Mühsamer Abwehrkampf
Kolumbien ist ein reiches Land mit einer armen Bevölkerung. Sie leidet unter einem Bürgerkrieg, der zu weitgehender Recht- und Straflosigkeit geführt hat. "Brot für die Welt" und der EED versuchen daher, die Zivilgesellschaft zu stärken und die Achtung der Menschenrechte zu fördern. Aber wie ihre Partner im Land müssen sie dabei ständige Fehlschläge verkraften.
von Bernd Ludermann
Die kirchliche Entwicklungsarbeit hat es in Kolumbien mit besonderen Problemen zu tun. Das Land hat ein hohes wirtschaftliches Potential: Es besitzt Erdöl, das ein gutes Drittel der Exporte ausmacht, und ist inzwischen nach den Niederlanden der zweitgrößte Exporteur von Schnittblumen weltweit. Das Sozialprodukt pro Kopf lag 2002 mit gut 1900 US-Dollar etwa auf dem Niveau von Thailand und Rumänien. Es ist seit 1997 infolge einer harten Strukturanpassungspolitik leicht gesunken, vor allem aber ist es sehr ungleich verteilt: Fast die Hälfte des Volkseinkommens kommt dem reichsten Zehntel der gut 42 Millionen Einwohner zugute, nur drei bis vier Prozent dem ärmsten Fünftel. Das einträglichste Exportprodukt Kolumbiens ist zudem illegal: Kokain. Der Koka-Strauch wird an den Hängen der Anden angebaut, in Kolumbien werden aber auch aus Peru und Bolivien eingeführte Koka-Blätter zu Kokain verarbeitet. Neuerdings wird auch etwas Opium angebaut.
Sowohl der Drogenhandel als auch die Ungleichheit hängen mit dem seit vier Jahrzehnten andauernden, grausamen Bürgerkrieg zusammen. Er ist die bei weitem wichtigste Ursache von Not und Elend in dem Andenland. Beteiligt daran sind erstens Guerilla-Gruppen, die ihre Wurzeln im sozialen Protest haben, heute jedoch mit Entführungen Schutzgeld erpressen, vom Drogenhandel profitieren und die Bevölkerung in den ihnen kontrollierten Gebieten gängeln und auspressen. Ihnen stehen zweitens paramilitärische Gruppen gegenüber, die aus der Gegenwehr der ländlichen Oligarchie gegen die Guerilla und soziale Bewegungen entstanden sind, sich am Drogenhandel beteiligen und vor allem auf dem Lande Angst und Schrecken verbreiten. Infolge des Krieges und der Vertreibungen von Kleinbauern ist ein Viertel des Agrarlandes in die Hände von Paramilitärs oder Drogenbaronen gelangt. Die staatlichen Sicherheitskräfte sind die dritte Kriegspartei. Statt den Gesetzen unparteiisch Geltung zu verschaffen, begünstigen sie Paramilitärs und begehen schwere Menschenrechtsverletzungen. So sind große Teile der Bevölkerung Massakern, Vertreibungen, Morden und anderen Übergriffen aller drei Seiten praktisch schutzlos ausgeliefert.
Das zu ändern, gehört zu den Hauptzielen der kirchlichen Entwicklungsförderung in Kolumbien. Der EED und "Brot für die Welt" – und ähnlich auch Misereor – konzentrieren sich auf die Förderung von Projekten, die der Straflosigkeit entgegenwirken, den Menschenrechten Geltung verschaffen, die Zivilgesellschaft stärken und demokratische Prozesse fördern sollen. Zwar unterstützt "Brot für die Welt" auch zum Beispiel eine Organisation, die sich für bessere Arbeitsbedingungen für Blumenarbeiterinnen einsetzt, und Entwicklungsprojekte der Mennoniten. "Doch rund die Hälfte unserer Projekte in Kolumbien hat mit Menschenrechten und juristischem Schutz zu tun. Das ist in Lateinamerika inzwischen die Ausnahme", erklärt Sabine Schmidt, die Regionalverantwortliche für Kolumbien und Venezuela bei "Brot für die Welt". Nur in Guatemala und Mexiko – hier wegen den Konfliktes in Chiapas – haben diese Arbeitsbereiche ähnliches Gewicht.
Die relativ lebendige Zivilgesellschaft in Kolumbien, wo durchaus eine gebildete Mittelschicht existiert, bietet dafür Ansatzpunkte. "Brot für die Welt" unterstützt 22 kleinere Partner in Kolumbien, während der EED drei größere, landesweite Organisationen fördert. Eine von ihnen ist Viva la Ciudadania ("Die Bürgerrechte sollen leben"), ein Zusammenschluss von zehn nichtstaatlichen Organisationen (NGOs). "Wir unterhalten ein Bildungsprogramm an 24 Orten in ganz Kolumbien", erklärt Antonio Madariaga, der Geschäftsführer von Viva. "Es wendet sich an Führungspersonen aus sozialen Bewegungen, also zum Beispiel aus Frauen- oder Kirchengruppen, Gewerkschaften oder Vertretungen von indigenen Völkern. An manchen Orten nehmen auch Vertreter von lokalen Behörden oder Polizisten an den Schulungen teil."
Die Arbeitsbedingungen der kolumbianischen NGOs wie Viva sind jedoch schwieriger geworden. "Vor dem Regierungsantritt Uribes haben wir daran gearbeitet, Frieden möglich zu machen. Jetzt sind wir damit beschäftigt, Angriffe auf soziale Rechte, die in der Verfassung stehen, abzuwehren", sagt Madariaga.
Der Präsident von Viva, Pedro Santana, sieht zur Zeit wenig Aussicht auf Frieden. Zwar unterstützten rund 60 Prozent der Bevölkerung die Strategie von Präsident Uribe, die Guerilla militärisch zum Aufgeben zu zwingen; der Verhandlungsansatz seines Vorgängers sei diskreditiert. "Aber die FARC kann kaum besiegt werden", sagt Santana. "Erstens hat sie eine Basis unter landlosen Bauern; das ist ein Ergebnis der sozialen Ungleichheit. Zweitens ist das Land sehr bergig und schwer zugänglich. Drittens ist die Kontrolle über das Territorium zwischen der Armee, der Guerilla und Paramilitärs geteilt. Und sowohl die Guerilla als auch die Paramilitärs haben sehr viel Geld" – beide nicht zuletzt aus dem Drogenhandel, an dem auch Teile der Sicherheitskräfte beteiligt sind. Die Verhandlungen zwischen den Paramilitärs und der Regierung beurteilt Santana ebenfalls skeptisch: "Das Reintegrationsprogramm für Guerillas und Paramilitärs, die ihre Waffen niederlegen, stellt diese nicht nur von Strafverfolgung frei. Sie müssen auch weder bereuen noch gestehen, welche Verbrechen sie verübt haben. Das ist Teil des Angebots von Uribe an die Paramilitärs und führt zu einem Zustand völliger Straflosigkeit."
Kurz, kolumbianische soziale und Menschenrechtsgruppen führen einen frustrierenden Abwehrkampf. Ein typisches Beispiel ist die Corporación Jurídica Libertad (Juristische Korporation Freiheit), eine Anwaltsgruppe, die seit 2001 von "Brot für die Welt" unterstützt wird (vgl. das Interview mit Liliana Uribe Pirado). Ihre Versuche, Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung vor Gericht zu bringen, bleiben meist erfolglos und bringen zudem die engagierten Juristinnen und Juristen selbst in Gefahr. 1999 sind zwei Anwälte aus einem Komitee, das sich für politische Gefangene einsetzt und ebenfalls von "Brot für die Welt" unterstützt wird, ermordet worden. Seit im September Präsident Uribe in einer Rede Menschenrechtsgruppen in die Nähe von Guerilla-Sympathisanten gerückt hat, ist das Klima noch rauer geworden, sagt Schmidt: "Unsere Partner berichten, dass sie seitdem auch in der Presse diskreditiert werden."
Schutz für die Partner ist ein zunehmend wichtiges Arbeitsfeld. In Notfällen hilft das Menschenrechts-Referat von "Brot für die Welt" und der Diakonie, akut gefährdete Personen aus Kolumbien zu holen. Das hilft jedoch nur wenigen und nur vorübergehend. Wichtiger ist, der Regierung Uribe deutlich zu machen, dass die Verbrechen in Kolumbien international beobachtet werden. Deshalb hat "Brot für die Welt" ein Partnerschutzprogramm begonnen, mit dem Kirchengemeinden und Aktionsgruppen in Deutschland für ein langfristiges Engagement für Kolumbien gewonnen werden sollen. Eine Rundreise von Partnern aus Kolumbien 2004 sowie Filme und Konzerte mit kolumbianischen Musikern sollen dazu beitragen.
Von Rückhalt in einer engagierten Öffentlichkeit in Deutschland erhofft sich "Brot für die Welt" mehr Gewicht für Aufrufe an die kolumbianische Regierung, aber auch für Forderungen an die Kolumbien-Politik der Bundesregierung. Diese Art Arbeit in Deutschland wird von kolumbianischen NGOs begrüßt: "Die Regierung Uribe wird aus Europa und aus demokratischen Kreisen in den USA scharf kritisiert", erklärt Pedro Santana; "diese internationale Kritik ist sehr wichtig."
aus: der überblick 04/2003, Seite 131
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".