Um den Klimawandel abzumildern, kann und muss beim Umgang mit Energie umgesteuert werden
Die Energiepolitik hat sich lange darauf konzentriert, wie das Angebot dem wachsenden Energiebedarf angepasst werden kann. Dieser Ansatz ist in Industrie- wie in Entwicklungsländern nicht länger haltbar, denn die Folgen destabilisieren das Weltklima. Es ist aber möglich, den Einsatz von Öl, Gas und Kohle zu vermindern, auf Kernkraft zu verzichten und trotzdem den Wohlstand besonders in armen Ländern zu steigern.
von Peter Hennicke
Die Experten sind sich einig: Die globale Erzeugung und Nutzung von Energie ist, wenn die gegenwärtigen Trends unverändert anhalten, auf keinen Fall zukunftsfähig. Alle vorliegenden "Weiter-so"-Szenarien (business as usual) werden zur drastischen Überschreitung von ökologischen Grenzen führen: Mehr CO2-Emissionen, mehr geostrategische Risiken wegen der Konkurrenz um knapperes Erdöl und Gas sowie steigende Risiken, dass Katastrophen in Atomkraftwerken eintreten oder die militärische Nutzung der Atomtechnik sich ausbreitet. Die Knappheit der Ressourcen, etwa an Öl und Gas, ist daher nicht das Hauptproblem, sondern die "Senken", also die begrenzte Fähigkeit der Meere, Wälder und Atmosphäre, CO2 ohne Folgeschäden aufzunehmen; vor allem die Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre für Verbrennungsprodukte bildet eine Naturschranke.
Aber die Energiezukunft ist grundsätzlich gestaltbar. Eine Entkoppelung von Primärenergieverbrauch und Bruttosozialprodukt hat in den Industrieländern bereits stattgefunden und zeichnet sich auch für einige Entwicklungs- und Schwellenländer ab, zum Beispiel für China. Der Gesamtwirkungsgrad des Weltenergiesystems (das ist der Energieanteil, der am Ende von der ursprünglich in den Energieträgern steckenden Gesamtenergie wirklich genutzt wird) liegt bei etwa einem Drittel. Aber eine Verdopplung ist beim Stand der Technik möglich. Für die Energiekunden zählen schließlich nicht Kilowattstunden, sondern der Energienutzen, zum Beispiel warme Wohnungen, kaltes Bier oder auch produzierte Tonnen Stahl. Solche Energiedienstleistungen können aber zukünftig mit weit weniger Energie und Kosten bereitgestellt werden.
Wir stehen am Scheideweg: Selbstzerstörung unserer Mit- und Umwelt oder Zukunftsfähigkeit - beides ist möglich. Zukunftsfähigkeit bedeutet global: Industrieländer müssen langfristig den Einsatz nicht erneuerbarer Energien absolut senken, das heißt pro Kopf mindestens halbieren; die CO2-Emissionen müssen im nächsten Jahrhundert in den Industrieländern um bis zu 80 Prozent und weltweit um etwa 50 Prozent reduziert werden. Entwicklungsländer müssen den Zuwachs des Energieverbrauchs und der CO2-Emissionen drastisch dämpfen; gleichzeitig muss dort die Versorgung mit Energiedienstleistungen und der Lebensstandard weit schneller wachsen, während nur erheblich weniger Rohstoffe verbraucht werden dürfen als bisher.
Das ist technisch möglich. Wir brauchen dabei auch nicht zwischen zwei Megarisiken - mehr Kernenergie oder aber mehr CO2 - zu wählen. Beide Risiken können mittelfristig abgebaut und langfristig ganz vermieden werden, wenn Politiker und Wirtschaftsführer entschiedener in Richtung Zukunftsfähigkeit steuern. Dies ist das Ergebnis einer umfassenden Szenario-Analyse, die eine Arbeitsgruppe am Wuppertal-Institut für Umwelt, Klima, Energie erarbeitet hat. Danach kann - immer ausgehend von den üblichen Annahmen über das Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum bis zum Jahr 2050 - der weltweite Primärenergieverbrauch nahezu konstant gehalten werden, wenn der rationellen Energienutzung Priorität eingeräumt wird. Wird gleichzeitig die Markteinführung der Kraft-Wärme/Kälte-Koppelung sowie ein breiter Mix aus regenerativen Energien aktiv gefördert, dann sinken die CO2-Emissionen um etwa die Hälfte, und zugleich kann weltweit schrittweise auf die Kernenergie verzichtet werden. Der Lebensstandard in den Entwicklungsländern würde dennoch steigen und 2050 dem der OECD-Länder in den siebziger Jahren entsprechen.
Szenarien wie dieses zeigen natürlich nicht, wie die Realität ist oder sich wahrscheinlich entwickeln wird, sondern wie sie sich unter bestimmten Bedingungen entwickeln könnte. Das Szenario kann insofern nur Wenn-dann-Aussagen, aber keine Prognose über eine wahrscheinliche Entwicklung liefern. Es könnte aber Mut machen, die energie- und unternehmenspolitischen Entscheidungen in diese Richtung zu beschleunigen.
Das Wuppertaler Szenario baut auf einem der Szenarien auf, das der Weltenergierat (World Energy Council, WEC) entwickelt hat. Auf den Weltenergiekonferenzen in Tokio (1995) und in Houston/USA (1998) beschäftigte sich der WEC mit der Frage, ob eine risikominimierende langfristige Strategie bis 2050 bzw. bis 2100 möglich ist. Die Ergebnisse seines sogenannten C1-Szenarios, einer ökologisch orientierten Variante, waren für den WEC, die weltweit größte Energieanbieter-Konferenz, sensationell: Im 21. Jahrhundert können anspruchsvolle Ziele einer Klimaschutzpolitik - das heißt eine Verminderung des Kohlendioxidausstoßes um die Hälfte - erreicht und gleichzeitig weltweit der Ausstieg aus der Atomenergie verwirklicht werden.
Allerdings wird nach diesem Szenario die notwendige CO2-Minderung um 50 Prozent erst gegen Ende des 21. Jahrhunderts erreicht. Weiter ist nicht plausibel, dass die Atomenergie ausgerechnet in Entwicklungsländern bis 2020 zunächst ausgebaut und bis 2100 dann wieder auf Null zurückgefahren werden soll. Dennoch hebt sich das C1-Szenario des WEC, was seine Methodik und seine Konsistenz angeht, vorteilhaft von der Vielzahl traditioneller angebotsorientierter Welt-Energieszenarien ab, die ausnahmslos eine Anhäufung von Risiken ausweisen. Das C1-Szenario trägt damit zu einer heute kaum noch zu bestreitenden Erkenntnis bei: Strategien, die die Welt-Energieprobleme vorwiegend mit einem steigenden Angebot an fossiler oder nuklearer Energie und mit einer immer aufwändigeren Diversifizierung der Energiequellen zu lösen versuchen - quasi aus der Verkäuferperspektive -, sind mit den Zielen der Klimastabilisierung und Risikominimierung prinzipiell nicht vereinbar.
Das in einigen Punkten noch unzulängliche C1-Szenario des WEC wurde am Wuppertal-Institut zu einem Faktor Vier-Szenario weiterentwickelt. Bildlich gesprochen heißt das, etwa aus einem Fass Öl viermal soviel Energie herauszuholen wie bisher. Um die Vergleichbarkeit mit dem C1-Szenario zu sichern, wurden dessen Grundannahmen zum Beispiel über das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum sowie die Länder- und Regionaldifferenzierung weitgehend übernommen. Im Unterschied zu dem C1-Szenario wurde aber angenommen, dass die Politik der weltweiten Markteinführung von Techniken der rationellen Energienutzung, für die Kraft-Wärme/Kälte-Koppelung und für die regenerativen Energien viel stärker Vorrang einräumt als bisher. Die Ergebnisse zeigen, dass unter diesen
Voraussetzungen zugleich ein weltweiter Ausstieg aus der Atomenergie und die Halbierung des CO2-Ausstoßes bis 2050 technisch realisierbar sind.
Das ist keineswegs unbezahlbar. Erstens sind die gesamten Investitionsausgaben bis 2050 für das C1-Szenario des WEC geringer als für dessen "Weiter-so"-Szenarien. Plausibilitätsgründe sprechen dafür, dass auch das Faktor Vier-Szenario eine wirtschaftlich und sozial attraktive Strategie beschreibt: Erstens ist die am meisten versprechende Strategie, um die Kosten zu senken, auch nach Auffassung des WEC die forcierte Steigerung der Energieeffizienz. Im Abschluss-Statement von Houston wird betont: "Höhere Effizienz im Energieendverbrauch eröffnet die ... größte, schnellste und die kostengünstigste Möglichkeit, den Energieverbrauch und die Umweltschäden zu mindern". Dabei schöpft die im C1-Szenario unterstellte durchschnittliche Steigerung der Energieeffizienz von 1,4 Prozent pro Jahr bei weitem nicht die vorhandenen Effizienzpotenziale aus. Das trifft auch für die in dieser Hinsicht ambitioniertere Faktor Vier-Strategie zu: Hiernach soll die Rate der Energieeffizienz über 60 Jahre jährlich um rund 2 Prozent steigen.
Diese nur scheinbar geringe Rate bedeutet eine Verdopplung gegenüber der historischen Effizienzsteigerungsrate. Das scheint nur durch eine Richtungsänderung der Weltenergiepolitik erreichbar. Mit Szenarien für die Bundesrepublik - eines Landes, das etwa doppelt so energieeffizient ist wie die USA und etwa halb so effizient wie Japan - kann gezeigt werden, dass die Rate der Energieeffizienzsteigerung als Variante der strategischen Energiepolitik betrachtet werden muss. Die forcierte Markteinführung von rationeller Energienutzung und Kraft-Wärme-Kopplung würde die technischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen schaffen, um den Marktanteil von erneuerbaren Energien im notwendigen Umfang anzuheben. Insbesondere das kostengünstige Energiesparen erweitert die Finanzierungsspielräume für die noch teuren erneuerbaren Energien.
Zweitens berücksichtigt das Faktor Vier-Szenario nur fortgeschrittene Effizienztechnologien, die - zumindest als Prototyp - schon vorhanden sind. Es geht also nicht um höchst unsichere Prognosen über zukünftig mögliche Basisinnovationen, sondern um die beschleunigte Markteinführung heute schon bekannter Hocheffizienztechnik sowie um deren Fortentwicklung und Verbilligung infolge der Massenfertigung. Unter günstigen Rahmenbedingungen und verbunden mit Markteinführungsprogrammen werden einige dieser Schlüsseltechnologien sich wahrscheinlich innerhalb der nächsten 50 Jahre am Markt weitgehend durchsetzen und wesentlich preisgünstiger werden; das gilt zum Beispiel für Passiv- und Plus-Energiehäuser (die aus der Umgebungswärme soviel bzw. mehr Energie beziehen als in ihnen verbraucht wird), hocheffiziente Haushaltsgeräte, optimierte elektrische Antriebssysteme, mobile und stationäre Anwendungen von Brennstoffzellen und superleichte und extrem energiesparende Autos. Hinzu kommt, dass neben diesen Effizienztechnologien die Systemoptimierung durch integrierte Planung über gesamte Prozessketten eine enorme Energie- und Kosteneinsparung ermöglicht. Die verbesserten Wirkungsgrade multiplizieren sich nämlich auf jeder Stufe von der Primärenergie über die Endenergie bis zur Energiedienstleistung. Sie ermöglichen zum Beispiel für Pumpensysteme Effizienzsteigerung um den Faktor 10 und mehr. Dies gilt auch für Entwicklungsländer.
Drittens müssen die relativ höheren Aufwendungen für erneuerbare Energien im Faktor Vier-Szenario mit den vermiedenen Energiebetriebskosten für den Verbraucher gegengerechnet werden. Bei der zu erwartenden erheblichen Verknappung fossiler Energieträger bis zum Jahr 2050 werden die realen Energiepreise voraussichtlich weit mehr steigen als der durchschnittliche Preis der Effizienztechnologien. Gerade das macht die Energieeffizienz auf Dauer noch kostengünstiger als bereits heute. Daher wird die Markteinführungsrate steigen, und Lerneffekte können auf breiter Ebene wirksam werden.
Viertens: Im Gegensatz zu maßgeschneiderten Großkraftwerken können Geräte für die effiziente Nutzung von Energie sowie für erneuerbare Energien in Massenfertigung hergestellt werden. Bei hohen Stückzahlen sinkt der Preis des einzelnen Geräts. Deshalb werden künftig erneuerbare Energieträger wesentlich kostengünstiger als heute sein. Aus diesem Grund erwartet zum Beispiel die Shell AG, dass nach 2020 die meisten erneuerbaren Energiequellen wettbewerbsfähig sein werden.
Laut dem Faktor Vier-Szenario genügt eine Effizienzsteigerung um etwa einen Faktor Drei - das heißt eine Verdreifachung des Welt-Bruttosozialprodukts bei nahezu konstantem Primärenergieverbrauch -, um bis zum Jahr 2050 eine CO2-Minderung um die Hälfte und einen Verzicht auf die Kernenergie zu erreichen. Der Grund dafür ist, dass nach diesem Szenario erneuerbare Energien im Jahr 2050 bereits die Hälfte des Energiebedarfs decken. Das Gesamtvolumen und die Struktur des regenerativen Energieangebots unter dem Faktor Vier-Szenario sind dabei mit denen des C1-Szenarios in etwa vergleichbar; dagegen kommt das Faktor Vier-Szenario für 2050 zu einem geringeren Bedarf an fossiler Energie, da sich aus der starken Förderung des Energiesparens und der Kraft-Wärme/Kälte-Kopplung eine höhere Energieeffizienz ergibt.
Das Faktor Vier-Szenario ist in gesamtwirtschaftlicher Hinsicht sogar konservativ. Denn es berücksichtigt zum Beispiel nicht die Trends zum Rückgang der Produktion gegenüber den Dienstleistungen, zur Dematerialisierung ("ökoeffiziente Dienstleistungswirtschaft"), zur Kreislauf- und Recycling-Wirtschaft, zum neuen, ökologisch optimierten Produkt- und Prozessdesign (neue Materialien, Dauerhaftigkeit, Einsatz von Modulen) sowie zu neuen Nutzungskonzepten, etwa Leasing, Nutzen statt besitzen und die Kaskadennutzung (das ist die hintereinander geschaltete Mehrfachnutzung von Produkten, zum Beispiel Senfgläser als Trinkgläser). Auch Fragen nach der Suffizienz (wie viel ist für wen genug? Ist weniger mehr? Besser leben, aber weniger haben?) werden ausgeklammert.
Um die Hemmnisse für ein zukunftsfähiges Weltenergiesystem zu überwinden, sind die derzeitigen Anreizstrukturen, energiepolitischen Leitkonzepte, Institutionen, Instrumente und Finanzierungsformen allerdings unzulänglich. Zahlreiche Untersuchungen haben bereits die entsprechende sektor- und zielgruppenspezifische Mischung von politischen Maßnahmen - den Policy Mix - für die nationale Energiepolitik beschrieben. Eine entsprechende Analyse für eine Weltenergiepolitik steht noch aus. Gewiss ist aber, dass bereits mit einigen zentralen energiepolitischen "Stellschrauben" eine Veränderung der Anreizstrukturen sowie eine zukunftsfähige Innovations- und Investitionsdynamik eingeleitet werden kann.
Richtungweisende Leitideen für zukunftsfähige Energiestrategien hat das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) in der Publikation Energy after Rio aus dem besonderen Blickwinkel der Entwicklungsländer formuliert. Zu diesen Ideen gehören folgende: Konzeptionell sollen Energiedienstleistungen statt Kilowattstunden betont werden; für Energiedienstleistungen sollen effiziente Märkte gefördert werden; der Marktzugang zu Energiedienstleistungen in ländlichen Regionen soll mit staatlichen Interventionen begünstigt werden; soziale Kosten sollen in Entscheidungskalküle auf den Energiemärkten einbezogen werden; die Entwicklung und Markteinführung von zukunftsfähigen Technologien soll beschleunigt werden; einheimische Fähigkeiten in Entwicklungsländern sind zu stärken (capacity building); und möglichst viele gesellschaftliche Gruppen sollen an Entscheidungsprozessen im Energiesystem beteiligt werden.
Diese Leitideen für eine internationale Energiepolitik sollen an drei Schwerpunkten - natürlich ohne Anspruch auf Vollständigkeit - ergänzt werden. Der erste ist, den gesellschaftlichen Leitzielen Vorrang zu geben. Die Kernfrage ist heute brennender denn je, wie weltweit Rahmenbedingungen und "ökologisch-ökonomische Leitplanken" geschaffen werden können, damit einzelwirtschaftliche Interessen, private Gewinnorientierung und die Anreizstrukturen in der Energiewirtschaft mit gesellschaftlichen Zielen in Einklang gebracht werden können. Der Markt hat in der kapitalistischen Marktwirtschaft eine riesige Vermehrung des wirtschaftlichen Reichtums für eine Minderheit der Weltbevölkerung, aber keinen Wohlstand für alle und schon gar nicht eine Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen gebracht. Nun müssen die sichtbaren Fehlsteuerungen der Märkte zum Wohle aller gestoppt werden, denn das blinde Vertrauen auf die unsichtbare Hand beginnt den (Natur-)Reichtum der Nationen irreversibel zu zerstören. So richtig es ist, dass freie Märkte und Wettbewerb mächtige Triebkräfte der Effizienzsteigerung und Innovation sein können, so naiv und gefährlich wäre die Hoffnung, dass hierdurch gesellschaftlich erwünschte Ziele wie ein Ende der Armut und wirtschaftliche Entwicklung, soziale Gerechtigkeit, Umwelt- und Klimaschutz quasi im marktwirtschaftlichen Selbstlauf verwirklicht werden. Märkte und Wettbewerb sind perspektivisch blind, wenn auch bei klug gesetzten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ein effizientes Mittel zur Erreichung gesellschaftlicher Ziele. Daher darf nicht der Markt die Ziele setzen, sondern die Gesellschaft muss über ihre gewünschten Entwicklungsperspektiven und ihre energiepolitischen Leitziele demokratisch entscheiden.
Zweitens sollten internationale Institutionen ökologisch ausgerichtet werden (siehe Kasten). Und drittens ist eine Integration von globalen und sektor- oder akteursspezifischen Instrumentenbündeln gefragt, ein Policy Mix. Die im Faktor Vier-Szenario aufgezeigten drei Säulen einer zukunftsfähigen Energiepolitik - rationelle Nutzung, Kraft-Wärme-Kopplung und erneuerbare Energien - benötigen zu ihrer beschleunigten Markteinführung die offensive Flankierung durch eine Kombination energiepolitischer Instrumente: sowohl mehr Wettbewerb und Markt als auch mehr ökologische Leitplanken und Regulierung. Typische Instrumente dieses Policy Mix sind zum Beispiel: mehr bilaterale Kooperation in der internationalen Klimaschutzpolitik; die Nutzung von Joint Implementation und des Clean Development Mechanism (danach können Industrieländer ihre Verpflichtungen zum Klimaschutz teilweise mit Projekten und Investitionen in früher kommunistischen Staaten bzw. Entwicklungsländern erfüllen (vgl. den Beitrag auf Seite 56), zur Stärkung des Klimaschutzes sowie für den Technologie- und Wissenstransfer; die Einführung globaler, über den Preis steuernder Instrumente - zum Beispiel einer aufkommensneutralen Energiesteuer; ordnungsrechtliche Vorschriften über den maximalen Energieverbrauch von Geräten, Gebäuden und Verkehrsmitteln; freiwillige Vereinbarungen, etwa mit Industrieverbänden über CO2-Reduktionsziele; Kennzeichungs-, Informations-, Motivations- und Energieberatungsprogramme; sowie ein ökologisches Beschaffungswesen in Großinstitutionen.
Wir können mehr Wohlstand mit weniger Öl, Gas, Kohle und Uran erreichen. Der von den "Weiter-so"-Szenarien prognostizierte Zuwachs des Verbrauchs lässt sich wegsparen, und der verbleibende Energiebedarf kann überwiegend aus erneuerbaren Energien gedeckt werden. Auch in armen Ländern muss ein steigender Lebensstandard nicht mit einem ebenso schnell steigenden Energieverbrauch verbunden sein. Im Jahr 2050 könnten dann 9,5 Mrd. Menschen durchschnittlich so komfortabel leben wie im Europa der siebziger Jahre.
Zahlreiche Indizien deuten darauf hin, dass diese Strategie auch wirtschaftliche Vorteile bringen kann: Aktive Klimaschutzpolitik ist kluge vorsorgende Industrie- und Exportpolitik, senkt die volkswirtschaftlichen Energiekosten und schafft per saldo Arbeitsplätze. Die drei Säulen können einen sinnvollen Beitrag zur De-Globalisierung leisten und eine vorteilhafte Strategie für den Ersatz von Importen begründen: Der gegenwärtige Zustand, mit Kapitalexport Energieimporte zu bezahlen, würde durch inländische oder regionale Wertschöpfung ersetzt.
Im Gegensatz zum Energieangebot hat die unübersehbare Vielfalt von Energieeffizienztechniken allerdings keine starke Lobby. Die Markteinführung stößt zudem auf eine Vielzahl besonderer Markthemmnisse. Daher ist für den "Vorrang der Energieeinsparung vor der Energieerzeugung", wie es in der Koalitionsvereinbarung der rot-grünen Bundesregierung von 1998 heißt, das Primat der Energiepolitik und ein funktionsfähiger Wettbewerb zwischen Energieverbrauch einerseits, Kapitaleinsatz zur Energieeinsparung andererseits unabdingbar. Der häufig grenzenlose Optimismus bezüglich der Markteinführung und der Kosten von Großtechnologien des Energieangebots steht freilich in merkwürdigem Kontrast zur Kleingläubigkeit und Skepsis gegenüber erneuerbaren Energien. Dabei sind diese Techniken - anders als zum Beispiel Großkraftwerke - in der Regel mit Massenfertigung und ausgeprägten Lerneffekten verbunden.
Wir können noch wählen, aber wir müssen es jetzt tun. Und wie immer sich die Menschheit entscheidet: Dieser Entschluss und seine Konsequenzen sind wegen der langen Kapitalbindungszeiten im Energiesystem auf Jahrzehnte nicht mehr rückholbar. Wenn das C1-Szenario des WEC sowie das Faktor Vier-Szenario mögliche Zukunftspfade für die Energie zutreffend beschreiben, dann sind wir nicht gezwungen, zwischen den Kosten des Klimaschutzes heute und der Vermeidung von Risiken, Umwelt- und Klimaschäden morgen abzuwägen. Denn die Klimaschutzpolitik schafft doppelten Nutzen: Erstens für die gegenwärtige Generation, da eine Risikominierungsstrategie wahrscheinlich kostengünstiger ist als eine Politik des "Weiter so"; zweitens für kommende Generationen, denn die Umweltschäden und Risiken zukünftiger globaler Veränderungen werden gemindert. Eine weltweite Strategie der Risikominimierung ist daher nicht nur technisch möglich, sondern sie ist prinzipiell sogar leichter finanzierbar und umsetzbar, als so weiterzumachen wie bisher. Ein erster notwendiger Schritt wäre allerdings ein vorurteilsloser Dialog über die heute noch vorherrschende angebotsorientierte Energiepolitik.
Literatur
Peter Hennicke und Amory Lovins: Voller Energie. Vision: Die globale Faktor Vier-Strategie für Klimaschutz und Atomausstieg; Buchreihe EXPO 2000, Campus Verlag, Frankfurt a.M. und New York 1999.
World Energy Council (WEC) und International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA): Global Energy Perspectives; University Press, Cambridge 1998.
Auch internationale Gremien müssen umsteuernEnergiewendeUm den Übergang zu einem zukunftsfähigen Energiesystem zu fördern, wäre es hilfreich, neue internationale Institutionen zu schaffen oder bestehende ökologisch auszurichten. Folgende Vorschläge erscheinen sinnvoll: Erstens sollte eine Internationale Agentur für Energieeffizienz und Solarenergie aufgebaut sowie der Aufbau eines Netzes entsprechender regionaler Agenturen in den armen und den früher kommunistischen Ländern angestoßen werden. Aufgabe dieser Agenturen wäre, die Markteinführung von Techniken zur rationellen Energienutzung, Kraft-Wärme-Kopplung und erneuerbaren Energien zu fördern - mit Hilfe von Information, Weiterbildung, Workshops, Pilot- und Demonstrationsprojekten sowie Unternehmens- und Politikberatung. Um sie zu finanzieren, könnte in Industrieländern eine Abgabe auf den Primärenergieverbrauch erhoben werden. Zweitens sollten Welteffizienzkonferenzen vergleichbar dem Weltenergierat (Word Energy Council) eingerichtet werden. Der Weltenergierat bildet seit Jahrzehnten ein Forum für die weltgrößten Energieanbieter und vertritt angebotsorientierte Strategien. Entsprechend dem weltweiten Vorrang für die rationellere Energieumwandlung und -nutzung in einer Faktor Vier-Strategie wäre ein vergleichbares Weltforum im Drei-Jahres-Turnus zum Informationsaustausch, zur Öffentlichkeitsarbeit und für Business-Kontakte für rationelle Energienutzung, Kraft-Wärme-Kopplung und erneuerbaren Energien wichtig. Drittens sollte die integrierte Ressourcenplanung weltweit propagiert werden. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) könnte zu diesem Zweck mit Unterstützung des UN-Umweltprogramms (UNEP), der Weltbank und der führenden Industriestaaten eine Serie von Workshops sowie Pilot-, Demonstrations- und Förderprogramme durchführen - vor allem in Entwicklungsländern wie China, im Nahen Osten oder in Lateinamerika. Viertens sollten die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die Internationale Energie-Agentur, die Weltbank sowie andere internationale Finanzorganisationen darauf hinarbeiten, dass die nationalen Forschungsbudgets stärker auf die Erforschung, Entwicklung und Markteinführung von Techniken der rationelleren Energieumwandlung und -nutzung sowie der erneuerbaren Energien konzentriert werden. Das Gleiche gilt für die Kredit- und Projektfinanzierung internationaler Finanzinstitutionen und die verstärkte Dezentralisierung und Ökologisierung der Kreditvergabe. Peter Hennicke |
Alternative EnergienUnerschöpfliche QuellenWas sind erneuerbare Energien? Darunter versteht man Energieträger, die nachwachsen oder sich - wie Wind und Sonnenstrahlung - durch den Gebrauch nicht erschöpfen. Dagegen werden fossile Energieträger wie Kohle nur in tausenden von Jahren aus Pflanzen gebildet, und Uran entsteht überhaupt nicht neu. Diese Reserven sind in absehbarer Zeit verbraucht. Erneuerbare Energiequellen sind in der Reihenfolge ihrer historischen Nutzung Biomasse, Wasserkraft, Windenergie und die Nutzung der Sonnenstrahlung zur Erwärmung oder Stromerzeugung. Sie alle beruhen auf der Energie, die die Erde ständig von der Sonne empfängt. Biomasse bilden Pflanzen im Prozess der Photosynthese aus Sonnenlicht, Kohlendioxid und Wasser. Auch tierische Exkremente zählen zur Biomasse. Biomasse kann - unter Umständen nach einer Umwandlung etwa durch Bakterien - als Brennstoff genutzt werden. So können Holz, Getreide, Pflanzenöl oder Zuckerrohr sowie Dung direkt verbrannt werden. Aus Mist und Gülle lassen sich durch Gärung brennbare Biogase erzeugen, vor allem Methan. Stärkepflanzen, beispielsweise Mais oder Zuckerrüben, können zur Herstellung von Bioalkohol verwendet werden. Die Energieerzeugung aus Biomasse kann einerseits dadurch ausgeweitet werden, dass bisher ungenutzte Abfälle der Land- oder Forstwirtschaft verwendet werden. Andererseits können schnell wachsende Pflanzen wie Pappeln oder Schilfgras sowie Ölpflanzen wie Raps eigens als Energielieferanten angebaut werden, soweit geeignete Flächen zur Verfügung stehen. Wasserkraft und Windenergie sind neben der traditionellen Biomasse die ältesten genutzten Energiequellen. Mitte des 18. Jahrhunderts waren in Europa rund 200.000 Windmühlen in Betrieb, vor allem zum Getreidemahlen oder Entwässern. Nur ein halbes Jahrhundert später hatten kohlebefeuerte Dampfmaschinen sie fast völlig verdrängt. Heute werden Windräder wieder genutzt, nun aber zur Stromgewinnung. Da sie sich dafür schneller drehen müssen als die alten Mühlen, haben moderne Rotoren nur zwei oder drei Blätter. Windkraftanlagen werden neuerdings auch auf dem Meer angelegt, weil dort stärkere oder konstantere Winde herrschen. Auch Wasserkraft - vor allem die Fließgeschwindigkeit von Flüssen - wurde früher zum Betrieb von Mühlen verwendet. Sonnenenergie wird auf unterschiedliche Weise genutzt: Solarthermische Anlagen erhitzen mittels Absorbern - zumeist indirekt über Wärmeträgerflüssigkeiten - Brauchwasser für den Haushalt oder heizen Schwimmbäder. In solarthermischen Kraftwerken wird die Sonnenstrahlung mit Rinnen- oder Parabolspiegeln konzentriert. Sie erhitzt dann zum Beispiel Öl sehr stark, und damit wird Dampf erzeugt, der über eine Turbine einen Stromgenerator antreibt. Für solarthermische Kraftwerke ist direkte Sonneneinstrahlung nötig. Fotovoltaische Anlagen nutzen dagegen die Tatsache, dass Licht in bestimmten Materialien direkt eine elektrische Spannung erzeugt. Das funktioniert auch bei diffusem Licht und bewölktem Himmel, aber Strom aus Fotozellen ist bisher weit teurer als aus solarthermischen Kraftwerken. jr/bl |
aus: der überblick 04/2001, Seite 24
AUTOR(EN):
Peter Hennicke:
Prof. Peter Hennicke ist amtierender Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie GmbH.