Mr. Bush, kommen Sie uns zu Hilfe! An Appellen aus Liberia hat es nicht gefehlt. Von der verzweifelten Bevölkerung nicht, und auch die so grausam wütenden Banden der Herren Taylor, Conneh und Slanger haben Kooperation mit US-Truppen versprochen. Die Nachbarstaaten Liberias baten die USA um Hilfe, und der UN-Generalsekretär hat sanft und klug, aber doch erkennbar verzweifelt, auf George Bush einzuwirken versucht. Als dann ein kleiner amerikanischer Erkundungstrupp in Liberia auftauchte, gab es Jubel und Fähnchenschwenken.
Das waren Botschaften und Bilder, die dem Herrn im Weißen Haus und den grauen Eminenzen im Pentagon eigentlich hätten gefallen müssen - nach Monaten, in denen den USA in aller Welt vor allem Kritik und manchmal auch Hass entgegenschlug und im Angesicht von Heckenschützen statt Hurra-Rufern im gerade vom bösen Diktator befreiten Irak. Doch die USA haben die Chance vertan, mit Unterstützung der Weltgemeinschaft als Ordnungsmacht in Westafrika tätig zu sein und damit ein wenig Sympathie und Glaubwürdigkeit zurückzuerobern.
Was sich im Blick auf Liberia in den vergangenen Wochen vor den Augen der Weltöffentlichkeit entfaltet hat, ist eher wieder zum Lehrstück für imperiale Arroganz geraten. Ein paar schöne Worte zu Beginn, ein paar Gesten beim Spiel auf Zeit, am Ende ein paar Dollars, ein paar Soldaten mit Logistik und am Horizont ein paar amerikanische Kriegsschiffe.
Man tut so, als würde man was tun. Und um nicht wirklich eingreifen zu müssen, legt man die Latte so hoch, dass man sie kaum überspringen muss: Erst muss der Diktator das Land verlassen haben, muss ein Waffenstillstand greifen. Mit anderen Worten: Die Amerikaner kommen zu Hilfe, wenn die Liberianer nicht mehr wirklich in Gefahr sind. Aber auch dann nur mit begrenzter Kraft und für kurze Zeit, das haben sie schon vorab wissen lassen.
Man kann es den Afrikanern nicht verdenken, wenn sie daraus zynische Schlussfolgerungen ziehen, kommentierte die "International Herald Tribune" dieses Trauerspiel. Der nigerianische Präsident Obasanjo hat die amerikanische Haltung mit der einer Feuerwehr verglichen, die erklärt, erst dann etwas tun zu können, wenn das Feuer aus ist.
Dabei war George Bush gar nicht schlecht gestartet. In einer Rede vor dem Corporate Council on Africa's US-Africa Business Summit hatte er am 26. Juni davon gesprochen, dass Afrikas Not niemand kalt lassen könne: "Wir betrachten es als moralische Verpflichtung, Hoffnung zu bringen, wo Verzweiflung herrscht, und Hilfe, wo Menschen leiden ... Wir haben nicht nur ein Bündel von Interessen, wir haben auch eine Berufung."
Und Charles Taylor, dem warlord von Monrovia, hatte er Anfang Juli sogar ein Ultimatum gesetzt, binnen 48 Stunden zu verschwinden. Doch als der das Donnerwort einfach ignorierte, kam aus Washington erstmal nichts und dann ein ganz Bush-untypischer Satz: "Ich bin dabei, die nötigen Informationen zu sammeln, um eine rationale Entscheidung zu treffen."
Die präsidenzielle Denkpause wurde nie so richtig für beendet erklärt, aber in der Zwischenzeit meldete sich eine ganze Reihe von Leuten zu Liberia zu Wort. Die Gegner einer US-geführten Intervention scheinen vor allem im Pentagon zu sitzen. Donald Rumsfeld grummelt, die USA hätten in Liberia keine vitalen Interessen, andere beschwören das Somalia-Debakel und wollen überhaupt keine Beteiligung an Peacekeeping-Missionen. Militärs warnen, dass die USA sich nicht verzetteln sollen und die Sache weit weniger übersichtlich sei, als sie auf den ersten Blick aussehe. Und der Vorsitzende des Streitkräfteausschusses, Senator John Warner, der sonst die Regierung stets treu unterstützt, schnaubt, die Regierung habe die Risiken nicht klar benannt und nicht nachgewiesen, dass die Entsendung von Truppen im nationalen Interesse sei.
Zu den Befürwortern einer amerikanischen Intervention gehört Außenminister Powell, der genügend Gespür dafür hat, dass man nicht an einem Tag große Worte machen und am nächsten wegsehen kann. Powell hat auch an das skandalöse amerikanische Fehlverhalten in Ruanda erinnert. Was die Folgen einer weiteren unterlassenen Hilfeleistung sein werden, hat der Journalist Philip Gourevitch, Autor eines vielbeachteten Buches über Ruanda, im "New Yorker" formuliert. Im Hinblick auf Bushs warme Worte vom 26. Juni schreibt er: "Sich von Liberia abzuwenden würde bedeuten, sich nicht nur von der behaupteten Anteilnahme an Afrika abzuwenden, sondern, weitergefasst, auch von den moralischen Grundlagen seiner Machtausübung."
Der frühere Präsident Jimmy Carter hat sich - erwartungsgemäß - für ein Engagement ausgesprochen. Zu den Befürwortern gehört auch Chester Crocker, der unter Präsident Reagan für die Afrikapolitik zuständig war. In einem Beitrag für die "International Herald Tribune" zerpflückte er die Argumente der Interventionsgegner: "Ja, die amerikanischen Streitkräfte sind stark beansprucht - aber wenn sie es sich nicht mehr erlauben können, ein paar Tausend marines zu entbehren, die Bush schon auf Schiffen in Richtung Westafrika in Bewegung gesetzt hat, dann ist es Zeit für eine grundlegende Neubewertung von Amerikas Bereitschaft zu globaler Führung. Wenn wir Amerikaner uns Sorgen machen, ob wir in der Lage sind, in Liberia ein paar Monate einen Frieden aufrechtzuerhalten, sollten wir uns noch mehr Sorgen machen, welche Schlüsse sowohl unsere Rivalen als auch unsere Alliierten aus dieser Unsicherheit ziehen."
Die Afro-Amerikaner, die sich in der Vergangenheit stark für afrikanische Anliegen - gute und weniger gute - eingesetzt haben, sind keineswegs einhellig für eine US-amerikanische Intervention in Liberia. Zu den Befürwortern zählt der Congressional Black Caucus, die Interessengruppe der schwarzen Kongressmitglieder. Dagegen macht Bill Fletcher, Präsident des TransAfrica Forums, geltend, dass es sich um eine westafrikanische Krise handele, die von Westafrikanern gelöst werden müsse. Zu den Gegenargumenten, die schwarze Intellektuelle, Politiker und Aktivisten anführen, gehört, dass Schwarze in der US-Armee überproportional vertreten sind. Es sei nicht einzusehen, so Professor Roger Wilkins, warum der ärmere Bevölkerungsteil mit dunkler Hautfarbe die Last der amerikanischen Außenpolitik tragen solle. An die Stelle der früheren, oft pathetischen Solidarität mit Afrika ist eine gewisse Ernüchterung und Orientierung an den eigenen Interessen getreten. Hinzu kommt eine tiefe Skepsis gegenüber der US-amerikanischen Interventionspolitik überhaupt.
Die Befürworter einer US-Intervention betonen, das Risiko einer Intervention sei vergleichsweise gering. Dem widerspricht (in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung") der amerikanische Journalist David Rieff, der durch sein Buch über Bosnien berühmt geworden ist und der sich intensiv mit humanitären Interventionen beschäftigt hat: "Jeder, der auf die Vorstellung hereinfällt, der Einsatz in Liberia werde im Prinzip risikofrei ... sein, der hat während der 90er Jahre nichts aus den vermeintlich "friedenssichernden" Maßnahmen in Somalia, Bosnien und dem Kosovo gelernt ... Charles Taylor ins nigerianische Exil zu vertreiben, wird nur den ersten Schritt darstellen ... Es würde nur einem anderen Tyrannen Gelegenheit zum Aufstieg geben. Wenn wir es mit der Rettung Liberias vor sich selbst ernst meinen, müssen wir uns darüber klar werden, dass wir das Land dadurch von Amerika abhängig machen. Die Briten haben nach ihrer Intervention in Sierra Leone die Last nachhaltiger Hilfe auf sich genommen ... Wenn die USA in Liberia dieses Maß an Verpflichtung unterschreiten, würde das einem Misserfolg gleichkommen - und amerikanische Soldaten wären dann höchstwahrscheinlich sinnlos gestorben."
Rieffs mehr als skeptische Fragen gründen sich auch darauf, dass die Amerikaner in Afghanistan die Rolle der Schutzmacht nicht wirklich übernommen haben und im Irak mit gefährlicher Ambivalenz handeln. So berechtigt seine Kritik an Konzeptionslosigkeit und Kurzatmigkeit vieler Interventionen ist - man muss diese Argumente nicht als Plädoyer gegen eine amerikanische Beteiligung lesen, man kann sie auch Befürwortung eines umfassenden Engagements verstehen. Und genau darum geht es ja.
Und Deutschland? Trotz der ausführlichen Berichterstattung in der Presse, allen voran der "Süddeutschen" und der "Frankfurter Allgemeinen", und beklemmender Fernsehbilder war eine Diskussion über Liberia nicht auszumachen. Im Hinblick auf die Regierung, die entweder in Urlaub oder mit dem kleinlichen Gerangel im Hinblick auf unsere großen Probleme beschäftigt war, erstaunt das nicht weiter. Aber wo waren die Stimmen der üblichen Verdächtigen der Dritte-Welt-Lobby? Die Gründe für ihr Schweigen wird man im einzelnen erfragen müssen, aber eine Vermutung liegt doch nahe: Wenn man die Geschichte der Dritte-Welt-Szene in Deutschland betrachtet, darf man wohl annehmen, dass den allermeisten ein Satz wie "Wir fordern eine militärische Intervention der USA" nur schwer über die Lippen kommen würde. Aber was bedeutet das für den Anspruch, für die "Verdammten dieser Erde" (großes Pathos) oder die "Partner" (geschäftsmäßig) zu sprechen? Und haben nicht auch die Kirchen Liberias um Hilfe gerufen?
Nun sind die ersten westafrikanischen Soldaten der ECOMIL-Mission in Liberia gelandet. Der UN-Sicherheitsrat hat sie mit Resolution 1497 ordentlich auf den Weg gebracht. Vorbereitet wurde sie von den USA, die das humanitäre Anliegen gleich wieder auf beschämende Weise mit kleinkarierter Interessenpolitik verbunden haben. Die Resolution enthält nämlich einen Passus, der Angehörige truppenstellender Staaten von einer eventuellen Verfolgung durch den internationalen Strafgerichtshof (ICC), den die USA ablehnen, freistellt. Um diese Erpressung deutlich zu machen, haben Frankreich, Mexiko und Deutschland sich der Stimme enthalten, eine wichtige Geste. "Offen gesagt, meine Sympathie ist bei denen, die sich enthalten haben", hat Kofi Annan diese Entscheidung kommentiert.
Die Liberianer bejubeln jetzt die nigerianischen Truppen. Das zynische Zögern der Amerikaner ist ihnen keineswegs verborgen geblieben: "Amerika hat uns doch hängen lassen", konnte man da Anfang Juli hören, und: "Ihr alle habt doch ein übles Spiel mit uns getrieben."
Renate Wilke-Launer ist Chefredakteurin des überblick.