Gespräch mit Dr. Rainward Bastian, dem Direktor des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission
Das Gespräch führte Frank Kürschner-Pelkmann
In vielen Ländern der Dritten Welt hat eine Kommerzialisierung des Gesundheitswesens stattgefunden, also ein Rückzug des Staates und eine sehr viel größere Bedeutung von privat praktizierenden Ärzten und Privatkrankenhäusern. Was bedeutet das für die medizinischen Einrichtungen der Kirchen?
Diese Entwicklung ist in vielen Ländern zu beobachten. Wichtig ist, daß der Staat weiterhin den Gesamtrahmen für eine Gesundheitsversorgung schafft. Der gesetzliche Rahmen und die Überwachung der Durchführung von Bestimmungen sind Aufgaben, die der Staat nicht abgeben kann und darf. Sonst hat das schlimme Folgen, auch für die Kirchen. Wir bemühen uns sehr, daß die Kirchen diese Rolle des Staates einfordern.
Der Ausbau der privaten Versorgung kann sich auch positiv auswirken. Staatliche und manchmal auch kirchliche Dienste sind oft nicht so effizient und so bemüht, den Menschen zu helfen, wie private Träger es sind. Manche Kirchen stellen fest, daß andere inzwischen eine gute Versorgung gewährleisten, zu der auch die Armen - zum Beispiel durch Versicherungen oder staatliche Zuschüsse - Zugang haben. Wichtigen kirchlichen Anliegen ist dann Rechnung getragen. Die Kirche hat dennoch eine unverzichtbare Aufgabe im Bereich Gesundheit und Heilung. Sie muß immer wieder neu entdecken, wie die lokale Gemeinde sich für Gesundheitsbelange einsetzen kann, zum Beispiel durch die Berücksichtigung von Gesundheitsthemen in Gottesdiensten, durch Krankenbesuche und die Pflege von Kranken. Das "Tübinger Projekt" ist ein Beispiel dafür, wie wir in unserer Gesellschaft mit seinem vielfältigen Angebot im Gesundheitsbereich ein Thema haben, bei dem ein riesiger Handlungsbedarf besteht.
Vom DIFÄM aus ist der Gedanke von Basisgesundheitsdiensten in die weltweite Ökumene hinein propagiert worden. Welche Bilanz läßt sich nach zwei oder drei Jahrzehnten ziehen?
Von der Gemeinde getragene Gesundheitsdienste sind nicht etwas, was man herbeizaubern kann. Es bedarf einer besonderen Lebenshaltung von Laien und professionell Tätigen, damit Gesundheitsfragen in allen Lebensbezügen auftauchen und erkannt wird, daß Krankheit nicht nur im Krankenhaus behandelt werden kann, sondern daß die kirchliche Gemeinschaft und die Familien Aufgaben haben, die sie nicht abgeben können.
Bei den Basisgesundheitsdiensten zeigte sich in den 80er Jahren, daß sie nicht nach einem Patentrezept zu etablieren sind, ohne daß die Voraussetzungen vorhanden sind. An jeder Stelle muß neu entdeckt werden: Was ist unser Weg?
Die Vorstellung, man könnte Beispiele wie den erfolgreichen Basisgesundheitsdienst in Jamkhed/Indien woanders kopieren, war falsch. Aber Elemente lassen sich übertragen, und man muß die Vorstellung von gemeindegetragener Arbeit beharrlich weiter propagieren.
In welchem Umfang wird dieses Konzept von Kirchen in der Dritten Welt mitgetragen?
Ich glaube, daß ein Durchbruch, den die "Christliche Medizinische Kommission" wirklich geschafft hat, darin besteht, daß diese Vorstellung von gemeindegetragener Gesundheitsversorgung nirgendwo mehr angezweifelt wird. Es bleibt die Frage: Wie setzten wir es in unserer Situation um?
Bei einer lokal verankerten Gesundheitsarbeit stellt sich oft die Frage der Beziehung von christlichen Vorstellungen und traditioneller Medizin.
Die ökumenische Konsultation im Jahre 1964 in Tübingen war auch für uns im DIFÄM ein Durchbruch. Nicht unsere deutsche Sicht kann die Priorität haben, sondern die Sicht der betroffenen Bevölkerung. Die traditionelle und die Pflanzenmedizin dürfen nicht ausgeklammert werden, sondern sie sind der Ausgangspunkt für eine bodenständig gewachsene und verankerte Medizin. Dieses Verständnis wird von der kirchlichen Gesundheitsarbeit getragen. Aber in der Praxis gibt es dann doch große Probleme, und ich kann nicht sagen, daß die Kirchen es den Christinnen und Christen und auch den Nichtchristen leicht machen, die Unterscheidung zwischen Gutem und Erhaltenswertem und dem, was überwunden werden muß, zu fällen. Auf diesem Gebiet haben die Kirchen eine Aufgabe, der sie sich noch mutiger stellen müssen.
Sie erwähnten pflanzliche Medikamente. In welchem Umfang werden sie in kirchlichen Gesundheitseinrichtungen des Südens genutzt?
In der Dritten Welt wurde die Arzneipflanzenmedizin mit der traditionellen Medizin verunglimpft. Deshalb gibt es auf diesem Gebiet nach wie vor einen Nachholbedarf. Wir haben Anfang Oktober eine sehr interessante Arbeit im DIFÄM begonnen. Ein Arzt von Christliche Fachkräfte International, der aus dem Kongo zurückgekehrt ist, geht der Frage nach, welches die Arzneipflanzen sind, die wirklich weiterhelfen. Was läßt sich Belegbares über Haupt- und Nebenwirkungen sowie Dosierungen aussagen? Der Arzt will gern zurück nach Afrika gehen, aber er will beim nächsten Mal besser wissen, wo er Arzneipflanzen einsetzen kann und wo nicht.
Ein anderes Thema: Das DIFÄM hat das Wort Mission in seinem Namen. Wie versuchen Sie zu vermitteln, warum dieser Begriff einen Platz im Namen des Instituts hat?
Mir hat vor fünfzehn Jahren eine alte Missionarin gesagt: Jetzt müssen sie diesen Teil des Namens aufgeben. Wir haben bewußt gesagt, daß wir das nicht wollen. Wir wollen im Gegenteil verständlich machen, was wir unter dem Wort Mission heute verstehen. Es bedeutet eben nicht, daß ich mit einem überlegenen Konzept in ein anderes Land komme. In der ärztlichen Mission ist ja die Versuchung der doppelten scheinbaren Überlegenheit groß: westliche Medizin und ein Verständnis von Gott, das verzerrt ist. Wir wissen, daß Gott immer und überall da ist, und wir dürfen ihn, wo immer wir auch hinkommen, entdecken und uns in seinen Dienst stellen. Sein Weg ist der richtige Weg, auch in der Mission. Wir wollen auch in Deutschland dafür werben: Ich brauche keine Angst zu haben, mich auf Gott einzulassen, ich darf ihn neu entdecken in meinem Leben und in meiner Umgebung und darf sehen, daß er da ist.
Inwieweit gelingt es dem DIFÄM, die Erfahrungen und Einsichten aus der Ökumene in unsere eigenen Kirchen und unser Gesundheitssystem zu vermitteln?
Wir sind in Tübingen in einer besonders guten Lage, weil wir nicht nur ein Institut sind, das sich theoretisch mit Gesundheitsfragen beschäftigt, sondern unsere eigene Glaubwürdigkeit wird in unserem Krankenhaus jeden Tag neu getestet. Spielt Geld die Hauptrolle in unserer Gesundheitsversorgung oder ist es das Engagement um des Kranken willen und können die Krankenhausmauern überwunden werden? Das "Tübinger Projekt"ist ein Beispiel dafür, wie die Verbindung zwischen ambulanter und stationärer Versorgung gelingt. Auf diese Weise haben wir die Möglichkeit, in Deutschland bekannt zu werden und unsere Anliegen ins Gespräch zu bringen.
Die Anliegen im kirchlichen Gesundheitsbereich stellen sich in Deutschland in ganz anderer Weise als in Übersee, aber es gibt Schritte, die wir auf Grund von Erkenntnissen in der Ökumene auch bei uns gehen können. Auf diesem Gebiet hat die Kirche eine besondere Chance und muß in die Gesellschaft hineinwirken. Wir sind im DIFÄM dankbar, daß unzählige Kirchengemeinden und die Hospizbewegung dies aufnehmen.
Welche Erfahrungen machen Sie bei der Beratung der kirchlichen Hilfswerke, bei deren Förderungen von Gesundheitsprogrammen in der Dritten Welt? Finden die ökumenischen Konzepte christlicher Gesundheitsarbeit dort Widerhall?
Unsere Erfahrungen auf diesem Gebiet sind sehr gut. Die Werke wie Brot für die Welt, Evangelische Zentralstelle für Entwicklungshilfe, Dienste in Übersee und auch Christliche Fachkräfte International sind sehr bereit, diese Gedanken aufzunehmen, umzusetzen und immer wieder neu mit den Partnern in Übersee zu besprechen. Ebenso werden sie von den Partnern auf diese Konzepte hingewiesen. In der Umsetzung gibt es immer mal wieder Versuchungen, etwas Unvernünftiges zu tun, aber das stehen wir dann mit dem betroffenen Werk durch. Die Missionswerke sind den kirchlichen Hierarchien in Übersee noch näher und dann haben in einzelnen Fällen inhaltliche Fragen des Gesundheitsbereichs nicht die Rolle, die sie spielen sollten. Da haben wir noch Aufgaben vor uns.
aus: der überblick 04/1999, Seite 115