführung der Wahlen im letzten Moment gefährden.
Diesen Eindruck bestätigten die Liberianer am Morgen des 11. Oktober auf imponierende Weise: Schon vor dem Morgengrauen haben sich viele in langen Schlangen vor den Wahllokalen eingefunden und warten diszipliniert auf deren Öffnung. Auch dort, wo keine UN-Soldaten für Ordnung sorgen, gibt es keine Schwierigkeiten. Das ist mehr, als ich erwartet habe, viel mehr, versichert der lutherische Bischof Tom Barnett aus Sierra Leone, der auch Präsident des dortigen Kirchenrates ist. Sein Urteil steht abends bereits fest: Alles, was ich gesehen habe, deutet auf eine gut vorbereitete, faire und freie Wahl hin. Er fügt hinzu: Egal, wer diese Wahl schließlich gewinnt wenn Liberia diesen Weg weiter geht, können auch wir in Sierra Leone bald wieder ruhiger schlafen.
Lange war das Nachbarland eine Quelle der Unsicherheit für Sierra Leone gewesen: Liberias früherer Präsident Charles Taylor, der heute im nigerianischen Exil lebt, hatte Rebellen in Sierra Leone unterstützt und seine Milizen dort eingesetzt, unter anderem, um sich der dortigen Diamantenminen zu bemächtigen. Das internationale Kriegsverbrechertribunal in Sierra Leone hat Haftbefehl gegen ihn erlassen und strengt ein Auslieferungsverfahren an.
Für einige Tage schien der Frieden wieder gefährdet. Denn der frühere Fußballprofi George Opong Weah - im ersten Wahlgang noch führend - verlor die Stichwahl. Seine Kontrahentin Ellen Johnson-Sirleaf mit ihren guten Kontakten in die USA erhielt 59, Weah nur 40 Prozent der Stimmen. Weah sprach von Betrügereien zugunsten seiner Gegnerin. Seine überwiegend jugendlichen und wenig gebildeten Anhänger protestierten und randalierten in den Straßen Monrovias und konnten nur durch das Eingreifen von UN-Truppen am Eindringen in die amerikanische Botschaft gehindert werden.
Inzwischen hat sich die Lage weitgehend beruhigt. Die internationalen Wahlbeobachter haben auch die Stichwahl für weitgehend frei und fair bezeichnet. So verfügt die Gewinnerin über eine solide demokratische Legitimation und kann der internationalen Gemeinschaft als rechtmäßige Verhandlungspartnerin gegenübertreten. Dass die Geber Vertrauen in die Zukunft des Landes zeigen, ist für Liberia lebenswichtig. Denn der Wiederaufbau des Landes erfordert erhebliche Investitionen.
Der EED gehört zu den Organisationen, die Zeichen setzen, wenn es um die Zukunft des Landes geht. Neben der oben erwähnten Unterstützung des LCC arbeitet er mit einer ganzen Reihe von kirchlichen und nichtkirchlichen Partnern in Liberia zusammen. Zu den wichtigsten gehören die christliche Gesundheitsvereinigung Liberias, die unter anderem Trauma- und Versöhnungsarbeit leistet, ein Zentrum für Berufsausbildung, das ein Programm für Kriegsopfer aufgelegt hat, die lutherische Kirche in Liberia sowie der Lutherische Entwicklungsdienst, der Gemeindeentwicklungsprogramme durchführt.
Mit einer Wahlbeteiligung von fast 75 Prozent im ersten Wahlgang ist den Liberianern ein wichtiger Schritt in Richtung Normalität und Frieden geglückt. Dennoch kann derzeit niemand mit Sicherheit sagen, ob der Frieden hält. Deshalb muss die Mission der Vereinten Nationen in Liberia (United Nations Mission in Liberia; UNMIL) möglichst lange und in großer Stärke fortgesetzt werden trotz der derzeitigen Kosten von etwa 800 Millionen US-Dollar pro Jahr. Die Friedenstruppe und die Wahlen sind Symbole für den Aufbruch, den das langsam zur Normalität zurückkehrende Land versucht. Doch bis Liberia wieder ein stabiles Mitglied der Staatengemeinschaft sein wird, ist es noch ein weiter Weg.
aus: der überblick 04/2005, Seite 86
AUTOR(EN):
Uwe Kerkow
Uwe Kerkow ist freier Journalist mit Schwerpunkt Entwicklungspolitik in Bonn. Er war im Oktober als vom EED vermittelter Wahlbeobachter in Liberia.