Mehrere Worte gibt es in Südafrika für »Pillen« wie zu erwarten in einem Land mit elf Amtssprachen. Auf Zulu heißen sie amaphilisi, auf Xhosa ipilisi und auf Afrikaans pille. Südafrikaner lieben ihre Pillen und geben dafür im Jahr umgerechnet etwa zwei Milliarden Euro aus. Auch das ist zu erwarten in einem Land mit fünf Millionen HIV-Infektionen, mit etwa 25.000 Tuberkulosetoten und 20.000 Malariafällen jährlich.
von Bobby Jordan
Auch für Apotheker gibt es verschiedene Bezeichnungen, Xhosa und Zulu sprechen vom usokhemisi, Afrikaner gehen zum apteker. Das sind wichtige Wörter in einem Land, in dem in den Kleinstädten die Apotheker die Hüter der begehrten amaphisili sind.
Für die neue Gesetzgebung zu den Pharmapreisen haben die meisten südafrikanischen Apotheker aber ein Wort aus einem gemeinsamen Sprachschatz: Eish. Egal, welcher Sprachgruppe sie angehören, Südafrikaner sagen Eish, wenn etwas so richtig schief läuft. Und viele Apotheker sagen es inzwischen auf dem Weg zum Flughafen: Hunderte von selbständigen Apothekern haben dem Land in den vergangenen Jahren den Rücken gekehrt, und es kann sein, dass ihnen noch viele weitere folgen werden. Arzneien in Südafrika zu vertreiben, mache sie einfach krank, sagen sie.
Knackpunkt ist die kontroverse Änderung des Gesetzes über die Arzneimittel und verwandte Werkstoffe (Medicines and Related Substances Act), durch das zum März 2004 eine neue Preisregulierung für Arzneimittel eingeführt wurde. Damit will die Regierung Medikamente erschwinglicher machen in einem Land mit einem durchschnittlichen Jahreseinkommen von umgerechnet unter 3000 Euro ein wichtiges Anliegen. Die Apotheker jedoch machen geltend, dass das Gesetz genau das Gegenteil bewirken und den Zugang zu Medikamenten erschweren werde, weil die Versorgung in die Hände großer Firmen gelange. 100 kleinere Apotheken haben in den letzten anderthalb Jahren schon zugemacht, wie der größte Berufsverband der Apotheker, United South African Pharmacies (USAP), bekannt gibt, der etwa die Hälfte der 2400 Apotheken des Landes vertritt.
Tatsächlich begrenzt das neue Gesetz die Handelsspanne für Medikamente. Weil sich jetzt sowohl Apotheker als auch Apotheken erst einmal registrieren lassen müssen, hat die Regierung gleichzeitig eine Möglichkeit erhalten, die Arzneimittelverteilung stärker zu kontrollieren. Damit könne die Versorgung preiswerter und leichter zugänglich werden.
USAP dagegen ist der Auffassung, dass durch diesen Ansatz Apotheken geschlossen und Apotheker nach Übersee vertrieben werden.
Aus Angst vor einem vollständigen Zusammenbruch des Systems von kleinen unabhängigen Apotheken hat USAP mit Erfolg gegen die südafrikanische Regierung geklagt. Im Juli 2004 hat ein fünfköpfiges Gericht zugunsten der Apotheker entschieden. Allerdings hat die Regierung Berufung gegen den Richterspruch eingelegt, so dass die Angelegenheit jetzt beim Verfassungsgericht liegt. Das Urteil wird mit Sicherheit tiefgreifende Folgen für den Verkauf südafrikanischer amaphilisi haben.
»Wenn das neue Gesetz Bestand haben wird, dann schätze ich, dass binnen eines Monats 1000 Apotheken oder mehr schließen werden«, sagt Clive Stanton, Präsident der Pharmaceutical Society of South Africa. »Ich sehe einen völligen Zusammenbruch des kundennahen Apothekenwesens in diesem Land kommen. Und wenn es zu diesem Kollaps kommt, wird das wie eine Schockwelle auf alle Apotheker übergreifen und mit der Zeit weitere Folgen haben. Ohne eine effiziente Versorgung mit Arzneimitteln kann ein Land kein adäquates Gesundheitswesen haben«, so Stanton. Für ihn ist nur noch die Frage, wen es am schlimmsten trifft die Apotheker oder die, die auf die Tabletten angewiesen sind?
Dass südafrikanische Apotheker das Land verlassen, lässt sich nicht bestreiten. Obwohl die neuesten Zahlen des Pharmacy Council auf eine Verringerung der Abwanderungstendenz hinweisen, war der Trend in den zurückliegenden Jahren eindeutig raus aus dem Land und ab nach Europa, Australien, Neuseeland und Amerika. Die Zahl der Anträge für »Empfehlungsschreiben« ausgestellt vom Pharmacy Council und Grundvoraussetzung für jeden qualifizierten Apotheker, der im Ausland arbeiten will sind zwar zum ersten Mal seit Jahren unter 100 gefallen. Im Vorjahr wurden 149 Anträge gestellt im Vergleich zu 134 im Jahr 2003 und 217 im Jahr 2002. Insgesamt hat das Land etwa 11.000 registrierte Apotheker.
»Wir haben nicht direkt eine Statistik über die Zahl der Apotheker, die das Land verlassen sie informieren uns ja nicht«, sagt Amos Masango, der beim Pharmacy Council für die Registrierung zuständig ist. »Aber die Zahlen scheinen inzwischen doch eindeutig zu sinken«, fügt er hinzu.
Die Apotheker jedoch weisen rasch darauf hin, dass diese Angaben die Pharmaziestudenten nicht berücksichtigen, die unmittelbar nach ihrem Studium oder Praktikum weggehen.
»Es mag zwar auf den ersten Blick so erscheinen, dass alles in Ordnung ist, aber wenn man an der Oberfläche kratzt, sieht es schlecht aus«, sagt Stanton, der glaubt, dass die Weigerung der Regierung, der Abwanderung der qualifizierten Berufsstände ins Auge zu sehen, auf schaurige Weise der (anfänglichen) Weigerung gleicht, die Fakten über HIV/AIDS zu akzeptieren. »In manchen Gegenden hatte zwar jeder von HIV gehört, aber nie einen einzigen Patienten zu Gesicht bekommen. Jetzt plötzlich sind sie da, täglich kommen welche in die Apotheke. Mit der Abwanderung der Apotheker ist es das Gleiche. Auf einmal fällt auf, wie viele der Kollegen schon weg sind das zeigt doch, dass definitiv etwas geschehen ist«, sagt Stanton.
Ebenso besorgniserregend findet er eine Untersuchung unter Studenten der Nelson Mandela Metropolitan University in der Küstenstadt Port Elizabeth, aus der hervorging, dass die Hälfte der Pharmaziestudenten im vierten Studienjahr beabsichtigt, nach Abschluss ihres Studiums das Land zu verlassen. Es gibt bei weitem bessere Gründe zu gehen als zu bleiben, und die jungen Pharmazeuten werden im Ausland aufgrund des Fachkräftemangels mit offenen Armen empfangen, sagt Stanton.
Wie einige Beobachter der Szene zu bedenken geben, ist dieser Fachkräftemangel paradoxerweise eine Folge der Bemühungen der Regierung, neue Vertriebswege zu öffnen etwa durch die Zulassung von Handelsketten, die mit Arzneimitteln handeln. Es besteht nämlich die Sorge, dass solche Großunternehmen sich zum Nachteil ländlicher Gebiete schwerpunktmäßig auf die Versorgung der Städte konzentrieren. Der selbstständige Apotheker auf dem Land dagegen ist fester Bestandteil des sozialen Netzes und liefert dringend benötigte medizinische Beratung gleich kostenlos mit.
Die Politik ist in einer Sackgasse gelandet, und die Kommunikation zwischen Apothekern und Regierung ist nahezu vollständig zusammengebrochen, meint der USAP-Vorsitzende Julian Solomon. »Wir haben angeboten, uns zusammenzusetzen und alles durchzusprechen, um zu einer zufrieden stellenden Lösung für alle zu kommen. Aber sie haben sich schlichtweg geweigert, mit uns zu sprechen.« Diese Funkstille ist typisch für das gereizte Verhältnis zwischen Regierung und Privatsektor, wenn es darum geht zu überlegen, wie man die Ungleichgewichte zu Lasten der schwarzen Bevölkerung abbauen und gleiche Chancen eröffnen kann. Erste und Dritte Welt existieren in Südafrika ja nebeneinander.
Solomon erklärt: »Mbeki sagt, es fehlen gut ausgebildete Fachkräfte, aber was die Regierung tut, führt nur dazu, dass die Arbeitslosigkeit weiter steigt. Die Bedingungen (für Apotheker) hier sind entsetzlich. Es gibt kein Licht am Ende des Tunnels.«
Völlig anders sieht das Dr. Anban Pillay, Chef der Preisregulierungsbehörde. Pillay sagt, durch die neue Regulierung wird die frühere Ungleichheit effizient abgebaut. Er macht geltend, dass in Südafrika zur Versorgung von sieben Millionen Menschen mit privater Krankenversicherung umgerechnet rund 1,6 Milliarden Euro für Arzneimittel ausgegeben werden, im Vergleich zu etwa 0,4 Milliarden Euro für 38 Millionen Menschen bei der gesetzlichen Krankenversicherung darunter die eskalierenden Kosten für die Behandlung der verarmten HIV/AIDS-Patienten des Landes. Wenn die Arzneimittelkosten in den Apotheken auf dem Land gesenkt werden, können mehr Menschen in ihren Genuss kommen erklärt Pillay, was wiederum die staatliche Belastung verringere.
»Durch die Kostensenkung werden auch die Barrieren heruntergesetzt, und mehr Leute haben Zugang zu diesem Sektor- wodurch sich die Effizienz erhöht«, erläutert Pillay.
Er weist Befürchtungen von der Hand, dass große Vertriebsnetze von Ladenketten, die mit Arzneimitteln handeln, die kleinen Apotheken überflüssig machen könnten. Durch den einheitlichen Abgabepreis für Medikamente kämen die großen Unternehmen nicht mehr in den Genuss von Mengenrabatten: »Es gibt im Hinblick auf die Kaufkraft keine Vorteile mehr. Im Endeffekt geht es um die kleine Apotheke an der Ecke, die den Willen hat, serviceorientiert zu arbeiten, wenn der Patient diesen Service zu schätzen weiß«, so Pillay. Das neue Gesetz diene lediglich dazu, das Fett in diesem Bereich wegzuschneiden und Rationalisierungseffekte zu erzielen.
Die südafrikanische Regierung vertritt die Auffassung, dass sie die Apotheker nicht davon abhalten kann, anderswo auf saftigeren Weiden zu grasen, aber ihre Botschaft ist klar: Diejenigen, die dableiben, sollten an die Notlage der Bevölkerungsmehrheit denken, für die im Zweifel alles von einer Schachtel amaphilisi abhängt. Wenn durch die Rationalisierung des Systems der Zugang zu Tabletten verbessert wird, sagt die Regierung, lohnt es sich, dafür zu kämpfen. Erst die Zukunft wird zeigen, ob ihre Strategie aufgeht.
aus: der überblick 03/2005, Seite 22
AUTOR(EN):
Bobby Jordan