"Keine Macht, doch manchmal Einfluss"
Herrmann Hartmann gehört zu den Altgedienten unter den Beauftragten der Landeskirchen für den Kirchlichen Entwicklungsdienst. Er ist stolz darauf, dass er in Hildesheim noch immer Neues ausprobiert. Die Leute in seinem Heimatdorf helfen ihm, dabei nicht die Bodenhaftung zu verlieren.
von Detlev Brockes
Sie sind zwischen 25 und 35 Jahre alt und kommen aus Südafrika, Polen und Deutschland. Die 18 jungen Leute gehen "Schritte zu einer gerechteren Welt", indem sie aus der Vergangenheit lernen. Im vergangenen Herbst haben sie an einem Lern- und Begegnungsprogramm teilgenommen, das in Oswiecim (Auschwitz), Krakau, Leipzig, Dresden und Berlin stattfand; der zweite Teil findet gerade in Südafrika statt.
Diese wegweisende Begegnung ist ein Vorzeigeprojekt des Kirchlichen Entwicklungsdienstes (KED) in den Landeskirchen Braunschweig und Hannover. "Wir probieren hier Neues aus", sagt der regionale KED-Beauftragte Hermann Hartmann. "Zum einen wollen wir das Thema Rassismus in der Entwicklungszusammenarbeit stärker berücksichtigen. Zum anderen wird die Osterweiterung der Europäischen Union immer mehr Raum einnehmen. Da wollen wir rechtzeitig ein Fundament legen, damit unsere entwicklungspolitischen Themen nicht untergehen." Das Ziel des KED-Programms: Durch die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit der drei Länder - alle drei haben gewalttätige politische Systeme erlebt -, durch die Diskussion mit Augenzeugen und Fachleuten sollen die jungen Erwachsenen Schlüsse für den Umgang mit Rassismus, sozialer Ausgrenzung und Gewalt in der Gegenwart ziehen. Beteiligt an dem Programm sind kirchliche Organisationen wie der Regionale Kirchenrat der Provinz Ostkap in Südafrika, aber auch etwa die Landeszentrale für politische Bildung in Niedersachsen und der Volkswagen-Gesamtbetriebsrat.
Ideen, Menschen und Initiativen zusammenzubringen, Entscheidungsträger mit Informationen zu versorgen und immer die Ohren offen zu halten - das sind wohl die wichtigsten Aufgaben von Hermann Hartmann, der seinen Dienstsitz als KED-Beauftrager der braunschweigischen und hannoverschen Landeskirche in Hildesheim hat. Im kirchlichen Entwicklungsdienst ist Hartmann mittlerweile einer der Altgedienten.
Zunächst sah es nicht danach aus, dass er dort überhaupt anfangen würde. In den sechziger Jahren studierte er in Hannover Sozialarbeit, war Studentenfunktionär und sah sein Ziel vor allem darin, die Gesellschaft im eigenen Land zu verändern. Das Anerkennungsjahr absolvierte er in der gerade entstehenden Hamburger Hochhaussiedlung Steilshoopdanach ging er als Jugendbildungsreferent an die Evangelische Akademie Bad Boll. Eines Tages, so schildert es Hartmann mit trockenem Humor, fragte der Akademiedirektor im Team der Jugendarbeiter, wer Englisch spreche. Hartmann und ein Kollege hoben die Hand. Auf die Frage, wer Französisch könne, meldete sich nur noch der Kollege. Damit war die Sache klar: Hartmann betreute von da an das Austauschprogramm der Akademie mit dem Jugenddepartement des Nationalen Kirchenrats von Kenia, für das frankophone Programm wurde sein Kollege zuständig. So begann das Engagement des Sozialarbeiters in der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit.
1979 wurde Hartmann Referent für entwicklungsbezogene Bildungsarbeit im damals neu gegründeten Evangelisch-Lutherischen Missionswerk Niedersachsen (ELM). Seit 1991 ist er hauptamtlicher KED-Beauftragter der Landeskirchen Braunschweig und Hannover und Geschäftsführer des Ausschusses für entwicklungsbezogene Bildung und Publizistik (ABP) in den evangelischen Kirchen in Niedersachsen. "Die Struktur ist schwer zu durchschauen", räumt der 57-Jährige ein und lächelt, "aber wenn man damit groß geworden ist..."
Im Netzwerk von ELM, Amt für Gemeindedienst und Brot für die Welt in Hannover, die ebenfalls mit hauptamtlichen Kräften entwicklungsbezogene Aufgaben wahrnehmen, sieht Hartmann den KED für die policy zuständig: Positionen erarbeiten, Leitlinien skizzieren, Entscheidungsträger informieren. Immer ergänzt durch eigene Praxis. Bei Hermann Hartmann kommt die aus dem Länderschwerpunkt Südafrika, den er in Zusammenarbeit mit dem Referenten des ELM betreut.
Vier Mal im Jahr gibt Hartmann einen vierseitigen Rundbrief heraus. Regelmäßig organisiert er mehrwöchige exposure-Reisen für ausgewählte Personen aus den Landeskirchen, die dadurch Projekte und Partner des kirchlichen Entwicklungsdienstes sowie von Brot für die Welt und der Mission vor Ort kennen lernen. Bisher führten die Reisen meist nach Südafrika, die jüngste hatte Indien als Ziel. Und alle zwei Jahre verleiht der ABP in Niedersachsen den "Förderpreis Eine Welt" - in diesem Jahr zum dritten Mal. Ausgezeichnet werden Gruppen, Gemeinden, Initiativen und Einzelpersonen, die sich "kreativ und vorbildlich in den 'Nord-Süd-Beziehungen' engagiert haben". Lokal sei die Preisverleihung ein bedeutendes Ereignis, sagt Hartmann. In Stade etwa seien 1999 die Beteiligten, begleitet von einer Samba-Band, durch die Fußgängerzone zum Rathaussaal gezogen. Und in Osterhauderfehn wurde 1997 eine Lobrede auf die Gambia-Partnerschaft auf Platt vorgetragen.
Seit 1996 gibt es in Hildesheim außerdem die Fachstelle KED Kultur - ein Arbeitsbereich, den Hartmann mit entwickelt hat. "Wir hatten Kulturarbeit immer schon als Schwerpunkt, deshalb war es sinnvoll, die Fachstelle hier anzusiedeln", erläutert er. Allerdings ist das Projekt Ende 2001 ausgelaufen. Derzeit überlegt Hartmann, "wie wir die Kompetenz und die Erfahrung erhalten können", auch unabhängig vom Standort Hildesheim. Da ist der KED-Beauftragte wieder in seinem Element: die Ohren aufhalten, Ideen, Menschen und Institutionen zusammenbringen.
Auch Sprachtraining gehört zu Hartmanns Arbeitsbereich. Regelmäßig bereitet der KED etwa Vikarinnen und Vikare auf ökumenisches Englisch vor. Die Teilnehmenden lernen Grundbegriffe der entwicklungspolitischen Diskussion, die Vorstellung der eigenen Person, Formeln für Sitzungen und Zusammenkünfte und, so Hartmann, "mindestens zwei Gebete".
"Geld zu mobilisieren ist Teil der Arbeit", sagt er. Sein Etat beträgt 220.000 Mark einschließlich der Personalkosten für ihn selbst und für eine Mitarbeiterin. Der Umsatz aber beläuft sich etwa auf das Doppelte. Beispiel Begegnungsprogramm Polen - Südafrika - Deutschland: Von 100.000 Mark Gesamtkosten trägt die Kirche nur 12.000 Mark, für die übrige Summe konnte Hartmann andere Geldgeber gewinnen.
Seit 25 Jahren entwickelt Hartmann zudem in einem Arbeitskreis bei Brot für die Welt Spiele zur Entwicklungspolitik. Unter seiner Mitwirkung entstanden zum Beispiel "Wen macht die Banane krumm?" - mittlerweile ein Klassiker -, das "Welthungerspiel" oder "Auf dem Holzweg". Eine Arbeit, die ehrenamtlich und unspektakulär geschieht, aber weite Kreise zieht: Einige Spiele erreichen Auflagen von mehreren tausend Stück.
Über die Position der regionalen KED-Beauftragten bemerkt Hartmann: "Wir haben keine Macht, aber manchmal haben wir Einfluss." Wird sich die Arbeit infolge der Gründung des Evangelischen Entwicklungsdienstes EED verändern? "Wir sind zunächst Beauftragte unserer Landeskirchen und ihnen verantwortlich", stellt Hartmann klar, weist aber auch auf die Berührungspunkte mit der Inlandsarbeit des EED hin. "Das ist im Umbruch. Wir werden sehen, was daraus wird."
Über sich persönlich sagt Hartmann: "Ich brauche die lokale Verankerung der entwick-lungspolitischen Arbeit." Bodenhaftung gibt dem Familienvater zum Beispiel das kommunalpolitische Engagement in seinem Heimatort Mahlerten, der rund 800 Einwohner hat. Hartmann ist dort seit 15 Jahren für die SPD ehrenamtlicher Ortsbürgermeister und wurde jüngst wiedergewählt. Im Dorf holen sie den KED-Beauftragten erbarmungslos auf den Boden zurück, falls er zu sehr in weltweite Zusammenhänge abdriftet; "das hast du doch neulich schon gesagt", heißt es dann. Eins der jüngsten Projekte, an dem Hartmann beteiligt ist: Biobrot und fair gehandelter Kaffee von El Puente, die unter einem einheitlichen Slogan mit lokalem Bezug vermarktet werden.
AusgezeichnetEngagement für den SudanHerrmann Hartmann und Marina Peter sind von Südsudanesen ausgezeichnet worden: Der Verein der südsudanesischen Studenten in Deutschland verlieh beiden im Dezember eine Urkunde und einen symbolischen Preis von 50 Mark, um ihr Engagement für Frieden im Sudan zu würdigen. Marina Peter ist Geschäftsführerin des ökumenischen Netzwerks Sudan Focal Point Europe, einer Sudan-Lobbygruppe unter dem Dach des Weltkirchenrats. Marina Peter sitzt Tür an Tür mit Herrmann Hartmann im Büro des KED Hildesheim. Beide organisieren seit 1988 jedes Jahr eine Sudan-Tagung in Hermannsburg bei Celle; die ist einer der wenigen Orte, an dem Sudanesen verschiedener politischer Strömungen, mit dem Sudan befasste europäische Politiker sowie Engagierte miteinander reden. Der Verein der südsudanesischen Studenten in Deutschland hat rund 500 Mitglieder. bl |
aus: der überblick 01/2002, Seite 118
AUTOR(EN):
Detlev Brockes:
Detlev Brockes ist freier Journalist.