Korruption in Usbekistan
Der Ärger über die dreiste Korruption der Herrschenden brach sich im Mai 2005 in der usbekischen Provinzstadt Andischan in einem Aufstand Bahn. Die Machthaber ließen ihn blutig niederschlagen.
von Marcus Bensmann
Der Bürgeraufstand in der usbekischen Provinzstadt Andischan, der von den Sicherheitskräften am 13. Mai 2005 blutig niedergeschlagen wurde, richtete sich gegen Rechtswillkür und Machtmissbrauch der staatlichen Behörden. Denn Präsident Islam Karimow, seine Familienangehörigen und die von ihm abhängigen Bürokraten betrachten den Staat als ihre Beute. Die Präsidentenfamilie und hohe Staatsbeamte verwenden die Rohstoffe des Landes, insbesondere Baumwolle, Gold und Gas, dazu, ihre Taschen zu füllen.
Auch die sich schnell entwickelnden Telekommunikationsunternehmen, Kaufhäuser, der Handel sowie das Gaststättengewerbe sind vor dem Zugriff der usbekischen Machteliten nicht sicher. Der Bericht der International Crisis Group über den Fluch der Baumwolle vom Februar 2005 legte dar, dass der Gewinn aus dem usbekischen Baumwollhandel ausschließlich auf deren Offshorekonten fließt und der Binnenwirtschaft praktisch nicht zugute kommt. Den Bauern bringt die Anpflanzung der Baumwolle dagegen fast nichts ein. Sie müssen die Ernte zu einem niedrigen Festpreis abgeben, der kaum die Kosten für den Anbau, Dünger und Ernte deckt. Polizei, Sicherheitsdienst, sowie Staatsanwaltschaft und Zollbehörde sichern die Bereicherung der Machtelite ab. Zudem kontrolliert der usbekische Staat jegliche wirtschaftliche Aktivität der Bevölkerung. Aufflammender Widerstand oder Ungehorsam wird gewaltsam unterdrückt. In einem Fall verprügelte der Gouverneur der Jizzakh Provinz, Ubaidullah Yamankulov, höchstpersönlich die Bauern, die zu wenig Baumwolle ablieferten.
Den blutigen Ereignissen von Andischan gingen bereits staatliche Repressionen gegen Unternehmer voraus, die mehr wirtschaftliche Unabhängigkeit verlangten. Im Sommer 2003 wurden in Andischan 23 Geschäftsleute verhaftet, die angeblich eine radikalreligiöse Gruppierung gegründet hatten. Anklagen wie diese werden gern erhoben, um unliebsame Bürger für Jahrzehnte hinter Gefängnismauern verschwinden zu lassen. Der Arrest der Geschäftsleute folgte der Auswechslung des Gouverneurs der Andischan-Provinz im Ferghana-Tal. Noch Monate zuvor war der wirtschaftliche Erfolg der inhaftierten Geschäftsleute vom staatlichen Fernsehen als Beispiel für das Entstehen einer unternehmerischen Mittelschicht in Usbekistan gefeiert worden. Nach dem Amtswechsel forderte der neue Gouverneur seinen Anteil bei den Geschäftsleuten ein. Da diese sich weigerten, wurden sie verhaftet, angeklagt und ihres Eigentums beraubt.
Ihre Nähe zu einem religiösen Lehrer namens Akram Juldaschew wurde den Geschäftsleuten zum Verhängnis. Dieser Usbeke hatte in einer Schrift über Wege zum Glück reflektiert, und darin die These aufgestellt, dass ein guter Moslem nach ethischen Prinzipien wirtschaften und gottesfürchtig leben sollte. In dem Büchlein wurde jedoch weder die Errichtung eines islamischen Staates gefordert, noch die Regierungsform des jetzigen usbekischen Präsidenten kritisiert. Die 23 Unternehmer in Andischan hielten sich an die Vorgaben Juldaschews, halfen untereinander mit Krediten aus und spendeten einen Teil ihrer Gewinne für wohltätige Zwecke. Dadurch entzogen sich die Geschäftsleute mehr und mehr der staatlichen Kontrolle. Und genau das war dem neuen Gouverneur von Andischan ein Dorn im Auge.
Im Gegensatz zu der üblichen Duldsamkeit in der usbekischen Gesellschaft, widersetzten sich jedoch die Verwandten der Geschäftsinhaber und die mehr als 2000 Arbeiter, die infolge der Festnahme ihrer Arbeitgeber auf die Straße gesetzt wurden. Sie richteten Petitionen an den usbekischen Präsidenten, veranstalteten Pressekonferenzen und demonstrierten friedlich vor dem Gerichtsgebäude. Trotz Folter und Einschüchterungen musste der Provinzstaatsanwalt im Laufe des Verfahrens von dem Vorwurf des Terrorismus und verfassungsfeindlicher Aktivitäten Abstand nehmen. Der Presse gegenüber erklärte der Staatsanwalt zwei Tage vor dem Massaker, dass es keinen Grund gebe, die Männer zu bestrafen, man müsse sie jedoch prophylaktisch verurteilen.
In der Nacht zum 13. Mai eskalierte der Konflikt in der usbekischen Provinzstadt: Das Gefängnis sowie eine Kaserne wurden erstürmt und Geiseln genommen. Zudem wurde das Gouverneursgebäude der Provinz im Ferghana-Tal besetzt. Am folgenden Tag versammelte sich eine mehrtausendköpfige Menschenmenge auf dem Platz neben dem besetzten Amtsgebäude und demonstrierte gegen Korruption und Machtmissbrauch. Gegen 17:30 Uhr schossen Spezialeinheiten des usbekischen Innenministers ohne Vorwarnung von vorbeifahrenden Panzerwagen aus auf die Menschenmenge und schlugen den Aufstand blutig nieder.
Im Nachhinein versuchte der usbekische Staat das Massaker, bei dem nach Schätzungen von Human Rights Watch über 500 Menschen im Kugelhagel starben, als Niederschlagung eines islamischen Putsches zu rechtfertigen. Es kann zwar nicht völlig ausgeschlossen werden, dass sich einige radikalislamische Gruppierungen den monatelangen Unmut der Andischaner Bürger zunutze machen wollten, während der Demonstration von Frauen, Kindern und Männern wurde jedoch nicht ein einziges Mal der Ruf nach der Errichtung eines islamischen Staates laut. Der Aufstand von Andischan war vielmehr ein Aufschrei eines rechtlosen Mittelstandes, der in Usbekistan systematisch drangsaliert wird und sich gegen die hemmungslose Rechtswillkür und Selbstbedienungsmentalität der usbekischen Eliten auflehnt.
Präsidentenfamilie, Minister, Staatsbeamte und Gouverneure intrigieren nämlich heftig gegeneinander um Kontrolle der Pfründe des Landes. Dabei befehden einander zumeist das Ministerium der Staatssicherheit und das Innenministerium heftig. Jede staatliche Leistung ist käuflich. Geld entscheidet, wer für welches Verbrechen zu wie langer Haft verurteilt wird. Die Eliten geben übers Telefon direkte Anweisungen an die Zoll- und Steuerbehörden, die Polizei und Justiz sowie den Verwaltungsapparat. Der Volksmund nennt das Telefonrecht. Es gibt innerhalb Usbekistan keine Medien, die solche Verstöße und Willkürakte anprangern.
Weil jeder Protest erstickt wird und niemand Reformen fordern kann, stagniert das Land. Im westlichen Ausland hat das Massaker eine gewisse Aufmerksamkeit gefunden. Von Moskau aus hält Wladimir Putin seit Mai 2005 seine schützende Hand über den Präsidenten. Er möchte das bevölkerungsreichste Land Zentralasiens an den Kreml binden und lässt deshalb mit großen Investionsankündigungen von Gasprom und Lukoil winken.
aus: der überblick 01/2006, Seite 49
AUTOR(EN):
Marcus Bensmann
Marcus Bensmann arbeitet seit gut zehn Jahren als freier Journalist in Zentralasien. Seine Reportagen erschienen unter anderem in GEO, Stern und Le Monde Diplomatique.