Wie ein Thema zum Nicht-Thema wird
Der Höhepunkt einer jungen Journalistenkarriere kam per Mail: "Vielen Dank für Ihre Bewerbung für ein Umweltstipendium. Ich finde Ihren Vorschlag interessant und würde Ihr Exposé gerne von einem ausgewiesenen Experten gegenchecken lassen", hieß es da. Was für eine Freude! Das Exposé hat überzeugt, das Thema ist auf offene Ohren gestoßen.
von Antje Krüger
"Ein eiskaltes Geschäft – Für Gold soll in den südamerikanischen Anden Gletscher versetzt werden", so der Arbeitstitel für eine Recherche an der Grenze von Chile und Argentinien. Karg zieht die Landschaft dort dahin, Geröll und Staub, dazwischen ein Fluss. Entlang des Ufers sprießt Wein, weiden Ziegen. Am Horizont wuchten sich Berge auf – die Anden. Auf ihren Gipfeln ewiger Schnee. Chiles Norden, die so genannte III. Region, ist trocken, nur vereinzelt durchquert von Tälern, dem Lebensquell der Atacamawüste.
Unter der Quelle des Huasco-Tals gut 800 Kilometer nördlich von Santiago de Chile, unter den Gletschern Toro I und II und Esperanza auf über 4500 Metern Höhe, liegt jedoch noch ein anderer Schatz – Gold, die Mine Pascua Lama, eines der größten Vorkommen der Welt. Hier will die kanadische Barrick Gold Corporation, einer der führenden Goldförderer am Markt, schürfen. Gut zwei Drittel dieser Bodenschätze liegen in Chile, der Rest in Argentinien. Ein 2001 ratifizierter Bergbauvertrag ermöglicht den Abbau im Grenzgebiet. Die Mine ist das erste binationale Projekt dieser Art weltweit. Circa 1,5 Milliarden US-Dollar, so die erste Summe, sollen dafür investiert werden
Eine knappe Nachricht, im Jahr 2005 – entdeckt beim täglichen Sichten der südamerikanischen Presse im Internet – führte hin zu diesem Thema und warf viele, viele Fragen auf. "Das Unternehmen Barrick Gold muss Eisblöcke versetzen, um Goldvorkommen zu bergen", lautete die Schlagzeile. Das Medium: El Mercurio, Chiles größte Tageszeitung. Die Nachricht: eine kurze Information über das Vorhaben der Barrick Gold Corporation in den chilenischen Anden, angereichert mit detaillierter Schilderung der technischen Umsetzung des Gletschertransports, beschrieben wie eine Routineoperation. Kein Hinterfragen des Vorhabens, keine Kritik. Der Ton war derartig beiläufig, dass der Artikel praktisch unterging. Eine weitere Recherche vom Berliner Computer aus brachte nur wenige zusätzliche Information. Die Neugier war geweckt, das Umweltstipendium ausgeschrieben, die Unterlagen eingereicht.
Und nun der Glückwunsch. Eine Journalistenvereinigung namhafter Journalisten und Journalistinnen, nennen wir sie NWR, hat es sich zur Aufgabe gemacht, vielversprechenden Projekten und jungen Journalisten tatkräftig unter die Arme zu greifen. Im Zentrum ihrer Aufmerksamkeit stehen die Recherchen, vor allem schwierige, nicht ganz ungefährliche Recherchen, die ein feinfühlig hartnäckiges Suchen nach Informationen erfordern. Investigativer Journalismus, der Informationen jenseits gut sichtbarer Oberflächen bietet, soll unterstützt werden. Damit will die Organisation umfangreiche Recherchen zurück in den Medienalltag bringen. Erfahrene Journalisten stehen den Stipendiaten dabei zur Seite und helfen mit Rat und Tat.
Der angekündigte Experte Herr R., an den das Exposé weitergeleitet wurde, meldet sich dann auch umgehend. Er möchte viel vorab wissen. Zitiert aus dem Exposé und fragt: Mehr als 70.000 Menschen werden von dem Projekt betroffen sein. Inwiefern? Wovon genau? Das Projekt werde die "wichtigste Süßwasserressource der Region zerstören". Wer erhebt diesen Vorwurf? Wie wird er untermauert? Die Firma gehe "respektlos" mit den Bewohnern der Region um. Gibt es dafür konkrete Beispiele?
Pascua Lama ist Thema im Huasco-Tal, immer und überall. Wer für die Mine ist, gehört zur Opposition, denn alle anderen sind dagegen. Die Bewohner befürchten unkalkulierbare Umweltschäden für ihr Tal, das für seine süßen Weintrauben berühmt ist. Das einzige Wasser, das sie haben, kommt vom Fluss und der entspringt den Gletschern. Nelsón X aus Pedregales – seinen Nachnamen möchte er nicht nennen –, wie so viele Nordchilenen selbst Bergarbeiter, klärt über die zusätzlichen Probleme auf: "Wenn die da oben die Steine sprengen, wird Arsen freigesetzt, das der Wind durch das ganze Tal trägt. Ein Milligramm Zyanid, das für die Goldwäsche benötigt wird, ist tödlich für zehn Menschen und hier werden täglich 90 LKWs mit diesen und anderen Chemikalien vorbeifahren. Direkt durch die Dörfer, an den Häusern entlang. Ich habe in einer Goldmine gearbeitet, da war ein Becken mit einer kristallinen Flüssigkeit. Sah aus wie Wasser, aber die Vögel, die das tranken, starben auf der Stelle. Hinzu kommt, dass unser Fluss eine große Fließgeschwindigkeit hat. Wenn es in den Bergen gewittert, kommt der Schlamm vier Stunden später hier vorbei. Wenn da oben was passiert, haben wir hier keine Chance", berichtet er.
Die Barrick Gold Corporation legt andere Fakten auf den Tisch. "Für den Bau der Mine werden wir 5500 Leute einstellen. Später arbeiten dann dort um die 1660 Menschen. Damit werden wir einer der größten Arbeitgeber der Zone. Wir integrieren den sozialen und ökonomischen Fortschritt in unsere Arbeit. Wir haben eine Straße durch das Tal gebaut, Computer installiert und ans Internet angeschlossen sowie Krankenwagen gekauft. Und wir arbeiten eng mit den chilenischen und argentinischen Umweltbehörden zusammen. Das ist die Grundlage der Politik unserer Firma", kommt die Auskunft aus dem Büro des Konzerns im Ort.
Die Barrick Gold Corporation bezeichnet ihre Politik als Investition, Luis Faura, Mitglied im Gemeinderat von Huasco Bajo, spricht schlichtweg vom Kauf des Tales. Gut 70.000 Anwohner werden direkt oder indirekt betroffen sein. Sei es durch einen Arbeitsplatz oder weil das Wasser für den Weinanbau knapp wird, da sie es in der Mine nutzen. Sei es, weil ein Hotel plötzlich kanadische Gäste hat, oder weil das ganze Leben im Tal ersterben könnte.
So gehen die Fragen und Antworten hin und her. Schriftlich, oft mündlich. Die Telefonate sind lang, Herr R. immer überzeugter. Über den Reisetermin wird gesprochen, er liegt noch mehrere Monate in der Ferne. Die Prüfung des Projektes ist praktisch abgeschlossen. Da kommt per Mail noch eine letzte Frage: Gibt es Neuigkeiten?
Ja, es gab Neuigkeiten. Bürger taten sich zusammen und organisierten sich. Die "Front gegen Pascua Lama" wurde gegründet, diejenigen, die an Ort und Stelle schon gegen die Mine auftraten, vereinigten sich. Umweltgutachten wurden erhoben, Antragsfehler der Firma und eigenmächtiges Handeln in den Bergen vor Gericht gebracht. In Argentinien erhob der Biologe Raul Montenegro, Träger des alternativen Nobelpreises 2004, seine Stimme. Die argentinische Regierung sprach sich gegen die Mine aus. In Chile wurde der Konflikt zum zentralen Thema beim Wahlkampf um die Präsidentschaft, die Forderung nach dem Stopp der Mine zur Wahlbedingung für die Sozialistin Michelle Bachelet. Die Medien reagierten darauf, der Protest kam in die Schlagzeilen. Nicht lange zwar, dann nahmen ganzseitige Werbungen der Firma Barrick Gold Corporation mit dem Titel "Verantwortungsvoller Bergbau" die Zeitungsseiten ein oder liefen zur besten Sendezeit. Aber das Thema hatte sich verankert. Dem geplanten Raubbau an der Natur stellten sich die Bürger entgegen, immer mehr und immer erfolgreicher.
Kurz darauf klingelte das Telefon. "Also, wenn jetzt diese Bewegungen das Projekt stoppen, dann interessiert mich das Thema nicht mehr", sagte Herr R. Entsetzen und Unverständnis auf Seiten der Recherchierenden. Aber ein Stopp der Mine durch die Umweltbewegung ist doch genau so ein Thema. Wenn nicht noch ein wichtigeres oder eben anders gewichtetes. Wie selten passiert es denn, dass Anwohner gegen einen Konzern gewinnen? Das wäre doch einmal ein Positivbeispiel. Endlich. Wie nötig sind auch solche Schlagzeilen, wie spannend die Recherche eines erfolgreichen Protestes, wie interessant die Erfahrungen daraus. Die Argumente gehen hin und her. Herr R. bleibt fest. "Als Erfolgsmeldung nutzt mir das gar nichts. Bleiben Sie dran an den Entwicklungen und geben Sie kurz vor Flugbuchung Bescheid. Die Mine muss wirklich eröffnet werden, sonst brauchen Sie nicht zu fliegen", so Herr R. Der Satz blieb als Bedingung für die Bewilligung des Geldes stehen.
Aufgrund anderer Gründe, die das Thema nicht direkt betrafen, wurde in beiderseitigem Einverständnis letztendlich von diesem Stipendium abgesehen. An der Bewilligungsbedingung selbst, dem Erfolg der Bergbaugesellschaft, wurde gleichwohl festgehalten.
Die Recherche kam trotz allem zustande, mit einem anderen Stipendium, das keine Erfolgsbedingungen an Negativschlagzeilen knüpfte. Kurz vor Ankunft in Chile fielen die Regierungen in Chile und Argentinien um und stimmten dem Projekt zu, trotz diverser Umweltgutachten, die eine Ablehnung nahelegen. Auflage: Die Gletscher dürfen nicht versetzt und zerstört werden. Wie das geschehen soll, bleibt offen. Die Barrick Gold Corporation hat indes ihre Investitionen auf 2,3 bis 2,4 Milliarden US-Dollar erhöht.
Die Geschehnisse vor Ort sind vielfältig, vielschichtig, nicht einfach zu durchschauen. Eine Wahrheit ist schwer zu finden im Huasco-Tal, im Gegeneinander der Meinungen, der Fakten, der Ansichten.
Die ausländische Presse wird zunächst misstrauisch beäugt – von allen Seiten – und dann Willkommen geheißen und mit Informationen überschüttet. Die Barrick Gold Corporation will ihre Politik des "Verantwortungsvollen Bergbaus" veröffentlicht wissen, die Gegenbewegungen hoffen auf Hilfe von Engagierten, seien es Anwälte, Journalisten, Beratern, wenn das Thema publik wird. "Alles, was ich weiß, habe ich aus den Akten der Barrick. Man muss sich nur die Mühe machen und einen 500-seitigen Bericht durchforsten. Da bekennt die Firma, dass die Gletscher schon zurück gegangen sind. Logisch, die sprengen da oben und haben eine Straße über das Eis gebaut. Wer kontrolliert das denn? Die haben jetzt schon völlig freie Hand", erklärt Luis Faura und fügt hinzu: "Da entsteht ein Land Barrick."
Der Bewilligungsgrund für den Rechercheauftrag vom NWR wäre heute gegeben. Die Schlagzeilen aus Chile und Argentinien sind schwarz, nein, golden genug. Ich würde das Stipendium nicht wollen.
PS: Das Thema erschien in acht Zeitungen und Zeitschriften in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Es kamen Zuschriften von Lesern, die sich engagieren wollen – gegen die Mine. Sie wären froh über eine Erfolgsmeldung gewesen.
Und weil dies der persönliche Erfahrungsbericht einer Auslandskorrespondentin ist, sei mir noch eine ebensolche Anmerkung erlaubt. Es gibt Zeitschriften, die "Nichtthemen" thematisierten. Dazu gehörte zweifelsfrei "der überblick". Hier wurde ein Podium für Themen bereitgestellt, die anderswo nicht erwünscht waren. Hier gab es den Mut und die Weitsicht, Nachrichten auch jenseits des Scheiterns, der Katastrophe und der Negativschlagzeilen zu erkennen und zu sehen und Optimismus und Erfolgsmeldungen ebenso Raum zu geben und ihnen Wert beizumessen wie den Berichten über Probleme, Not und Leid. Dafür danke ich – als Journalistin und als Leserin.
aus: der überblick 04/2007, Seite 56
AUTOR(EN):
Antje Krüger
Antje Krüger arbeitet als freie Journalistin in Berlin mit Schwerpunkt Südamerika und bereist häufig diesen Kontinent.