Die Vereinten Nationen haben den Vereinigten Staaten viel zu verdanken. So ging die Initiative zu ihrer Gründung von einem amerikanischen Präsidenten aus.
von Renate Wilke-Launer
Was die Weltorganisation leisten sollte, beschrieb Franklin D. Roosevelt schon bei der Ankündigung der ersten Vorkonferenz in Dumbarton Oaks 1944 klar und deutlich: Wenn ein Agresssor "beginnt, Amok zu laufen, und die Absicht hat, sich Territorium einzuverleiben oder bei seinen Nachbarn einzufallen", dann werde ihn die neue Organisation rechtzeitig daran hindern. Der Kalte Krieg machte gemeinsame Anstrengungen in der Weltpolitik jedoch schnell unmöglich. Nach dessen Ende aber schien diese ursprüngliche Vision wieder aufzuleben, eine "Renaissance der Vereinten Nationen" bevorzustehen.
Keine zehn Jahre später ist das Verhältnis zwischen den USA und den UN ziemlich zerrüttet. Weil sie ihre ausstehenden Beiträge nicht entrichtet haben, drohte den USA zum Ende dieses Jahres sogar der Verlust des Stimmrechtes in der UN-Generalversammlung. Die Amerikaner haben der Weltorganisation nicht nur die notwendigen Finanzen vorenthalten, sie haben sie auch in der Personalpolitik erpreßt und sich verweigert, wo entschlossenes Handeln des Sicherheitsrates hätte Leben retten und Aggressoren in die Schranken weisen können. Und schließlich haben sie vielen unter dem Dach der UN ausgehandelten und von der überwältigenden Mehrheit der Staaten gewollten Abkommen nicht zugestimmt beziehungsweise deren Ratifizierung verschleppt oder abgelehnt.
Die Suche nach den Gründen für diese Obstruktionspolitik führt zurück in die siebziger Jahre. Bis dahin hatten die USA die multilateralen Institutionen in der Regel ideell gefördert und finanziell unterstützt. Die Niederlage in Vietnam 1975, die empfindliche Erhöhung der Erdölpreise durch die OPEC-Staaten 1973, die Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran 1979 und die der Politik der USA oft zuwiderlaufenden Beschlüsse der stark angewachsenen UN-Generalversammlung haben in weiten Teilen der politischen Klasse der USA ein Gefühl der Demütigung hinterlassen, das die Reagan-Administration politisch ausschlachtete und gegen die UN richtete. Mit Ende des Kalten Krieges ist für viele Außenpolitiker dann auch die Notwendigkeit entfallen, bei anderen Staaten um Unterstützung zu werben. Warum soll man Rücksicht nehmen, wenn man seinen Willen (wieder) durchsetzen kann?
Die Clinton-Regierung hat daran wenig geändert. Ihr Konzept des selbstbewußten Multilateralismus verschwand nach dem US-Debakel in Somalia 1993 schnell in der Schublade. Auch die 1997 in Ruanda vorgetragene Entschuldigung für die Passivität der USA angesichts des Völkermordes 1994 hat daran nichts geändert. Rhetorisch war Bill Clinton immer mit schönen Worten zur Stelle, wo das Leiden von Menschen die Gefühle anderer anrührte, sein außenpolitisches Engagement aber richtete sich stets nach innenpolitischen Gesichtspunkten, schlimmer noch: nach tagespolitischen Opportunitätserwägungen.
Die Wiederwahl von UN-Generalsekretär Boutros-Ghali zum Beispiel wurde dem US-Wahlkampf geopfert. So erratisch wie mit den UN insgesamt wurde auch mit ihrem Generalseketär umgesprungen. Erst wurde er von Clinton in den höchsten Tönen gelobt, anschließend mit allen Mitteln der US-Diplomatie seine Wiederwahl verhindert. Boutros-Ghali beschreibt das " nicht frei von Eitelkeit und mit einiger Verbitterung " in seinen Memoiren.
Daß die einzig verbliebene Weltmacht kein Stimmrecht mehr in der UN-Generalversammlung haben sollte, konnte sich niemand so recht vorstellen. Nach Artikel 19 der UN-Charta darf nicht mehr mit abstimmen, wer mit seinen Beitragszahlungen zwei Jahre im Rückstand ist. Die USA selbst hatten für eine klare Interpretation dieser Bestimmung gesorgt. Als nämlich die Sowjetunion 1961 ihre Anteile für die friedenserhaltenden Missionen im Kongo und im Mittleren Osten nicht bezahlen wollte, haben die Amerikaner den Internationalen Gerichtshof in Den Haag angerufen, der schließlich feststellte, daß die Staaten verpflichtet sind, die von der Generalversammlung festgelegten Beträge zu zahlen.
Damit die USA das Stimmrecht nicht verlieren, hat Clinton im Oktober 1999 eine Vorlage unterzeichnet, die ein Minimum an Zahlungen vorsieht. Um den Streit über die ausstehenden Schulden beizulegen, haben Kongreß und Regierung sich schließlich im November auf einen Kompromiß verständigt " eine Regelung, die es in sich hat. Sie ist beschämend, weil die US-Regierung nicht alle ausstehenden Rückstände begleichen will; sie beruht auf Erpressung, weil sie die Senkung der US-Beiträge zur Voraussetzung hat und den UN budgetäre Fesseln anlegt; sie ist grotesk, weil sie mit sachfremden Auflagen zu Lasten Dritter gekoppelt worden ist.
Der Kompromiß war im Kern schon 1997 ausgehandelt und " nach zwei Senatoren " als Helms-Biden-Paket bezeichnet worden. Danach wollen die USA 926 Millionen Dollar Altschulden bezahlen; das sind nur knapp 60 Prozent der von den UN geltend gemachten Rückstände. Daß die Mitgliedsstaaten diesen Betrag als Begleichung der gesamten Schulden akzeptieren sollen, ist eine der Bedingungen. Weiter sollen sie den regulären Beitragssatz von 25 auf 22 Prozent des Haushaltes und den für die Friedenssicherung von 31 auf 25 Prozent reduzieren. Schließlich soll ein Budget beschlossen werden, das nicht einmal einen Inflationsausgleich vorsieht. Und die USA möchten wieder einen Sitz im Beirat für Verwaltungs- und Haushaltsfragen (ACABQ) haben, aus dem sie aus Verärgerung über die Zurückhaltung der Beiträge abgewählt worden waren. Diese Bedingung ist bereits Anfang November erfüllt worden " die USA sind wieder in dem Gremium vertreten, das sich mit der Beitragshöhe beschäftigt.
Gescheitert war das Paket bisher am Veto Clintons gegen die damit verknüpften Auflagen. Sie gehen auf den republikanischen Senator Christopher H. Smith zurück und untersagen jegliche Finanzhilfe Washingtons an internationale Familienplanungsorganisationen, die Abtreibungen unterstützen. Diese dürfen nicht einmal ihr eigenes " also zum Beispiel von den Mitgliedern aufgebrachtes " Geld für Abtreibungen verwenden und auch nicht bei politischen Diskussionen um gesetzliche Regelungen zu Abtreibungen in anderen Ländern mitwirken. Das ist eine beispiellose Maulkorbklausel. Vor allem aber wird mit diesen sachfremden Bedingungen ein Kompromiß zu Lasten der Frauen geschlossen, genauer: zu Lasten von Frauen in Not.
Der Präsident hat nun zugestimmt und macht so zum Gesetz, was seine Vorgänger Reagan und Bush nur verfügt und Clinton im ersten Jahr seiner Amtszeit wieder aufgehoben hatte. Was der Kongreß da mit dem Präsidenten ausgekungelt hat, wird nun nach der Methode "Vogel friß oder stirb" den Vereinten Nationen und ihren Mitgliedsstaaten vorgesetzt. Außenministerin Madeleine Albright und der erst im August nach einjährigem Hickhack ernannte UN-Botschafter Richard Holbrooke sind kräftig bemüht, den einzelnen Regierungen diese Regelung als bestmöglichen Kompromiß zu verkaufen. Mit der ihm eigenen Mischung von Charme und Härte hat Richard Holbrooke erklärt, es handele sich keineswegs um ein Diktat aus Washington, sondern um den Versuch, zu überreden. "Es wird lange Zeit dauern, es wird nicht leicht sein. Wir werden Land für Land abklappern, von Argentinien bis Zimbabwe." Einige Länder hätten schon signalisiert, daß sie bereit seien, mehr zu zahlen, andere hätten gesagt, sie seien an einem Gespräch in dieser Sache nicht interessiert.
Daß eine Weltmacht, die dauernd anderen Staaten die Leviten liest, die sich " je nach Interessen- und Stimmungslage " der Vereinten Nationen bedient oder sie ignoriert, sie nun auch noch finanziell in die Zange nimmt, daß diese Mischung aus Distanzierung und Drangsalierung mit einem "Schuldenerlaß" und einer Beitragsreduzierung auch noch honoriert werden soll, kommt den Rest der Welt hart an. Die Länder der Europäischen Union, die schon jetzt 37 Prozent zum UN-Haushalt beitragen, haben in den vergangenen Jahren deutlich gesagt, was sie von dem Verhalten ihrer amerikanischen Verbündeten halten: Nichts. "No Taxation Without Representation" hatten die USA einst dem britischen Mutterland entgegengeschleudert. Seit Jahren nun schallt es von dort zurück: "No Representation without Taxation."
Darauf zu hoffen, daß die USA nach den nächsten Wahlen ihre Position noch einmal überdenken, ist wenig realistisch, auch wenn sich Al Gore, der Vizepräsident und einer der Bewerber um die Präsidentschaftskandidadtur der Demokraten, von dem jetzt verabschiedeten Paket distanziert hat. In beiden Parteien " bei den Republikanern mehr, bei den Demokraten weniger " gibt es zu viele, die den Vereinten Nationen gegenüber grundsätzlich ziemlich feindlich eingestellt sind. Der Generationswechsel hat diese Stimmung noch verschärft, weil jetzt eine Altersgruppe an Einfluß gewinnt, die, wenn sie UN hört, in erster Linie an Somalia und Bosnien denkt " Länder, die zu Synonymen für gescheiterte UN-Interventionen geworden sind. Daß die USA daran gehörig Anteil haben, wird erfolgreich verdrängt.
Bei den Verhandlungen der letzten Jahre, zum Beispiel denen zur Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofes, ist immer wieder laut überlegt worden, ob man nicht einfach auf die Zustimmung der USA verzichten solle, statt ihnen so weit entgegenzukommen, daß schließlich das ganze Vorhaben verwässert wird. Was im Hinblick auf einzelne Verträge im Einzelfall sinnvoll erscheint, kann für die Vereinten Nationen als Ganzes keine Lösung sein. So bitter es ist: Wahrscheinlich ist es klüger, sich dem Diktat aus Washington zu beugen. Dann ist dieser Streit wenigstens abgeschlossen, dann kann ohne diese Drohung mit Zahlungsverweigerung über die notwendigen Reformen diskutiert werden. Und mit dem eingehenden Geld können die Vereinten Nationen ihre Außenstände bei denen begleichen, die " wie zum Beispiel Fiji und Bangladesh " mit ihrem Personal zu friedenserhaltenden Missionen beigetragen haben.
Bisher, und das ist ermutigend, scheint niemand dem schlechten Beispiel der USA folgen zu folgen. Das gibt Rückenwind, um bei der Regierung der USA für die Vereinten Nationen zu werben. Das werden insbesondere die Länder tun müssen, die sich guter Beziehungen zu Washington rühmen. Die derzeitige Debatte um die Globalisierung wird ihnen dabei behilflich sein: Wer ein bißchen Verstand hat, sieht, daß sie grenzüberschreitende Politik, Kooperation erfordert. Und auch in den USA gibt es genügend Verbündete, wie viele Pressestimmen zum jetzt verabschiedeten Gesetz zeigen. Vor allen Dingen aber haben sich die amerikanischen Bürgerinnen und Bürger in ihrer Zustimmung zu den Vereinten Nationen nicht beirren lassen. Umfrage um Umfrage hat hohe Sympathiewerte für die Weltorganisation erbracht. Im August letzten Jahres zum Beispiel haben 72 Prozent der Befragten sie für "sehr wichtig" erklärt, 60 Prozent bescheinigten ihr gute Arbeit. Das ist weit besser, als viele Politiker und Regierungen bewertet werden. In einem Land, wo sich die politischen Strategen aller Richtungen an Befragungen ausrichten, ist das eine gute Ausgangsbasis.
aus: der überblick 04/1999, Seite 4