Warum die Übertragung westlicher Modelle in Zentralasien scheitert
Revolutionäre Aufstände haben in Zentralasien und im Kaukasus in den letzten Jahren den Eindruck erweckt, als klage das Volk die Demokratie ein. Aber Hoffnungen auf echten demokratischen Wandel sind schnell verflogen. Auch dort, wo eine neue Führung an die Macht gekommen ist, dominieren autoritäre Strukturen. Ist angesichts des tief verwurzelten Paternalismus in asiatischen Kulturen Demokratie nach westlichem Modell überhaupt machbar?
von Gregory Gleason
Die Staaten Zentralasiens schlagen Brücken zwischen den Kulturen, zwischen den alten Traditionen und den künftigen Möglichkeiten des Nahen Ostens, Asiens und Europas. Die zentralasiatischen Länder Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan sind überwiegend muslimische, aber ganz im Gegensatz zu vielen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, gemäßigt muslimische Länder - radikale islamische Strömungen werden heftig bekämpft. Der Form nach haben sie Regierungssysteme nach dem angelsächsischen Muster.
Eine sehr viel stärkere Rolle als die formellen politischen Institutionen spielt häufig die Tradition. Asiatische Traditionen wurzeln tief in diesen Ländern, auch wenn sie über Jahrtausende kaum Kontakt mit anderen Ländern Asiens pflegten und ihrer Verbundenheit mit diesen daher wenig Bedeutung zumessen. Kurz gesagt: Die zentralasiatischen Länder sind einzigartig - sie tragen Züge des Westens, des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens und haben einen Kurs eingeschlagen, der für alle ihre Nachbarn von Bedeutung ist, den wahrscheinlich aber nur sie selbst bestimmen werden. Sie sind reich an natürlichen Ressourcen, relativ dünn besiedelt, und ihre Stellung wird in einer sich globalisierenden Welt noch bedeutender werden.
Falls es jemals eine postkommunistische Übergangsphase gegeben hat, dann ist sie jetzt auf jeden Fall abgeschlossen. Etwas Sehnsucht nach der Stabilität der sowjetischen Vergangenheit mag zurückbleiben, doch in keinem der zentralasiatischen Länder besteht auch nur die geringste Aussicht auf eine Rückkehr zu einem Kommunismus sowjetischer Prägung. Die wesentlichen Herausforderungen, vor denen die Länder Zentralasiens heute stehen, haben weniger mit den Hinterlassenschaften des Kommunismus zu tun als vielmehr mit den typischen Problemen von Entwicklungsländern in aller Welt: Armut, Verteilungsungerechtigkeit, Korruption und politische Macht einzelner Interessengruppen.
Georgiens Rosenrevolution im November 2003, die Orangene Revolution der Ukraine im Januar 2004 und die kirgisische Revolte im März 2005 nährten die Hoffnung, die weitverbreitete Unzufriedenheit mit autoritären und nicht transparenten Regierungen werde sich als stärker erweisen als die angestammten Interessen und könne als Katalysator für demokratische Reformen dienen. Aber die zentralasiatischen Staaten haben die Rückkehr zu autoritären Regierungssystemen erlebt. Führende Kräfte in Usbekistan, Turkmenistan und Tadschikistan haben deutlich gemacht, dass sie sich politischer Opposition mit allen Mitteln des modernen Staates entgegenstellen.
Warum haben sich die Hoffnungen auf Demokratie in Zentralasien als unrealistisch erwiesen? Steht der Misserfolg in Zentralasien für ein Scheitern demokratischer Institutionen? Oder ist er damit zu begründen, dass die Führungsschichten in den zentralasiatischen Ländern und die internationale Gemeinschaft es unterlassen haben, die notwendigen Schritte zur Förderung demokratischer Entwicklung zu unternehmen? Oder hat der politische Zustand der Region tiefere Wurzeln, die in der Kultur und den Traditionen der fernen Vergangenheit Zentralasiens zu suchen sind?
Heute, fünfzehn Jahre nach der Unabhängigkeit, steht fest, dass es den Regierungen Zentralasiens tatsächlich gelungen ist, viele demokratische Strukturen westlicher Prägung formal zu übernehmen. Nicht gelungen ist den Ländern jedoch der subtilere, aber bedeutsamere Übergang zum Geist und zum Prozedere einer wahren Demokratie. In allen fraglichen Ländern gibt es inzwischen eine eigenständige Legislative, aber in keinem ist es gelungen, ein echtes Parlament zu etablieren, dessen Rat ernst genommen wird und das über den Haushalt entscheidet. Alle Staaten haben ein Gerichtswesen für richterliche Entscheidungen und für die Streitbeilegung geschaffen, aber keinem ist es gelungen, die Voraussetzungen für echte Unabhängigkeit der Justiz zu schaffen. Alle haben sich Verfassungs- und Rechtsvorschriften gegeben, welche die Rechte von Personen und Minderheiten schützen und ihren Bürgern rechtliches Gehör garantieren sollen. Aber keinem ist es tatsächlich gelungen, funktionierende Schutzmechanismen für grundlegende Bürger- und Menschenrechte und Grundfreiheiten einzuführen, wie das Recht auf ein ordentliches Gerichtsverfahren, die Redefreiheit, die Versammlungsfreiheit und die Religionsfreiheit.
Alle Regierungen Zentralasiens haben heute Präsidenten. Aber in allen Fällen handelt es sich dabei um führende Persönlichkeiten aus dem ehemaligen Sowjetapparat oder aus den oberen Etagen des sowjetischen Establishments. Und alle zentralasiatischen Länder haben ein von ihnen so tituliertes Präsidialsystem geschaffen. In diesen Systemen hat die Exekutive die Macht, kraft Verfassungsrecht auf dem Verordnungsweg zu regieren. So ist in allen zentralasiatischen Ländern die Exekutive die dominierende Regierungsgewalt, eine echte Teilung und wechselseitige Kontrolle der staatlichen Gewalten finden nicht statt. Alle haben Wahlen abgehalten, doch keine Regierung hat den internationalen Standards für freie und faire Wahlen in vollem Umfang entsprochen. An der Spitze von drei Regierungen stehen ehemalige kommunistische Führer, die ihr Mandat auf nicht verfassungsmäßigem Weg erweitert haben. Selbst in den offensten und liberalsten Ländern Zentralasiens - Kasachstan und Kirgisistan - wurden die Parlamente per Präsidialverordnung kurzerhand aufgelöst.
Kurzum: Keines der zentralasiatischen Länder hat den Übergang von der demokratischen Struktur zur demokratischen Funktion erfolgreich vollzogen. Viele formelle Regierungsinstitutionen haben daher überwiegend repräsentativen Charakter: Es gibt sie, aber tatsächlich steuern informelle Institutionen die öffentlichen Entscheidungsprozesse. Der rechtliche und ordnungspolitische Rahmen, der die Rechte von natürlichen und juristischen Personen schützen soll, ist gegeben, aber in der Realität werden viele entscheidende öffentlichen Beschlüsse ad hoc getroffen, und Personen, deren Interessen vom Ergebnis des Entscheidungsprozesses direkt berührt werden, machen ihren Einfluss geltend. Mit der Existenz der für demokratisches Regieren notwendigen Institutionen verbinden sich Erwartungen, welche die Regierungen der zentralasiatischen Länder in der Regel nicht erfüllen.
Enttäuschung und Zynismus sind die Folge. In dieser Situation rühmt sich ausgerechnet der undemokratischste Führer der Region des größten Fortschritts und Reformfreude. Turkmenistans Präsident Saparmurad Nijasow verkündet voll Stolz, dass in Turkmenistan die bürgerlichen Freiheiten der Regierungsgegner nicht verletzt würden, weil die Regierung keine Gegner habe.
Die Entwicklungen der letzten zehn Jahre in den zentralasiatischen Ländern werfen wichtige theoretische und dringende praktische Fragen auf. Wie ist die Unverwüstlichkeit autoritärer Führungsstile in Gesellschaften zu erklären, welche die Institutionen nach Modellen demokratischer, marktorientierter Gesellschaften übernommen haben? Wie ist es zu der offenen Kluft zwischen Struktur und Funktion gekommen? Welche politischen Korrektive sind unter solchen Umständen angezeigt? Können außenstehende Institutionen effektive Hilfe bei der Förderung demokratischer Reformen leisten? Wenn wir uns mit diesen Fragen befassen, müssen wir zunächst feststellen, dass zumindest in der ersten Dekade zentralasiatischer Unabhängigkeit und Entwicklung kein demokratischer Inhalt der demokratischen Verpackung folgte.
Die Globalisierung der Übergang zu einem einzigen, eng verflochtenen, globalen Wirtschafts- und Kommunikationsraum gestaltet die öffentliche Ordnung in aller Welt um. Es ist klar erkennbar, dass die Globalisierung die Länder belohnt, die sie gut praktizieren, aber diejenigen bestraft, die internationalen Standards nicht entsprechen. Viele Länder, die sich den Anforderungen der Globalisierung anpassen und dafür mit Wohlstand und technischem Fortschritt belohnt werden, stellen fest, dass ihre öffentlichen Institutionen unter starken Druck stehen, sich einander anzupassen. Die großen internationalen Institutionen der Welt stützen ihre Strategien und politischen Rezepte heute auf die Erkenntnis, dass Globalisierung weltweit eine Harmonisierung der Politik verlangt.
Aber nicht alle teilen die Ansicht, Globalisierung bringe in jedem Fall Demokratisierung mit sich zumindest nicht in dem Sinne einer Übernahme von demokratischen Institutionen westlicher Prägung, die Voraussetzung für die effektive Integration des jeweiligen Staates in die Weltgemeinschaft sind. Die politischen Führungsgruppen in den zentralasiatischen Staaten sind sich zwar der Tatsache wohl bewusst, dass die dominierende internationale Kraft zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Globalisierung ist. Aber sie sehen sie eher als einen den Staat in seiner Macht stärkenden und nicht als einen die Macht des Staates beschränkenden Trend. Für die zentralasiatischen Regime sind Globalisierung und politische Anpassung nicht etwa mit der Notwendigkeit interner Reformen in Richtung mehr Demokratie verbunden. Vielmehr sehen sie es als Vorbedingung für die Integration in die internationale Staatengemeinschaft an, dass der Staat eine Rolle übernimmt, in der er die Gesellschaft stärker anleitet und die Energien der Bürger auf die Verwirklichung nationaler Ziele ausrichtet.
In der ersten Dekade der Unabhängigkeit spielten in den zentralasiatischen Ländern gesellschaftliche Werte eine wichtigere Rolle als die formellen demokratischen Institutionen. Inmitten der Globalisierung erleben die Staaten Zentralasiens derzeit solch eine Renaissance des Traditionalismus. Diese ist überall in Zentralasien in vielerlei Gestalt sichtbar. Häufig kommt sie bei öffentlichen Feiern und Veranstaltungen zum Ausdruck, bei denen durch Anspielungen auf Leistungen und Glanzpunkte in der zentralasiatischen Vergangenheit ein Gefühl der Kontinuität vermittelt werden soll. So erhielt Usbekistans Präsident Islam Karimow im Rahmen einer öffentlichen Zeremonie, die den kulturellen Wurzeln der usbekischen Gesellschaft Leben und den nationalen Zielen Nachdruck verleihen sollte, die neu eingeführte höchste Auszeichnung des Landes, den Emir-Timur-Orden. In Turkmenistan führte Präsident Saparmurad Nijasow unlängst die genealogische Abstammung wieder als Kriterium für die Zulassung zum öffentlichen Dienst ein. Nijasow verteidigte diese Maßnahme mit dem Argument, Turkmenistan solle sich verlassen auf die Erfahrung unserer Vorfahren, die ihre Führer, Militärkommandeure und Richter unter den würdigsten ihrer Landsleute mit hohem moralischen Anspruch wählten.
Zentralasiens Suche nach Traditionen und Werten aus der Vergangenheit legt Vergleiche mit ähnlichen Bestrebungen in anderen asiatischen Gesellschaften nahe. Die beschleunigte gesellschaftliche Wandel und die rasanten Veränderungen der Technik schüren Ängste. Diese lassen sich nicht beschwichtigen auf der dünnen Basis der modernen Ära des Skeptizismus, der Unsicherheit und des Risikos. Asiatische Gesellschaften haben den Vorteil, dass sie aus großer historischer und kultureller Tiefe schöpfen können. Da ist es naheliegend, dass sich Führer und Denker auf der Suche nach einem stabilen Fundament für zeitgemäße Theorien wieder den Weisheiten alter Zeiten zuwenden.
Für viele asiatische Denker sind die westlichen, vom Gedankengut der europäischen Aufklärung abgeleiteten Theorien von Staat und Gesellschaft ein Konzept, dass einzig auf dem Vernunftprinzip beruht. Das spiegelt jedoch lediglich gemeinsame Annahmen der westlichen Welt wider, aber keine universellen Prinzipien menschlichen Denkens und Verhaltens. Deshalb stößt eine unreflektierte Verpflanzung dieses Konzepts in den asiatischen Raum auf Schwierigkeiten. Die in der westlichen Welt vorherrschende neoklassische Wirtschaftstheorie schreibt dem Individuum einen hohen Wert zu, während der Staat eine eher eingeschränkte Rolle spielt. Der neoklassische Staat hat sich in der Idealvorstellung aus Marktprozessen weitestgehend herauszuhalten und darauf zu beschränken, die makroökonomische Stabilität zu sichern und ein Rechtssystem zur Verfügung zu stellen, das private Eigentumsrechte und Vertragsrechte ausreichend schützt. Für alle Individuen des Staates gelten die gleichen Rechte und Pflichten. Verbindliche Verhaltensregeln, nicht persönliche Präferenzen und Begünstigungen bestimmen das geschäftliche und politische Miteinander.
Der asiatische Weg unterscheidet sich von europäischen Modellen insofern, als er synkretistisch ist, das heißt in ihm sind staatliche, gesellschaftliche, familiäre und individuelle Interessen miteinander verwoben. Natürlich gibt es viele asiatische Wege. Einen hohen Bekanntheitsgrad erlangt hat das Modell Singapur, das mit den von einigen als Entwicklungsdiktatur bezeichneten entwicklungspolitischen Aktivitäten seines Premiers Lee Kuan Yew (1959 bis 1990) assoziiert wird, der heutige Senior-Staatsminister ist. Bei der Bewertung des singapurischen Erfolgsweges wird oft darauf verwiesen, dass Singapurs Strategie mehr war als ein Wirtschaftsmodell. Sie konnte auf historische Traditionen zurückgreifen, die eine verlässliche Orientierung für die Zukunft boten. Die konfuzianischen Grundsätze, nach denen Söhne und Töchter die Leitlinien von Menschen mit moralischer Autorität mehr achten sollen als das Gesetz, nach denen Paternalismus über Legalismus steht, boten ein Rezept für einen ganz eigenen Zugang zum Verhältnis zwischen dem modernen Menschen und dem modernen Staat.
Das westliche Staatenmodell basiert auf der Annahme, dass die Festlegung individueller Rechte am besten in einem Prozess der offenen Auseinandersetzung ausgetragen wird, bei dem geltende Gesetze den Rahmen vorgeben und breite Einigkeit darüber herrscht, dass es auf das korrekte Verfahren mehr ankommt als auf ein einzelnes Urteil oder Ergebnis. Solange das Verfahren der Auseinandersetzung geschützt ist, haben die besiegten Parteien immer eine Möglichkeit, später das Urteil anzufechten.
Das amerikanische Geschäftsmodell stützt sich in gleicher Weise auf die Einhaltung unpersönlicher, abstrakter Rechtsvorschriften, die einen unparteiischen, fairen und freien Wettbewerb gewährleisten sollen. Im Gegensatz zu diesem Ansatz steht die stärker traditionsgebundene asiatische Praxis. Nach dem asiatischen Modell besteht Politik in erster Linie aus persönlicher Verpflichtung und Aufgabe. Geschäftsbeziehungen basieren vor allem auf Netzwerken zwischen Personen und sozialen Verpflichtungen. Das westliche Modell betont Laissez-faire und offene Volkswirtschaften; das andere baut auf nationale Strategien und auf die aktive Überwachung, Beobachtung und auch Reglementierung der Wettbewerber. Eckpfeiler des einen ist der Individualismus, Eckpfeiler des anderen die Loyalität. In dem einen Modell wird Unabhängigkeit erwartet und Opposition als Herausforderung betrachtet. In dem anderen gilt Widerspruch als unhöflich, Opposition als Verrat.
Die Betonung von Persönlichkeiten illustriert die autoritären Züge in der zentralasiatischen Gesellschaft. Daher wird in ganz Zentralasien und besonders in Usbekistan Macht oft mit der Person, nicht mit dem Amt verbunden. Der allmächtige Ortsbeamte, der Hakim führt ein Hakimiat, ein Amt, das ganz auf ihn zugeschnitten ist. Auch in europäischen Sprachen finden wir Begriffspaare, die auf frühe Wurzeln dieser Praxis in europäischen Gesellschaften schließen lassen. Wörter, die wir für politische Zuständigkeitsbereiche benutzen, sind verwandt mit den Wörtern zur Bezeichnung der Person, die das mit dem Zuständigkeitsbereich verbundene Amt bekleidet. Wir haben den Kaiser und das Kaiserreich, den König und das Königreich, den Emir und das Emirat und sogar den Botschafter und die Botschaft. Aber in der europäischen Terminologie klingen nur Spuren der Vergangenheit an. In unseren heutigen Gesellschaften denken wir bei dem Begriff Grafschaft oder Herzogtum an Verwaltungsbezirke und kaum an die Person eines Grafen oder Herzogs. Mit anderen Worten unterscheiden wir - fest in liberalen demokratischen Traditionen wurzelnd - fast automatisch zwischen dem Amt und der Person, die es innehat.
In Zentralasien fällt manchen Menschen diese Unterscheidung schwer. Heute rechtfertigt Usbekistans autoritäre Führung ihre Politik mit der Notwendigkeit, sozialen Konsens und politische Stabilität zu wahren. Sie verteidigt Usbekistans Neomerkantilismus, ihre dirigistische und interventionistische Wirtschaftspolitik, mit dem Argument, sie basiere auf ureigenen Traditionen der usbekischen Kultur und orientiere sich am Erfolgsmodell der asiatischen Tiger. Individuelle Anreize statt Anweisungen beispielsweise, so ein Sprecher der usbekischen Regierung, mögen in der amerikanischen Kultur funktionieren, sie wären aber zum Scheitern verurteilt in einer Kultur, die so alt und tief verwurzelt sei wie die usbekische.
Beim Blick auf Zentralasien wächst die Erkenntnis, dass demokratische Institutionen keine ausreichende Voraussetzung für echte Demokratie sind. Aus den gescheiterten Versuchen, westliche Strukturen und Institutionen zu verpflanzen, sollten die Demokratieförderer folgenden Schluss ziehen: Bemühungen, eine sich wieder entwickelnde Welt nach dem Bild Europas und Nordamerikas zu erschaffen, dürften kaum von Erfolg gekrönt sein und könnten kontraproduktive Reaktionen provozieren.
Im welchem Ausmaß kann der Verlauf der Demokratisierung in den muslimischen Ländern Eurasiens und im Nahen Osten der Herrschaft von Regeln zugeschrieben werden? In welchem Ausmaß kann er den Regeln der Herrschenden zugeschrieben werden? Können volksdemokratische Institutionen und marktgestützte Wirtschaftsbeziehungen in Gesellschaften funktionieren, die sich über lange Zeit an die Herrschaft einer dominierenden Minderheit gewöhnt haben? In Gesellschaften, die sich im Übergang von monolithischen, autoritären Einheitssystemen zu pluralistischen Demokratieformen befinden, hat man in dem Eifer, messbare Demokratienachweise hervorzubringen, den hierarchischen Kulturen mitunter lediglich pluralistische Institutionen übergestülpt.
Angesichts der Komplexität der Demokratieförderung in Kulturen, die so weit von den europäischen Wurzeln des Liberalismus und den Konzepten einer offenen Gesellschaft entfernt sind, haben manche Menschen die Überzeugung gewonnen, Demokratie eigne sich nicht für Zentralasien. Manche glauben, Zentralasien sei noch nicht bereit für eine demokratische Entwicklung und werde zu unseren Lebzeiten keine Demokratie erleben.
Soll der Westen also darauf verzichten, Demokratie in Zentralasien zu fördern und diese Länder ihren eigenen Weg gehen lassen? Wer so argumentiert, übersieht eines: In Demokratie investieren heißt nicht, lediglich in eine Regierungsform investieren, die sich in der Regierungspraxis kaum auswirkt. Es heißt, in gutes Regieren zu investieren. Ohne gute Staatsführungen wird sich keine Form der Auslandshilfe langfristig als nutzbringend erweisen, egal ob sie aus Eigeninteresse der Geber oder aus Altruismus erfolgt. Böswillige Diktatoren können sich die Früchte von beidem zur eigenen Verwendung aneignen. Bei guter Regierungsführung ist eine Investition in das betreffende Land auf jeden Fall eine gute Investition.
aus: der überblick 01/2006, Seite 6
AUTOR(EN):
Gregory Gleason
Gregory Gleason ist Professor für politische Wissenschaft und öffentliche Verwaltung an der Universität New Mexico. Sein Buch Markets and Politics in Central Asia ist 2003 bei Routledge, London, New York, erschienen.