Berufsbildung im Ostkongo, orientiert am Bedarf des informellen Sektors
von Michaela Ludwig
Der Zacari eilt vom Ostkongo bis nach Uganda, Ruanda und Tansania der Ruf voraus, die Beste zu sein. Selbst von der MONUC, den Friedenstruppen der Vereinten Nationen im Kongo, und aus dem fernen Kenia kommen Gitarrenliebhaber nach Bukavu, um eine Zacari zu erstehen. In der kleinen Werkstatt im Industrieviertel der Provinzhauptstadt baumeln die blau und rot gestrichenen E-Gitarren mit dem Schriftzug ihres Meisters von der Decke.
Tabaro Zacari und sein Kollege Mugomoka Matabaro waren die ersten Ostkongolesen, die elektrische Gitarren bauten nach dem Vorbild jener Gitarren, die europäische Priester in die Kirchengemeinden gebracht hatten und deren Klänge die Jugendlichen in Scharen in die Kirchen zogen. Heute geben sie in der Werkstatt des Handwerker-Ausbildungszentrums CAPA (Centre d'Apprentissage Professionnel et Artisanal) diese Fertigkeiten an ihre Auszubildenden weiter. Die beiden Musiker und ihre Lehrlinge konstruieren Instrumente, die es in puncto Qualität und Klang mit jedem europäischen oder US-amerikanischen Modell aufnehmen können. Die Preise liegen zwischen umgerechnet 20 und 600 Euro. Aber "für die Teuren gibt es hier keine Kunden", erklärt Tabaro Zacari.
Denn das Leben in der Provinz Süd-Kivu ist von Armut und Unsicherheit geprägt. Sie sind die Folgen der Kriege im Kongo seit Mitte der 1990er Jahre, an denen unter anderem Truppen Ruandas beteiligt waren (siehe Kasten). Noch immer halten sich ruandische Hutu-Milizen, die Interahamwe, in den endlosen Wäldern des Ostkongo versteckt. Sie überfallen Dörfer und vergewaltigen und misshandeln Frauen vom Säugling bis zur Greisin. Das können bisher weder die 3000 in der Provinz stationierten Soldaten der MONUC verhindern noch die neu organisierten Streitkräfte des Kongo (FARDC). Auch deren Soldaten, darunter ehemalige Kämpfer verschiedener Rebellengruppen, sollen an Überfällen beteiligt sein.
Trotz der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im Kongo vom vergangenen Jahr ist im Süd-Kivu kein Frieden eingekehrt. "Wir befinden uns irgendwo zwischen Krieg und Frieden", sagt Vital Banywesize Mukuza, der Direktor des Ausbildungszentrums CAPA. Das CAPA hat seine Berufsausbildung für Handwerker dieser Situation angepasst. Das Ausbildungszentrum, 1982 von der Baptistischen Kirche Zentralafrika (CBCA) in Bukavu gegründet, wird seit 1994 vom Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) unterstützt. Es bietet Ausbildung und Qualifizierung in dreizehn Gewerken an von Gitarrenbau über Seifensiederei und Ziegelherstellung bis zur KFZ-Mechanik. Die derzeit 420 Teilnehmenden werden in Betrieben in Bukavu und in den Dörfern der Region oder in einer der dreizehn CAPA-Werkstätten im Zentrum ausgebildet. "Unsere Ausbildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen sind sehr flexibel und für die Bedürfnisse der Teilnehmer und der Betriebe maßgeschneidert", erklärt Mukuza. Je nachdem dauern sie von einigen Monaten bis zu zwei Jahren. Das war nicht immer so. Bis in die 1990er Jahre hat das CAPA ausschließlich formalisierte dreijährige Ausbildungen zum Schreiner und KFZ-Mechaniker angeboten. Doch "wir mussten feststellen, dass wir am Bedarf des Marktes vorbei arbeiteten", erinnert sich Mukuza. "Die Absolventen fanden keine Arbeitsstellen." Diese Art Berufsausbildung war der wirtschaftlichen und sozialen Lage im Ostkongo nicht angemessen (zur beruflichen Bildung in Entwicklungsländern vgl. "der überblick" 1/2003). Die meisten Menschen leben dort von der Subsistenz-Landwirtschaft sie erzeugen gerade, was ihre Familien benötigen, und verkaufen nur wenige überschüssige Produkte auf den Märkten. Ihnen fehlt das Geld, um ihre Kinder zur Schule zu schicken. Das Schul- und das Ausbildungssystem sind insbesondere auf dem Land auch weitgehend funktionsunfähig. Viele Kinder und Jugendliche besonders die, die während des Krieges von Milizen rekrutiert worden sind sind heute Analphabeten und erwerbslos. Gleichzeitig, so stellte Vital Mukuza fest, ist die Qualität der formellen Ausbildung in den Betrieben gesunken.
Mit Unterstützung der Stuttgarter Beratungsagentur FAKT gelang es dem CAPA, seine Ausbildungs- und Qualifizierungsarbeit an diese Bedingungen anzupassen. Es bietet seitdem einzelne Qualifizierungs-Module mit speziellen Inhalten an, die jedes für sich genutzt werden können. Die Kurse werden mit Dorf- oder Interessengruppen zusammen entwickelt und laufen aus, sobald die Nachfrage sinkt. "Das CAPA kann heute spontan auf Nachfrage reagieren", erklärt die Beraterin Maria Baier-D'Orazio, die das Zentrum in der Umbruchzeit beraten und begleitet hat. "Die Menschen haben wenig Geld und wenig Zeit.
Alles ist unsicher. Je kürzer die Ausbildung ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie beendet werden kann." Das Fehlen eines staatlichen Systems hat ihr zufolge diese Umstrukturierung begünstigt. So hätten keine restriktiven Regeln die Umorientierung des CAPA verhindert, und es gab keine staatlichen Lehrpläne, auf deren Einhaltung gepocht wurde.
Die Trainingsangebote sind gezielt auf die Erfordernisse des informellen Sektors ausgerichtet. Während in anderen Ländern die Beschäftigung dort meist nur eine Notlösung darstellt, ist dies im Kongo der einzige Bereich, in dem Geld verdient werden kann. Im Süd-Kivu gibt es außer einer Brauerei und einer Pharmafabrik keine Privatunternehmen, und die Behörden sind nahezu funktionsunfähig und zahlen nur unregelmäßig Gehälter.
So haben die Bewohner Verdienstmöglichkeiten im informellen Sektor gesucht. Drei von vier Menschen im Süd-Kivu sind heute im informellen Sektor tätig. "Handwerk und Gewerbe sind hier stabilisierende gesellschaftliche Elemente. Sie haben auch in Krisenzeiten die Ökonomie am Laufen gehalten", erklärt Baier-D'Orazio, die die Überlebensstrategien im Handwerk und Gewerbe des Ostkongo in ihrer Studie für den EED "Was der Krieg uns lehrte" untersucht hat. "So wurde ein Minimum an Einkommen erzielt, mit dem das Überleben der Familienmitglieder gesichert werden konnte." Unter diesen Bedingungen hat Baier-D'Orazio einen verstärkten Zulauf zu den Trainingsangeboten des CAPA festgestellt. "Unter den Auszubildenden sind viele Jugendliche mit einem guten Schulabschluss, die unter normalen Umständen nicht in diesen Bereich gegangen wären", erklärt sie.
Vital Mukuza ist optimistisch, dass das Handwerk einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung der Region leisten kann. "Im Handwerk schaffen sich die Menschen ihre Beschäftigung selbst. So entstehen Mikro-Unternehmen, aus denen dann richtige Unternehmen werden können", erklärt er. "Das ist die Basis der nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes."
Die Devise lautet Ausrichtung am Bedarf des Marktes. Den lässt das CAPA regelmäßig untersuchen. Vital Mukuza richtet Kurse ein, wo er eine Nachfrage feststellt, und sucht dafür qualifizierte Lehrer. So erfuhr er vor sieben Jahren, dass trotz des Krieges die Gitarren von Tabaro Zacari und Mugomoka Matabaro heiß begehrt waren. "Gerade die jungen Leute interessierten sich für Gitarrenmusik, deshalb wollten wir die Ausbildung zum Gitarrenbauer im Zentrum anbieten."
Er lud die Handwerker ein, in einem Atelier unter dem Dach des CAPA fortan ihre Gitarren zu bauen und für eine feste Prämie Jugendliche auszubilden.
In der Gitarrenwerkstatt fand Justin Murhula einen Arbeitsplatz und eine Zukunftsperspektive. über ein Jahr ist es her, als er sich dort zum ersten Mal neugierig umsah. "Ich wusste sofort, dass es das war, was ich lernen wollte", erzählt der 20-Jährige. Seitdem hat ihn eine Begeisterung für das Gitarrenbauen und spielen erfasst, die ihn zumindest tagsüber die letzten Jahre vergessen lässt. Fünf Jahre hatte er für wechselnde Kriegsherren gekämpft zunächst für die von Ruanda unterstützten Rebellen der Kongolesische Sammlung für Demokratie (RDC), dann für die gefürchteten Mayi-Mayi-Milizen. Als die Rebellen in die kongolesischen Streitkräfte integriert wurden, brachte ein Demobilisierungsprogramm für Kindersoldaten Justin Murhula zum CAPA.
Zwanzig Lehrlinge haben die beiden Gitarrenbau- Meister seither ausgebildet, doch Justin sei der beste, erklärt Tabaro Zacari. "Er ist sehr begabt und kann das, was ich erkläre, genau umsetzen." Derzeit werden 122 ehemalige Kindersoldaten im CAPA ausgebildet.
Eine intensive pädagogische und psychosoziale Betreuung von Lehrlingen und Ausbildern sei dabei selbstverständlich, erklärt Vital Mukuza, der in der Ausbildung ehemaliger Soldaten eine wichtige soziale Aufgabe sieht. "Die Ausbildung dieser Menschen fördert den Frieden", sagt der CAPA-Direktor, "denn so finden Männer und Frauen, die sich sonst vielleicht den Milizen anschließen würden, eine lukrative Beschäftigung." Ehemalige Kindersoldaten gehören nur zu einer der Gruppen, die vom CAPA gefördert werden. Speziell zugeschnittene Programme existieren auch für ehemaligen Straßenkinder, ledige Mütter, Pygmäen oder Frauen, die vergewaltigt worden sind.
Natürlich ist Justin eine Ausnahme, das weiß auch Vital Mukuza. Der junge Mann verkauft seit dem Ende seiner einjährigen Ausbildung jeden Monat etwa acht Gitarren. Damit verdient er 120 Euro das Zehnfache vom Sold eines Soldaten! - und schmiedet Pläne für die Zukunft: "Ich spare das Geld, um in meinem Dorf eine Gitarrenwerkstatt aufzumachen."
Vital Mukuza ist froh, dass Justin zunächst im Ausbildungszentrum weiterarbeitet, da er ein gutes Vorbild für die ehemaligen Soldaten abgibt. "Wenn er seine eigene Werkstatt eröffnen möchte, werden wir ihm keine Steine in den Weg legen", versichert der Direktor. Im Gegenteil: Damit die Jugendlichen nicht nur eine Ausbildung erhalten, sondern möglichst auch einen Arbeitsplatz finden, unterstützt das CAPA sie bei der Jobsuche sei es über die Vermittlung in ein Praktikum, sei es mit Unterstützung beim Aufbau eigener Betriebe. 26 Absolventengruppen haben im vergangenen Jahr Kredite in Form von Werkzeughilfen erhalten.
Cito Mifungizi zum Beispiel hat vor zwei Jahren mit Unterstützung des Ausbildungszentrums einen Schlosserbetrieb im Zentrum Bukavus eröffnet. Auf der kleinen Freifläche zwischen zwei Häusern schweißen seine zehn Mitarbeiter und sieben Lehrlinge Metalltüren und -fenster, während der 32-jährige Chef in seiner selbst gezimmerten Hütte die Aufträge koordiniert. Er erzählt, dass er nach seiner Ausbildung beim CAPA zunächst ein Praktikum in einer Werkstatt absolviert hat. Sehr bald haben ihn einige Kollegen, die sich selbstständig machen wollten, gefragt, ob er bei ihnen arbeiten wollte. Dort wurde er pro gefertigtem Stück bezahlt. "Ich habe jeden Franc gespart, um mir ein eigenes Schweißgerät zu kaufen", sagt er. Damit war er selbstständig und konnte die Schweißarbeiten in den Häusern seiner Kunden erledigen. Obwohl er nach eigenen Worten gut verdient wegen der Sicherheitslage sichern die meisten Wohlhabenden sowie nichtstaatlichen Organisationen (NGOs) ihre Häuser mit Metalltüren und fenstern -, reichen die Einnahmen gerade für seine Betriebskosten und seine Familie. "Ich muss an viele Behörden Steuern zahlen", sagt der Handwerker.
"Zusammen etwa 375 Euro im Jahr!" Auch bei der Ausbildung seiner Lehrlinge wird Cito Mifungizi von CAPA-Mitarbeitern unterstützt. In fachlichen und pädagogischen Fragen kann er sich an seine ehemaligen Lehrer wenden. Und die Lehrlinge werden im Ausbildungszentrum auf ihre Abschlussprüfungen vorbereitet.
Um die Qualität und Spezialisierung des Handwerks zu fördern, bietet das CAPA Weiterbildungen für Handwerksbetriebe an. Neben der Holzwerkstatt im Ausbildungszentrum stapeln sich zum Beispiel Sofa-Skelette, Stoffballen und Füllmaterial. Hier nimmt der Tischler Gabriel Byabene an einer dreimonatigen Fortbildung zum Polsterer teil. Die illegale Ausbeutung der Bodenschätze im Süd-Kivu hat einem kleinen Teil der Bevölkerung wachsendem Wohlstand gebracht, so dass die Nachfrage nach Luxusgütern, aber auch nach gepolsterten Sofas und Sesseln gewachsen ist. Deshalb hat das CAPA diese Weiterbildungsmaßnahme eingerichtet. "Die Kunden fragen nach der neuen Mode", erklärt Gabriel Byabene. "Die möchte ich ihnen anbieten."
Die Nachkriegssituation bietet nach Meinung von Vital Mukuza dem lokalen Handwerk große Chancen. Nicht nur Kriegsgewinnler leisten sich Luxusgüter. Auch die Rückkehr der NGOs nach Bukavu hat die Kaufkraft einzelner Bevölkerungsgruppen steigen lassen. Und so hat der clevere Direktor ein weiteres Geschäftsfeld entdeckt: Seit Kurzem rollen viele japanische Geländewagen durch die Straßen. Doch "unsere KFZ-Mechaniker kennen sich mit diesen Autos nicht aus und wissen nicht, wie man sie repariert", berichtet er. Deshalb hat Mukuza noch für dieses Jahr einen Fachmann aus der burundischen Hauptstadt Bujumbura eingeladen, in einer zweiwöchigen Fortbildung 160 KFZ-Mechanikern die Besonderheiten dieser japanischen Fahrzeuge zu erläutern.
aus: der überblick 04/2007, Seite 100
AUTOR(EN):
Michaela Ludwig
Michaela Ludwig ist freie Journalistin in Hamburg
mit den Schwerpunkten Entwicklungspolitik
sowie Ost- und Zentralafrika.