40 Jahre Ökumenisches Stipendienprogramm
Gespräch mit Reinhard Koppe, Leiter des Stipendienreferats im Diakonischen Werk der EKD
Das Gespräch führte Frank Kürschner-Pelkmann
Mit dem Ökumenischen Stipendienprogramm (ÖSP) begann der Aufbau eines breit angelegten Programms zur Förderung der Ausbildung und des Studiums für junge Leute aus Afrika, Asien und Lateinamerika. Über das Stipendienreferat im Diakonischen Werk der EKD wird mit ÖSP-Mitteln die Ausbildung von etwa 10.000 Menschen im Jahr im eigenen Land oder der Heimatregion gefördert. Das KED-Stipendienprogramm steht für Studierende aus der Dritten Welt in Deutschland zur Verfügung. Hinzu kommen weitere Stipendienprogramme, die insgesamt einen wichtigen Beitrag dazu leisten, in Menschen zu investieren. Insgesamt stehen für diese Aufgaben 17 Mio. DM im Jahr zur Verfügung. Ein zunehmendes Gewicht hat ein intensives Studienbegleitprogramm, in dessen Mittelpunkt das entwicklungspolitische Lernen steht.
Welche Bilanz können Sie nach 40 Jahren Stipendienprogrammen ziehen? Was hat die Arbeit bewirkt?
1959 wurden die ersten drei Stipendiaten von Partnern in Asien für nicht-theologische Studien in Deutschland ausgewählt. Als in dieser Zeit die kirchlichen Entwicklungsorganisationen entstanden, war klar, daß die Kirchen und ihre Institutionen in Übersee für alle Bereiche, in denen sie aktiv sind, gut ausgebildete Fachkräfte benötigen. Das Spektrum der Förderprogramme hat sich in den vierzig Jahren stark differenziert. Heute gibt es nicht nur klassische Stipendienprogramme, sondern auch Studienbegleit- und Reintegrationsprogramme.
Viele gut ausgebildete Akademiker werden Teil der Eliten im Süden der Welt, die sich einen immer größeren Anteil am Sozialprodukt ihrer Ländern sichern. Was kann getan werden, um der Gefahr entgegenzuwirken, daß die Stipendiaten später Teil dieses Establishments werden?
Eine wichtige Entscheidung fällt bei der Auswahl der Kandidatinnen und Kandidaten, die in das Programm aufgenommen werden. Ein wichtiges Kriterium ist für uns die Bedürftigkeit. Wo wir den Eindruck hatten, daß die lokalen Stipendienkomitees die Auswahl in Richtung einer Mittelschichtförderung entwickelten, haben wir gegengesteuert. Gerade in den 90er Jahren haben wir unseren Partnern sehr harte Kriterien im Blick auf den wirtschaftlichen Hintergrund der Stipendieateneltern gegeben. Wenn wir also wirklich bedürftige Studierende fördern, ist damit natürlich keine hundertprozentige Sicherheit gegeben, daß sie später wirklich für die Ziele tätig sind, die bei den Programmen im Vordergrund stehen.
Was geschieht, um sie während des Studiums zu begleiten und zu sozialem Engagement zu motivieren?
Auf diesem Gebiet hat es seit Mitte der 80er Jahre einen wirklichen qualitativen Fortschritt gegeben. Seither unterstützt das Stipendienreferat sehr intensiv die Studienbegleitprogramme für ausländische Studierende aus Entwicklungsländern in Deutschland. Es ist unser Ziel, daß die Stipendienförderung ergänzt und qualifiziert wird durch die Studienbegleitung. Das bedeutet, daß die Studierenden für Entwicklungsprobleme sensibilisiert werden und daß sie frühzeitig die Gelegenheit haben, sich eine berufliche Perspektive in ihrem Heimatland zu entwickeln.
Was wird getan, um Studierende aus der Dritten Welt nach dem Abschluß ihres Studiums dazu zu motivieren, in ihre Heimat zurückzukehren?
In den Studienbegleitprogrammen gibt es immer wieder Seminare, die sich mit Aspekten und Problemen der Reintegration beschäftigen, damit sich die Studierenden - auch in ihrem wissenschaftlichen Studium - rechtzeitig mit den Problemen ihres Heimatlandes auseinandersetzen und dadurch eher befähigt werden und eine Motivation erhalten, in ihr Heimatland zurückzukehren. Zwischenheimreisen dienen als berufsvorbereitende Praktika, und viele Berichte der Studierenden zeigen uns, daß diese Reisen eine ganz wichtige Motivation dafür waren, eine Rückkehr ins Heimatland zu planen und die letzte Phase des Studiums darauf zu konzentrieren.
Gibt es Analysen, wie wirksam die Stipendienprogramme der letzten Jahrzehnte gewesen sind?
Bei Studien- und Ausbildungsvorhaben, die sich oft über sechs oder acht Jahre erstrecken und an die sich der oft schwierige Reintegrationsprozeß im Heimatland anschließt, ist es sehr schwierig, genau zuzuordnen, daß eine Bildungsmaßnahme die Ursache für eine bestimmte Wirkung war. Seit wir in den letzten zwei, drei Jahren die Nachkontaktarbeit intensiviert haben, konnten wir in einigen Ländern Seminare mit früheren Stipendiatinnen und Stipendiaten durchführen, zum Beispiel in diesem Jahr in Tansania. Wir haben dort nach der rückblickenden Bewertung des Studienvorhabens gefragt und können nun viele Fälle dokumentieren, in denen eine bestimmte Qualifikation und eine Tätigkeit mit einem kritischen Ansatz und Engagement ohne die Förderung nicht zu verwirklichen gewesen wären.
In welchem Umfang arbeitet das Stipendienreferat ökumenisch?
Eines unserer wichtigsten Programme ist das "Ökumenische Stipendienprogramm", in dem wir weltweit vor allem mit Partnern des kirchlichen Entwicklungsdienstes zusammenarbeiten. Ebenso sind auch die Inlandsprogramme ökumenisch orientiert. Beim KED-Stipiendienprogramm zum Beispiel sind uns das entwicklungspolitische Engagement, ein entwicklungsorientiertes Studium und die Bedürftigkeit wichtig. Die Religionszugehörigkeit spielt bei dem Auswahlverfahren zunächst einmal keine Rolle. In der Präambel des KED-Stipendienprogramms haben wir aufgeführt, daß es für uns eine ganz zentrale Frage ist, welchen Beitrag die Studierenden für den Konziliaren Prozeß und für einen Dialog mit anderen Gruppen und Religionen leisten.
In den letzten Jahren ist in der kirchlichen Entwicklungsarbeit die Frauenförderung intensiviert worden. Welche Rolle spielt Frauenförderung im Stipendienbereich?
Für die Inlandsprogramme erweist sich als schwierig, daß wir einen dominant hohen Anteil von männlichen ausländischen Studierenden in Deutschland haben. Deshalb haben wir bei Neufassung der Vergaberichtlinien für das KED-Stipendienprogramm darauf verzichtet, eine Quote einzuführen. Es soll aber der Förderung von Studentinnen Priorität eingeräumt werden.
Bei den Auslandsprogrammen ist die Situation insgesamt erfreulicher. Auf einigen Kontinenten gibt es ein ziemlich ausgewogenes Verhältnis von geförderten Studentinnen und Studenten, etwa in Lateinamerika. In Afrika ist es schwieriger, weil in den sehr stark hierarchisch strukturierten Partnerkirchen die Männer auf vielen Ebenen eine deutliche Mehrheit bilden. Sie schlagen uns in vielen Anträgen Männer für Stipendien vor. Wir haben mit Partnern in Afrika eine intensive Diskussion begonnen und weisen bei der Neueinrichtung von Stipendienfonds darauf hin, daß wir der Meinung sind, daß Frauen in angemessener Zahl berücksichtigt werden sollen.
In den einzelnen asiatischen Ländern ist die Situation sehr unterschiedlich. Auf den Philippinen haben wir bereits vor zehn Jahren Frauenprogramme unterstützt. In Indien kann ich das Beispiel einer Partnerorganisation erwähnen, die wir Anfang der 90er Jahre aufgefordert haben, den Anteil der geförderten Frauen zu erhöhen. Damals waren unter den geförderten Auszubildenden nur etwa 15% Frauen. Durch unseren Dialog mit der Partnerorganisation ist der Frauenanteil inzwischen auf über 40% gestiegen. Wir unterstützen also einen dialogorientierten Ansatz, der es den Partnern ermöglicht, sich in einem mehrjährigen Prozeß umzustellen. Ein solcher längerfristig angelegter Ansatz berücksichtigt auch die kulturelle Ausgangsposition des Partners.
Es fand kürzlich in Berlin eine Konsultation mit Stipendiatinnen und Stipendiaten in den neuen Bundesländern statt. Wie ist ihre Situation und was kann vom Stipendienreferat getan werden, um hier gezielt zu fördern?
Wir haben für unsere Inlandsprogramme ein dezentrales Kooperationsmodell und arbeiten auf der lokalen Ebene mit den Evangelischen Studierendengemeinden zusammen. In den neuen Bundesländern haben wir die Schwierigkeit, daß nur in einigen der größeren Städte wie beispielsweise Dresden und Leipzig solche Gemeinden mit entsprechender Ausstattung und einer Studentenpfarrstelle bestehen. In den kleineren Hochschulorten haben Pastoren diese Aufgabe nebenamtlich übernommen. Sie wollen auch mit den deutschen Studierenden Aktivitäten durchführen, so daß der Spielraum für die Durchführung von Programmen für ausländische Studierende sehr gering ist. Es wird deshalb auch in Zukunft nicht einfach sein, den Studierenden aus Entwicklungsländern in den neuen Bundesländern den gleichen Zugang zu Stipendien und Begleitprogrammen zu eröffnen, wie dies in den alten Bundesländern der Fall ist.
In der ESG in Magdeburg ist es nach der deutschen Einheit gelungen, durch eine engagierte Person eine sehr intensive Arbeit mit den ausländischen Studierenden aufzubauen, aber auch hier hat es sich gezeigt, wie schwierig es ist, diese Arbeit durch entsprechende Finanzierung einer Personalstelle und von Sachmitteln abzusichern.
Die Nothilfe-Unterstützung für Studierende aus Afrika, Asien und Lateinamerika ist Teil der Arbeit des Stipendienreferats. Welche Tendenzen zeichnen sich hier ab?
Es gibt zur Zeit etwa 150.000 ausländische Studierende in Deutschland, darunter ca. 50.000 Studierende aus Entwicklungsländern. Wir wissen, daß diese Zahl gestiegen ist, auch wenn die Statistiken hierüber unzureichend sind. Viele staatliche und lokale Hilfsprogramme für diese Studierenden sind aber in den letzten Jahren reduziert und teilweise ganz gestrichen worden. Deshalb ist der Druck auf die Evangelischen Studierendengemeinden noch stärker geworden. Zu berücksichtigen ist auch, daß es für viele afrikanische Studierende in den neuen Bundesländern kaum möglich ist, eine Arbeit zur Finanzierung des Studiums zu finden.
Wie wirken sich die zurückgehenden Finanzen der deutschen Kirchen auf die Stipendienprogramme aus?
Der Rückgang der KED-Mittel trifft uns vor allem bei den Inlandsstipendienprogrammen. Wir mußten bereits die Mittel für das Flüchtlingsstipendienprogramm und das KED-Stipendienprogramm reduzieren. Wir werden in Zukunft auch Schwierigkeiten haben, den Stipendienfonds für das "Ökumenische Studienwerk" in Bochum auf dem gegenwärtigen Niveau zu halten. Wegen ihrer Bedeutung und Wirkung haben wir die Mittel für die Studienbegleitprogramme bisher nicht gekürzt und versuchen, hierfür zusätzliche Mittel zu erschließen. Vor drei, vier Jahren standen etwa 7,5 Mio. DM für AG KED-finanzierte Stipendienprogramme zur Verfügung, im nächsten Jahr werden es nur noch 4,5 Mio. DM sein.
Im Blick auf die Auslandsprogramme sind wir noch in einer recht guten Situation, da das Ökumenische Stipendienprogramm in Stuttgart ausschließlich von Brot für die Welt finanziert wird. Es gab leichte Kürzungen, aber die konnten wir durch eine stärkere Prioritätensetzung in der Förderung auffangen.
Das Stipendienreferat des Diakonischen Werkes hat in diesem Jahr eine Broschüre unter dem Titel "In Menschen investieren" veröffentlicht, in der die Stipendienprogramme mit Beispielen dargestellt werden. Die Broschüre ist erhältlich beim Diakonischen Werk der EKD, Postfach 10 11 42, 70010 Stuttgart, Fax: 0711-2159-368.
aus: der überblick 04/1999, Seite 124