Die Reform des Rentenversicherungssystems in Chile ist Vorbild für weitere Länder in Lateinamerika
Der zunehmende Anteil alter Menschen an der Weltbevölkerung stellt die Gesellschaften vor erhebliche Probleme. Schon in naher Zukunft wird die bisherige Finanzierungsweise der Rentenkassen nicht mehr funktionieren. Als ein Beispiel für eine gelungene Reform galt jahrelang die der Rentenversicherung in Chile ab 1981. Viele Länder in Lateinamerika haben Reformen nach diesem Modell begonnen. Doch mittlerweile zeigen Erfahrungen, dass auch der chilenische Weg keine ideale Lösung ist.
von Katja Hujo
Radikale Reformen der staatlichen Rentenversicherung galten jahrelang als unmöglich – die politischen Kosten wurden als zu hoch eingeschätzt. Lateinamerika hat jedoch in den letzten Jahren gezeigt, dass es auch anders geht. Galt die Privatisierung des chilenischen Rentensystems unter Pinochet im Jahre 1981 noch als waghalsiges Experiment eines autoritären Diktators, so kann dies den strukturellen Reformen, die seit Anfang der neunziger Jahre in acht lateinamerikanischen Ländern durchgeführt wurden, nicht mehr nachgesagt werden: Peru (1993), Kolumbien und Argentinien (1994), Uruguay (1996), Bolivien und Mexiko (1997) sowie El Salvador (1998) haben vollständig oder teilweise ihre Rentenversicherungen privatisiert und konnten dies – bis auf den peruanischen Fall – unter demokratischen Bedingungen durchsetzen.
Warum wird einer Reform der Rentensys-teme überhaupt ein so prominenter Platz in der nationalen und internationalen Politikdiskussion eingeräumt? In der Weltbevölkerung nimmt der Anteil alter Menschen zu. Nach Prognosen der Vereinten Nationen wird sich der Anteil der über 59-jährigen an der Weltbevölkerung von 10 Prozent im Jahre 1999 auf 22 Prozent im Jahre 2050 mehr als verdoppeln. In Lateinamerika wird sich der Anteil sogar verdreifachen. Den Regierungen bereitet dieser demografische Wandel Kopfzerbrechen. Immer mehr alte Menschen müssen von der erwerbstätigen Bevölkerung im Rahmen der umlagefinanzierten Rentenversicherungen versorgt werden.
Dieser weltweite Prozess ist dabei nicht der einzige Faktor, der die Sozialversicherung im Zeitalter der Globalisierung unter Druck setzt. In vielen Ländern ist die Arbeitslosigkeit hoch und die Staatskasse leer. Die Möglichkeit, an der Beitragsschraube zu drehen, ist begrenzt, da die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft nicht durch hohe Lohnnebenkosten beeinträchtigt werden soll.
Für Lateinamerika kamen neben diesen allgemeinen Tendenzen spezifische Probleme in der Rentenversicherung hinzu, die sich aus der historischen Entwicklung der Systeme erklären lassen. In den sogenannten Pionierländern (Argentinien, Brasilien, Chile und Uruguay), den am weitesten entwickelten Ländern der Region, entstanden bereits ab Anfang des letzten Jahrhunderts die ersten Rentenkassen für öffentliche Verwaltungsangestellte und Beamte. Entsprechend dem bismarckschen Modell der Sozialversicherung wurden in der Folgezeit vor allem Mitglieder der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft nach und nach in die Rentenversicherung einbezogen. Bis Mitte der fünfziger Jahre waren fast alle Bevölkerungsgruppen, so auch Landarbeiter oder Hausfrauen, Mitglieder der staatlichen Rentenversicherung. In verschiedenen Ländern trieben populistisch-korporatistisch geprägte Regime wie die Perón-Regierung in Argentinien den Ausbau der sozialen Sicherungssysteme stark voran.
Ergebnis dieser Entwicklung war ein extrem zersplittertes Rentensystem mit unterschiedlichsten Leistungen und Zugangskriterien für verschiedene Berufsgruppen. Die Renten waren im Allgemeinen großzügig kalkuliert und die Bedingungen für den Leis-tungserwerb sehr liberal gestaltet. Ein Beispiel: Die sogenannten Dienstaltersrenten für höhere Beamte und Militärs in Chile konnten bis zu 100 Prozent des letzten Gehalts erreichen und wurden jeweils an aktuelle Lohnerhöhungen der entsprechenden Dienstgrade angepasst. Hingegen erhielten normale Arbeiter nur Lohnersatzraten von rund 65 Prozent, die zudem häufig durch unzureichende Inflationsanpassungen weiter gesenkt wurden.
Während der binnenmarktorientierten Industrialisierungsstrategie der fünfziger und sechziger Jahre wurde zur staatlichen Investitionsfinanzierung auch auf die Mittel der Rentenversicherung zurückgegriffen, ohne dass diese jemals zurückgezahlt worden wären. Hinzu kamen ineffiziente Verwaltungsstrukturen, eine mangelnde Ausrichtung von Rentenleistungen an eingezahlten Beiträgen, die Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Zahlern und Empfängern und hohe Unterschlagungen. Dadurch verschärften sich die finanziellen Probleme. Trotz der zunehmenden Unglaubwürdigkeit der Systeme verhinderten jedoch vielfältige politische Widerstände Reformbestrebungen mit dem Ziel, die Systeme zu vereinheitlichen, Privilegien zu eliminieren und eine solidere finanzielle Basis zu schaffen.
Länder wie Mexiko, Bolivien, Kolumbien und Peru bauten ihre Rentensysteme in den vierziger bis sechziger Jahren auf und hatten im Vergleich zu den Pionierländern weniger zersplitterte Strukturen, aber auch weniger großzügige Leistungen. Folglich waren die Finanzprobleme ihrer Rentenversicherungen nicht so gravierend wie in der ersten Ländergruppe. Dafür war die Reichweite der formellen Sozialversicherung sehr beschränkt. Nur die Erwerbstätigen im formellen Arbeitsmarkt bekamen staatliche Rentenleistungen. Ein großer Teil der Landbevölkerung und Tätige im informellen Sektor – immerhin 60 bis 70 Prozent aller Beschäftigten – hatten keinen Zugang zu solcher Alterssicherung.
Die letzte Ländergruppe, die "Nachzüglerländer", hat erst in den fünfziger bis siebziger Jahren Rentensysteme etabliert. In dieser ärmsten Ländergruppe, die sich vor allem aus Staaten Zentralamerikas und der Karibik zusammensetzt, haben die Rentenversicherungen wenig finanzielle Probleme. Das liegt am hohen Anteil junger Leute an der Bevölkerung und den relativ geringen Leistungen bei zentralisierter Verwaltung. Eine schwierige Aufgabe ist hingegen die Ausweitung des Versicherungsschutzes auf einen Großteil der Bevölkerung, da traditionelle und informelle Sicherungsnetze durch die wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen in den Gesellschaften zunehmend an Bedeutung und Wirkungskraft verlieren.
Als erstes Land weltweit setzte Chile, wo 1973 die Militärs die Macht übernommen hatten, im Jahr 1981 eine radikale Privatisierung der staatlichen Rentenversicherung durch. Inspiriert von den neoliberalen Ideen der "Chicago Boys" wurde innerhalb eines ehrgeizigen Modernisierungsprogramms der chilenischen Gesellschaft auch die Sozialpolitik nach den Prinzipien von Individualismus und Markteffizienz umstrukturiert. Eine gesellschaftliche Debatte über Vor- und Nachteile sowie Risiken der Reformen fand unter Pinochet nicht statt.
Kernelement der chilenischen Reform sind die neugegründeten Pensionsfonds. Das sind private, gewinnorientierte Unternehmen, die die Pflicht-Rentenbeiträge der Arbeitnehmer auf individuellen Konten gutschreiben und in gesetzlich festgelegte Anlagen investieren. Neben dieser aus Pflichtbeiträgen finanzierten, privat verwalteten Säule auf Kapitaldeckungsbasis existieren noch zwei ergänzende Säulen in der chilenischen Rentenversicherung: eine Säule in Form einer steuerbegünstigten freiwilligen Ersparnis und eine weitere in Form einer staatlichen Absicherung. Die staatliche Absicherung ist als steuerfinanzierte garantierte Mindestrente konzipiert und soll Altersarmut verhindern.
Träger der Rentenversicherung in Chile ist nicht mehr der Staat, sondern es sind private Unternehmen, die als Konkurrenten um die Versicherten als Kunden werben (vgl. "der überblick" 3/98). Das geschieht über ihre Beiträge, die Kostensätze der Verwaltung, die Prämien für Invaliditäts- und Hinterbliebenenschutz sowie Erträge aus Kapitalinvestitionen. Die Finanzierung der zukünftigen Renten erfolgt mit dem Verfahren individueller Kapitaldeckung. An die Stelle einer festgelegten Rentenleistung und deren Finanzierung über die Beiträge der Aktiven tritt das individuell angesparte Kapital. Die Arbeitgeberbeiträge wurden mit der Reform abgeschafft und durch eine Erhöhung des Nettolohns kompensiert.
Die neue Finanzierungsmethode legt ein striktes Äquivalenzprinzip fest: Allein das angesammelte Kapital und die aufgelaufenen Zinsen bei Renteneintritt entscheiden über die Rentenhöhe jedes Versicherten. Umverteilungselemente zwischen Versicherten beziehungsweise Generationen und ein Risikoausgleich sind in Chile nicht vorgesehen. Neben dem Kontostand entscheiden individuelle Kriterien wie Lebenserwartung nach Geschlecht oder Anzahl von unterhaltsbedürftigen Angehörigen über die spätere Rentenhöhe.
Der chilenische Staat wird zwar langfristig aus der Trägerschaft der Rentenversicherung entlassen, da junge Erwerbstätige Mitglieder in dem privaten System werden müssen. Dennoch waren und sind die Aufgaben des Staates und damit auch seine finanzielle Belastung seit 1981 beträchtlich: Zum einen muss das alte System abgewickelt werden. Deshalb werden laufende Rentenzahlungen sowie eine Kompensation für bereits im alten System geleistete Beiträge finanziert. Zum anderen müssen die privaten Pensionsfonds vom Staat beaufsichtigt und reguliert sowie die Sicherheit des privaten Systems durch verschiedene Garantien gewährleistet werden. Die wichtigste Garantie besteht darin, das individuell angesparte Rentenkapital bei Renteneintritt dann aufzustocken, wenn es zum Bezug einer Mindestrente nicht ausreicht. Da diese Mindestrentengarantie an eine zwanzigjährige Beitragszeit geknüpft ist, finanziert der chilenische Staat zusätzlich eine begrenzte Anzahl beitragsunabhängiger Sozialrenten nach Feststellung der individuellen Bedürftigkeit.
Die chilenischen Reformer versprachen sowohl höhere Renten als auch geringere Beitragssätze und eine langfristige Entlastung des Staates. Zusätzlich betonten sie die positiven gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen, die ein privat verwaltetes, kapitalgedecktes Rentensystem für Wachstum und Kapitalmarktentwicklung biete. Durch hohe Ersparnisse im heimischen Finanzsektor (zu dem ja auch die Pensionsfonds zählen) könnten die Mittel bereitgestellt werden, die für Investitionen und damit mehr Wachstum dringend benötigt würden. Diese Argumentation wurde Ende der achtziger Jahre von den internationalen Gläubigerinstitutionen im Rahmen ihrer Strukturanpassungsprogramme erneut aufgegriffen.
1994 publizierte die Weltbank eine umfassende Studie zum Thema Alterssicherung, in der sie die dreisäulige Struktur der chilenischen Rentenversicherung als Lösung für die globale Krise der staatlichen Alterssicherungssysteme propagiert. Sie traf mit ihrer Botschaft "Schütze die Alten und fördere dabei das Wirtschaftswachstum" im Umfeld der wirtschaftlichen und politischen Transformation der neunziger Jahre auf offene Ohren: In Lateinamerika hatten sich die Probleme der staatlichen Sicherungssysteme während der Verschuldungs- und Wirtschaftskrise in den neunziger Jahren extrem zugespitzt. In Argentinien wurden zum Beispiel statt gesetzlich festgelegter Rentenleistungen in Höhe von 70 bis 82 Prozent der früheren Löhne oder Gehälter nur noch Mindestrenten ausgezahlt, die kaum zum Überleben reichten. Eine Welle von Gerichtsprozessen, tägliche Demonstrationen von Rentenempfängern und der völlige Verlust an Vertrauen in die staatliche Rentenversicherung waren die Folge.
Als Anfang der neunziger Jahre in vielen Ländern der Region neoliberale Stabilisierungsprogramme umgesetzt wurden, erschien für eine Reihe von Regierungen der Zeitpunkt gekommen, die abgewirtschafteten Rentensysteme durch etwas (fast) Neues zu ersetzen und dadurch den internationalen Gläubigern und der eigenen Bevölkerung Reformfähigkeit zu demonstrieren. Die Rentenreformen der zweiten Generation sind dennoch keine reinen Kopien des chilenischen Modells, sondern spiegeln die länderspezifischen Bedingungen und Reformüberlegungen wider. Gemeinsames Merkmal der neuen Systeme ist die Einführung privater Rentenfonds auf Basis individueller Kapitaldeckung, die in Peru 1993 und Kolumbien 1994 als Wahlmöglichkeit neben einem öffentlichen, umlagefinanzierten System eingeführt wurden. In Argentinien, wo private Rentenfonds 1994, und in Uruguay, wo sie 1996 eingeführt wurden, ergänzten sie die staatliche, umlagefinanzierte Grundsicherung. In Bolivien, Mexiko (1997) und El Salvador (1998) ersetzten sie wie beim chilenischen Modell das staatliche Umlagesystem vollständig.
Mit Ausnahme von Peru wurden die Rentenreformen der zweiten Generation in allen Ländern in einem breiten demokratischen Prozess verabschiedet. Es zeigt sich, dass eine breite Beteiligung von Interessengruppen und der Versuch einer gesellschaftlichen Konsensfindung eher zu kombinierten Modellen geführt hat. Bei diesen steht entweder die staatliche Rentenversicherung in Konkurrenz zu privaten Anbietern, oder eine staatliche Umlagefinanzierung wird mit privaten Rentenfonds gemischt. Diese Kompromisslösungen gelten als politisch eher akzeptabel und in den fiskalischen und sozialen Auswirkungen als weniger radikal und berücksichtigen bereits chilenische Erfahrungen, wo die Reform zu einer Reihe von Problemen geführt hat.
Hinsichtlich der sozialen Leistungen haben sich die Erwartungen in Chile bisher nicht erfüllt. Der Anteil der Bevölkerung, der mit Rentenleistungen rechnen kann, wurde nicht ausgeweitet. Nur Arbeitnehmer im formellen Sektor sind versicherungspflichtig. Selbstständige können dem System zwar freiwillig beitreten, jedoch ist die Beitragsbelastung für den informellen Sektor zu hoch. Da zudem nur rund 50 Prozent aller Versicherten regelmäßig Beiträge zahlen, ist zweifelhaft, ob das angesparte Kapital im Alter eine ausreichende Rente ergibt. Offen bleibt auch, wie viele später Anspruch auf die garantierte Mindestrente haben werden, denn diese setzt zwanzig Beitragsjahre voraus. Die garantierte Mindestrente und die Sozialrenten betragen ohnehin nur rund 22 Prozent beziehungsweise 12,5 Prozent des Durchschnittslohns und dürften damit unter dem zum Überleben Notwendigen liegen.
Über die Höhe der zukünftigen Renten aus den privaten Fonds kann keine zuverlässige Aussage gemacht werden. Bisher sind diese Renten noch durch die großzügigen Übergangsbestimmungen und die hohen Renditen auf dem Kapitalmarkt im vergangenen Jahrzehnt bestimmt. Dagegen ist das Durchschnittsrentenniveau in Zukunft völlig unklar, weil die Risiken der Alterssicherung überwiegend auf den Einzelnen verlagert worden sind, also von persönlichen Risikomerkmalen jedes Versicherten abhängen. Offen bleibt auch, wie sich die Kurse und damit die Renten entwickeln, wenn künftig mehr Rentner Kapital für ihre Rente abziehen, aber weniger junge Leute Kapital einzahlen.
Auch ohne den Kreis der Empfänger auszuweiten, sind die Kosten des Systemwechsels für den Staat schon beträchtlich, da laufende Renten aus dem alten Umlageverfahren ausgezahlt sowie bereits erworbene Rentenansprüche zurückgezahlt werden müssen, wenn sich der Staat ganz aus der Rentenversicherung zurückzieht. Die Kosten für die staatlich garantierte Mindestrente könnten ebenfalls ein hohes Niveau erreichen, weil viele Versicherten, insbesondere die mit geringem Einkommen, auf die Mindestrente spekulieren. Die Effizienz des privaten Versicherungsmarktes – so zeigen bisherige Erfahrungen – ist auf Grund von Konzentrationstendenzen sowie hoher Verwaltungskosten ebenfalls geringer als von den Reformern erwartet.
Letztlich ist auch fraglich, wieviel die Rentenreform zum Wachstumserfolg Chiles seit den achtziger Jahren beigetragen hat. Dies kann weder empirisch noch theoretisch eindeutig belegt werden. Weniger umstritten ist hingegen ein positiver Impuls auf die Entwicklung des chilenischen Kapitalmarktes und Finanzsektors: Immerhin hat das Fondskapital Ende 1997 bereits rund 44 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (32,9 Milliarden US-Dollar) erreicht, sodass sowohl angepasste Anlageinstrumente als auch eine funktionierende Aufsicht entwickelt werden musste.
Die neuen Rentensysteme in den übrigen lateinamerikanischen Ländern haben zwar versucht, bestimmte Mängel des chilenischen Modells zu vermeiden. Das ist jedoch nur in begrenztem Maße gelungen und auch nur begrenzt möglich. Die sogenannten Übergangskosten bei einem Umstieg auf das Kapitaldeckungsverfahren bedeuten in jedem Fall eine kurz- bis mittelfristig hohe fiskalische Belastung für alle Reformländer. Anders als in Chile können aber die meisten Regierungen bei der Finanzierung nicht auf Budgetüberschüsse oder Privatisierungserlöse zurückgreifen.
In Argentinien wurde versucht, über private Rentenfonds die Wirtschaftsentwicklung zu stimulieren und den Staat langfristig zu entlasten. Gleichzeitig sollte jedoch auch die solidarische Komponente der Sozialversicherung über eine für alle Versicherten gleich hohe Grundrente sowie die Wahlmöglichkeit garantiert werden, in der staatlichen Rentenversicherung zu bleiben. Nach sechs Jahren stellte sich der Versuch als nicht finanzierbar heraus. Als Ergebnis werden die staatlichen Leistungen immer weiter gekürzt, sodass am Ende das chilenische Modell übrig bleibt.
Ebenfalls gibt es in allen Ländern das Problem des Oligopols. Wenige Rentenfondsverwalter teilen sich den Markt, in Bolivien haben sich sogar nur zwei Pensionsfonds etabliert. Wechselmöglichkeiten für die Versicherten sind nicht vorgesehen. Dafür sind allerdings in Bolivien die Verwaltungskosten im Vergleich zu den anderen Reformländern sehr niedrig. Im Durchschnitt werden in Lateinamerika zwischen 20 und 30 Prozent der Beitragseinnahmen für die reinen Verwaltungskosten und die Kosten der Vermögensverwaltung verbraucht.
Eines der Hauptprobleme der lateinamerikanischen Rentenversicherungen ist, dass ein großer Teile der Bevölkerung nicht abgesichert ist. Dieses Problem konnte durch die Privatisierungen ebenfalls nicht gelöst werden. Die Beschäftigten im informellen Sektor und ein großer Teil der Landbevölkerung, der am Existenzminimum lebt, bleiben weiterhin ausgeschlossen. Ferner werden Zeiten ohne Beitragszahlung infolge von Arbeitslosigkeit, Kindererziehung oder Krankheit nicht ausgeglichen. Der geringe Anteil an Beitragszahlern und die Tatsache, dass die Zugangskriterien (Mindestbeitragsjahre, Renteneintrittsalter, Rentenformel) in den neuen Rentenmodellen bereits vor dem Systemwechsel verschärft worden sind, erhöht das Risiko von Altersarmut und kann die finanzielle Belastung des Staates in Zukunft weiter vergrößern.
Schließlich stellt sich die Frage, ob in Ländern wie Bolivien, El Salvador oder Peru der Finanzsektor in ausreichendem Maße entwickelt ist, um den Pensionsfonds sichere und rentable Investitionsmöglichkeiten zu bieten. Statt der Privatwirtschaft langfristiges Investitionskapital zur Verfügung zu stellen, ist es eher wahrscheinlich, dass über die Hintertür das staatliche System bestehen bleibt, weil fast ausschließlich in staatliche Wertpapiere investiert wird. Überdies muss beachtet werden, dass gerade in den sich rasch entwickelnden Märkten der Schwellenländer große Schwankungen auf den Kapitalmärkten zu verzeichnen waren und wohl auch künftig zu erwarten sind. Die internationalen Finanzkrisen der letzten Jahre haben in Lateinamerika zu starken Kursv
erlusten an den Börsen und Krisen im heimischen Bankensektor geführt, sodass trotz der langfristig bisher hohen Verzinsung des Versichertenkapitals ein paar Jahre lang Verluste statt Zinsgewinne hingenommen werden mussten.
Die Probleme und Risiken in den neuen lateinamerikanischen Rentensystemen sind vielfältig, die Kosten für den Systemwechsel hoch. Dass sich so zahlreiche Ländern in den letzten Jahren dennoch für diesen Weg entschieden haben, liegt unter anderem an der Hoffnung, dadurch das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, bei internationalen Kreditgebern besser dazustehen und Reformblockaden im eigenen Land zu überwinden. Markt statt Staat, das ist die Zauberformel vor allem in Ländern, in denen die Bevölkerung den Staat als Bereicherungsinstrument der herrschenden Klasse betrachtet hat. Privatisierung hingegen bedeutet ownership, eigene Teilhabe, gleiche Regeln für alle und die Hoffnung auf den Erfolg des Marktes statt des Wissens, dass der Staat seine großen Rentenversprechen doch nie einlösen wird.
aus: der überblick 01/2001, Seite 63
AUTOR(EN):
Katja Hujo :
Katja Hujo ist Diplomvolkswirtin und arbeitet am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin