Tyler Hicks, ein Kriegsreporter mit Gelassenheit
Der Amerikaner Tyler Hicks ist von der "New York Times" als Fotoreporter eingestellt worden, um über die Konflikte der Welt zu berichten, insbesondere über diejenigen, die von seinem Land selbst initiiert wurden.
von Claire Guillot
Wie einst sein zum Mythos gewordener Vorgänger Don McCullin hat Tyler Hicks mit seiner Kamera in fast allen großen Konflikten der heutigen Zeit Fotos geschossen: Kosovo, Israel, Afghanistan, Irak, Libanon... Wie McCullin hat er den klaren und unschuldigen Blick derjenigen, die zu viel gesehen haben. Tyler Hicks ist Kriegsreporter und er ist ein hübscher Kerl. Aber der Vergleich mit dem bekannten Briten endet hier.
Mit seinen 38 Jahren, hat der Amerikaner mehrere Preise für seine ausdrucksstarken Bilder gewonnen, zuletzt den Preis als Fotograf des Jahres 2007 der Missouri School of Journalism. Seine Bilder sind immer so nah an der Kampfhandlung wie möglich geschossen. Aber weder in seinen Worten noch in seiner Haltung entspricht Tyler Hicks der romantischen Mythologie, die über den risikoreichen Beruf immer noch verbreitet wird.
Es steht außer Frage für ihn, seine Narben vorzuführen oder davon zu erzählen, wie oft Kugeln an seinem Ohren vorbei gepfiffen sind. Aber Tyler Hicks ist sparsam mit spannenden und dramatischen Anekdoten, er hat nichts von einem furchtlosen Abenteurer. Er versichert, dass die besten Fotos nicht diejenigen sind, für die man volles Risiko auf sich nimmt. "Nicht der Wagemutigste und auch nicht der Verrückteste bekommt den Zuschlag. Getrieben von der Ambition, riskiert man am Anfang sein Leben. Ich habe es gemacht wie jeder andere. Aber das wichtigste ist die Fähigkeit, die Lage richtig einzuschätzen."
Anderer Unterschied: Tyler Hicks ist nicht als Autodidakt, nach einer schweren Jugend in diesen Beruf gestrandet, sondern nach einem soliden Journalismus-Studium in Boston, USA. Der Sohn eines Anwalts und einer Künstlerin erwähnt die Hintergründe seiner Bilder mit einem gutbürgerlichen amerikanischen Akzent: "Hinter einem einzigen Foto steckt manchmal ein Monat Recherche, Vorbereitung und Wartezeit". Man hätte mehr Glamour erwartet.
Der Fotograf bedient trotz alledem ein bisschen den Mythos, wenn er sagt, das Unglück in der Welt ein wenig lindern zu wollen. "Sagen wir, dass ich versuche das Interesse des Publikums und der Politik auf Konflikte und wenig bekannte Situationen zu lenken." Manchmal schafft er das. In Afghanistan hat er 2001 eine packende Fotoserie gemacht, die Kämpfer der Nordallianz – militärisch nach dem 11. September von den Amerikanern unterstützt – abbildete, wie sie einen Taliban festnahmen, ihn beschimpften und dann töteten.
Die von der New York Times veröffentlichen Bilder wurden dem Präsidenten George Bush während einer Pressekonferenz unter die Nase gehalten. "Die Rolle als Zeuge ist der erste Grund meiner Anwesenheit am Ort des Geschehens," betont Tyler Hicks, bevor er fortführt: "Aber diejenigen, die behaupten, das wäre der einzige Grund, lügen. Der Beruf ist auch ein Lebensstil. Es gibt Reisen, Begegnungen und Abenteuer."
Seit den Zeiten von Larry Burrows, Don McCullin oder Robert Capa, die Tyler Hicks erwähnt, hat sich das Abenteuer stark gewandelt. Heute wäre es unmöglich, den ersten besten Flug zu nehmen und dann zu sehen, was sich machen lässt. Mit der Invasion in den Irak sind die Konflikte zu Medienmaschinerien geworden. Alles ist unter Kontrolle. Es wird genauso viel Zeit damit verbracht, Genehmigungen hinterherzulaufen, als an Ort und Stelle Fotos zu machen. "Die Leute haben falsche Vorstellungen darüber, was eine Frontlinie ist", erklärt Hicks. "Egal wo man ist, welcher Konflikt es ist, trifft man auf Menschen, deren Arbeit es ist, Sie daran zu hindern, dorthin zu gelangen, wo Sie Bilder machen wollen. Es erfordert sehr viel Zeit und Mühe seinen Zielort zu erreichen."
Tyler Hicks reiste mehrmals embedded (in einer Einheit der amerikanischen Armee integriert), und das hat ihm kein Gewissensproblem bereitet. Denn die Geiselnahmen im Irak wie in Afghanistan haben alle andere Lösungen extrem gefährlich gemacht. "Im südlichen Afghanistan sind sie verloren, wenn sie auf Talibankämpfer stoßen, sie sind tot." Nach seiner Einschätzung ist es weiterhin möglich, im Irak zu arbeiten, wo die Amerikaner in gewissen Maßen den Druck auf die Fotoreporter gelockert haben. "Natürlich gibt es immer noch Einschränkungen, man muss durch die offiziellen Prozeduren gehen. Aber die Fotografen haben Zugang zu dem wesentlichen Teil des Soldatenlebens."
Es heißt, die Zeit sei heute schwierig für Fotoreporter, die mit immer weniger Bestellungen und immer kürzeren Reportagezeiten konfrontiert sind. Aber Tyler Hicks gehört mehr zu den Privilegierten. Die zwei gleichzeitig geführten Kriege von George Bush haben die New York Times veranlasst, eine neue Generation von Fotografen zu engagieren. Seit 2002 gehört Hicks zu den Angestellten der hoch angesehenen Zeitung. "Das hat meine Arbeit unglaublich bekannt gemacht. Jeder ruft mich an, um mit mir über meine Bilder zu reden. Die Tageszeitungen reagieren schnell und haben jetzt den Platz der Magazine eingenommen, die früher die Speerspitze der Fotoreportagen waren."
Die begehrte Stelle hat seine Arbeit aber auch einer anhaltenden, nicht immer wohltuenden, Kritik ausgesetzt. Während der israelischen Offensive in Südlibanon 2006 wurde eine in Tyr geschossene Fotoserie scharf attackiert. Monatelang haben Blogger ihn bezichtigt, Manipulationen und Inszenierungen vorgenommen zu haben, um die israelische Armee zu verteufeln. "Es gab einen Irrtum bei einer Bildunterschrift, den ich nicht verschuldet habe. Diese wurde sehr schnell korrigiert, aber es war zu spät, sie stand im Raum. Alles kochte dann ganz schnell hoch."
Der Fotograf hat in einer Online-Zeitschrift alles erklärt, ohne große Wirkung. Er hat dann aufgegeben. "Sich gegen Polemik im Internet zu wehren, bedeutet nahezu, diese noch zu alimentieren. Es ist besser, zu etwas anderem überzugehen."
Die Episode habe ihn verärgert, aber er sei durch das Misstrauen gegenüber seinem Beruf nicht aus dem Gleichgewicht gebracht worden. "Ich bin ein Teil der Medienindustrie, und weil ich es bin, akzeptiere ich die Kritik. Aber die Leute, die meine Arbeit in Frage gestellt haben, verfolgten politische Motive, wollten Information manipulieren. Ich weiß, wer ich bin. Ich definiere mich ganz durch meine Arbeit. Meine Ehrlichkeit und Integrität sind mein einziges Gut."
Für seinen Beruf hat Tyler Hicks viel geopfert. Er ist ein ernster Mensch geworden, hat keine Kinder, die Zuhause in New York auf ihn warten. Seine Liebesbeziehungen sind natürlich kompliziert. "Als ich 2001 nach Afghanistan gefahren bin, hatte ich das für drei Wochen geplant. Tatsächlich bin ich ein Jahr später nach Hause gekommen. Aber nichts, absolut nichts, hätte mich davon abhalten können, danach in den Irak zu gehen."
Tyler Hicks ist gelassen. Wenn er seine Koffer in New York abstellt, träumt er nicht von Leichen. Er wird nicht ständig von den in seinen Reportagen getroffenen Geistern heimgesucht. "Ich bin nicht gleichgültig, im Gegenteil. Der Beruf hat mich geändert, er hat mir als Mensch Tiefe gegeben. Aber es bleibt eine Arbeit. Ich gehöre zu zwei getrennten Welten."
aus: der überblick 04/2007, Seite 36
AUTOR(EN):
Claire Guillot
Claire Guillot arbeitet als Reporterin für die Tageszeitung "Le Monde".