Beobachtungen in einem malaysischen Knast
Die Uhr zeigt kurz nach sieben Uhr in der Frühe. Eine neue Schicht der Gefängniswärter hat gerade die mächtigen Stahltüren
des 98 Jahre alten Gefängnisses von Seremban geöffnet. Hunderte von Gefangenen in grünen Shorts und weißen Hemden
strömen zum ersten Tagesappell aus den dreistöckigen, weißgekalkten Zellenflügeln in den Gefängnishof. Dutzende
Gefangene, die schwarze Eimer schleppen, führen die Prozession an. Die Eimer dienen in den Zellen als Nachttöpfe. Der
Inhalt wird in einen bestialisch stinkenden offenen Abwassergraben in einer Ecke des Gefängnisgrundstücks geschüttet.
Dieses zweimal am Tag sich abspielende Ritual scheint in Malaysia völlig fehl am Platz, einem Land, das in
atemberaubendem Tempo das Ziel anstrebt, hoch entwickeltes Industrieland zu werden. Das Gefängnis liegt nur wenige
dutzend Kilometer von dem Ort entfernt, an dem Mahathir Mohamad, der Premierminister, mit Milliarden von Dollars ein
asiatisches Silicon Valley bauen lässt, ein Hochtechnologiezentrum unweit der glitzernden neuen Verwaltungshauptstadt
Putrajaya und eines der modernsten Flughäfen der Welt.
Die Eimer werden nicht benutzt, weil man sich keine Toiletten leisten kann. Sie sollen offenbar ganz bewusst die
Gefängnisinsassen an die harte Realität des Lebens in Gefangenschaft erinnern: Wenn du einsitzt, bist du ein Niemand und
du besitzt nichts. Du hast kein Haus, kein Auto, keinen Arbeitsplatz, kein Geld, keine Würde und keine Freiheit. Mein
einziger Besitz waren eine Zahnbürste mit abgebrochenem Stiel, so dass ich den nicht zu einer scharfen Waffe anspitzen
konnte , eine Plastiktasse, ein winziges Handtuch, eine muffige Decke, ein paar Bücher und eine Haftnummer. Meine war
NS 789/99 Hl.
von Murray Hiebert
Meine Haftzeit verbrachte ich nacheinander in zwei Gefängnissen. Das erste war das moderne Hochsicherheitsgefängnis Sungai Buloh, ungefähr 25 Kilometer westlich von Kuala Lumpur. Es beherbergt rund 3 400 Gefangene, darunter Anwar Ibrahim, den früheren Vize-Premierminister, der am 2. September 1998 von Mahathir aus der Regierung entlassen worden war. Anwar war anschließend verhaftet, wegen Korruption angeklagt und zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Gegen ihn läuft jetzt ein zweites Verfahren wegen homosexueller Beziehungen. Das zweite Gefängnis, ungefähr 60 Kilometer südlich der Hauptstadt in Seremban, ist ein alternder, nicht so stark gesicherter Gebäudekomplex, der rund 940 Insassen beherbergt, von denen die meisten Haftstrafen für den Konsum illegaler Rauschmittel und Verkauf kleinerer Drogenmengen absitzen.
Keines dieser beiden Gefängnisse gleicht den düsteren, verseuchten und überfüllten Schreckenskammern, wie sie in vielen Entwicklungsländern üblich sind. Es gibt dort auch nicht so viel Gewalt wie in Gefängnissen vieler westlicher Länder. Dennoch sind einige Praktiken schockierend. Eine besteht darin, dass die Wärter den After der Gefangenen nach Tabak, Geld, illegalen Drogen und Feuerzeugen durchsuchen, Dinge, die im Gefängnis nicht erlaubt sind. So etwas ist weltweit üblich, aber in Sungai Buloh untersucht ein Wärter mit grüner Chirurgen-Maske Dutzende von Neuankömmlingen ohne jemals die Latex-Handschuhe zu wechseln. Die Häftlinge fürchten diese Prozedur wegen des hohen Risikos, dass dadurch AIDS unter den Gefangenen verbreitet wird, denn viele von ihnen spritzen sich Drogen. Der Widersinn dabei, dass Malaysia einer der größten Produzenten von Latex-Handschuhen in der Welt ist, war auch meinen Mitinsassen bewusst.
Ich war erst wenige Tage in Seremban, als Gefangene sich bei mir bedankten. Sie sagten, Schläge und Misshandlungen hätten seit meiner Ankunft aufgehört. Fast jedenfalls: Eines Tages konnte ich durch ein Fenster sehen, wie in der Küche hinter der Krankenstation ein Wärter einen Gefangenen schlug. Das Opfer, so sagten mir andere Insassen, habe als Koch gearbeitet und sei dabei erwischt worden, wie er ein paar Hühnchenteile briet, die er bei einem anderen Gefangenen gegen Tabak eintauschen wollte.
Ein anderes Mal bemerkte ich bei meinem Fenster einen Gefangenen, der in der Hocke watschelte. Meine Zellengenossen nannten das den "Entengang". Dies sei die übliche Strafe für kleinere Vergehen wie Widerworte gegen einen Aufseher. Dabei lässt das Gesetz als Bestrafung für Fehlverhalten von Gefangenen lediglich zu, diese in eine Isolierzelle zu sperren. Die Insassen sagten, am meisten fürchteten sie Schläge mit dem Gummiknüppel auf die Fußsohlen. Das treibe das Blut in den Kopf, betonen sie, verursache fürchterliche Kopfschmerzen, und man könne dann tagelang nicht aufstehen. "Weil du hier bist, hat das Schlagen aufgehört", berichtete mir ein Opfer kurz vor meiner Entlassung. Er hatte Narben am Kopf, die von zwei langen Schnitten stammten. Er hatte sie nach seiner Aussage bei einem Streit mit einem Wärter erhalten, der ihm einen Teil der Medizin nicht geben wollte, die ihm verschrieben worden war.
Ich selbst wurde niemals misshandelt. Weil ich ein ausländischer Journalist war, dessen Verhaftung von Präsident Bill Clinton kritisiert und außerhalb Malaysias in vielen Medienkommentaren verurteilt worden war, behandelten mich die Aufseher offenbar so höflich, wie sie konnten. "Meine Chefs haben Angst vor dem, was du nach deiner Entlassung schreiben wirst", erzählte mir eines Tages ein Wärter, der mich zum Empfangsraum für Besucher brachte. Die Leiter beider Gefängnisse betonten mir gegenüber mehrmals, dass ich ihr "nicht eingeladener Gast" sei. Sie wollten damit wohl ausdrücken, dass weder sie noch ich an dem Aufenthalt in ihrem Gefängnis schuld seien.
Die größte Schwierigkeit bei der Umstellung auf das Leben in Gefangenschaft bereitete mir das völlige Fehlen einer Privatsphäre. Niemals war ich alleine selbst die Toiletten hatten keine Türen. Sie befanden sich am Ende des Raumes in der Krankenstation, wo ich inhaftiert war. Es ist erniedrigend, wenn man Durchfall hat und sich häufig vor den Augen seiner Zellengenossen entleeren muss. Weil das Licht die ganze Nacht an blieb, konnte ich nur schlecht schlafen. Und Aufseher waren ständig und überall anwesend, ließen mir nicht das kleinste Stück Unabhängigkeit: Ein Aufseher war dafür abgestellt, alles, was ich während meines Rundgangs im Hof tat, in ein Notizbuch zu schreiben.
Die Wärter wollten sich mit mir auch unterhalten. Am liebsten redeten sie über Politik, insbesondere über die politische Krise, die Malaysia erfasst hat, seit Mahathir seinen Vize Anwar gefeuert und eingekerkert hat. Meine Aufseher verbargen kaum ihre Sympathie für Mahathirs früheren Schützling. "Es wird Zeit, dass der alte Mann zurücktritt", fasste ein leitender Aufseher seine Sicht nach einer einstündigen Diskussion zusammen. Wenige Minuten darauf kam er zurück und bat mich inständig, nicht zu vergessen, dass unsere Unterhaltung off the record (nicht zur Veröffentlichung bestimmt) war.
Bei einer anderen Gelegenheit wurde ich für einen Gang nach draußen mit Handschellen an einen Wärter gefesselt. Der hatte den Auftrag erhalten, Anwar zu bewachen, als dieser ein paar Tage zuvor in der Krankenstation war. "Ich bin für Anwar", erklärte der stämmige Wärter und hielt einen Zeigefinger vor die Lippen, um mir zu bedeuten, dass ich sein Geheimnis mit niemandem teilen sollte. Die Aufseher eines der Gefängnisse hatten eine Karikatur an ihrer Bürowand aufgehängt. Diese stellte den Richter Augustine Paul dar mit Perücke nach britischem Stil. Dieser Richter hatte Anwar der Korruption für schuldig befunden. Die Bildzeile der Karikatur lautete tidak relevan (irrelevant); das waren die Worte, mit denen Paul wiederholt Anwars Verteidigerteam abgewürgt hatte.
Mein Aufenthalt in Sungai Buloh überschnitt sich zu keinem Zeitpunkt mit dem Anwars der war einen Tag vor meiner Einlieferung in ein Hospital in Kuala Lumpur verlegt worden, wo sein Blut auf Arsenvergiftung untersucht wurde. Die Insassen in der Krankenstation des Gefängnisses, wo Anwar in einem eigenen Raum auf einem getrennten Flur untergebracht gewesen war, sprachen freundlich über ihn. Sie erzählten, der unbezähmbare Politiker habe sie fast jeden Abend besucht. Während dieser Besuche habe er sich nach ihrer Gesundheit erkundigt, habe ihnen etwas zu lesen gebracht und mit ihnen über die jüngsten Wendungen im politischen Leben des Landes diskutiert. Sie berichteten, Anwar sei immer guten Mutes gewesen und habe stets geschaut, wie er anderen Insassen helfen konnte.
Einmal habe Anwar dafür gesorgt, dass ein inhaftierter Arzt auf die Krankenstation verlegt wurde, so dass er sich um Kranke kümmern konnte. Ein anderes Mal habe er einem Geschäftsmann zu einer Erlaubnis für einen Besuch beim Barbier verholfen. (Rasierklingen sind im Gefängnis verboten). Anwar habe auch versucht, Gefangene aufzumuntern, indem er gemeinsam mit einem anderen Gefangenen Hindi-Liebeslieder sang.
Ich entdeckte bald, dass man im Gefängnis am härtesten damit ringen muss, seine Gefühle im Gleichgewicht zu behalten und die Hoffnung nicht zu verlieren. Meine Mithäftlinge unterstützten mich dabei sehr und gaben mir die Ratschläge, die ich brauchte. In einer stürmischen Nacht fiel der Strom in der kleinen Krankenstation, wo ich einsaß, aus. Nazri, dessen zwanzig-jährige Haftzeit (wegen Anbaus von Marihuana hinter seinem Haus) sich dem Ende näherte, erzählte mir ein hilfreiches Gleichnis von einer erschöpften Uhr: Die Uhr ging zu Gott und beklagte sich, dass sie der Arbeit, immer in der Runde zu gehen, überdrüssig sei. Gott antwortete laut Nazri: "Stell' dir nicht vor, deine Arbeit sei, immer im Kreis zu gehen. Stell' sie dir vor als Tick, Tack, Tick, Tack'." Nazris Schlussfolgerung? Denk nicht zu viel an das gute Leben zuvor oder wie lange du noch im Gefängnis sitzen musst. Konzentriere dich nur auf die Gegenwart. "Das hält mich davon ab, masuk air zu werden", sagt Nazri. Masuk air heißt eigentlich "ins Wasser gehen", im Gefängnisslang steht es für "verrückt zu werden".
Um zu überleben, muss sich ein Gefangener einer "Familie" anschließen, einer Gruppe von Häftlingen, die für einander sorgen. Wenn ein Häftling beispielsweise Schmerzen hat, geben andere ihm eine Rückenmassage. Wenn einer Besuch hatte und dieser für ihn in der Kantine Kekse gekauft hatte, werden die Kekse mit anderen Gefangenen geteilt. Immer wenn ein beleibter herzkranker pensionierter General zum Toilettengang in den Rollstuhl gehievt werden musste, halfen ihm die Häftlinge im Wechsel. Sie halfen ihm auch beim Ankleiden, wenn er zum Gericht musste; dort lief gegen ihn ein Verfahren, weil er angeblich eine Waffe gezogen hatte, als sein Haus zwangsgeräumt werden sollte.
Ich hatte in beiden Haftanstalten das Glück, von Mitgefangenen "adoptiert" zu werden. Wenige Minuten, nachdem ich in Sungai Buloh angekommen war, humpelte Singh mit einem Gipsbein und auf Krücken auf mich zu. Er bot mir ein kleines Handtuch und ein Stück Seife an, damit ich duschen konnte. Singh saß wegen Einbruchs. Die Bewohner des Hauses, in das er eingebrochen war, hatten versucht, sein Bein mit der Machete abzuhacken. Wenn seine Beinwunde ausgeheilt sein wird, warten auf ihn zwei Stockhiebe - eine brutale Bestrafung, die die Haut seines Gesäßes aufreißen und dauerhafte Narben hinterlassen wird.
Häftlinge ließen sich eine Menge einfallen, um die Haftbedingungen zu ertragen. Eines Tages konnte ich das immer gleiche gekochte und wieder kalt gewordene Gemüse nicht mehr ausstehen, das ich als Vegetarier zu jeder Mahlzeit erhielt. Da bereitete mir Nazri tom yam zu, eine würzig-saure Suppe nach thailändischer Art. Er hatte das Gemüse dafür aus dem Garten hinter der Krankenstation geholt und mit einem Rasiermesser geschnitten, das er vom Friseur des Gefängnisses geliehen hatte (die Gefangenen dürfen keine Messer besitzen). Er kochte das Gemüse mit einem Tauchsieder, der normalerweise dazu dient, in einem Plastikeimer Badewasser für Gefangene zu erwärmen. Er würzte die Suppe mit Gewürzpulver aus einer Tüte Nudelsuppe. Die Suppe war das köstlichste Gericht, das ich in meiner Gefängniszeit bekommen habe.
Die Hauptaufmerksamkeit der Gefangenen ist jeden Tag darauf gerichtet, wie sie Tabak bekommen können. Seit 1990 das Rauchen verboten wurde, ist das eine illegale Ware. Ich erkannte schon wenige Minuten nach meiner Verhaftung, wie wichtig Tabak im Gefängnis ist. Schon während der rasenden Fahrt zum Gefängnis im Polizeilaster fragte ein Mitinsasse mich kaum dass sich das Fahrzeug in Bewegung gesetzt hatte nach einem Streifen Papier. In den Streifen Schreibmaschinenpapier rollte er Tabak und fertigte so eine Zigarettenkippe. Die nächste Aufgabe war, Feuer zu bekommen. Die Polizisten hatten alle Feuerzeuge und Streichhölzer der Festgenommenen konfisziert. Der Häftling bat einen Polizisten, der hinten im Laster saß, um Feuer, wurde aber barsch zurückgewiesen. Schließlich zeigte sich, was "Marktwirtschaft" vermag. Auf wundersame Weise kam ein Feuerzeug zum Vorschein, nachdem der Häftling zwei Ringit (knapp eine Mark) zu dem Polizisten rübergeschoben hatte.
Innerhalb des Gefängnisses gruppierten sich häufig drei bis vier Gefangene um ein Bett herum oder im Klo, um schnell heimlich ein paar Züge an einer Kippe zu teilen. Tabak zu bekommen ist allerdings weit schwieriger als ein heimlicher Zug an einer Zigarette. Weil Gefangene bei der Ankunft gründlich durchsucht werden, können sie Tabak nur hineinschmuggeln, wenn sie Kügelchen davon in kleinen Plastiktüten verschlucken. Diese Methode nennen die Häftlinge "die Rakete", weil sie ihre "Ladung" mit Hilfe eines Einlaufs aus Seifenwasser löschen. Das kann gelegentlich gefährlich sein. Während ich in Sungai Buloh einsaß, bekam ein Gefangener Verstopfung, nachdem er 14 Tabak-Tüten verschluckt hatte. Ein Arzt musste sie herausoperieren.
Die zweite Methode des Tabakbezugs funktioniert mit Hilfe der Aufseher. Was sie dafür verlangen, ist Wucher. In Sungai Buloh kosten sieben Fünf-Gramm-Päckchen nicht weniger als 50 Ringit (fast 25 Mark), das 17-fache des Preises der Straßenhändler. Aber den Rauchern ist das so viel wert. "Tabak ist wertvoller als das Leben eines Gefangenen", erklärte mir Singh. Häftlinge können in Isolationszellen geworfen werden, wenn sie beim Rauchen ertappt werden; ich habe jedoch diese Art der Bestrafung nie beobachtet. Die Wärter versuchen offenbar, die Rauchschwaden in der Luft zu ignorieren, solange die Gefangenen sich bemühen, ihre Zigaretten heimlich zu paffen.
Das zweite Hauptthema der Gefangenen ist, was sie machen wollen, wenn sie wieder in Freiheit sind. Langzeithäftlinge fragten zum Beispiel, wo heutzutage der zentrale Busbahnhof von Kuala Lumpur liegt, wie man an der Aktienbörse investiert und was es in den Petronass Towers zu sehen gibt, dem höchsten Gebäudekomplex der Welt. Einige fragten sich, ob sie ihre in der Tischlerei oder Schusterei des Gefängnisses erworbenen Fähigkeiten bei einem Job draußen zu barer Münze machen könnten. Ein Drogenabhängiger, der das siebte Mal einsaß, fragte sich, wie lange er das nächste Mal in Freiheit leben würde. Er soll im Jahr 2002 entlassen werden.
Er und andere Zellengenossen sind zu Recht besorgt. Aus der Haft entlassen zu werden, ist traumatischer als man glaubt. Mir fehlt nach meiner Rückkehr in die Freiheit immer noch die Orientierung, obwohl ich während der Haftzeit jeden Tag von der Freiheit geträumt hatte. Sogar nach nur einem Monat Haft, bekam ich nach der Entlassung einen Kulturschock. Es war ein ganz eigenartiges Gefühl, plötzlich in der Lage zu sein, die einfachsten Entscheidungen selbst zu treffen. Ganz normale Tätigkeiten, wie die Koffer zu packen, um Malaysia zu verlassen, fielen mir schwer. Es war fast so, als müsste ich normale Alltagsfähigkeiten wieder neu erlernen. Selbst jetzt noch, wenn ich im meinem neuen Büro in Washington D.C. sitze und auf das geschäftige Straßenleben herunter schaue, bin ich verblüfft über ganz weltliche Dinge etwa dass man eine Pizza bestellen, telefonieren oder unzensierte Post lesen kann und dass man nicht mit Handschellen gefesselt wird, bevor man nach draußen gehen darf.
Als sich für mich am 11. Oktober die Gefängnistore öffnete, stieß ich ein Dankgebet aus, dass meine Haftzeit kurz gewesen war. Ich dachte darüber nach, wie wertvoll die Pressefreiheit und die Meinungsfreiheit sind, und ich gedachte mit Respekt des Mutes unserer Vorfahren, die dafür gekämpft hatten, Rechte durchzusetzen, die heute so viele für selbstverständlich halten. Ich bewunderte auch, welche außerordentlichen Opfer die Nelson Mandelas und Mahatma Gandhis in Haft auf sich genommen hatten, um die Freiheit für ihre Mitmenschen zu erringen.
Ich hatte mir frühzeitig vorgenommen, dass ich das Beste daraus machen würde, wenn ich einmal in Haft käme. Im Nachhinein glaube ich, dass diese Erfahrung auch ihr Gutes gehabt hat. Ich entdeckte wieder, wie kostbar es ist, eine Familie zu haben, Kollegen und Freunde, die sich um einem kümmern. Ohne ihre Unterstützung wäre es für mich viel schwieriger gewesen, die Haft ohne seelischen Schaden zu überstehen. Das Gefängnis gab mir auch Gelegenheit, innezuhalten und darüber nachzudenken, was wirklich wichtig ist im Leben. Ich hatte die Chance, Ruhe zu haben und in der Ruhe neue Stärke und Hoffnung zu finden. Das Gefängnis verschaffte mir auch Gelegenheit, mich selbst neu zu entdecken und meinen religiösen Glauben zu erneuern.
Es gab da auch überraschende Augenblicke. Als ich das Gefängnis verließ und in das wartende Auto stieg, wählte einer meiner Rechtsanwälte per Handy meine Familie in Washington an. "Du bist frei toll!" rief mein 15-jähriger Sohn begeistert, während ich kaum Tränen der Erleichterung, dass diese Nervenprobe vorüber war, unterdrücken konnte. Aber ich hatte nicht viel Zeit, Geschmack an meiner wiedererhaltenen Freiheit zu finden, denn schon wurde ich in die reale Welt zurückgestoßen: "Papi, ich brauche ein Auto", erklärte mein Sohn.
Gerichtsberichterstattung kann in Malaysia gefährlich sein. Das musste der Korrespondent des "Far Eastern Economic Review" erfahren, der für einen 1997 erschienenen Beitrag wegen Missachtung des Gerichts zu einer Haftstrafe von sechs Wochen verurteilt wurde. Der Kanadier Murray Hiebert hatte in seinem Artikel angeblich die Würde der Richter beschädigt. Vier Wochen hat er im September/Oktober letzten Jahres in zwei malaysischen Gefängnissen zugebracht. Davon erzählt sein am 11. November 1999 in der "Far Eastern Economic Review" erschienener Bericht, den wir - mit freundlicher Genehmigung der Redaktion - hier abdrucken. Die letzten beiden Wochen waren ihm "wegen guter Führung" erlassen worden.
©Far Eastern Economic Review, ©Dow Jones & Co, Inc
aus: der überblick 01/2000, Seite 29