In schwachen Staaten muss die Führung von außen gedrängt werden, auf das Wohl des Landes zu achten
Hilfszahlungen an die Regierungen armer Länder sind häufig mit politischen Bedingungen verbunden. Zwar folgen die Geber dabei immer auch eigenen Interessen. Aber grundsätzlich ist es notwendig, die Regierungen von schwachen Staaten von außen unter Druck zu setzen. Denn dort fehlen die innenpolitischen Gegenkräfte, welche die Regierung zu einem entwicklungsfördernden Verhalten bewegen könnten. Und überall, wo eine Elite ungestraft tun kann, was sie will, neigt sie zu räuberischem Verhalten.
von Georg Sørensen
Staatseliten müssen diszipliniert werden. Das heißt ihre Handlungsfreiheit muss von innen- oder außenpolitischen Kräften, die sie in Richtung entwicklungspolitischer Ziele drängen, eingeschränkt werden. Anderenfalls entwickeln sie eine zu starke Selbstbedienungsmentalität, verfolgen ihre eigenen beschränkten Interessen und sorgen nicht ausreichend für öffentliche oder kollektive Güter.
Das trifft sowohl auf die reichen Industriestaaten als auch auf die Entwicklungsländer zu. Doch in den schwächsten und ärmsten Staaten der Dritten Welt sind Eliten, die nur an ihre eigenen Interessen denken, das dringendste Problem. Das liegt daran, dass in diesen Ländern die Mechanismen zur Disziplinierung von politischen Führungsgruppen weitgehend fehlen. Und dass solche Mechanismen - gleich ob innen- oder außenpolitischer Art - nicht ohne weiteres eingerichtet werden können, ist ein Hauptgrund für das Fortdauern von Unterentwicklung und Armut.
Das Problem der sich selbst bereichernden Staatseliten wird oft übersehen oder heruntergespielt. Der britische Philosoph Thomas Hobbes (1588-1679) lehrte zum Beispiel, dass Sicherheit (auf der Entwicklung beruht) vom Staat hergestellt wird. Der Staat muss in der Lage sein, der Bevölkerung ein ausreichendes Maß an Schutz vor außen- wie innenpolitischen Bedrohungen zu verschaffen. Das Mittel, diesen Schutz zu gewährleisten, ist letzten Endes Macht. Der Staat benötigt die Zwangsgewalt - also ein Monopol über die Gewaltmittel -, damit er die Bevölkerung schützen kann. Doch ein mit Zwangsgewalt ausgerüsteter Staat ist nicht nur eine Quelle des Schutzes für die Bevölkerung, sondern auch eine Bedrohung. Daraus ergibt sich das sogenannte Hobbessche Dilemma: Ohne Staat lebt man schutzlos im "Naturzustand", in dem Anarchie herrscht, weil selbstsüchtige Menschen sich gegenseitig an die Kehle gehen. Es gibt weder Gesetz noch Ordnung, ganz zu schweigen von Entwicklung; das Leben ist, so Hobbes, "einsam, kümmerlich, roh, grausam und kurz". Doch warum sollte es mit einem Staat Schutz und Sicherheit geben? Warum sollten Staatseliten nicht so eigennützig und machtverliebt sein wie alle anderen auch?
Leider argumentiert Hobbes dieses Problem dadurch hinweg, dass er strenge und genaue Anforderungen bezüglich des Schutzes von Menschen und Eigentum für den Souverän annimmt. Doch wenn man von einer egoistischen und selbstbezogenen Natur der Menschen - ob Herrscher oder nicht - ausgeht, warum sollte dann der Souverän diese Anforderungen erfüllen? Die Staatseliten in vielen Ländern der Dritten Welt - besonders in den schwächsten Staaten, von denen viele in Afrika südlich der Sahara liegen - entsprechen gewiss nicht dem Maßstab, Schutz und andere öffentliche Güter für ihre Bevölkerung bereitzustellen. Im Gegenteil: Sie benutzen die Kontrolle über den Staatsapparat, um ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Hinsichtlich der Entwicklung sind sie Teil des Problems, nicht Teil der Lösung. Um das zu zeigen, konzentriere ich mich hier auf die schwachen Staaten des sub-saharischen Afrika.
Eigennützige Staatseliten waren auch für die Staatenbildung in unserem Teil der Welt charakteristisch. Das haben die historischen Analysen des in den USA lehrenden Sozialwissenschaftlers Charles Tilly und von anderen deutlich herausgestellt. Tilly bezeichnet die Bildung von Staaten in Europa als "unsere größten Beispiele für das organisierte Verbrechen" und führt aus, dass "wenigstens nach den Erfahrungen im Europa der letzten Jahrhunderte das Bild, das Kriegsherren und Staatengründer als gewalttätige und eigennützige Unternehmer zeichnet, weit besser mit den Tatsachen übereinstimmt als jede andere Darstellung".
Allerdings muss hinzugefügt werden, dass "eigennützige Unternehmer" nicht alle gleichermaßen schwarze Schafe sein müssen. Es gibt hier graduelle Unterschiede - in Europa wie auch in der Dritten Welt. In Europa wurden viele der schlimmsten Schurken aus einem einfachen Grund ausgeschaltet: Die Machthaber in Europa waren die meiste Zeit in verschiedene Kriege verwickelt. Anders als die Staatseliten in der Dritten Welt standen die in Europa immer Bedrohungen von außen gegenüber. Viele Machthaber scheiterten natürlich; ihre Reiche wurden von denen ihrer stärkeren Mitbewerber verschlungen. Diese Art des Wettbewerbs mit äußeren Gegnern war eine der wichtigsten Antriebskräfte für die europäische Staatenbildung und Entwicklung. Denn die Armeen richteten sich meistens nach außen und waren damit beschäftigt, die nächsten Kriege gegen externe Feinde vorzubereiten. Die Kriegsvorbereitung nötigte die Machthaber zu einer Reihe von Kompromissen mit ihren Untertanen, die ihre Macht einschränkten und den Bürgerrechten den Weg bereiteten. Die Bürgerrechte hatten wiederum materielle Verbesserungen für die Bevölkerung zur Folge. Zusammen mit der Herstellung einer inneren Ordnung und der Förderung der Kapitalakkumulation begünstigten diese Prozesse das Entstehen von Loyalitäts- und Legitimitätsbindungen zwischen Königen und Untertanen. Später wurde die disziplinierende Macht einer gewaltsamen Bedrohung von außen ersetzt durch einen innenpolitischen Mechanismus der Machtbeschränkung: die liberale Demokratie.
Die Machthaber in der Dritten Welt sehen sich keiner ernsten Gefahr von außen gegenüber. Sowohl Staaten als auch Regierungen sind vor äußeren Bedrohungen durch starke internationale Normen geschützt, die im Kontext der Entkolonialisierung geschaffen und während des Kalten Krieges gefestigt wurden. Eine neue Kolonialisierung, die Annexion oder irgendein Szenario, in dem die starken Staaten des Nordens sich die schwachen Staaten des Südens einverleiben, steht nicht auf der Tagesordnung. Deshalb orientieren sich die Armeen der Dritten Welt nach innen; sie konzentrieren sich stärker auf die Innenpolitik. Gleichzeitig sind die Armeen der Dritten Welt leider auch nicht in der Bevölkerung verwurzelt. Alle Einschränkungen, welche die Machthaber im Zaum halten, fehlen deshalb, und die militärischen Eliten sind oft Teil einer räuberischen Staatselite.
Im Gegensatz zu Europa also, wo innenpolitische Konflikte immer unter den Bedingungen einer tödlichen Bedrohung des Staates von außen ausgetragen wurden, findet die Auseinandersetzung in schwachen Staaten der Dritten Welt unter Umständen statt, die diesen eine Lebensversicherung geben. Sie ist hinterlegt bei den Vereinten Nationen und garantiert, dass der Staat nicht mit dem Untergang bedroht ist, egal wie schlecht die Verhältnisse im Land selbst sind. Das vermindert natürlich für die Machthaber die Bedeutung der langfristigen Überlegungen - das heißt sie müssen keinen Staat schaffen, der überdauern wird. Entsprechend rücken kurzfristige Überlegungen in den Vordergrund, also die Macht auszunutzen, um schnell reich zu werden. Zudem gibt es keine Anzeichen dafür, dass eine erhöhte Anzahl von zwischenstaatlichen Kriegen unter schwachen Staaten das Problem lösen würde.
Es ist paradox: Weil Staaten der Dritten Welt im Prozess der Kolonisierung und Entkolonisierung mehr oder weniger vollständig von außen gebildet wurden, erhielten die Anwärter auf die Vormachtstellung in diesen Staaten freie Hand, der Bevölkerung und einander anzutun, was immer ihnen gefällt. Schwache Staaten der Dritten Welt können vollständig kollabieren wie in Somalia, Sierra Leone, Angola, Mosambik und dem Kongo und trotzdem formal Mitglieder der Staatengemeinschaft bleiben. Es gibt keine Bedrohung von außen, die dafür sorgt, dass Misswirtschaft zum Ende des Staates führt.
Selbst wenn der Druck von außen wieder hergestellt werden könnte, ist das keine ideale Auflösung des Hobbesschen Dilemmas. Denn dass Staatseliten aufgrund einer Drohung von außen eine Politik der Entwicklung betreiben, bedeutet nicht unbedingt, dass diese wirksam oder wenigstens umsichtig sein muss. Man denke an Mao Zedongs "Großen Sprung nach vorn" und die chinesische Kulturrevolution: Sie waren Versuche, das Land voranzutreiben, als der außenpolitische Druck die chinesische Führung veranlasste, einen außergewöhnlich schnellen Entwicklungsprozess einzuleiten. Doch sie führten zu irrigen politischen Schritten, die furchtbares Leid zur Folge hatte. Die Bevölkerung des autokratischen China war vollkommen von der Barmherzigkeit ihrer Führung abhängig. Staatseliten, die gegenüber "ihrer" Gesellschaft nicht ausreichend rechenschaftspflichtig sind, können "Entwicklungsexperimente" mit katastrophalen Konsequenzen für die Bevölkerung einleiten.
Daher hat sich die liberale Lösung für das Hobbessche Dilemma als die historisch erfolgreichste erwiesen. Zu dieser Lösung gehört die Regierung gemäß einer Verfassung, das heißt: Institutionen auf demokratischer Grundlage beschränken die Macht der Herrscher. Die Demokratie hilft, den Staat zu disziplinieren; sie macht ihn empfänglicher für Forderungen der Gesellschaft und weniger ineffizient, korrupt und inkompetent. Wenn der Staat effektiver ist, kann er umgekehrt bei der Förderung von Entwicklungsprozessen die Führung übernehmen. Das wird den gesellschaftlichen Wandel und damit das Entstehen von Gruppen unterstützen, die eine beschleunigte sozioökonomische Entwicklung begünstigen.
In der Theorie mag sich das sehr schön anhören, doch in der Praxis hat es sich als weniger erfolgreich erwiesen. Es ist äußerst schwierig, die Demokratie schwachen Staaten aufzupfropfen, in denen geeignete Institutionen sowie ein Mindestmaß an Vertrauen und gegenseitiger Akzeptanz unter konkurrierenden Bevölkerungsgruppen fehlen. Eine Demokratisierung verbessert auch die Möglichkeiten, Forderungen zu formulieren und Konflikte offen auszutragen. Das kann leicht Gegensätze und Konflikte verschärfen, und die Gefahr besteht, dass dies die zarten demokratischen Ansätze zunichte macht.
Tatsächlich haben frühzeitige Wahlen in schwachen Staaten die hohen Erwartungen nicht erfüllt. Sie haben eher eine fadenscheinige demokratische Hülle über die im System verankerte Vorherrschaft der Staatseliten geworfen, ohne die überkommenen Strukturen grundlegend zu verändern. Möglicherweise sind Wahlen der falsche Ausgangspunkt, um den Prozess der Demokratisierung in sehr schwachen Staaten in Gang zu bringen, weil weder die Bevölkerung noch das institutionelle Gefüge darauf vorbereitet sind. Dann nutzen die Menschen Wahlen, um ethnische oder religiöse Identitäten zu bekräftigen, und das verbessert kaum die Aussichten auf einen fortgesetzten Prozess der Demokratisierung.
Alles in allem scheint die Demokratisierung eine vernünftige langfristige Antwort zu sein auf die Frage, wie man Staatseliten schafft, die rechenschaftspflichtig und verantwortlich sind und sich wirklich um die Bereitstellung öffentlicher Güter bemühen. Doch die Demokratie benötigt eine beträchtliche Zeit, um sich zu entwickeln - besonders dort, wo die gesellschaftlichen Bedingungen ungünstig sind. Und das ist in vielen schwachen Staaten der Dritten Welt der Fall. Demokratie kann nicht über Nacht geschaffen werden. Möglicherweise ist es sogar notwendig, neue Modelle von Demokratie zu ersinnen, die sich von den Standardvorstellungen der liberalen westlichen Modelle unterscheiden und besser an die Bedingungen in schwachen Staaten angepasst sind. Das ist auf keinen Fall eine leichte Aufgabe. Darüber hinaus führt das zu der umfassenderen Frage, ob es noch andere Möglichkeiten gibt, Staatseliten zu zähmen, als allein die liberale Demokratie (oder die Bedrohung von außen). Vielleicht ist die Stärkung "traditioneller" Institutionen in Verbindung mit deren modernen Ebenbildern, wie zum Beispiel den nichtstaatlichen Organisationen (NGOs), ein Schritt vorwärts, wie es momentan in Somaliland ausprobiert wird.
Was kann also getan werden? Als erstes muss das Problem richtig erfasst werden. Der Kern des Hobbesschen Dilemmas ist die Einsicht, dass der Staat sowohl stark als auch schwach sein muss. Er muss stark sein, um Ordnung im Inneren, Sicherheit und Entwicklung zu schaffen. Er muss schwach sein in dem Sinne, dass er auf die Bedürfnisse der Gesellschaft reagiert. Ohne die disziplinierenden Instrumente des Drucks und der Beschränkung von innen oder außen verhalten sich Staatseliten sehr wahrscheinlich wie Räuber. Wenn innere Kräfte nicht in der Lage sind, den Staat zu disziplinieren, müssen äußere Kräfte diese Aufgabe übernehmen. Mit anderen Worten: Druck oder Beschränkungen von außen, welche die volle Autonomie der Staatseliten einschränken, sind nicht an sich schlecht oder kontraproduktiv. Sie müssen nicht zu Unterentwicklung führen. Sondern das Ergebnis hängt vom konkreten Gehalt dieses Drucks von außen ab.
Weil die sozialen Kräfte im Staat schwach sind, ist Druck von außen häufig notwendig. Welchen Inhalt sollte er im Idealfall haben? Eine abstrakte Antwort darauf ist einfach: Optimal ist die Art Druck von außen, die den maximalen Antrieb in die richtige Richtung erzeugt. Dies bedeutet politische Schritte, die Entwicklungsprobleme im Allgemeinen und die von eigennützigen Staatseliten verursachten Probleme im Besonderen lösen helfen. Dazu gehört, räuberischen Staatseliten all jene Hilfe zu streichen, welche aufgrund von eng verstandenen nationalen - wirtschaftlichen oder politischen - Interessen gewährt wird, und zugleich für diejenigen Staatseliten, die den richtigen Weg einschlagen, zusätzliche Unterstützung bereit zu stellen. Eine solche Politik wird unter dem Sammelbegriff der "guten Regierungsführung" zumindest teilweise bereits betrieben. Mehr politische Bedingungen im Zusammenhang mit Hilfsleistungen sind ein Fortschritt. Doch gleichzeitig halten sich alte Freundschaften hartnäckig. In einer Welt von souveränen Staaten, die sich grundsätzlich um sich selbst kümmern müssen, können wir nicht erwarten, dass nationale ökonomische und politische Interessen plötzlich keine Rolle mehr spielen. Es liegt in der Logik der souveränen Staaten, zuerst an die eigenen Interessen zu denken.
Doch das nationale Interesse auf Seiten der Geber und die Entwicklung in schwachen Staaten der Dritten Welt können sich auch gegenseitig befördern. Nach den terroristischen Gräueltaten vom 11. September 2001 gibt es dafür zumindest neue Möglichkeiten. Man erinnere sich, wie die Vereinigten Staaten das vom Krieg zerstörte und verwüstete Somalia 1993 aufgaben, nachdem 18 amerikanische Soldaten von örtlichen Kriegsfürsten ermordet worden waren. Die selbstlose Sorge um die Notleidenden in Somalia war nicht stark genug, um den Tod von amerikanischen Soldaten zu rechtfertigen. Diese ganze Rechnung hat sich nach dem 11. September verändert. In sehr schwachen Staaten eine Ordnung einzurichten, ist nun eine Angelegenheit von nationalem Interesse, weil im Falle der Tatenlosigkeit solche Staaten - Afghanistan, Sudan, Somalia und andere - weiterhin Zufluchtsorte für Terroristen bleiben werden, die die reichen Industriestaaten bedrohen. Wir wissen noch nicht, was diese neue Situation für die Bereitschaft des Westens bedeutet, sich in schwachen Staaten zu engagieren. Mit großer Sicherheit ist das Spiel jedoch im Vergleich zu früher völlig verändert. Leider ist aber auch möglich, dass westliche Staaten aus Gründen ihrer nationalen Sicherheit nun stärker als früher bereit sind, mit Diktaturen im Süden zusammenzuarbeiten. Die Waagschale kann sich also nach beiden Seiten neigen.
Unterdessen können wir uns nicht vorstellen, dass die wirtschaftliche Hilfe an andere Staaten einmal mehr als einen sehr kleinen Teil der Ressourcen der in der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) vereinten Industrieländer ausmacht. Dänemark ist stolz darauf, ungefähr ein Prozent seines Bruttoinlandproduktes (BIP) für Entwicklungshilfe auszugeben; das ist bedeutend mehr, als die meisten anderen Länder aufwenden - der Durchschnitt der OECD-Länder liegt bei ungefähr 0,3 Prozent. Dennoch reicht die dänische Auslandshilfe natürlich bei weitem nicht an die Mittel heran, die zur Umverteilung von den Reichen zu den Armen innerhalb Dänemarks aufgebracht werden. Diese innenpolitische Umverteilung macht im Durchschnitt der OECD- Staaten ungefähr 30 Prozent des Bruttosozialprodukts aus, hundertmal mehr als die durchschnittliche Auslandshilfe. Niemand sollte eine radikale Veränderung dieser Verhältnisse erwarten. Der souveräne Staat sorgt sich zuerst und vor allem um die eigene Bevölkerung; das gilt auch im Zeitalter der Globalisierung.
Möglichst großen auswärtigen Druck aufzubauen, könnte auch bedeuten, äußere Bedrohungen von grundlegender Art zu schaffen: Die internationale Gemeinschaft könnte beginnen, Sezessionen und die Bildung neuer Staaten sehr viel bereitwilliger zu akzeptieren als bisher. Die Idee scheint attraktiv: Das Risiko einer Abspaltung von einzelnen Landesteilen würde die Staatseliten veranlassen, sich zusammenzuraufen und ethnische sowie andere Gruppen besser zu integrieren. Allerdings könnte eine Sezession angesichts der Lage in vielen schwachen Staaten auch noch größere Probleme schaffen, als vorher bestanden. In der ehemaligen Sowjetunion und besonders in Ex-Jugoslawien wurden Sezession und die Errichtung neuer Grenzen begleitet von so genannten ethnischen Säuberungen großen Ausmaßes. In Afrika südlich der Sahara könnte die Schaffung vieler neuer Staaten zu noch größerem menschlichen Leid führen. Die Frage ist auch, wo das Ende erreicht ist; welchen Gruppen sollte es nach welchen Kriterien erlaubt sein, neue Staaten zu schaffen? Es gibt in Afrika mehr als 5000 ethnische Gruppen; gewiss sollte nicht jede von ihnen einen eigenen Staat haben, und somit sind viele von ihnen gezwungen zusammenzuleben.
Das ist ein echtes Dilemma: Die alten Staatsgrenzen umfassen Gruppen, die einander bekämpfen, da sie sich nicht einigen können, eine politische Gemeinschaft zu bilden. Das Ergebnis sind Unsicherheit und Unterentwicklung. Doch die Staaten aufzuteilen, scheint mehr Probleme zu schaffen als zu lösen. Das ist scheinbar eine ausweglose Situation. Wenn es einen Ausweg gibt, hat dieser zur Voraussetzung, dass die internationale Gemeinschaft ihre politische Strategie gegenüber Sezessionen klärt und unzweideutige Bedingungen formuliert, unter denen bestimmte Gruppen das Recht zur Abspaltung haben. Derartige Standards müssten verbunden sein mit einer beständigen Durchsetzung des internationalen Rechts zum Schutz von ethno-politischen Gruppen sowie mit verbesserten Mechanismen der vorbeugenden Diplomatie im Falle eines ethno-politischen Konfliktes.
Das alles führt zu dem Schluss: Druck von außen ist oft nötig, um räuberisches Verhalten der Eliten und Unterentwicklung zu vermeiden. Einheimische soziale Kräfte sind häufig zu schwach, um diese Aufgabe zu übernehmen. Ein wichtiges Ziel der Hilfe von außen muss sein, die Zivilgesellschaft im Land zu stärken, doch das ist ein langfristiger Prozess. Demokratisierung ist ein weiteres langfristiges Ziel. Deshalb ist die "Hände weg"-Strategie ganz falsch. Bewusste Versuche, Staatseliten von außen in die richtige Richtung zu drängen, sind gefragt. Dies ist ein schwieriger Prozess mit Widersprüchen und Rückschlägen. Doch es gibt keine schnellen Lösungen, die das Entwicklungsproblem über Nacht lösen könnten.
Literatur
Weitere Arbeiten von Georg Sørensen zum Thema dieses Artikels:
Development as a Hobbesian Dilemma, in: Third World Quarterly, vol 17 no 5 (1996), S. 903-916.
War and State Making - Why Doesn't it Work in the Third World?; in: Security Dialogue, vol 32 no 3 (2001), S. 341-354.
aus: der überblick 01/2002, Seite 89
AUTOR(EN):
Georg Sørensen:
Georg Sørensen ist Professor für Politikwissenschaften an der Universität Aarhus in Dänemark. Sein jüngstes Buch ist "Changes in Statehood. The Transformation of International Relations", London und New York 2001.