Chinas Textilindustrie umgarnt Südafrikas Markt
Importe von billigen Stoffen und Bekleidungsstücken aus China haben Südafrikas Textilindustrie kalt erwischt. Während der Apartheidzeit hatte diese sich bequem hinter hohen Zollschutzmauern Einfuhrbeschränkungen eingerichtet. Jetzt schafft sie es kaum, konkurrenzfähig zu werden.
von Wolfgang Drechsler
Die Schlagzeilen im Wirtschaftsteil der südafrikanischen Zeitungen klingen inzwischen vertraut: »Katastrophe in der Textilbranche« heißt es da, »Kleidungsindustrie hängt am seidenen Faden« oder ein andermal »Massiver Stellenabbau unvermeidbar«. Auch am Kap ist die Textil- und Bekleidungsbranche in den vergangenen beiden Jahren mit billigen Importen von Stoffen und Kleidungsstücken aus China überschwemmt worden und unter kräftigen Druck geraten. Nachdem das Multi Fibre Agreement, das Abkommen für Textilwaren und Bekleidung aus dem Jahr 1974, Ende 2004 ausgelaufen war, hat sich dieser Trend weiter verschärft. Mit dem Abkommen hatten die Industrienationen ihre Textilhersteller durch Importquoten vor der Einfuhr billiger Ware aus Entwicklungsländern geschützt.
Aaron Searll, Chef des börsennotierten südafrikanischen Textilherstellers Seardel, fordert deshalb umgehend Importquoten für chinesische Textilien wie sie die Europäische Union (EU) festgelegt hat. »Wir können unter den gegenwärtigen Umständen unmöglich konkurrieren«, klagt der Kapstädter Geschäftsmann. »Unsere Lohnkosten sind fünfmal höher als in China, und verglichen mit der dortigen 57-Stunden-Woche und fünf Urlaubstagen, arbeiten die Leute bei uns 42 Stunden und erhalten 20 Tage Urlaub.« Über 30 Unternehmen, so Searll, hätten am Kap bereits schließen oder ihre Produktion stark zurückfahren müssen. Dadurch seien in der südafrikanischen Textilbranche seit dem Jahr 2004 rund 30.000 Stellen verloren gegangen, so dass der Sektor heute nur noch 150.000 Menschen beschäftige. Weitere 20.000 Jobs stünden auf der Kippe.
Ob die geforderten Schutzmaßnahmen allerdings die Industrie retten werden, muss nach den Erfahrungen der Vergangenheit bezweifelt werden. Denn die Probleme der Textilbranche am Kap gehen weit zurück und haben ihre Wurzeln in der jahrzehntelangen Isolation des Landes während der Apartheid. Schon in den frühen Sechzigerjahren hatte die weiße Minderheitsregierung damit begonnen, hohe Handelsschranken zum Schutz der eigenen Industrie aufzubauen. Billigimporte durften nicht ins Land; gleichzeitig konnten die Produkte der einheimischen Industrie wegen der hohen Preise und des Boykotts nicht ausgeführt werden. Zahlreiche Unternehmen richteten sich hinter den hohen Tarifmauern bequem ein: Die Produktivität sank, sie investierten kaum in neue Technologie. Die hohen Handelsschranken garantierten den einheimischen Herstellern dank der fehlenden Konkurrenz praktisch ein Monopol.
Erst nach der Amtseinführung einer mehrheitlich von Schwarzen geführten Regierung im Mai 1994 und der Wiedereingliederung des Landes in die Weltwirtschaft, die damit einherging, begann Südafrika, verstärkt Handelsbeziehungen ins Ausland zu knüpfen. Die Textilbranche des Landes geriet dadurch unter hohen Druck, sich zu reformieren und konkurrenzfähig zu werden. Der Einzelhandel beherrscht von fünf großen Ketten holte nämlich bereits damals recht mühelos Billigimporte ins Land. Die südafrikanische Textilindustrie war gezwungen, die rückläufige Nachfrage nach ihrer Ware im eigenen Land dadurch aufzufangen, dass sie ein eigenes Exportgeschäft aufbaute.
Das gelang zunächst einmal vor allem deshalb, weil die Landeswährung Rand jedes Jahr an Wert verlor und Südafrikas Textilien im Ausland preiswerter machte. Die ersten Probleme zeigten sich Anfang 2002, als der Rand dank des nun einsetzenden Rohstoffbooms plötzlich wieder stark an Wert gewann und damit die südafrikanischen Exporte sehr verteuerte. Bis Ende 2004 legte die südafrikanische Währung gegenüber dem US-Dollar um fast 100 Prozent an Wert zu. Neben der Textilbranche leidet vor allem die Goldindustrie unter dem harten Rand.
Hinzu kam, dass gleichzeitig die Importe aus China erheblich billiger wurden. Mit Lohnkosten, die fünf- bis sechsmal höher sind als in der chinesischen Textilindustrie, können viele südafrikanische Textilproduzenten einfach nicht mithalten, selbst wenn ihre Qualität insgesamt besser ist und die Unternehmen am Kap mehr auf die Wünsche der Kunden eingehen. Die Folge: Nach Angaben des Unternehmensverbandes South African Textile Federation werden inzwischen fast zwei Drittel der am Kap verkauften Textilien importiert, vor allem aus dem Reich der Mitte. Bei den Bekleidungsimporten stammen bereits beinahe 90 Prozent aus dem Ausland. Dies entspricht einem Wert von 2,7 Milliarden Rand (umgerechnet rund 350 Millionen Euro).
Der starke Rand ist somit zum Härtetest für alle Exporteure geworden. »Die einst günstigen Personalkosten haben sich durch den Anstieg des Rands in nur drei Jahren mehr als verdoppelt«, klagt der niedersächsische Textilunternehmer Claas Daun. Er ist seit 15 Jahren am Kap aktiv und beschäftigt mit 23.000 Angestellten mehr Südafrikaner als jedes andere deutsche Unternehmen. Mittlerweile, so Daun, seien die Löhne in Südafrika auf das Niveau von Portugal geklettert. Noch vor drei Jahren seien sie mit weit geringeren in Tschechien vergleichbar gewesen.
Daun arbeitet in Südafrika vor allem in Nischenmärkten und hat in den letzten Jahren kräftig in modernste Technologie investiert. Sein wichtigstes Unternehmen beliefert die großen Autohersteller am Kap mit Leder für Fahrzeugsitze aber auch mit Formteilen und Dämmstoffen. Außerdem stellt er beispielsweise Airbags, schusssichere Westen und Fallschirme her, die sehr hohen Qualitätsanforderungen unterliegen und deshalb nicht einfach in China gefertigt werden können. Ferner wollen die Abnehmer die Produktionskette von Anfang bis Ende überwachen, was in China nicht gewährleistet ist.
Einige südafrikanische Textilunternehmen wie Seardel erhoffen sich die Rettung dennoch offenbar nicht durch Innovation und Flexibilität, sondern setzen auf die Wiedereinführung protektionistischer Praktiken. »Wenn wir am Status quo festhalten, « warnt jedoch Seardel-Direktor Johan Baard, »wird in zehn Jahren nicht mehr viel von unserer Branche übrig sein.« Allerdings glaubt er, »dass das gegenwärtige Freihandelsmodel grundsätzlich überdacht werden wird, weil der dafür gezahlte Preis einfach zu hoch ist.« Für Südafrika sei es jedenfalls keine Lösung, der Entwicklung tatenlos zuzuschauen. Schon wegen des Arbeitsmarktes könne man das nicht, meint Baard: »Dies würde bedeuten, dass es eine arbeitsintensive Produktion am Kap nie geben wird, was bei der derzeitigen Arbeitslosenrate von 30 bis 40 Prozent aber keine Option ist.«
Ganz anders sieht dies der südafrikanische Einzelhandel, der seinen Kunden die beste Qualität zu günstigen Preisen bieten will. Viele Einzelhändler sind der Ansicht, dass die Textilindustrie am Kap unproduktiv und für einen Gutteil der Probleme mitverantwortlich ist. »Die meisten haben seit Jahren nicht in neue Technologie oder Maschinen investiert, obwohl sie wussten, was auf sie zukommt«, kritisiert Martin Deall, der Logistikchef des Einzelhändlers Edcon. »Das Schlimmste wäre nun ein neuer Protektionismus, « betont er. »Wir würden viel lieber auf dem heimischen Markt einkaufen, doch müssen unsere Hersteller dafür zunächst effizienter und innovativer werden. Denn als Einzelhändler müssen wir die Wünsche unserer Kunden erfüllen. Wenn wir dies nicht tun, gehen die einfach woanders hin.«
In die gleiche Kerbe schlägt Simon Susman, Chef der Handelskette Woolworth in Südafrika. »Quoten und mehr Schutz sind keine Lösung. Die Textilindustrie muss insgesamt produktiver werden.« Woolworth Südafrika kaufte bislang rund 80 Prozent seiner Bekleidungsprodukte von Unternehmen in der Kaprepublik. Allerdings hat der Anteil der Importe stetig zugenommen. Auch der Volkswirt Iraj Abedian, der früher die Regierung in Wirtschaftsfragen beraten hat, sieht für die Textilbranche keinen anderen Ausweg als in die Ausbildung der Belegschaft zu investieren. Zahlreiche Menschen ohne Fertigkeiten könnten andernfalls nur von der Sozialhilfe durch den Staat oder Arbeitsbeschaffungsprogrammen leben.
Die Ansicht teilt überraschenderweise auch Ebrahim Patel, Generalsekretär der Textilarbeitergewerkschaft Sactwu. Auch er gibt sich keinen Illusionen hin: »Selbst wenn Südafrikas Arbeiter ohne Lohn arbeiteten, würden wir nicht unsere zuletzt so starke Währung wettmachen können.« Deshalb sei es wichtig, auf höherwertige Produktionsstufen, auf Design und Qualität zu setzen. »Dies würde zum Beispiel bedeuten, dass wir in einer Region Baumwolle anbauen, diese dann anderswo weben und die Bekleidungsherstellung an einem dritten Platz abläuft. Dabei müsste Südafrika mit seiner Ausrichtung auf Design, Technologie, Innovation und Vermarktung das ganze südliche Afrika einbeziehen«.
Ob dies gelingt, wird nach Ansicht von John Kane Berman, dem Vorsitzenden des Instituts für Rassenbeziehungen in Johannesburg, entscheidend von der Anpassungsfähigkeit der südafrikanischen Unternehmer abhängen und davon, ob die Regierung den dafür nötigen Freiraum schafft. Denn nur so könnte Südafrika international konkurrenzfähig werden. Die gegenwärtigen Arbeitsgesetze, aber auch die vom Staat forcierte Politik des Black Economic Empowerment (BEE), also die Förderung unter der Apartheid benachteiligter Schwarzer durch Quoten und Gesetze, erschwerten diesen Prozess. Auf der anderen Seite, meint Kane Bearman, könne Südafrika den Chinesen auch nicht einfach verbieten, ihre Waren zu exportieren. Dies sei schon deshalb unmöglich, weil Südafrika selbst einen Großteil seiner Rohstoffe nach China ausführe und somit entscheidend auf das Wohlwollen Pekings angewiesen sei.
Die Regierung scheint willens, zugunsten anderer Branchen mit China zu kooperieren und dabei zur Not auch Arbeitsplätze in der Textilindustrie zu opfern.
aus: der überblick 04/2005, Seite 29
AUTOR(EN):
Wolfgang Drechsler
Wolfgang Drechsler ist Korrespondent des »Handelsblatt« für das Südliche Afrika mit Sitz in Kapstadt, Südafrika.