Afrikas heimliche Helfer
Viele Ghanaer, die im Ausland leben, unterstützen ihre Familie in der Heimat. Ihre Geldüberweisungen beleben zudem die Wirtschaft des Landes, etwa durch Unternehmensgründungen oder Wohnungsbau. Im Jahr 2004 überwiesen die Arbeitsmigranten eine Summe, die die Entwicklungshilfe für das westafrikanische Land übersteigt.
von Fiona Ledger
Schon immer wollte ich ein kleines Geschäft in Ghana eröffnen”, sagt Eddie Oyortey. “Zuerst hatte ich so etwas wie eine Bar oder ein Restaurant im Sinn, etwas Nettes für Touristen.” Nachdem er das noch einmal mit seinem Bruder Sam Oyortey durchgekaut hatte, entschied er sich stattdessen für ein ehrgeizigeres und eher ländliches Projekt - eine Farm von 36 Hektar für den Anbau von Mangos und Cashewnüssen. Eddie Oyortey betreibt seine Farm aus großer Entfernung. Er lebt in London, wo er Filme fürs Fernsehen macht und eine Agentur für Medienberatung betreibt. Der Mann in Ghana ist sein Bruder. Er überwacht die Farm, während Eddie Oyortey sie finanziell am Laufen hält. Ziel ist es, zwischen 100 und 600 US-Dollar monatlich zu überweisen. “Das ist nicht einfach. Manchmal bin ich mit meinen Zahlungen hinterher und mache mir Sorgen, Sam hängen zu lassen. Die Farm ist erst fünf Jahre alt und wir müssen weitere fünf Jahre warten, bis die Mangobäume so weit sind, dass der Verkauf der Ernte die ersten Erträge abwirft und sich unsere Investition gelohnt hat”, rechnet Eddie Oyortey vor.
Der Bruder seinerseits sieht die Sache so: “Ohne Eddie hätte ich das niemals machen können - vielleicht eine kleine, allenfalls zwei Hektar große Farm.”
Eddie Oyortey gehört zu den Zehntausenden Ghanaern, die im Ausland leben und Geld in die Wirtschaft zu Hause stecken. Im Jahr 2003 sind die Überweisungen nach Ghana über offizielle Finanz- und Banktransfers insgesamt auf die bisherige Höchstsumme von 1,9 Milliarden US-Dollar gestiegen, das sind 57 Prozent mehr als im Vorjahr. Geld, das über Freunde und Verwandte geschickt wird, ist dabei nicht eingerechnet. Allein diese registrierten Transfers sind mehr als die Summe der gesamten Entwicklungshilfe, die Ghana im vorigen Jahr erhalten hat. Vielleicht ist das die positive Seite des so genannten Brain-Drains, obwohl es nicht gerade ein faires Tauschgeschäft zwischen Entwicklungs- und Industrieländern ist, wenn Fachkräfte ins Ausland gehen und Geld in die Heimat überweisen. Einige Gemeinschaften in Entwicklungsländern leiden nicht nur unter dem Verlust von Fachkräften, sondern werden auch abhängig von Überweisungen. Das hemmt den Unternehmensgeist und nimmt die Chance auf dauerhaftes Wirtschaftswachstum.
In den Industrieländern jedenfalls räumt die Tatsache, dass die Menschen derart hohe Summen überweisen, mit dem Stereotyp des schmarotzenden Ausländers auf. Professor Devesh Kapur, Wirtschaftswissenschaftler an der Harvard-Universität, weist darauf hin, dass “die Überweisungsströme, anders als die Auslandshilfe, die Steuerzahler in reichen Ländern nicht belasten. Die Überweisungen landen direkt in den Haushalten, insofern kann ihr unmittelbarer Einfluss auf die Bekämpfung von Armut größer sein als bei der traditionellen Entwicklungshilfe.” Jahrelang war es den Ökonomen nicht möglich, die über Freunde und Verwandte übermittelte Geldsumme zu beziffern. Folglich wurde der “Überweisungsfaktor” für die Wirtschaftstätigkeit eines Entwicklungslandes weitgehend unterschätzt. Die Zahl der Geldtransfer-Agenturen nimmt zu. Die Banken beschleunigen die Überweisungsprozeduren, und senken unter dem Wettbewerbsdruck die Gebühren. Deshalb sind die Ökonomen besser in der Lage, das Wachstum und den Einfluss des Geldes statistisch zu erfassen, das im Ausland erwirtschaftet und nach Hause gesandt wird. Professor Kapur meint dazu: “Überweisungen sind die sichtbarsten und nützlichsten Folgen, die zeigen, wie internationale Migration die Ursprungsländer verändert.”
Zu den größten internationalen Überweisungsagenturen gehört die Western Union. Ein afrikanischer Geschäftsmann, der Ghanaer Kofi Amoah, musste sie aber erst dazu bringen, auch Afrika ins Auge zu fassen: “Ich habe in Los Angeles gelebt und gearbeitet und wollte eines Tages etwas Geld überweisen. Dabei stellte ich mit Erstaunen fest, dass Western Union keine Agentur in der Hauptstadt Accra unterhielt. Ich ging zu ihnen und bot ihnen meine Dienste an, um dort eine Agentur aufzubauen. Doch das war zu Beginn der 1990er Jahre, und die amerikanische Geschäftswelt war mehr daran interessiert, in Osteuropa als in Afrika zu investieren.” Zu dieser Zeit beschäftigte Western Union die Mehrheit seiner Agenten in den USA. Von 24.000 im Jahr 1994 hatte Western Union bis 2003 die Zahl ihrer Mitarbeiter auf 1.165.000 Agenten erhöht. 70 Prozent von ihnen waren außerhalb der USA tätig. Kofi Amoah trug zu dem Wachstum bei, als er mit einem Vertrag in der Tasche ein Netz von Agenten in Afrika aufbaute. “Die Überweisungen erfolgen schnell und sind sicher, und wir kümmern uns ganz besonders um Kunden, die kein Bankkonto haben und Analphabeten sind”, betont er.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Geld über Transferagenturen oder Banken verloren geht, ist gering. Allerdings kostet der Transfer Gebühren, und er dauert gelegentlich seine Zeit. Auch das geht ins Geld. So mancher zieht es deshalb immer noch vor, jemandem ein Bündel Scheine auszuhändigen, der sie dahin bringen wird, wo sie benötigt werden.
Evelyn Mensah hat ihr Geld und den Bau ihres Hauses in Accra ihrer Schwester und ihrem Schwager anvertraut. Dreißig Jahre lang war sie eine leitende Hebamme im staatlichen Gesundheitswesen Großbritanniens. Schon immer hatte sie vor, nach Hause zurückzukehren. Im Jahr 2002 hat sie begonnen, Geld aus ihrer Rente zu überweisen, um ein Haus mit fünf Schlafzimmern in einem ruhigen Vorort etwa zehn Meilen nördlich von Accra zu bauen. Es ist fast fertig. Der Vorort ist ein aufstrebendes Stadtviertel mit Häusern in unterschiedlichen Bauphasen, darunter eine Gesundheitsklinik und eine auffällige Villa im Hazienda-Stil, die im Auftrag einer afrikanischen Familie, die in den USA lebt, gebaut wird. Der Haken: Keines der Grundstücke ist erschlossen. Die Hauptstraße ist ungeteert, und es gibt weder Strom noch fließend Wasser. Evelyn Mensah wird auf einen Generator und Wasserlieferung per Tanklastzug angewiesen sein. Trotz allem ist sie zuversichtlich, dass der Bau ihres Hauses und all der anderen den Anstoß dazu geben wird, zumindest die Grundversorgung in diesem Gebiet zu gewährleisten. Eddie Oyortey stimmt dem zu: “Ich sehe mich gern als einen Agenten des Wandels, einen Agenten für Entwicklung.”
Professor Kapur ist überzeugt, dass der Kapitalfluss aus den Industrieländern in Form von Überweisungen eine entscheidende Rolle für das Wirtschaftswachstum in den Entwicklungsländern spielt (vergl. “der überblick” 3/2002). Das setzt jedoch voraus, dass die Industrieländer es unterstützen, wenn Menschen einwandern wollen, und die Staaten ihre Gesetze dahingehend liberalisieren. Sein Vorschlag: “Vielleicht könnten die weniger entwickelten Länder ja den Slogan ‘Handel statt Hilfe’ in der nächsten globalen Verhandlungsrunde um das Motto ‘Migration statt Hilfe’ ergänzen.”
aus: der überblick 03/2004, Seite 60
AUTOR(EN):
Fiona Ledger:
Die britische Journalistin Fiona Ledger leitet ihre eigene Medienproduktionsfirma in London. Diesen Artikel haben wir mit freundlicher Genehmigung von BBC World Service aus der Vierteljahreszeitschrift "BBC Focus on Africa" vom Juli 2004 entnommen. © BBC World Service 2004, Focus on Africa Magazine.