Rezepte gegen Hilfsmüdigkeit und Skepsis
Zu Beginn des neuen Jahrhunderts sind auf drei Weltkonferenzen wichtige Leitlinien für die Kooperation zwischen armen und reichen Ländern verabschiedet worden. Gleichzeitig schreitet der bereits 1997 von UN-Generalsekretär Kofi Annan eingeleitete Reformprozess auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit beharrlich fort. Und schließlich positionieren sich die Weltbank und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) neu.
von Irene Freudenschuss-Reichl
Die Perspektive, an einem weltgeschichtlich bedeutenden Wendepunkt zu stehen, half wohl der UN-Generalversammlung, gestützt auf einen weitsichtigen Bericht von UN-Generalsekretärs Kofi Annan, eine besonders hochherzige Millenniumserklärung zu verabschieden. Alle 189 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen (UN) beschlossen im September 2000 die knappen 32 Paragrafen der Millenniumserklärung. Darin verpflichten sich die Staats-und Regierungschefs, bestimmte Ziele in den folgenden Politikfeldern zu verfolgen: Frieden, Sicherheit und Abrüstung; Entwicklung und Armutsbekämpfung; Schutz unserer gemeinsamen Umwelt; Menschenrechte, Demokratie und gute Regierungsführung; Schutz für die besonders Verletzlichen (wie Kinder und Zivilbevölkerung in Konflikten und humanitären Notsituationen); Eingehen auf die besonderen Bedürfnisse Afrikas; Stärkung der UN. Besondere Bedeutung erhält die Millenniumsdeklaration durch eine Reihe von quantitativ festgelegten Zielen und Zeiträumen im Wirtschafts-und Sozialbereich.
Die meisten Ziele der Millenniumsdeklaration wurden wörtlich aus früheren zwischenstaatlichen Konsensdokumenten entnommen. Die Formulierung zur Armutsbekämpfung etwa geht auf die Kopenhagener Deklaration des Weltgipfels für soziale Entwicklung aus dem Jahr 1995 zurück. Dagegen ist natürlich nichts einzuwenden. Mehr als ein Schönheitsfehler ist allerdings, dass einige in früheren Weltkonferenzen hart erkämpfte Grundsätze und Eckdaten - insbesondere in den Bereichen Bevölkerung (Zugang zu Verhütungsmitteln nach Wahl) und Frauenrechte (gleichberechtigte Beteiligung am wirtschaftlichen und politischen Geschehen) - in der Deklaration nicht berücksichtigt wurden. Auch die einseitige Beschäftigung mit der Klimaproblematik ist eine deutliche Schwachstelle der Millenniumserklärung: Die Bedeutung eines besseren Zugangs zu Energie für die zwei Milliarden Menschen, die derzeit ohne moderne Energiedienste auskommen müssen (vgl. "der überblick" 4/2001), wird in der Deklaration völlig außer Acht gelassen. Und was Technologien angeht, so ist die Zusammenarbeit auf die Bedeutung von Informations-und Kommunikationstechnologien und die Entschlüsselung und Kartografie des menschlichen Genoms verkürzt worden.
Nichtsdestotrotz ist die Millenniumserklärung ein Grundsatzdokument erster Ordnung, das nach dem übereinstimmenden Willen von Regierungen und den Vereinten Nationen die Tagesarbeit bis zum Jahr 2015 bestimmen soll.
Die Welthandelskonferenz in Doha im November 2001 hat dann die Bedeutung der Entwicklungsdimension für die weitere Entfaltung des Welthandels anerkannt. Sie hat festgelegt, dass Entwicklungsländer in Zukunft sehr viel differenzierter behandelt werden sollen. Das soll sich im Arbeitsprogramm in regelrechten Fahrplänen für Konzessionen und Verpflichtungen niederschlagen. Außerdem wurde anerkannt, dass diese Länder auf fast allen Ebenen Hilfestellung brauchen, um effektiv an den Verhandlungen mitzuwirken und um die nötige Infrastruktur aufzubauen, um die nichttarifären Handelsbeschränkungen (Qualitäts-und Gesundheitsstandards) erfolgreich abbauen zu können.
Dass die Handels-und Entwicklungspolitiken stärker aufeinander abgestimmt werden müssen (trade and aid), hat schließlich die Weltkonferenz über die Finanzierung von Entwicklung im März diesen Jahres in Monterrey festgehalten. In der Tat macht es nicht viel Sinn, im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit kleine Hilfestellungen an die Entwicklungsländer zu geben und gleichzeitig die Handelsströme so zu gestalten, dass den Entwicklungsländern ein Vielfaches der Hilfeleistungen durch Handelsbarrieren und Agrarsubventionen im Norden entgeht.
Darüber hinaus wurden in Monterrey überfällige Zusagen gemacht, die öffentlichen Entwicklungshilfemittel zu erhöhen, wenn auch nur geringfügig. Dies wurde durch den Gipfel von Barcelona (15. bis 16. März 2002) bestätigt, als sich die Europäische Union (EU) darauf einigte, bis zum Jahr 2006 durchschnittlich 0,39 Prozent des Bruttosozialprodukts für die Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden. Bei einem angenommenen bescheidenen Wirtschaftswachstum könnten von 2000 bis 2006 rund 20 Milliarden US-Dollar zusätzlich erbracht werden. Die Zusage der 0,39 Prozent gilt als Etappenziel auf dem Weg zur Erreichung der 0,7 Prozent-Marke im Jahr 2015. Derzeit leistet die EU mehr als 50 Prozent aller Entwicklungshilfe weltweit; die humanitäre Hilfe eingeschlossen beläuft sich der Gesamtbetrag auf 25,4 Milliarden US-Dollar im Jahr 2000.
Die USA versprachen ihre jährliche Entwicklungshilfe von 10 Milliarden US-Dollar ab dem Haushaltsjahr 2003 um 5 Milliarden US-Dollar aufzustocken. Zusätzlich sollen im Zeitraum von drei Jahren von 2003 bis 2006 weitere 5 Milliarden US-Dollar für einen Sonderfonds für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stehen. Finanzielle Hilfe aus dem Millennium Challenge Account (MCA) bekommt aber nur, wer bestimmte politische Bedingungen erfüllt. Damit sollen die Regierungen belohnt werden, so Jennifer L.Windsor, die Geschäftsführerin von Freedom House am 19. Juli 2002 in der New York Times, die bei ihren Entscheidungen, Respekt vor Menschenrechten und Demokratie zeigen und entschlossen daran gehen, die Korruption zu beenden.
Dass die direkte Verquickung von finanzieller Unterstützung und demokratischer Entwicklung so einfach nicht ist, macht der kürzlich erschienene "Bericht über die menschliche Entwicklung 2002" des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen deutlich. Im Vorwort des Berichts verweist der UNDP-Administrator Mark Malloch Brown darauf, dass "eine wachsende Zahl an Regierungen ... in eine zunehmend undemokratische Praxis zurückgefallen (sind)".
Die Zusagen der EU und der USA sind erfreulich; man sollte darüber aber nicht aus den Augen verlieren, dass auch mit dieser Erhöhung immer noch weit weniger Entwicklungshilfe zur Verfügung steht, als eigentlich notwendig ist. Um die Ziele der Milleniumsdeklaration erreichen zu können, müssten in den nächsten 15 Jahren mindestens 50 Milliarden US-Dollar zusätzlich aufgebracht werden.
Neben den finanziellen Zusagen und dem Bekenntnis zu mehr Kohärenz in der Handels-und Entwicklungspolitik war an der Konferenz in Monterrey bemerkenswert, dass die Privatwirtschaft stärker eingebunden wurde. Die Vorbereitung lag erstmals nicht mehr allein beim UN-Sekretariat, sondern Weltbank, IWF, UNCTAD und WTO waren gleichberechtigt daran beteiligt. Das war eine Vorbedingung der USA und anderer OECD-Staaten für die Konferenz gewesen, für die die in der Gruppe der 77 zusammengeschlossenen Entwicklungsländer in der UN-Generalversammlung lange gekämpft hatten.
Weniger spektakulär, aber von praktischer Bedeutung war die allfällige Dreijahresüberprüfung der operationellen Aktivitäten des UN-Systems während der 56. Generalversammlung im vergangenen Jahr. Die dort verabschiedete Resolution A/RES/56/201 ruft dazu auf, Prozesse und Formate der multilateralen Entwicklungskooperation so aufeinander abzustimmen, dass Konzeption, Planung und Umsetzung besser miteinander harmonieren. Dies würde unter anderem auch eine wesentliche Kosteneinsparung für die Entwicklungsländer bewirken, die häufig von den unterschiedlichen Anforderungen der Entwicklungsagenturen überfordert sind.
Kurz nach der Übernahme des Amtes als Generalsekretär legte Kofi Annan im Juli 1997 ein Reformpaket vor, das eine Reihe von Sekretariatseinheiten umstrukturierte, um bürokratische Doppelgleisigkeiten auszuräumen und klarere Verantwortungsbereiche zu schaffen. Wichtig für die Entwicklungszusammenarbeit waren vor allem die Einbindung einer Reihe von Abteilungen des UN-Sekretariats in die neue Hauptabteilung für Wirtschaftliche und Soziale Angelegenheiten (DESA). Außerdem wurden die dem UN-Generalsekretär direkt unterstellten Programme und Fonds (beispielsweise UNDP, UNICEF, UNFPA und WFP) zu der so genannten UN-Entwicklungsgruppe (UNDG) zusammengefasst, um zielorientierte Zusammenarbeit und programmatische Kohärenz zu fördern. Schließlich wurden die in einem Land arbeitenden UN-Organisationen einem Leiter (Resident Coordinator) unterstellt.
Für den Beginn der nächsten Generalversammlung werden neue Reformvorschläge des Generalsekretärs erwartet. Sie werden vor allem auf eine strategischere Ausrichtung der diversen Einheiten des UN-Sekretariats im Wirtschafts-und Sozialbereich abzielen und eine durchdachte "Architektur" der von der Generalversammlung angeforderten Berichte des Generalsekretärs einführen.
Die UNDG hat jüngst neue Mitglieder hinzugewonnen. Mit der Aufnahme der UN-Organisation für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) und der UN-Ernährungs-und Landwirtschaftsorganisation (FAO) im Jahr 2001 sowie der ILO (Internationale Arbeitsorganisation) und der UNIDO (UN-Organisation für industrielle Entwicklung) im Jahr 2002 sind nunmehr alle Organisationen, die ständige Feldpräsenz haben, Mitglieder der UNDG. Die Weltbank ist als Beobachter vertreten.
UNDG hat eine Reihe von Arbeitsgruppen und Sondereinheiten eingerichtet. 1999 hat sie Richtlinien verabschiedet, nach denen die Situation aus der Warte der im Land tätigen UN-Organisationen (Common Country Assessments, CCA) beurteilt werden soll. Als gemeinsame Antwort des UN-Systems auf den im CCA aufgezeigten Handlungsbedarf werden UN-Development Assistance Frameworks (UNDAF) verfasst. Seit 1999 sind rund 90 CCAs und 50 UNDAFs erstellt worden. Angesichts der neuen, umfassenden Vorgaben der Millenniumsdeklaration wurden die Richtlinien 2002 überarbeitet. Wie auch die Millenniumsdeklaration versuchen die CCAs und UNDAFs Entwicklungs-und Konfliktpräventionsmaßnahmen zu integrieren.
Seit die Weltbank, unter der Führung ihres derzeitigen Präsidenten James Wolfensohn, die Armutsbekämpfung zu ihrem vordringlichsten Ziel erklärt hat, werden auch die Poverty Reduction Strategy Papers (PRSP) immer wichtiger. Das sind unter Einflussnahme der Weltbank erarbeitete nationale Rahmenprogramme zur Armutsbekämpfung. Die Abfolge der diversen Rahmenkonzepte folgt zwar einer Logik, der Prozess ist aber aufwändig, zumal die Methodologien nicht aufeinander abgestimmt sind: Am Anfang steht eine analytische Bestandsaufnahme und Bedarfserhebung (CCA). Dann folgt mit dem PRSP die nationale Armutsbekämpfungsstrategie. Im Rahmen dieser Strategie erarbeiten die UN-Organisationen dann einen gemeinsamen Business-Plan (UNDAF). Die zur Weltbankgruppe gehörende International Development Association (IDA) erstellt ebenfalls ein Arbeitskonzept (Country Assistance Strategy - CAS).
Diese Vorgehensweise soll das Zusammenwirken der verschiedenen Entwicklungsakteure und damit die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit für einzelne Länder erhöhen. Vor allem soll sie auch die national ownership verstärken: Das jeweilige Entwicklungsland soll selbst die Zügel für die Gestaltung seines Entwicklungsprozesses in der Hand halten. In einer 2002 erschienenen UNDP-Studie über die Erfahrungen mit Aufbau und Stärkung von Entwicklungskapazität, einem Bereich in dem die UN-Agenturen besonders stark engagiert sind, kommen die Autoren zum Schluss, dass von national ownership meist noch keine Rede sein kann. Vielmehr würden die Programme der technischen Hilfe noch immer zu sehr von den Wünschen und Vorstellungen (und wirtschaftlichen Interessen) der Geberländer ausgehen, zu sehr mit internationalen Beratern arbeiten und das in den Entwicklungsländern vorhandene gesellschaftliche Potential zur Gestaltung des eigenen Entwicklungspfades ignorieren.
Über die Revision der CCA-und UNDAF-Richtlinien hinaus beschäftigt sich die UNDG intensiv damit, wie die UN-Organisationen dazu beitragen können, dass die einzelnen Länder die in der Milleniumsdeklaration festgeschriebenen Ziele verfolgen und möglichst auch erreichen können. Dazu verfassen einzelne Teams länderspezifische Berichte. Sie sollen helfen, die Millenium Development Goals (MDG) in den Vordergrund der jeweiligen nationalen Politik zu rücken. Außerdem wurde der Wirtschaftswissenschaftler Jeffrey Sachs von der Columbia University im Millennium-Project beauftragt, die analytischen Grundlagen für eine strategische Verfolgung der MDGs zu schaffen. Das Projekt soll seine Arbeit im Herbst 2002 aufnehmen und im Jahr 2004 die ersten Ergebnisse vorlegen. Schließlich wird die UNDG mit einer Milleniumskampagne versuchen, die Ziele der Millenniumsdeklaration in das Bewusstsein von Multiplikatoren und Entscheidungsträgern zu tragen.
Auch das altehrwürdige Administrative Committee on Coordination (ACC) ließ sich von den Reformbemühungen anstecken. Das zweimal jährlich unter dem Vorsitz des UN-Generalsekretärs tagende Gremium, in dem die Leiter aller UN-Organisationen sitzen, zeigte mit der Umbenennung zum Chief Executives' Board (CEB) seinen Erneuerungswillen. Das CEB rodete den Wildwuchs der ständigen Koordinationsstrukturen zwischen den einzelnen Organisationen und Kommissionen und ersetzte sie durch zwei hochrangige Komitees zu Programm-und zu Managementfragen.
Eine dramatische Veränderung der multilateralen Entwicklungszusammenarbeit ergab sich durch einen Beschluss vom 1. Juli 2002: Etwa 20 Prozent der Mittel der International Development Association (IDA), die Kredite zu besonders günstigen Bedingungen vergibt, sollen in Zukunft als verlorener Zuschuss vergeben werden: für die Bekämpfung von HIV/AIDS und Schuldensanierung sowie für Länder, die aus Konfliktsituationen oder Naturkatastrophen hervorgehen. Durch diese, von den USA durchgedrückte, strukturelle Veränderung der IDA-Hilfe beginnt die Weltbankgruppe im ureigenen Bereich der UN-Entwicklungszusammenarbeit zu arbeiten, ohne dass die Entscheidungsstrukturen der Weltbank, in denen bekanntlich die Geberländer das Sagen haben, demokratisiert worden wären. Da die Gelder für die UN-Organisationen nicht wachsen, obwohl immer neue Mandate vergeben werden, werden die UN-Organisationen praktisch dazu gezwungen, miteinander in Konkurrenz um die IDA-Gelder zu treten. Die eigenständige Rolle der operationalen Aktivitäten des UN-Systems, unter der Leitung von UNDP, wird damit weiter beeinträchtigt.
Das UNDP betont mit einer als voraus-eilender Gehorsam anmutenden Neupositionierung (Re-branding Exercise), dass es, nachdem es nicht länger die Hauptfinanzierungsquelle für operationelle Aktivitäten des UN-Systems darstellt, nunmehr seine Hauptaufgabe in der Koordination der technischen Hilfe auf Länderebene sieht. Die technische Hilfe soll durch UNDP-eigene Programme in sechs Schwerpunktbereichen geleistet werden: Demokratische Regierungsführung; Armutsbekämpfung; Krisenvermeidung und Wiederaufbau; Energie und Umwelt; Informations-und Kommunikationstechnologie; HIV/AIDS. Außerdem ist UNDP für die Umsetzung von Projekten anderer Einheiten des UN-Systems und die Leitung des Netzwerkes der UN-Länderbüros zuständig.
Über die Arbeit eines beratenden Ausschusses, dem Interagency Advisory Panel, werden UNDG-Mitglieder in die Besetzung der UN-Länderbüros eingebunden. Der Resident Coordinator soll vor Ort im Namen des gesamten UN-Systems handeln können.
Wohl als Reaktion auf die unbefriedigenden Verhandlungsergebnisse diverser Großkonferenzen sind in den letzten Jahren wiederholt neue Formen der Entwicklungszusammenarbeit ins Spiel gebracht worden. Während der dritten Konferenz für die am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries, LLDC) in Brüssel im Mai 2001 wurde versucht, rasch realisierbare Kooperationen zustande zu bringen. Die deliverables-Diskussionen erbrachten eine Fülle guter Ideen, die hoffentlich in den nächsten Jahren in der einen oder anderen Form umgesetzt werden. In Monterrey wurde dieser handlungsorientierte Ansatz jedoch schon wieder durch unverbindlichere "Initiativen" und "Partnerschaften" ersetzt.
Beim Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung (26.8. bis 4.9. 2002) in Johannesburg verabschiedete man nicht nur den verhandelten "Implementierungsplan", sondern präsentierte und diskutierte auch die so genannten type-II-initiatives. In diesen Initiativen schließen sich interessierte Akteure zusammen, die - mit Bezug auf die ausgehandelten Beschlüsse - in einzelnen Feldern vorangehen wollen und sich dabei nach bestimmten Kriterien der Transparenz und der Überprüfbarkeit stellen. An diesen Initiativen kann sich auch die Privatwirtschaft beteiligen.
Unter dem Namen Global Compact versucht Kofi Annan seit einigen Jahren, große Firmen und multinationale Konzerne in die Förderung von Entwicklung einzubinden. Der "Weltvertrag" sieht neun Prinzipien zu den Komplexen Menschenrechte, Arbeitsstandards und Umwelt vor (siehe Kasten), zu deren Einhaltung sich die Firmen verpflichten. Im Austausch dafür dürfen sie innerhalb gewisser Grenzen ihre Verbundenheit mit den UN zu Marketingzwecken benützen. Während leicht eine Übereinstimmung darüber erzielt werden kann, dass eine bessere Einbindung der Privatwirtschaft wünschenswert ist, wird der Global Compact insbesondere vonseiten der Entwicklungsländer und vieler nichtstaatlicher Organisationen kritisiert. Zum einen, weil es kaum Überprüfungsmechanismen gibt, ob die Firmen ihre Verpflichtungen wirklich einhalten (vgl. "der überblick" 3/2001). Zum anderen, weil ein tatsächlicher Gewinn für die Entwicklungsländer bisher kaum nachgewiesen werden konnte; mit Ausnahme vielleicht der Beschlüsse, in denen die Pharmaindustrie zur Erleichterung der Bekämpfung von HIV/AIDS gewisse Patentrechte flexibler handhabt.
Eine weitere interessante Entwicklung bezieht sich auf das Konzept der Global Public Goods. Das gleichnamige Buch wurde in der Entwicklungswelt stark beachtet. Mit öffentlichen Gütern werden Waren bezeichnet, die der Markt nicht (oder nicht ausreichend) produziert. Ihr Genuss durch einzelne Personen schließt andere nicht davon aus; der Genuss dieser Güter durch viele Marktteilnehmer führt nicht zu einem Verbrauch der Güter.
Im internationalen Bereich gibt es eine Reihe derartiger öffentlicher Güter: Friede und Sicherheit, Stabilität des Finanzsystems, Integrität der Erdatmosphäre, effektive Regelwerke im Bereich sanitärer Standards und der Pflanzenschutzbestimmungen sind einige davon. Gewisse öffentliche Güter können nur durch ein Zusammenwirken von Kräften rund um den Erdball produziert werden: Friede und Sicherheit etwa können nicht von der derzeit einzigen Supermacht - trotz aller militärischen und technologischen Überlegenheit - geschaffen werden, wie der Anschlag des 11. September 2001 deutlich vor Augen führte. Der Schutzschild der Stratosphäre gegen unerwünschte Strahlung aus dem Weltall wird sich nur dann (möglicherweise nicht mal dann) schließen, wenn weltweit die Benützung der ozonschichtzerstörenden Substanzen aufhört. Das internationale Finanzsystem wird nur dann stabil sein, wenn alle nationalen Finanzmärkte gewissen Grundbedingungen der Stabilität und Umsicht Rechnung tragen.
Das UN-System könnte sich - im Rahmen einer Arbeitsteilung - zunehmend auf jene Güter konzentrieren, die Märkte nicht optimal oder ausreichend zur Verfügung stellen (können). Dies würde einen weiteren Schritt weg bedeuten, von der Art und Weise wie Entwicklungszusammenarbeit bisher verstanden, vereinbart und implementiert wurde. Darüber wird in den nächsten Jahren wohl noch ausführlich zu diskutieren sein.
Literatur
Bericht über die menschliche Entwicklung 2002, UNDP 2002.
Sakiko Fukuda-Parr, Carlos Lopes, Khalid Malik (Hrsg.): Capacity for Development. New Solutions to Old Problems. UNDP-Earthscan 2002.
Inge Kaul, Isabelle Grunberg und Marc A. Stern (Hrsg.): Global Public Goods. University Press Oxford 1999.
Die acht wichtigsten Ziele der Milleniumserklärung können unter www.un.org/millenniumgoals/index.html eingesehen werden; die gesamte Millenniumsdeklaration und die Schritte zur Implementierung der Milleniumsziele können dort als html- oder pdf-Datei heruntergeladen werden.
EntwicklungshilfeNeun Prinzipien für die WirtschaftsweltDer Global Compact verlangt von Firmen, innerhalb ihres Einflussbereiches die folgenden Kernwerte in den Bereichen Menschenrechte, Arbeitsstandards und Umwelt zu vertreten: Menschenrechte Arbeitsstandards Umwelt Irene Freudenschuss-Reichl |
aus: der überblick 03/2002, Seite 109
AUTOR(EN):
Irene Freudenschuss-Reichl:
Dr. Irene Freudenschuss-Reichl ist seit 1982 im österreichischen diplomatischen Dienst. Sie ist derzeit freigestellt für ihre Aufgabe als Leiterin des UNIDO-Büros in New York.