Zwei Kolumbianerinnen kämpfen gemeinsam für eine Friedensgemeinde
Ana del Carmen Martínez ist eine von Millionen in Kolumbien, die der Bürgerkrieg zu Flüchtlingen im eigenen Land gemacht hat. Ihre Gemeinde hat die Rücksiedlung in ihr Herkunftsgebiet durchgesetzt und sich zur Friedenszone erklärt – unterstützt von der Franziskanerin Carolina Pardo Jaramillo und ihrer Organisation Justicia y Paz; sie begleitet die Gemeinde und sorgt für internationalen Schutz. Den beiden Frauen wurde dafür Ende 2006 der Bremer Menschenrechtspreis verliehen.
von Bettina Reis
"Oyeme, Choc&0acute;", "Erhöre mich, Choc&0acute;" mit diesem Klagelied an ihre Heimat im pazifischen Tiefland Kolumbiens bedankte sich Ana del Carmen Martínez von der kolumbianischen "Friedensgemeinde Cacarica" für den Bremer Solidaritätspreis. Der Preis wurde ihr zusammen mit einer zweiten Kolumbianerin, Carolina Pardo Jaramillo, im Dezember 2006 übergeben. Alle zwei Jahre ehrt der Senat der Hansestadt Bremen mit dem Solidaritätspreis Personen, die gegen Kolonialismus und Rassismus kämpfen und für Freiheit und Selbstbestimmung eintreten.
Die Hymne an ihre Gemeinschaft hatte Ana del Carmen Martínez schon 1998 bei ihrem ersten Besuch in Deutschland angestimmt. Menschenrechtsorganisationen und Hilfswerke – darunter "Brot für die Welt" – hatten sie eingeladen, um auf die Situation ihrer Gemeinde in Choc&0acute; und auf das dramatische Problem der Binnenflüchtlinge in ihrem Land aufmerksam zu machen. Damals, in einer Kirchengemeinde in Emden, standen Ana Martínez die Tränen in den Augen, als sie das Lied sang. Das Trauma der Vertreibung und der Gräuel, die sie erlebt hatte, war ihr ins Gesicht geschrieben. Öffentliche Auftritte waren damals, vor fast zehn Jahren, für die Afro-Kolumbianerin und Mutter von sieben Kindern noch ungewohnt. Das Reden über sich und über das, was ihre Gemeinde erlebt hatte, fiel ihr nicht leicht. Heute macht es Ana Martínez nicht mehr nervös, wenn sie international für ihre Gemeinde spricht. Sie ist zu einer Botschafterin geworden: Immer wieder berichtet sie über die Geschichte der Vertreibung, erzählt, wie die Menschen vom Cacarica-Fluss sich organisiert haben, und schildert ihre anhaltend schwierige Lage.
Die verstreuten Siedlungen im Regenwald an der Pazifik-Küste waren 1997 während einer Offensive der Armee sowie von Paramilitärs zur Flucht gezwungen worden. Die Offensive richtete sich angeblich gegen die FARC-Guerilla. Die Betroffenen vermuten jedoch wirtschaftliche Interessen hinter den Vertreibungen: Die Region ist reich an Edelhölzern und besitzt Bodenschätze wie Gold und Kohle. Außerdem hatten Überlegungen, einen Kanal durch das Gebiet zu bauen, um den atlantischen mit dem pazifischen Ozean zu verbinden, die Bodenpreise in die Höhe getrieben.
Die Vertriebenen verbrachten drei Jahre im Sportstadion der Stadt Turbo, das zu einem Flüchtlingslager umgewandelt worden war. Sie organisierten sich während dieser Zeit nach dem Modell einer Friedensgemeinde und erklärten sich zu einer "Gemeinschaft für Leben, Würde und Selbstbestimmung" - die spanische Abkürzung lautet CAVIDA.
In dieser Zeit erarbeiteten sie auch einen Plan für die Rücksiedlung in ihr Heimatgebiet und einen Katalog von Forderungen an die Regierung. Im Mittelpunkt standen die Vergabe von kollektiven Landtiteln, staatliche Hilfen für den Wohnungsbau sowie Schutzmaßnahmen. So wollten sie, dass die staatlichen Menschenrechtsbehörden am Ort Präsenz zeigten, um die Armee und Paramilitärs von Übergriffen abzuhalten. "Mitten im Krieg in Würde überleben" ist die Leitlinie ihres Vorgehens. Das juristische Fundament sind die Menschenrechte und das humanitäre Völkerrecht: Als "Friedensgemeinde" berufen sich die Menschen vom Cacarica-Fluss auf das völkerrechtliche Prinzip, dass die Zivilbevölkerung nicht zum Ziel von Kriegshandlungen gemacht werden darf. Sie lehnen die Präsenz von Bewaffneten in ihrem Wohn- und Arbeitsbereich ab. Die beiden Dörfer in ihrer Heimatregion, die sie nach ihrer Rücksiedlung gegründet haben – in Dörfern sind sie besser geschützt als verstreuten Gehöften -, sind als "humanitäre Zone" gekennzeichnet.
Die Menschen vom Cacarica-Fluss sind nicht die einzigen, die der Krieg in Kolumbien aus ihrer Heimat vertrieben hat. In dem Andenland spielt sich eine wenig beachtete humanitäre Katastrophe ab: Es weist drei Millionen Binnenvertriebene auf, die zweithöchste Zahl weltweit hinter dem Sudan. Mutigen Menschen wie Ana Martínez ist es zu verdanken, wenn die Situation dieser Flüchtlinge im eigenen Land heute mehr Aufmerksamkeit findet.
Oder der zweiten Preisträgerin, Carolina Pardo Jaramillo. Sie ist Franziskanerschwester und ein führendes Mitglied der ökumenischen Menschenrechtsorganisation Comisi&0acute;n Intereclesial Justicia y Paz. Diese hat ihr Büro in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá, ihre Teams arbeiten zum großen Teil mit Opfergruppen auf dem Land. Sie wird ebenso wie die Friedensgemeinde im Choc&0acute; von "Brot für die Welt" unterstützt. Das Stuttgarter Hilfswerk unterhält auch ein Sonderprogramm Kolumbien, das in Deutschland über die Menschenrechtsprobleme in Kolumbien informiert; es baut ein Netz von Einzelpersonen, Gruppen und Gemeinden auf, die zum Beispiel protestieren, wenn Menschen wie Ana del Carmen Martínez und Schwester Carolina bedroht werden.
Schwester Carolina ist studierte Psychologin und mit Leib und Seele Menschenrechtlerin. Sie hat exzellente Kenntnisse über die Möglichkeiten des internationalen Menschenrechtsschutzes und verbindet in ihrem Einsatz für die Menschenrechte Theorie und Praxis: Sie begleitet die Cacarica-Gemeinde im Pazifischen Regenwald, wohin diese rückgesiedelt ist. Schwester Carolina unterstützt die Dorfbewohner, wenn sie bei Kolumbiens schwerhörigen Behörden vorstellig werden, und bei Kontakten zu internationalen Menschenrechtsinstanzen in Genf oder Washington. Vor der Reise nach Bremen hatten Schwester Carolina und Ana Martínez noch Abgeordnete des US-Kongresses über die Situation in Kolumbien informiert.
Auf die Frage, warum sie den Bremer Solidaritätspreis erhält, antwortet die Franziskanerin: "Das hängt wohl damit zusammen, dass wir – Justicia y Paz – zehn Jahre lang das gesagt haben, was mittlerweile in der kolumbianischen Presse Schlagzeilen macht." Die berichtet seit November 2006 über die engen Beziehungen zwischen Parlamentsabgeordneten, Unternehmern und Streitkräften einerseits und rechtsextremen Paramilitärs andererseits.
Auf diese unseligen Verflechtungen haben Menschenrechtsorganisationen seit Jahren hingewiesen. Schon während der Vertreibung von Tausenden Menschen aus dem Choc&0acute; ab Mitte der 1990er Jahre prangerte Justicia y Paz die Zusammenarbeit zwischen den regulären Streitkräften und den irregulären Paramilitärs an. Ein Brigadegeneral, der die mörderische Operation angeführt hatte, wurde von der kolumbianischen Staatsanwaltschaft verhaftet, aber schnell wieder freigelassen.
Mit ihren Anklagen handelten sich Menschenrechtler den Ruf von Staatsfeinden ein. Lebensbedrohliche Repressalien waren die Folge. "Der Gründer von Justicia y Paz, Pater Javier Giraldo, musste wegen Morddrohungen mehrfach ins Exil gehen oder sich im Land verstecken. Nachrichten über Anschläge, Morddrohungen und andere Repressalien gegen Angehörige von Justicia y Paz erhalten wir in Deutschland jedes Jahr", erklärt Rainer Huhle vom Nürnberger Menschenrechtszentrum. Er war als UN-Menschenrechtsexperte in Kolumbien mit der kritischen Lage der Menschenrechtsgruppe und der Cacarica-Gemeinde befasst und hielt bei der Preisvergabe in Bremen die Laudatio.
Die fast zehnjährige Geschichte der "Friedensgemeinde Cacarica" ist ein Beispiel, wie Menschen schweren Bedrohungen widerstehen können. Die Vertriebenen sind mit Unterstützung von Justicia y Paz von Beginn an zusammengeblieben und haben gemeinsam Lösungen entwickelt. Dadurch wurde ihre Selbstorganisation gestärkt. Die Forderungen von CAVIDA an den Staat berufen sich auf dessen rechtsstaatliche, in der Verfassung verankerte Grundlagen und zeigen Wege auf, diese umzusetzen. Auch im Kampf gegen die Straflosigkeit und für die Würdigung der Opfer hat CAVIDA wichtige Initiativen ergriffen. Damit trägt sie zur Debatte in Kolumbien bei, welche Rechte auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung die Opfer von Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen haben. Schließlich hat die internationale Vernetzung von Justicia y Paz und CAVIDA zu einer differenzierteren Wahrnehmung des Krieges in Kolumbien beigetragen und geholfen, beide Organisationen über internationalen Druck besser zu schützen.
Ana del Carmen Martínez und Carolina Pardo Jaramillo stehen stellvertretend für dieses beispielhafte Vorgehen, bei dem, so bemerkt Rainer Huhle, der Unterschied zwischen einer Gruppe von Opfern und einer schützenden Menschenrechtsorganisation verschwimmt. Huhle würdigte diese Arbeit als "wahre Solidarität, die Opfern ihre Würde und ihre Fähigkeiten wiedergibt, auch unter der Gefahr, selbst Opfer zu werden". Die beiden Kolumbianerinnen von ganz unterschiedlicher Herkunft – hier die Frau aus einer abgelegenen bäuerlichen Gemeinschaft, da die studierte Psychologin und Ordensschwester – stehen für diesen gemeinsamer Kampf.
aus: der überblick 01/2007, Seite 156
AUTOR(EN):
Bettina Reis
Bettina Reis ist Mitarbeiterin der
Lateinamerika-Zeitschrift "ila" in Bonn.