Eine attraktive Marktlücke hat der argentinische Fernsehsender "Canal 13" inmitten der tiefen Wirtschaftskrise des Landes entdeckt. Zwei Kandidaten müssen in einer Sendung im Wettbewerb um einen Arbeitsplatz gegeneinander antreten. Die Sendung ist ein Quotenrenner, die Bewerber drängen sich und breiten ihr Privatleben aus, um in die Vorauswahl für die Sendung zu kommen.
Von ANTJE KRÜGER
Die ersten kommen schon um fünf Uhr morgens zum Theater Luz y Fuerza in einer der engen Straßen im Zentrum von Buenos Aires. Um acht Uhr, wenn die Türen des heruntergekommenen Saales geöffnet werden, ist die Schlange mehrere hundert Meter lang. Die hier anstehen, wollen nicht ins Theater. Sie hoffen auf einen Arbeitsplatz. Der private Sender Canal 13 hat die Räume des Theaters gemietet und zum Casting, zur Rollenbesetzung, für die wohl fragwürdigste TV-Show gerufen, die aus der Krise in Argentinien entstanden ist. Bis zu 400 Personen bewerben sich täglich. Sie treibt nicht Exhibitionismus oder die Hoffnung auf den Einstieg ins Showgeschäft. Sie treibt nur eins: Sie wollen arbeiten, sie können arbeiten, aber sie finden keinen Arbeitsplatz. Und Recursos Humanos (Arbeitskräfte), so der Name des Programmes, erscheint da als Retter.
Die Sendung vergibt
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Die Hoffnungen sind groß. Das
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Als eine der Folgen dieser schwersten Wirtschaftskrise seit hundert Jahren stieg die Arbeitslosigkeit sprunghaft an. In nur einem Jahr verloren in dem 37 Millionen Einwohner zählenden Land 755.000 Beschäftigte ihren Job. Im Juni 2002 wurde vom INDEC, dem Statistischen Amt Argentiniens, der historische Arbeitslosenrekord von 21,5 Prozent gemeldet. Nie zuvor in der Geschichte
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Im Theater Luz y Fuerza hat die Vorauswahl der Kandidatinnen begonnen. Heute geht es um einen Platz als Reinigungskraft. Viele der Frauen, die sich bewerben, haben die 40 überschritten und kommen aus einfachen Verhältnissen. Geduldig sitzen sie im Theater, die Formulare in der Hand und warten auf ihr Vorstellungsgespräch. Im Saal herrscht eine eigenartig angespannte Stille, die nur vom gedämpften Murmeln an den Gesprächstischen auf der Bühne durchbrochen wird.
"Ich bin um vier Uhr von zu Hause
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Juana Gómez hatte zuvor ein Jahr und zwei Monate in einem Restaurant in Buenos Aires gearbeitet. Für alles war sie zuständig: Reinigung, Einkauf, Verwaltung, Bedienung. Nur für einen Monat hat sie Lohn erhalten. "Sie sagten, wir werden dich schon bezahlen, und ich habe ihnen vertraut. Aber dann haben sie zugemacht und ich hatte nichts mehr, keine Arbeit und kein Geld. Ich war am Ende. Jetzt sage ich mir, ich muss vorwärts gehen. Und hier bin ich", sagt sie. Man merkt, dass ihre Überzeugung sie viel Kraft kostet.
María Christina Caceres, die neben Juana Gómez auf das Gespräch für die Vorauswahl der Kandidaten wartet, ist seit acht Monaten arbeitslos. Auch sie wendet sich an Recursos Humanos, weil im Gesuch keine Altersgrenze gesetzt wurde. Ihr Blick ist unstet. Sie ist schon das zweite Mal hier. "Das erste Mal als Textilarbeiterin hat es
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Ebenfalls weit über vierzig Jahre alt und verwitwet ist María Cabreras. Sie muss sich ganz alleine durchschlagen. Ihre kleine Tochter ist asthmatisch und braucht dringend Medikamente. Eigentlich ist María Cabreras Krankenschwester. Aber dafür gibt es kaum Gesuche, schon gar nicht für ihr Alter. "Ich muss aber arbeiten", sagt sie. "Und deshalb biete ich mich auch als Reinigungskraft an. Vor der Arbeit habe ich keine Angst. Hauptsache, ich kann der Wahrheit ins Auge schauen."
Mery Isabel Galanda hat 32 Jahre lang in einer Textilfabrik gearbeitet. Im Oktober letzten Jahres wurde diese geschlossen, und die Chancen, dass die Besitzer dort erneut investieren, sind mehr als gering. Deshalb sucht Mery Isabel Galanda jetzt überall nach Arbeit. "Nach so vielen Jahren als Angestellte bitte ich heute um einen Posten als Reinigungskraft, weil es mir egal ist, als was ich arbeite. Man muss arbeiten, nicht nur als Mensch, sondern auch, um alles zahlen zu können", erklärt sie. Wie all die Frauen im Theater, die still auf das alles entscheidende Vorstellungsgespräch warten, erweckt auch sie den Eindruck, dass es sie enorme Kraft kostet, ihr Schicksal zu meistern, sie dabei aber ihre Würde nicht verliert.
Die Zahl der Bewerber bei Recursos Humanos schwankt. "Je nach Arbeitsangebot in der Sendung kommen zwischen zehn und 400 Personen ins Theater", berichtet Andrea Gual, eine der Produzentinnen des Programms. "Vor allem, wenn es sich um Stellen ohne große Anforderungen handelt wie Supermarktkassierer, Tankstellenwärter oder heute die Reinigungskraft, ist die Schlange der
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Während sich die meisten Akademiker schämen, nehmen die, die sich heute als Reinigungskraft für Recursos Humanos bewerben, gerne in Kauf, auch das Fernsehen in ihre Suche mit einzubinden. "Mich können sie ruhig filmen, denn ich habe nichts zu verstecken. Ich gehe hoch erhobenen Hauptes", erklärt die Witwe María Cabreras. Auch Maria Cristina Caceres sagt: "Mich stört es nicht, im Programm zu erscheinen. Das Einzige, was ich will, ist arbeiten." Und Juana Gómez hat gar die Hoffnung, dass einer ihrer früheren Chefs sie im Fernsehen sehen und sich ihrer erinnern könnte. "Ich habe immer viel gearbeitet. Als ich jung war, habe ich oft zwei bis drei Arbeitsstellen gleichzeitig gehabt. Meine Chefs haben mich immer geschätzt und vielleicht ruft mich ja einer an, wenn sie mich im Programm sehen", sagt sie.
In Argentinien geht es nicht mehr darum, was man arbeitet, sondern, ob man überhaupt Arbeit hat. Schon vor dem eigentlichen Zusammenbruch des Landes war an den Straßenverkäufern und Schuhputzern abzulesen, dass viele jedwede Beschäftigung annehmen, wenn sie ihnen nur ein paar Pesos einbringt. Die Zahl der Taxifahrer stieg Mitte der neunziger Jahre auf 38.000 an. Viele von ihnen fahren ihr eigenes Auto. Unzählige Kioske, die in bunter Mischung Schokolade, Plastikspielzeug, Batterien und Kaugummis verkaufen, eröffneten ebenfalls in dieser Zeit. Selbständigkeit, finanziert aus Abfindungen und Krediten, war oft der einzige Ausweg nach dem Verlust des Arbeitsplatzes in der Industrie.
Menschen, die sich mit irgendetwas über Wasser halten, prägen heute das Gesicht von Buenos Aires. Sie sind der eigentliche Spiegel der Krise und offenbaren, wie viel Wille da ist, eben nicht in die Kategorie der Kriminellen abzurutschen. Sie gehören zu den so genannten Unterbeschäftigten. Zu ihnen zählen ambulante Händler, Zeitarbeiter, Minderqualifizierte und Schwarzarbeiter. Die Unterbeschäftigten verdienen zumeist weniger als 200 Pesos im Monat (57 Euro) und liegen damit unterhalb der Armutsgrenze, die mit 210 Pesos (60 Euro) für einen erwachsenen Menschen veranschlagt wird.
Bald an jeder Kreuzung, in den Bussen und den U-Bahnen bieten heute ambulante Händler in einem kleinen Bauchladen Schokolade, Batterien, Stifte oder Rasierklingen für einen Peso (3 Euro-Cent) an. Oder sie breiten Strümpfe, Tücher und T-Shirts auf Decken auf dem Boden aus. Auf der Shoppingmeile Florida im Zentrum von Buenos Aires sitzen inzwischen neben den flimmernden Reklamen die Straßenhändler dicht an dicht. Über 200 überwiegend junge Leute hocken am Boden und verkaufen auf Decken handgefertigte Kunst, seien es Lederarmbänder, Selbstgestricktes oder Gemaltes. In den U-Bahnen verteilen Kinder bunte Jesusbildchen und hoffen auf ein paar Cent. Ein zehnjähriges Mädchen singt immer das gleiche Kinderlied und bittet um mehr als nur Applaus. Und kommt die Nacht, teilen sich die Händler und Blumenverkäufer "ihre" Kreuzung mit Straßenkünstlern.
Weniger als eine Minute, genau die Zeit der roten Ampelphase, dauert die Show der Jongleure, Feuerkünstler und Tänzer. Wenn die Ampel auf gelb springt, laufen sie die Autoreihen entlang und halten den Hut hin. Oft kurbeln nur zwei, drei Fahrer die Fenster runter. "Mit Glück kommen wir am Abend auf 30 Pesos (8 Euro)", erzählt Eugenia. Die 24-jährige Studentin lässt jede Nacht zusammen mit ihrer Freundin
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Denn es ist vor allem die Straße, auf der ein paar Centavos verdient werden können. So haben selbst die ewig langen Schlangen vor den Banken Anfang diesen Jahres Arbeitsplätze "geschaffen". Wer sein Geld abheben oder in Dollar umtauschen wollte, musste oft tagelang Geduld haben. Für ein paar Pesos bieten sich Arbeitslose an, den Platz in der Schlange auch über Nacht zu hüten. In Decken gehüllt, mit heißem Mate-Tee halten sie Stellung. Auch vor der spanischen oder italienischen Botschaft "arbeiten" Platzhalter. Hier winden sich die Schlangen der Wartenden oft um mehrere Häuserblocks. Angesichts der Ausweglosigkeit im eigenen Land versuchen viele, über den Nachweis ihrer spanischen oder italienischen Abstammung nach Europa zu gelangen. Bis man an die Reihe kommt, seinen Visumsantrag stellen zu können, dauert es manchmal Monate. Zum Teil stehen die Platzhalter dort für immer die gleichen "Arbeitgeber" Schlange.
Doch der wohl größte Auswuchs der Krise wird durch die so genannten Cartoneros, die Kartonsammler, offenbar. Nach Sonnenuntergang ziehen inzwischen über 100.000 Menschen aus den Vororten durch die Straßen von Buenos Aires und durchwühlen den Müll nach Nützlichem, nach Papier, Plasteflaschen, Dosen und Essbarem. Ganze Familien mit Kindern und Großeltern streifen mit ihren Einkaufskörben oder den selbst gebauten Karren aus Metall und alten Autoreifen durch die Straßen und versuchen, schneller als die Müllabfuhr zu sein. Für ein Kilo Zeitungspapier erhalten sie fünf Centavos (0,01 Cent), für ein Kilogramm Dosen 70 Centavos (2 Cent). Bis zu 50 Kilogramm Papier sammelt jeder Cartonero täglich. Mit Glück verdienen sie mit ihrer Arbeit 50 Pesos (14 Euro) die Woche. Das Essen aus dem Müll waschen sie zu Hause mit Spülmittel ab und bereiten es neu auf. Ihnen wurde der treffende Name "Armee des Hungers" gegeben. Es sind die Ärmsten der Armen, die rund um die Stadt wohnen, aber es sind auch die Würdigsten. Sorgfältig verschließen sie zumeist die Müllbeutel wieder, die sie vorher vorsichtig durchwühlt haben. Sie verstehen sich selbst als Arbeiter, als Menschen, denen alle Chancen genommen wurden und die sich nun mit dem Müll der Anderen ehrlich über Wasser halten. "Bettler können sie mich nennen, dreckig auch, aber nicht Dieb", sagt einer der Cartoneros. Keiner stellt sich ihnen in den Weg, obwohl das Müllsammeln in Buenos Aires verboten ist. Mehr noch: Inzwischen wurde den Cartoneros eigens ein Zug zur Verfügung gestellt, der sie "zur Arbeit" bringt und nachts wieder in die Vororte fährt, da die Massen mit ihren Karren inzwischen nicht mehr in die normalen Vorortzüge passen. Und immer mehr Leute trennen heute ihren Müll und zeigen so einen Funken Solidarität inmitten der Verzweiflung und Armut, die inzwischen mehr als die Hälfte der Bevölkerung trifft. Das einstige Musterland Argentinien ist auf dicht davor, an Brasiliens Armutsquote von 60 Prozent anzuschließen.
In diesem Umfeld wurde das Programm Recursos Humanos geboren. "Wir sind keine Reality-Show wie Big Brother, sondern ein Programm, das sich der Realität annimmt. Die hohe Arbeitslosigkeit in Argentinien hat dieses Programm erzwungen", sagt Néstor Ibarra, der Moderator von Recursos Humanos. "Die Sendung", so Ibarra, "bietet eine würdige Arbeit in einem Land, in dem menschliche Werte nichts mehr zählen." Doch das weltweit
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Trotz aller Kritik hat Recursos Humanos heute doppelt so hohe Einschaltquoten wie die Seifenoper, die vorher auf diesem Sendeplatz zu sehen war. Zwischen 2.000 und 5.000 Anrufer geben täglich ihre Stimme für einen der Kandidaten ab. Das Publikum ist zumeist weiblich und kommt aus einfachen Verhältnissen, aber darunter sind auch zahlreiche Hausfrauen der Mittelklasse.
Es ist 17 Uhr. Auf dem Bildschirm von Canal 13 erscheint das Symbol der Sendung: ein naiv gezeichneter Mensch mit erhobenen Armen, der das H von Recursos Humanos bildet. "Wenn wir sehen, dass am Horizont die Sonne aufgeht, wird die Hoffnung im Herzen wiedergeboren. Männer und Frauen, zusammen können wir etwas verändern und uns helfen, uns zum Arbeiten zu erheben", tönt die Hymne des Programms im Hintergrund. Das Studio ist in orange und beige gehalten. Angespannt sitzen die beiden ausgewählten Kandidatinnen auf ihren erhöhten Stühlen vor kleinen runden Designertischen, den Blick starr in die Kamera gerichtet. Sie wagen kaum, den Kopf zu drehen und schauen sich gegenseitig nicht einmal an. Nur wenn Moderator Néstor Ibarra an sie herantritt, zeigt sich ein unsicheres Lächeln auf ihren Gesichtern. Leonor Del Valle Almada stützt das Kinn auf die verspannten Fäuste. Die schmächtige Frau mit den blond gefärbten Haaren drückt ihren Zeigefinger auf den Mund, als würde sie jedes Wort viel Überwindung kosten. Ihre Konkurrentin Stella Maris Brizuela hat die Hände unter dem Tisch gefaltet und verbiegt sich die Finger. Auf Podesten hinter ihnen die Familienangehörigen. Obwohl zurechtgemacht und geschminkt, ist ihnen anzusehen, dass sie sind nicht die typischen Gäste einer TV-Show sind.
Leonor Almada und Stella Maris Brizuela sind die einzigen, die es aus der langen Schlange der Bewerberinnen um den Platz als Reinigungsfrau geschafft haben. Die Geschichten und sozialen Hintergründe der Kandidatinnen ähneln sich zumeist in allen Sendungen. Diesmal wurden zwei geschiedene Frauen gewählt, die ihre Kinder alleine durchbringen. Sie sind 50 und 51 Jahre alt und wie so viele der anderen Bewerberinnen glücklich darüber, dass einmal ein Arbeitsplatz ohne Altersbeschränkung vergeben wurde. Leonor Almada hat acht Mägen zu füllen, die ihrer vier Kinder und ihrer drei Enkel sowie ihren eigenen. Stella Maris Brizuela hat zwei asthmatische Söhne.
Beide Frauen erklären in die Kamera, wie schwer es sei, die Aufgaben von Mutter und Vater gleichzeitig zu erfüllen. Seit zwei Jahren, erzählt Leonor Almada, sei sie ohne feste Arbeit. Ihre letzte Anstellung hatte sie als Zimmermädchen in einem Hotel. Danach fand sie nur noch ab und zu Gelegenheitsjobs auf Messen. Stella Maris Brizuela ist seit 14 Monaten ohne Arbeit. Sie hat sich bei Recursos Humanos zusammen mit ihrem großen Sohn beworben. Es ist inzwischen das dritte Mal. Immer ist sie
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Die Sendungen laufen nach einem immer gleichen Schema ab. Beide Kandidaten oder Kandidatinnen werden in einem Video vorgestellt, das sie zu Hause im Kreise der Familie zeigt. Großaufnahmen von müden Gesichtern und Händen, die Brote schmieren und den Kindern über die Haare fahren, flimmern in Zeitlupe über den Bildschirm. Die Kinder, Großeltern, Freunde und Partner sagen im immer gleichen Tonfall, wie kämpferisch, zärtlich, einfühlsam und aufrecht die Kandidatin oder der Kandidat sei und eine Arbeitsstelle wirklich verdient habe. "Uns hat es an vielen materiellen Sachen gefehlt, aber nie an Liebe", betont der Sohn von Stella Maris Brizuela. Unter allem liegt melancholische Gitarrenmusik. Meist kullern die ersten Tränen im Studio schon nach diesen Aufnahmen. Ein zweites Video zeigt die Kandidaten dann bei ihren liebsten Tätigkeiten und stellt ihren größten Wunsch vor. Und - Überraschung - Recursos Humanos macht es möglich: Die Mutter aus dem weit entfernten Norden des Landes, die aufgrund des fehlenden Geldes seit Jahren nicht besucht werden konnte, taucht im Studio auf und bringt das noch unbekannte Enkelchen mit; die Schwester, die in Spanien wohnt, ist am Telefon. Und alle beteuern, wie sehr sie einander lieben. Schluchzende Geigen helfen der Tränendrüse nach.
Die Teile der Sendung, die mit der eigentlich angebotenen Arbeit zu tun haben, sind kurz und bleiben im Hintergrund. Beide Kandidaten werden einen Tag lang in ihrem erhofften neuen Job begleitet. Sie laufen schon mal zur Probe mit Arbeitskitteln durchs Bild, wedeln Staub weg, beantworten Fragen des Chefs vor der Kamera und erklären natürlich, wie wohl sie sich gefühlt haben und wie gut es ist, einmal wieder arbeiten zu können. Zurück im Studio werden ihnen je zwei Fragen zu ihrer neuen Arbeit gestellt. Drei Antworten stehen ihnen zur Auswahl. "Wenn ein hohes Regal zu reinigen ist, was müssen Sie nutzen? a) einen Stuhl; b) eine Leiter oder c) irgendetwas," wollte beispielsweise Moderator Ibarra von Leonor Almada wissen. Und nur an zwei Tagen der Woche, dienstags und donnerstags, kommt ein Experte ins Studio, der ein paar Minuten zu einem Thema der Arbeitssuche spricht. Hier werden Tipps gegeben, wie man sich am besten bei Vorstellungsgesprächen verhält, was im Lebenslauf stehen sollte und wo man überall Arbeit suchen kann. Nur noch ein paar Phrasen von Moderator Ibarra wie "Wie viele Sachen ließen sich mit einer Arbeit lösen. Die Arbeitslosigkeit ist die Mutter allen Unglücks in Argentinien" erinnern daran, dass es sich bei Recursos Humanos um eine Sendung handelt, die sich als Hilfe, als Service für Arbeitslose inmitten der Krise versteht.
"Das ist halt das Fernsehen. Wir müssen etwas erzählen, was das Publikum fesselt", erwidert Produzentin Andrea Gual auf den Vorwurf, dass der Familiengeschichte mehr Bedeutung beigemessen wird als der eigentlichen Arbeit. Mehr noch, die Familiengeschichte sei das Wichtigste. Die Personalvermittlungsfirma treffe bereits die Vorauswahl nach fachlichen Kriterien. Wenn diese ihr dann zehn bis fünfzehn Kandidaten vorgestellt habe, komme es vor allem darauf an, ob die Kandidaten etwas Spannendes für die Sendung zu erzählen hätten. "Da gibt es Leute, die möglicherweise alle Anforderungen erfüllen, aber wir brauchen interessante Geschichten, die wir im Fernsehen präsentieren können. Im Allgemeinen suchen wir sehr arme Leute mit vielen Kindern, die aus dem Landesinneren gekommen sind und ihre Familie nie wieder gesehen haben", erläutert die Produzentin. Der eigentliche Hintergrund des Programmes, die Situation auf dem Arbeitsmarkt geht dabei dann allerdings fast verloren. "Wir wissen, dass dies ein sehr eigenartiges Programm ist, das nur in einem Umfeld wie in Argentinien existieren kann", gibt Andrea Gual zu.
Die Reaktionen der Argentinier auf Recursos Humanos sind sehr weit gefächert. Abgelehnt wird das Programm zumeist von Leuten mit höherer Bildung. "Ich finde es äußerst bedrückend, dass die Krise bei uns inzwischen solche Auswüchse zeitigt", sagt die Politikwissenschaftlerin Cecilia Lucca. "Die Sendung vergibt etwas als Preis, was eigentlich ein natürliches Menschenrecht sein sollte. Das ist nicht die Schuld des Programms, sondern der absurden Realität unseres Landes", meint Diego Riemer, der inzwischen in Europa als Tangotänzer arbeitet. Und Tourismusmanager Oscar Suárez erklärt: "Hier wird mit der Hoffnung von Menschen gespielt. Was als Hilfe angedacht ist, ist nichts weiter als eine Show." Auch die Hotelfachfrau Valeria Fayer steht der Sendung kritisch gegenüber. "Die Idee ist ja nicht schlecht, auch wenn Arbeit kein TV-Gewinn sein sollte. Aber das Programm wird nicht richtig genutzt. Statt wirklich etwas über die Arbeitsmarktslage zu bringen, Tipps zu geben und zu informieren, geht es nur um sentimentale Familiengeschichten", sagt die 30-Jährige.
Dagegen lieben diejenigen Recursos Humanos, die das Programm täglich sehen. "Seit Recursos Humanos auf Sendung gegangen ist, habe ich es nicht einmal verpasst," erzählte María Cristina Caceres, während sie im Theater Luz y Fuerza auf ihr Vorstellungsgespräch wartete. Sie findet die Sendung fantastisch, "weil sie den Leuten hilft, vor allem jetzt in der Situation, in der sich das Land befindet, denn es ist ein Desaster, in dem wir leben." María Cristina kann den Zeitpunkt kaum erwarten, um den Fernseher
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Während für mehr als die Hälfte der Bevölkerung die Arbeitslosigkeit die größte Sorge darstellt, kümmern sich die Politiker zu wenig darum, sodass sich das Fernsehen des Problems annimmt. "Eigentlich müsste das Fernsehen den Leuten keine Arbeitsplätze beschaffen. Sicherlich passiert so etwas auch nicht in Schweden. Aber hier muss sich jemand darum kümmern", sagt Moderator Ibarra.
Wenn die Wahlen nicht noch vorgezogen werden, sind die Argentinier am 30. März 2003 dazu aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu bestimmen. Die Vorbereitungen für diesen Wahlkampf sind jetzt schon in vollem Gange. Es ist erstaunlich, wie sehr in einem Land, das anscheinend ausweglos in der Krise steckt, um die Macht gekämpft wird. In sämtlichen Parteien werden schon jetzt die Präsidentschaftskandidaten aufgestellt. Ideologische "Hilfe" kommt dabei von außen. Im Juli 2002 sandte Washington Otto Reich nach Buenos Aires, den für Argentinien zuständigen stellvertretenden Staatssekretär des Außenministeriums. Dieser verkündete dort, welche Charakteristika der neue argentinische Präsident aufweisen müsse, um auf Unterstützung aus den USA hoffen zu können. Sieben Kriterien wurden dabei genannt. Angeführt wird die Prioritätenliste von der Forderung, den freien Markt zu respektieren. Es folgen die persönlichen Freiheiten, die Menschenrechte, das Verständnis für die wirtschaftlichen Realitäten. Er wird aufgefordert, die Nachbarländer nicht zu bedrohen, den Drogenhandel und selbstverständlich den internationalen Terrorismus nicht zu unterstützen sowie die Korruption zu bekämpfen. Kein Wort zu den drängendsten Nöten des Landes.
Angesichts eines solchen Kataloges vom wichtigsten Geldgeber Argentiniens ist es kaum verwunderlich, wenn die Themen Armut und Arbeit nicht zuoberst auf der Wahlkampfliste der argentinischen Parteien stehen. Derzeit kämpfen die Kandidaten erbittert um die Nominierung durch ihre Partei, aber politische Programme werden dabei nur vage angedeutet. Allein in der peronistischen Partei (PJ), die zurzeit die Regierung innehat, versuchen sich vier Kandidaten zu profilieren. Selbst Argentiniens Ex-Präsident Carlos Menem, der als einer der korruptesten Politiker des Landes gilt, will wieder antreten.
Das Interesse der Bevölkerung an den Auseinandersetzungen zur kommenden Wahl ist jedoch mehr als gering. Für sie sind Arbeitslosigkeit, Armut, Kriminalität und eine unsichere Zukunft die drängendsten Probleme, die sie aber in den politischen Debatten nicht wiederfinden. Nach Jahrzehnten voller Machtspiele und Vetternwirtschaft ist der Glaube der Argentinier, Politiker einmal an mehr als nur ihrem Korruptionsgrad unterscheiden zu können, verloren gegangen. Die Hoffnung, dass ein Kandidat aus den Bürgerinitiativen hervorgehen könnte, die auf die Krise äußerst aktiv und kreativ reagiert haben, hat sich nicht gefüllt. Im heutigen politischen Panorama Argentiniens scheint es niemanden zu geben, der eine echte Alternative ist.
Dabei wären grundlegende Reformen der Arbeits-und Sozialpolitik im Lande dringend notwendig. Nicht nur das etablierte und korrupte Geflecht der Gewerkschaftsbürokratien müsste schleunigst durchbrochen und ihre starke Anbindung an die Partei der Peronisten gelöst werden, um unabhängige Arbeitervertretungen zu schaffen. Vor allem muss auch die Absicherung bei Arbeitslosigkeit reformiert werden, will man verhindern, dass das Land weiter in die Armut abrutscht. Es gibt nämlich keine öffentliche Arbeitsvermittlungen im Land. Auch die Arbeitslosenhilfe ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Lediglich Familienväter können eine Unterstützung vom Staat beantragen. Diese beträgt 150 Pesos monatlich und deckt nicht einmal annähernd den Mindestbedarf von 250 Pesos, der für eine Familie mit zwei Kindern errechnet wurde. Doch über 1,2 Millionen Familienväter haben keine andere legale Einnahmequelle als diese Unterstützung. Die Nachfrage nach dieser Sozialhilfe ist vor allem auch deshalb so hoch, weil ein Großteil der in den letzten Monaten entlassenen Arbeitskräfte von ihren Betrieben nicht einmal die ihnen zustehende Entschädigung bekommen hat, da die meisten Firmen schlichtweg Pleite gegangen sind. Und es ist nicht zu erwarten, dass die Justiz oder andere staatliche Stellen hier eingreifen.
Die beiden Kandidatinnen Leonor Almada und Stella Maris Brizuela sitzen noch immer angespannt im Studio von Recursos Humanos. Eine kleine Auflockerung brachte heute der Tango in die Sendung. Stella Maris Brizuela tanzt an jedem Wochenende. "Der Tango lenkt mich ab. Er befreit mich von den Alltagssorgen", erklärt sie dem Moderator. Als sie kein Geld mehr hatte, ihren Unterricht weiter zu bezahlen, stellte ihr Tangolehrer sie kurzerhand als Gehilfin ein. Solche kleinen Gesten der Solidarität lassen sich vor allem bei kulturellen Aktivitäten beobachten. Die Sendeleitung von Recursos Humanos
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Je mehr sich das Programm dem Ende zuneigt, desto verkrampfter wird das Lächeln auf den Gesichtern der beiden Frauen. Das Publikum wird bald entscheiden, und dann zählt der persönliche Eindruck, nicht die Eignung für die Arbeit. "Die Zuschauer wählen im Allgemeinen genau das Gegenteil von dem, was die Firma wählen würde. Die Firma würde denjenigen nehmen, der am wenigsten auf die Arbeit angewiesen ist, der keine Kinder und keine Probleme hat, der am nächsten wohnt. Das Publikum dagegen stimmt für denjenigen mit acht Kindern, der 40 Kilometer weit weg wohnt", erklärt die Produzentin Andrea Gual das Abstimmverhalten der Zuschauer. Das Votum geht meistens sehr knapp aus. Nur wenige Prozentpunkte entscheiden über den Arbeitsvertrag oder enttäuschte Hoffnungen. Der Verlierer erhält als Trost immerhin eine halbjährige Krankenversicherung, die sich sonst kaum einer der Wenig-oder Garnichtverdienenden Argentiniens leisten kann.
Noch wissen die Kandidatinnen nicht, dass heute beide gewinnen werden. Schon häufiger haben Arbeitgeber beiden Bewerbern eine Stelle gegeben. Die erste, von Moderator Néstor Ibarra gefeierte, großzügige Geste dieser Art kam von dem Busunternehmen Cooperativa TAC aus Buenos Aires. In dieser Sendung hat Andreas Harpe, der Chef der Reinigungsfirma SEISO, eher pragmatische Beweggründe. "Heute ist es unsere Absicht, beide zu nehmen, weil wir sie brauchen. Gott sei Dank geht es unserer Firma gut. Dieses Jahr haben wir vier bis fünf neue Kunden gewonnen. Ich bin auch keine Kirche, wo die Leute hinkommen und wir ihnen aus Gnade Arbeit geben. Wenn ich nur eine bräuchte, dann würde ich auch nur eine nehmen", sagt der Deutschstämmige, der in Argentinien geboren worden ist und hier mit seiner Familie lebt und arbeitet.
Harpe ist auf Recursos Humanos aufmerksam geworden, als er eines Tages eine Sendung sah, in der eine seiner Konkurrenzfirmen den Arbeitsplatz vergab. "Ich habe mich erkundigt, wie alles funktioniert und bin heute nun schon zum zweiten Mal hier. Vieles von dem, was wir vorher machen mussten, wie eine Annonce in die Zeitung zu setzten und hunderte Vorstellungsgespräche führen, übernimmt jetzt der Kanal. Die Wahl des Programmes ist für mich somit eine Frage der Ersparnis von Kosten und Arbeitsaufwand, und zusätzlich gibt es eine Stunde Werbung", erklärt er. Und Produzentin Andrea Gual fügt hinzu: "Die Firmen sind daran
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Anfänglich musste die Produzentin noch bei vielen Firmen anfragen und sie überreden, eine Stelle im Fernsehen auszuschreiben. Heute hat sich der Prozess eingependelt. Ungefähr die Hälfte der Firmen, die an Recursos Humanos teilnehmen, melden sich wie Andreas Harpe aus eigener Initiative. Sie werden vom Programm zu einem halbjährigen Arbeitsvertrag verpflichtet, "der alle rechtlichen Bedingungen erfüllt", wie Moderator Ibarra immer wieder betont. Im heutigen Argentinien ist ein solcher Vertrag eine Seltenheit. Über 80 Prozent der neuen Arbeitsplätze sind Schwarzarbeit. Die Löhne,
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Was allerdings nach dem halben Pflichtjahr mit den eingestellten Kandidaten geschieht, bleibt offen. Andreas Harpe macht das von ihrer Arbeit abhängig: "Wenn sie gut arbeiten, dann bleiben sie bei uns. Wir brauchen gute Leute, und wenn wir welche finden, dann versuchen wir auch, sie bei uns zu halten." Produzentin Andrea Gual hofft, "dass auf den Arbeitgebern durch uns so viel öffentlicher Druck und Prestige lastet, dass sie die Verträge eingehalten werden." Aber erst nach sechs Monaten, wenn die ersten Verträge ablaufen, wird sich zeigen, ob nicht die Versuchung der Arbeitgeber, über neue Kandidaten erneut eine Stunde kostenlose Werbung zu erhalten größer ist als der Wille, Menschen auf Dauer Arbeit zu geben.
Die Hymne von Recursos Humanos erklingt zum letzten Mal in dieser Sendung. Moderator Néstor Ibarra schaut gespannt auf den Bildschirm, der gleich das Abstimmungsergebnis der Zuschauer anzeigen wird. Das Ergebnis erscheint. "49 Prozent der Stimmen für Stella Maris Brizuela und 51 Prozent für Leonor Del Valle Almada", verkündet Ibarra. "Wirklich, fast kein Unterschied", meint er noch und bemerkt seinen eigenen Zynismus nicht. Eine Stunde lang hatten die beiden Frauen gegeneinander gekämpft, obwohl von vornherein klar war, dass beide mit dem Arbeitsplatz "beglückt" werden würden. Der Arbeitgeber Andreas Harpe betritt die Szene und verkündet generös, dass beide Frauen bei ihm arbeiten dürfen. Die Verträge werden unterschrieben. Am Montag können Stella Maris Brizuela und Leonor Almada dann anfangen. "Ich bin ein anderer Mensch. Ab heute beginnt ein neues Leben", strahlt Stella Maris Brizuela mit dem Vertrag in der Hand. Ein halbjähriges neues Leben mit einem Monatslohn von 300 Pesos (86 Euro) bei einer 40-Stunden-Woche. Immerhin mehr als das durchschnittliche Einkommen, das gut die Hälfte der Argentinier heute bezieht.
Antje Krüger arbeitet als freie Journalistin in Berlin.
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HongkongArbeit - ein SpielEinen Arbeitsplatz können auch die Kandidaten in der neuesten Show des Fernsehsenders ATV in Hongkong gewinnen. In der Sendung "Einen Job gewinnen" müssen erwerbslose Kandidaten die Fragen von möglichen neuen Arbeitgebern beantworten. In die Show werden nach einer Vorauswahl drei Kandidaten eingeladen. Sie müssen nicht nur begründen, warum sie am besten für die offene Stelle geeignet sind, sondern auch weitere Tests bestehen. Die Zuschauer wählen danach den Gewinner. Die Sprecherin des Senders ATV sagte der Nachrichtenagentur Reuters, dass von den drei Kandidaten der Arbeitgeber ganz sicher den Gewinner einstellen werde, aber er könne auch den anderen einen neuen Job geben, wenn er von ihnen beeindruckt sei. Hongkong hat derzeit eine Arbeitslosenquote von 7,8 Prozent, die aber vermutlich in den nächsten Monaten noch ansteigen wird, da die ehemalige britische Kronkolonie in ihrer zweiten Rezession innerhalb von vier Jahren steckt. eb |