Ausländische Besucher sollen nur beste Eindrücke von dem Land erhalten
Dies ist eine Theaterkritik. Das Stück spielt auf der größten Freiluftbühne der Welt: Sie heißt "Demokratische Volksrepublik Korea", bekannt als Nordkorea. Zuschauer werden pedantisch ausgewählt. Höchstens tausend westliche Touristen dürfen jedes Jahr ins Land. Was sie zu sehen bekommen, wird seit Jahrzehnten in gleicher Form und mit identischer Rollenbesetzung gespielt.
von Hans Uldall
Das Stück heißt: "Wir sind die Besseren". Ankunft auf dem Flughafen der Hauptstadt Pjöngjang. In einem heruntergekommenen graubraunen Empfangsgebäude mit dem Charme eines Parkhauses wird unser Gepäck penibel durchsucht und durchleuchtet. Radios, Mobiltelefone, westliche Zeitschriften und Tonbandgeräte müssen wir zurücklassen. Die kleine Tupolew 154 der nordkoreanischen Air Koryo ist an diesem Tag die einzige Maschine, die gelandet ist. Jetzt zeigen Ankunfts- und Abflugtafeln nur schwarze, leere Schriftfelder an.
Die Nordkoreaner, die mit uns eingetroffen sind, tragen dunkle, elegante Anzüge und Schlips. Am Revers hat jeder einen pfenniggroßen Button mit dem Bild des neuen "Großen Führers" Kim Jong Il. Als Gepäck aus dem Ausland haben sie große Kisten mit Obst, Gemüse, Schokolade und elektrischen Wasserkochern mitgebracht. Alle machen ernste Gesichter, niemand lächelt oder lacht, keiner scheint sich zu freuen, wieder zu Hause zu sein.
Zwei Männer treten auf uns zu. Sie werden unsere vierköpfige Gruppe in den nächsten Tagen begleiten und keine Minute alleine lassen. "Herzlich Willkommen in der Demokratischen Volksrepublik Korea", sagt der eine und fügt gleich hinzu: "Wenn Sie fotografieren wollen, fragen Sie uns bitte vorher und wundern Sie sich nicht, wenn die Leute Sie anstarren. Wir haben hier nicht so viele Ausländer."
Das Stadtzentrum von Pjöngjang liegt knapp 20 Autominuten vom Flughafen entfernt. Unser silberner Toyota-Kleinbus ist das einzige Auto auf der ganzen Straße. Wir fahren vorbei an grauen Hochhaussiedlungen. Bei einigen Wohnungen fehlen die Fensterscheiben. In den Siedlungen sind keine Menschen zu sehen, keine spielenden Kinder, keine Geschäfte, keine Kneipen. Auf den staubigen Feldern zwischen den Wohnblocks schuften Landarbeiter, alle Arbeiten werden von Hand verrichtet. Traktoren gibt es in Nordkorea offenbar nur auf den Fotos der Propagandazeitschriften. Dort sind sie frisch lackiert, das Dach ist mit einer roten Fahne geschmückt.
"Der Flug muss Sie müde gemacht haben, vielleicht schlafen Sie jetzt besser", sagt einer der Aufpasser, der am liebsten die Gardinen des Busses zuziehen würde. Ausländer sollen die Armut nicht sehen. Die Zufahrt ins Innere der Hauptstadt ist hermetisch abgeriegelt. Am Checkpoint Pjöngjang-City stehen Soldaten mit automatischen Gewehren. Alle Autos müssen anhalten, die Einheimischen steigen aus und zeigen ihre Passierscheine vor. Die Soldaten gucken in die Kofferräume.
Vorhang auf, Szene eins: die Hauptstadt Pjöngjang. Hier beginnt der Bereich, den die nordkoreanische Regierung gerne ausländischen Besuchern zeigt. Sie sollen beeindruckt wieder nach Hause fahren. Als erstes fallen die großzügigen Straßen auf. Sie haben vier bis sechs Spuren und sind in ausgezeichnetem Zustand. Staus gibt es nicht - es fahren zu wenige Autos und es gibt zu wenig Benzin. Die Bewohner der Hauptstadt kleiden sich vorzugsweise in schwarze oder dunkelblaue Anzüge oder Kostüme. Und sie halten ihre Stadt peinlich sauber. Kein Papier, keine Getränkedose, keine Zigarettenkippe liegt herum, kein Kaugummi verklebt den Bürgersteig. Wir sehen aber auch keinen Kiosk oder Laden, wo man Kaugummis oder Getränke kaufen könnte. Es gibt weder Kneipen noch Bars. In den Auslagen der wenigen Geschäfte liegen nur vereinzelt Lebensmittel, das meiste ist Dekoration. Doch wo man auch hinschaut, sieht man Uniformierte.
Die Architektur überrascht uns. So viele Hochhäuser hatten wir in Pjöngjang nicht erwartet. Wir müssen uns auch erst daran gewöhnen, dass nirgendwo Leuchtreklamen oder Werbetafeln zu sehen sind. Die einzigen Farbtupfer sind die omnipräsenten Agitprop-Tafeln der Kommunistischen Partei. "Für immer", steht trotzig auf ihnen oder "Wir wollen den Genossen Kim Jong Il verehren und ihm unser Leben widmen". Lautsprecherwagen fahren durch die Straßen und verbreiten Propagandasprüche.
Wir wohnen im Yanggakdo International Hotel, auf einer Insel im Taedong-Fluss. Im Eingang prangen Marmor und Glas, überall hängen rote Wimpel mit Hammer, Sichel und Pinsel - den Symbolen der Kommunistischen Partei. Das Hotel hat ein Schwimmbad, eine Sauna und mehrere Restaurants. Das 47. Stockwerk dreht sich einmal in der Stunde um die eigene Achse; eine Bar mit Blick über die Stadt ist darin untergebracht. Auch ein Spielkasino gibt es in dem Hotel. Dessen Einrichtung ist in Goldtönen gehalten, an der Stuckdecke hängen wuchtige Kronleuchter. Ein Türsteher passt auf, dass sich kein Nordkoreaner in die Glitzerwelt einschleicht. Selbst die Croupiers sind Chinesen. Nicht mehr als 30 Gäste wohnen während unseres Besuchs in dem Hotel mit seinen 1000 Zimmern. Wer den falschen Fahrstuhlknopf drückt, landet in totaler Finsternis.
Besonders wichtig ist den Gastgebern offenbar, auch ausländischen Besuchern immer wieder Gelegenheit zu geben, dem "Großen Führer" Kim Il Sung Respekt zu erweisen. Die Ideologie des Kimismus heißt offiziell Juche (Eigenständigkeit). Als ihr Symbol flackert die "Juche-Fackel" auf einem 170 Meter hohen Turm über der Stadt. "Sechs Tage in der Woche arbeite ich und einen Tag studiere ich die Juche-Idee", behauptet einer unser Aufpasser.
Solche Führerverehrung passt eigentlich nicht mehr in das neue Jahrtausend. Aber Nordkorea ist auch noch nicht im neuen Millennium angekommen. Das wird nach dem offiziellen Kalender Nordkoreas noch etliche Jahrhunderte dauern, denn das Land befindet sich zurzeit im "Juche-Jahr" 89. Der "Große Führer" Kim Il Sung wurde im Juche-Jahr 1 geboren, was kein Zufall ist: Diese Zeitrechnung ist in Nordkorea zu Ehren Kims eingeführt worden. 1994 starb Kim Il Sung, der auch "der beste Mann, der jemals gelebt hat" genannt wird. Offiziell herrscht er noch immer, da er "Präsident für immer" ist. Über 30.000 Statuen und Monumente des "Lieben Führers" sind über das Land verteilt. Vor den größeren müssen sich auch ausländische Gäste in einer Reihe aufstellen und mit möglichst trauriger Miene verbeugen und Blumen niederlegen.
Die heiligste Pilgerstätte ist das Führermausoleum im ehemaligen Präsidentenpalast. Nur besondere Gäste dürfen Kim Il Sung hier Respekt zollen. Ein Gebläse pustet uns vor dem Betreten der heiligen Stätte den Straßenstaub von der Kleidung, rotierende Bürsten reinigen die Schuhe. Nach einer Verbeugung vor einer Statue dürfen wir den düsteren Reinraum betreten, in dessen Mitte der tote Präsident in einem Glaskasten aufgebahrt ist. An jeder Seite stehen ausgewählte andächtige Koreaner, aus dem Hintergrund kann man wimmernde Frauen hören, professionelle Klageweiber, die ganztags für traurige Atmosphäre sorgen sollen.
Nach Kim Il Sungs Tod wurde sein Sohn Kim Jong Il zum Vorsitzenden der Verteidigungskommission und Generalsekretär der KP ernannt - die neue Nummer eins wird ewig die Nummer zwei im Schatten des Vaters sein. Die Geburtstage beider Kims werden mit tagelangen Festen begangen, das Volk erhält Einkommenserhöhungen, zu runden Geburtstagen auch mal eine Straßenbahn oder 50.000 Wohnungen. In jedem Wagon der U-Bahn hängt ein Bild des "Großen Führers" und seines Nachfolgers. Es gibt eigenartige Pflanzenzüchtungen, die nach den beiden Kims benannt sind (Kimilsungia und Kimjongilia). Und in der Bowlingbahn im Stadtzentrum kann man unter einem Glaskasten auf einem blumengeschmückten Altar die Kugel bestaunen, mit der Kim Il Sung seinerzeit alle Kegeln abräumte - selbstverständlich mit einem Wurf. Jeder nordkoreanische Schüler muss während seiner Schulzeit den 400 Kilometer langen Gewaltmarsch zurücklegen, den Kim Il Sung als kleiner Junge angeblich auf der Suche nach seinem Vater gelaufen ist.
Auch beim Besuch des "Großen Studienpalastes des Volkes" treffen wir im Foyer auf eine überlebensgroße Statue Kim Il Sungs. "Bitte", sagt unser Begleiter, "hier können Sie dem Lieben Führer Respekt zollen." Wir meißeln uns eine Trauermiene ins Gesicht und verbeugen uns stumm in einer Reihe. Extra für uns wird die Rolltreppe angeschaltet und wir fahren in die plastähnliche Bibliothek im ersten Stock. Sie enthalte 30 Millionen Bände, versichert einer der Begleiter. 12.000 Studenten sollen hier pro Tag arbeiten können, das Gebäude umfasse 100.000 Quadratmeter Grundfläche. Nordkorea beeindruckt gerne mit Zahlen.
Doch ab und an fällt auch ein Blick hinter das Bühnenbild des großen Theaters - trotz der Regie der staatlichen Reiseführer und Kulissenschieber. Hier stoßen wir auf den ersten Regiefehler: An der Buchausgabe sollen wir die kleine Eisenbahn bestaunen, mit der die Bücher aus dem Magazin angeliefert werden. Gerade bestellt ein Uniformierter Bücher, die bereits nach wenigen Sekunden auf einem kleinen Wagon aus dem Magazin angebraust kommen: "Fusions-Reaktor-Design" und "Internationale Marketing-Strategien" in englischer Sprache. Es scheint, als sei der Unterschied zu anderen Universitäten nicht so groß. Doch als wir den Soldaten auf Englisch ansprechen, versteht er uns nicht. Wie soll er da die Bücher lesen können? Und was studiert der Mann, der sich so unterschiedliche Literatur ausleiht? Und wieso kamen die Bücher aus dem 30-Millionen-Bände-Archiv schon nach wenigen Sekunden an? Andere Besucher erzählen uns später, dass man ihnen dieselben Bücher gezeigt habe.
Zwar mag auch die asiatische Sitte, dem Gast nur das Beste zu bieten, dazu beigetragen haben, dass uns Potemkinsche Dörfer vorgeführt werden. Aber zur Regie passt nicht, dass mehrmals am Tag der Strom ausfällt, was manchmal gerade dann geschieht, wenn die Gastgeber uns etwas besonders Eindrucksvolles zeigen wollen. Und "was nützt es uns, ein Krankenhaus zu besichtigen, wenn vorher alles frisch gestrichen wird, die kaputten Fensterscheiben ausgewechselt werden und ausnahmsweise die Heizung angeworfen wird?", kommentiert eine Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation, die ihren Namen lieber nicht veröffentlicht sehen möchte.
Mit den Tagen blättert die Fototapete immer mehr ab. Zwar sind keine bettelnden und hungernden Menschen zu sehen, wie wir erwartet hatten - nicht direkt jedenfalls. Aber in dem kleinen Park vor dem Studienpalast sammelt eine Frau im eleganten Kostüm Gräser und Wurzeln in eine Plastiktüte. Als sie uns sieht, verschwindet sie schnell. Mehr über das Alltagsleben der Menschen hier zu erfahren, ist uns allerdings nicht möglich. Während unseres einwöchigen Besuchs unterbinden unsere Aufpasser jeden näheren Kontakt zu Einheimischen.
Im Katastrophenjahr 1995 hatten schwere Überschwemmungen und Ernteausfälle eine Misere ausgelöst, von der sich Nordkorea noch immer nicht erholt hat. Laut Regierungsangaben sind seit 1995 über 220.000 Menschen an den Folgen des Hungers umgekommen. Westliche Experten sprechen allerdings von bis zu vier Millionen Todesopfern bei 22 Millionen Einwohnern. Niemand kennt die genaue Zahl. Der Frühsommer ist die schlimmste Zeit. "Die staatlichen Ausgabestellen für Lebensmittel können momentan nur noch 150 Gramm minderwertige Nahrung pro Kopf und Tag verteilen, 500 Gramm sind eigentlich das Minimum", sagt Peter Smerdon vom Welternährungsprogramm (WFP) der Vereinten Nationen. Wer keine Verwandten auf dem Land habe, sei in ernsthafter Gefahr. Acht Millionen Menschen habe das Welternährungsprogramm im vergangenen Jahr in Nordkorea durchgefüttert.
Um zumindest das Gefühl vom Essen zu vermitteln, hat die Regierung "Alternative Lebensmittel" entwickelt. Etwas Mais und Getreide werden mit Gras, Heu und Laub verkocht und zu braunen Nudeln verarbeitet, ein fast nährstoffloser Fraß, der im besten Fall den Magen füllt. Im schlimmsten Fall macht er ihn kaputt. Die Hospitäler des Landes sind voll mit kleinen Kindern und alten Menschen, die das "alternative" Essen krank gemacht hat.
Hungersnot? "Nein, das ist vorbei", sagt der Aufpasser der Reisegruppe. "Die Regierung hat viel Energie in die Produktivitätssteigerung der Landwirtschaft gesteckt." "Das stimmt nicht ganz", korrigiert später einer der wenigen ausländischen Korrespondenten, die das Land hineinlässt. "Zwar hat jeder etwas zu essen, aber niemand hat genug." Selbst die zentrale koreanische Nachrichtenagentur verbreitete im Juli eine Erklärung, dass wegen des schlechten Wetters in diesem Jahr mit weiteren Ernteeinbrüchen zu rechnen sei.
In Pjöngjang herrscht Weltuntergangsstimmung. Niemand schlendert durch die Stadt, man sieht keine Liebespaare, niemand sitzt herum. Jeder bewegt sich wie auf Schienen schnurgerade dahin. An den Bushaltestellen stehen 200 bis 300 Menschen lange Zeit in Schlangen an. Alle scheinen das geduldig hinzunehmen, niemand drängelt oder beschwert sich. "Dazu ist die Gesellschaft zu organisiert", kommentiert ein sehr diplomatischer Diplomat. Lange Zeit hat die Regierung sogar die Benutzung von Fahrrädern reglementiert. Mobilität mit Hilfe eines Fahrrads ist offenbar als ein Stück Freiheit betrachtet worden, die die völlige Kontrolle durch den Staat gefährdet. Inzwischen sieht man jedoch einige Radfahrer in der Stadt.
Der Kalte Krieg ist in Korea noch nicht beendet. Deshalb gehört auch ein Besuch der demilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea zum obligatorischen Programm. Der Weg dorthin führt durch eine Art riesiges Heerlager. Alle 50 Kilometer blockieren Straßensperren des Militärs die einzige Autobahn des Landes. Auf den Berggipfeln stehen Maschinengewehrstände, Feldhaubitzen und Flakgeschütze. Aus jeder Baumgruppe lugt ein Panzerrohr hervor. Fast alle Hügel haben solide zementierte Tunneleingänge und an der Straße stehen in regelmäßigen Abständen hohe meterdicke Säßulen aus massivem Beton. Am Fuß der Säen sind deutlich Einbohrungen für Sprengladungen zu erkennen. Im Ernstfall sollen die gesprengten Säáulen gegnerische Panzer aufhalten. "Verlassen Sie den Weg nicht. Minenfelder", warnt ein nordkoreanischer Offizier. Seit der Krieg zwischen Nord- und Südkorea im Jahr 1953 mit einem Waffenstillstand beendet wurde, ist es hier immer wieder einmal zu Schusswechseln gekommen, für die beide Seiten sich gegenseitig die Schuld gegeben haben. Was wir hier sehen, so wird uns klar, ist kein Theater.
aus: der überblick 03/2000, Seite 86
AUTOR(EN):
Hans Uldall:
Hans Uldall (e-mail = mailto:Hans.Uldall@gmx.net) ist freier Autor und schreibt vorwiegend über Asien.