Der Maji-Maji-Aufstand von 1905 bis 1907
Im Jahr 2005 wird des Maji-Maji-Aufstands gegen die deutschen Kolonialherren in Deutsch-Ostafrika gedacht. Mit Massenhinrichtungen, einer Politik der verbrannten Erde und Aushungerung der Bevölkerung ging das Kolonialregime gegen die Aufständischen vor. In Tansania und Deutschland wird auf verschiedene Weise an die Vergangenheit erinnert. Die Aufarbeitung der Geschichte orientiert sich nicht zuletzt an heutigen Interessen.
von Jamie Monson
Seit Beginn des Jahres 2005 haben die Deutschen in feierlichen Zeremonien des 60. Jahrestags der Befreiung Ausschwitzs und der Bombardierung Dresdens durch die Alliierten gedacht.
Schon ein Jahr zuvor wurden sie an ihre Kolonialvergangenheit erinnert: Der Völkermord an den Herero und Nama jährte sich zum einhundertsten Mal. Die Gräueltaten in der damaligen Kolonie DeutschSüdwestafrika wurden dabei von Wissenschaftlern als Vorläufer des Holocaust interpretiert.
In diesem Jahr steht der deutsche Kolonialismus erneut auf der Tagesordnung: Vor 100 Jahren, im Juli 1905 kam es in Deutsch- Ostafrika zu einem Aufstand gegen die koloniale Macht. Der Krieg zog sich bis 1907 hin und hat 100 000 bis 200 000 Afrikaner das Leben gekostet, die Überlebenden wurden aus ihren Dörfern vertrieben und ihre Landwirtschaft zerstört. Obwohl in diesem Aufstand weit mehr Menschen umgekommen sind und er weit mehr Zerstörung gebracht hat als die Ereignisse in Namibia, ist er im Bewusstsein der Deutschen kaum vorhanden. Nur eine Handvoll Gedenkereignisse sind 2005 in Deutschland geplant.
Anders in Afrika. Afrikanische Historiker halten den Maji-Maji-Aufstand für einen der wichtigsten bewaffneten Kämpfe gegen den europäischen Kolonialismus. Die Bedeutung von Maji-Maji liegt für die Afrikaner in seinem beispiellosen Ausmaß und in der Fähigkeit seiner Führer, weit zerstreut lebende Menschen in einer Massenbewegung zu vereinen. Der Maji-Maji-Aufstand bildet die legendäre Grundlage, auf die sich die Führer nationaler Befreiungsbewegungen sowie unabhängige Staaten später beriefen.
An den Krieg wird auch wegen seiner schrecklichen Zerstörungskraft erinnert. Der weit verbreitete Hunger und die Entvölkerung, die dem Maji-Maji-Aufstand folgten, werden mit verantwortlich gemacht für die anhaltenden Probleme von Armut und Unterentwicklung, welche das südliche Tansania bis heute plagen.
Bislang haben die Tansanier (anders als die Herero in Namibia) von Deutschland keine Entschädigung für die Verluste gefordert, die sie während und nach Maji-Maji erlitten haben. Kürzlich jedoch hat ein tansanischer Journalist eine ungewöhnliche Forderung nach Wiedergutmachung gestellt – nicht an Deutschland, sondern an die Tansanier selbst. Seine Argumentation stützt sich nicht auf den Opferstatus der Menschen im südlichen Tansania, sondern auf ihren Status als Helden. Sie haben ihr Blut vergossen und heroisch gegen die koloniale Unterdrückung gekämpft, lautet sein Argument. Doch gerade diese Gruppen, die im Jahre 1905 ihre Waffen gegen die Deutschen gerichtet haben, würden heute vom Staat hinsichtlich Entwicklung und Fortschritt vernachlässigt. Maji-Maji dürfe deshalb nicht nur mit Denkmälern gedacht werden, sondern auch mit der Verpflichtung, Entwicklung im Süden Tansanias zu finanzieren. Er fordert also die Regierung von Tansania ebenso wie die internationalen Geber auf, das Gedenkjahr so zu begehen, dass sie Entwicklungsmaßnahmen fördern.
Die Tansanier feiern 100 Jahre später den Maji-Maji-Aufstand auf verschiedene Weise. Der Staat sieht den Krieg weiterhin als einen Vorläufer des nationalen Befreiungskampfes an; die Geschichte vom Maji-Maji bleibt als nationales Epos ein fester Bestandteil des Schulunterrichts. In einigen Gegenden erinnern sich die Menschen im Süden mit Bitterkeit des Kriegs. Sie denken an die Verluste, welche die lokalen Gemeinden damals erlitten haben, und assoziieren das mit dem Mangel an Modernität und Fortschritt in der Gegenwart. An vielen Orten hat das Gedenken an den Krieg ein merklich lokales Kolorit. Der Geschichtsverband im Songea-Bezirk hält einen feierlichen Jahrestag ab, um der heroischen Rolle der Ngoni-Häuptlinge im Kampf gegen die Deutschen und ihres anschließenden Todes am Galgen zu gedenken. Dörfer im Kilwa-Bezirk, rund 100 Kilometer südlich von Dar es Salaam, wetteifern darum, der Ort des ersten Ausbruchs des bewaffneten Widerstands gewesen zu sein – in der Hoffnung, dass eine entsprechende Anerkennung ihnen Besuche von Staatsoffiziellen sowie internationalen Touristen und damit wirtschaftlichen Nutzen einbringt.
In Deutschland andererseits muss das Gedenken an Maji-Maji überhaupt erst Breitenwirkung entfalten. Inmitten der schmerzhaften Erinnerungen an 1945 werden die Ereignisse von 1905 bis 1907 in Ostafrika allzu leicht übersehen. Nicht nur das: Die Erinnerung an die deutschen Kolonialkriege in Afrika bleibt eine Herausforderung für diejenigen Deutschen, die immer noch glauben, dass sie – anders als die Briten und Franzosen – unbelastet von imperialistischer und kolonialer Vergangenheit seien. Doch das setzt voraus, dass die deutsche Bevölkerung besser über diesen Teil ihrer Geschichte informiert wird.
Der Maji-Maji-Aufstand war ein gewaltsamer Konflikt, der in weiten Teilen des südlichen Deutsch-Ostafrika zwischen 1905 und 1907 stattfand. Nach den meisten Darstellungen begann die Auseinandersetzung am 30. Juli an der Südküste, als bewaffnete Gruppen von den Matumbi-Hügeln die kleine Küstensiedlung Samanga angriffen. Die afrikanischen Streitkräfte hatten es anfänglich auf die Läden und Häuser der indischen Händler und arabischen Pflanzer sowie auf die deutsche Militärstation in Kibata abgesehen. Diese ersten Angriffe wurden von deutschen Polizeikräften, die an der Küste stationiert waren, zurückgeschlagen. Als aber Nachrichten von weiteren Unruhen in den Matumbi-Hügeln zu den Militärbehörden in Dar es Salaam drangen, sandten diese ihre Schutztruppen mit Maschinengewehren auf Dampfschiffen südwärts nach Kilwa. In den folgenden Wochen bekämpften Afrikaner und Deutsche einander in zahlreichen gewaltsamen Scharmützeln, die ein weites Gebiet von Dar es Salaam bis an die Grenze zu Mosambik und vom Indischen Ozean westwärts bis in das südliche Hochland umfassten.
Während der Begriff »Maji-Maji-Aufstand« ein einziges Ereignis bezeichnet, wird der Krieg präziser als ein Prozess gedeutet, der in verschiedenen geographischen Gebieten und lokalen Zusammenhängen stattfand. Es waren lokale wie regionale Missstände, welche die Menschen dazu veranlassten, sich gegen die deutsche Kolonialherrschaft zu erheben. Die Hauswirtschaften und das ländliche Farmsystem waren durch die koloniale Arbeitspolitik destabilisiert worden. Das auf den Vertrieb von Kautschuk und Elfenbein gestützte Handelssystem wurde an der Küste und entlang der Karawanenrouten von Kilwa über Liwale nach Songea zerstört. Verordnungen zum Schutz des Waldes beschnitten den Zugang der Afrikaner zu Kautschuk und anderen lebenswichtigen Produkten, und Jagdbeschränkungen hinderten die Menschen in den Dörfern daran, Ernteräuber, etwa Warzenschweine zu bekämpfen. Ferner entzog die Politik der kolonialen Verwaltung einigen lokalen Führern Macht und Autorität, während mit anderen Bündnisse geschlossen wurden. Die Besteuerung in Form von Abgaben an Gütern und Geld übte sowohl auf die lokalen Produzenten als auch auf die afrikanischen Verwalter, die für ihre Erhebung verantwortlich waren, Druck aus.
Im Rufiji-Bezirk im Süden des heutigen Tansania, wo der Konflikt seinen Fortgang nahm, mussten die ländlichen Gemeinden bereits Anfang des 20. Jahrhunderts Hunger leiden. Die deutschen Kolonialherren ließen Arbeitskräfte auf so genannten Kommunalfarmen Baumwolle pflanzen und setzten sie zum Straßenbau ein. Dadurch fehlten den Bauern Arbeitskräfte für die Nahrungsproduktion. Im Norden des Bezirks zogen die Männer in großer Anzahl als Wanderarbeiter aus, um sich beim kolonialen Eisenbahnbau und auf den Plantagen der Europäer zu verdingen. Frauen und Kinder blieben mit der Verantwortung zurück, Feldfrüchte anzubauen, ihre Felder vor Wildtieren zu schützen und zu ernten.
Der Bedarf der Deutschen an Arbeitskräften hatte auch politische Konsequenzen: Die jumees, die lokalen Herrscher, welche bis dahin die Gemeindearbeit organisiert hatten und von den Herr-Knecht- Verhältnissen profitierten, sahen ihre Macht schwinden. Insofern erlebten die Dorfbewohner und Dorfoberhäupter bereits in den Jahren vor Ausbruch des Krieges, wie Haushalte und Gemeinden verarmten und auseinander fielen.
In den Gebieten des Südens gab es entlang der Küste und im Hinterland zusätzliche Missstände, welche die Menschen dazu brachte, sich im Widerstand gegen die deutsche Herrschaft zu vereinen. Wie im Rufiji-Bezirk wurden auch die Menschen im Süden und Osten zur Zwangsarbeit rekrutiert – nicht nur auf den Baumwollplantagen im Kilwa-Hinterland, sondern auch als Kautschuksammler. So fehlten in den Dörfern Arbeitskräfte für die Nahrungsproduktion in der eigenen Landwirtschaft. Die Frauen mussten nun allein das Land bearbeiten. Um Liwale herum kontrollierten die deutschen Behörden die wilde Kautschuk-Gewinnung, was die lokalen und regionalen Kautschuk-Handelswirtschaften beeinträchtigte. Im Gefolge deutscher und arabischer Handelsgesellschaften suchten fremde Händler ihr Glück im Kautschukgürtel, was den traditionellen Handel ebenfalls unter Konkurrenzdruck setzte. Im Mahenge-Bezirk wurden zudem zwischen 1902 und 1905 der Straßenbau und die Steuereintreibung mit Zwangsmaßnahmen eingeführt.
In der Region des südlichen Hochlands, vor allem in Songea, machte sich die Unzufriedenheit mehr an der politischen Verwaltung der Deutschen fest. Die Ngoni-Häuptlinge oder nkosi in Songea hatten Mitte des 19. Jahrhunderts eine zentralisierte politische Herrschaft etabliert. Sie waren bekannt für ihre Überfälle in Regionen außerhalb ihrer Grenzen. Die Ngoni schlossen sich dem Maji-Maji-Aufstand an, weil sie ihre wirtschaftliche, politische und rechtliche Macht verloren hatten, als sie sich Ende der 1890er Jahre der deutschen Herrschaft unterwarfen. Die Beteiligung der Ngoni am Maji-Maji-Aufstand wird deshalb von einigen Historikern auch als ein »zeitversetzter Widerstand« von Häuptlingsklassen gegen die koloniale Inbesitznahme bezeichnet.
So gab es also je nach regionalem Kontext und Örtlichkeit Unterschiede in der politischen Herrschaft und den ökonomischen Bedingungen. Das wiederum bestimmte die afrikanischen Antworten auf die deutsche Herrschaft und die Teilnahme am Maji-Maji-Aufstand. Nicht alle Afrikaner beteiligten sich am Widerstand. In einigen Gebieten wie dem Mahenge-Bezirk hatten die Deutschen Verbündete, die auf ihrer Seite kämpften. In Songea nahmen einige den Deutschen gegenüber freundlich gesinnte Führer Zuflucht in deren Fort, und nach dem Aufstand wurden sie neue Verwalter für die koloniale Herrschaft. In Kriegsberichten heißt es, dass die militärischen Führer an den einzelnen Orten ihre Anhänger oft mit Zwangsmaßnahmen zur Teilnahme an dem Krieg bewegt hätten.
Die deutschen Schutztruppen antworteten auf die Maji-Maji-Rebellion mit verschiedenen Taktiken. Auf dem offenen Schlachtfeld, als zum Beispiel das deutsche Fort bei Mahenge angegriffen wurde, antworteten die Deutschen mit Maschinengewehren und Gewehrfeuer. In allen Aufstandsgebieten verhafteten und exekutierten sie sowohl die Anführer als auch die Teilnehmer der Rebellion. In den betroffenen Dörfern wird dieser Hinrichtungen noch lebhaft gedacht, die Bewohner kennen immer noch die entsprechenden Stellen etwa der Mangobäume in Kilwa und Mohorro, an denen die Maji-Maji-Krieger erhängt wurden. Die Stelle in Songea, an der zahlreiche Ngoni-Führer zwischen Februar und September 1906 gehängt wurden, gehört zu den wichtigsten Gedenkstätten. Bewohner des Njombe-Bezirks kennen noch den Platz in Utengule, auf dem die Maji-Maji-Teilnehmer vor einem Graben in einer Reihe aufgestellt, erschossen und dann verbrannt wurden.
Die Überlieferung dieser dramatischen und öffentlichen Formen der Unterdrückung des Maji-Maji sind in den einzelnen Gemeinden noch lebhaft. Historiker betonen aber, dass die Verwüstung und der Hunger infolge der Politik der verbrannten Erde die auf Dauer schwerste Erblast der deutschen Militärstrategie sei. Diese Politik bahnte sich schon zu einem frühen Zeitpunkt des Aufstands an, als die deutschen Schutztruppen Dörfer und Siedlungen, durch die sie zogen, zur Selbstversorgung plünderten. Dabei sandten sie ihre afrikanischen Soldaten (askari) und Söldner (ruga ruga) aus, um diese Arbeit zu verrichten. Während des Krieges verließen Tausende von Einwohnern der Südregion ihre Felder und Häuser und flüchteten in die umliegenden Wälder und Höhlen. Dort waren sie vor Zwangsrekrutierung als Arbeitskräfte und Raub von Nahrungsmittel seitens beider Kriegsparteien sicher. Als sich die afrikanischen Streitkräfte – besonders im Songea-Bezirk – in den letzten Kriegsmonaten zunehmend auf die Guerillakriegsführung verlagerten, verfolgten die Deutschen gezielt eine Strategie des Aushungerns. Ein alter Mann aus dem Songea-Bezirk, Mzee Rashidi Katungai, erinnerte sich: »Die Deutschen befahlen ihren Soldaten, herumzugehen und alle Nahrungsmittel zu verbrennen, die sie finden konnten. So entstand eine große Hungersnot. Es sind mehr Menschen an Hunger als an dem Krieg gestorben.«
Die Gesamtzahl der Toten im Zusammenhang mit dem Maji-Maji ist unbekannt, die Meinungen gehen dabei weit auseinander. Gilbert Gwassa, der bedeutendste tansanische Kriegshistoriker, schätzt, dass es während des Krieges und danach bis zu 300.000 Opfer gab, ein Drittel der damaligen Bevölkerung. Deutsche Quellen sind da weit konservativer und sprechen von 75.000 bis 100.000 Toten. In jedem Fall waren die Verluste auf deutscher Seite weit geringer: Nur 15 Europäer und um die 400 afrikanische Soldaten sind in den Gefechten gefallen. Die meisten Historiker stimmen darin überein, dass in die Zahl der Todesopfer der Rebellion nicht nur die in der Schlacht Gefallenen in Rechnung genommen werden müssen, sondern auch diejenigen, die hinterher an Hunger und in Folge von Vertreibung starben. Ein britischer Wissenschaftler fand heraus, dass die Fruchtbarkeit der Frauen im Ulenga-Bezirk infolge von Hunger und Not um bis zu 25 Prozent niedriger war, was die Bevölkerungszahl nach dem Krieg zusätzlich reduzierte.
Die Bedeutung des Maji-Maji-Aufstandes ist unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet worden. Das tansanische Nationalepos sieht in der Rebellion die Stärke des afrikanischen Widerstands gegen die koloniale Unterdrückung durch eine stammesübergreifende Einigkeit. Die Einheit wurde durch dynamische Führer der verschiedenen Volksgruppen erreicht, welche neue Formen von antikolonialem Widerstand entwickelten.
Doch dieselben Mechanismen, die im nationalen Heldenepos von Maji-Maji als innovativ betrachtet werden, wurden während des Krieges von den Deutschen als primitiv und atavistisch charakterisiert. Das gilt etwa für die Zaubermedizin, nach der der Konflikt benannt wurde. Maji Maji betont als zentrales Element ein Wunderwasser, das zum Schutz und für die Abwendung von Ungemach benutzt wurde. Erste Nachrichten, die nach Ausbruch der Feindseligkeiten auftauchten, beschrieben dieses Zaubermittel. Es sollte das Wachstum von Feldfrüchten fördern, gegen Hunger schützen und die Fruchtbarkeit der Böden erhöhen. Weit mehr Anerkennung hat das Mittel in den populären Versionen des Konflikts durch eine weitere Wirkung gefunden: Angeblich konnte es Kugeln in Wasser verwandeln und damit die Waffen des Feindes wirkungslos machen. Das heilige Wasser wurde durch Boten des Propheten Kinjikitile verteilt, um so ein gemeinsames Vorgehen gegen die Deutschen zu bewirken.
Angesichts der Komplexität der Gründe, die zum Krieg führten, erklärten die deutschen Beobachter und politischen Kommentatoren die Ereignisse mit Argumenten, die ihrer eigenen Kolonialpolitik entsprachen, ob sie nun den Maji Maji als eine primitive »Medizinmann-Verschwörung« bezeichneten (so der Kaiserliche Gouverneur Gustav Adolf Graf von Götzen) oder als eine Antwort auf den Besteuerungsdruck (so die Theorie von Wilhelm Arning einem politisch liberal eingestellten Feldarzt, der die deutschen Truppen begleitete). Sowohl innerhalb der Kolonie als auch in Deutschland wurde heftig darüber diskutiert, wie der Krieg zu verstehen war. Von Götzen theoretisierte darüber, dass die Hauptkonsequenz der deutschen Herrschaft die Entmachtung der traditionellen Dorfoberhäupter war. Seiner Ansicht nach hatten diese aus Verärgerung ihre Zauberer oder Medizinmänner mobilisiert und sie dazu benutzt, die Menschen mit abergläubischen Praktiken gegen die Kolonialregierung aufzuwiegeln. Arning andererseits glaubte, dass »Mittelsmänner, Schlangenbeschwörer, Zauberer und der ganze Rest« irrelevante Einbildungen der deutschen Behörden gewesen seien, um von ihrer eigenen, Unmut erzeugenden Rolle abzulenken, insbesondere der Besteuerung und der Zwangsarbeit.
Die meisten deutschen Interpretationen folgten von Götzens »Medizinmann«-Linie und betonten deren Rolle bei der Mobilisierung von Opposition gegen die deutsche Herrschaft.
Weissagungen und Wundermittel hatten während des Maji-Maji-Konfliktes eine nicht mindere Bedeutung als in der Vergangenheit in Zeiten von Krieg und Unsicherheit, wenn die Menschen Führung und Schutz benötigten. Im Maji-Maji-Konflikt gab es mannigfache aus lokalen Ursprüngen stammende Wundermittel. Daneben bestanden Zentren für Heilmittelanwendung, die weithin bekannt waren und während des Maji-Maji-Konfliktes eine größere Rolle spielten. Entweder zogen sie Pilger aus anderen Gebieten an oder sie verbreiteten ihre Schutzpraktiken auch anderswo.
In den Ngindo-Gebieten und auch in Songea wurden die Zaubermittel von Militärführern ausgehändigt, um ihre Mitstreiter auf die Schlachten vorzubereiten. Die Mittel wurden auch zum Schutz derer verabreicht, die durch den Krieg gefährdet waren, vor allem Frauen und Kinder. Laut tansanischen Historikern verabreichten die Führer die Heilmittel auch unter Zwang, um die Truppen zu mobilisieren und sich ihrer Loyalität während des Konfliktes sicher zu sein. Dies war eine wichtige Strategie in der Kriegsführung in Ostafrika, wo unzuverlässige Anhänger sich absetzen und auf die andere Seite überlaufen und damit ihre Loyalität wechseln konnten. Im Songea-Bezirk zum Beispiel zwangen die nkosi unter Androhung von Todesstrafe ihre Anhänger dazu, die »Medizin« einzunehmen. Ein Alter erinnerte sich: »Niemand wagte sich zu weigern, das Wasser einzunehmen, denn das hätte Gefahr für sein eigenes Leben bedeutet.«
Während des Maji-Maji-Aufstandes selbst fanden in Deutschland Debatten über seine Bedeutung und die Folgen für den deutschen Kolonialismus in Ostafrika statt. Diejenigen, die aus politischen und ökonomischen Gründen gegen die Kolonisierung waren, stürzten sich auf den Maji Maji als Beweis entweder für die Übergriffe der Regierung oder für die unerschwinglichen Kosten der Kolonisierung. Die deutsche Wissenschaftlerin Sonja Mezger hat aufgezeigt, dass der Maji-Maji-Aufstand ein Thema in konkurrierenden Leitartikeln der Zeitungen war, die entweder die Interessen der Arbeiterklasse widerspiegelten, indem sie die Auswirkungen des Kapitalismus anprangerten, – oder die der Mittelklasse, indem sie die Exzesse der deutschen Herrschaft aus humanitären Gründen kritisierten.
In Tansania fand eine unterschiedliche Rezeption des Maji Maji nach der Niederwerfung der Rebellion statt. Laut dem Historiker John Iliffe warfen sich die Gruppen im Süden anschließend gegenseitig vor, solch eine unmögliche und verheerende Bewegung initiiert zu haben. Die Kriegsführer, besonders der als Prophet betrachtete Kinjikitile, welcher der Erste gewesen sein soll, der gegen die Deutschen mobilisiert hatte, wurden als Betrüger bezeichnet. Gebildete Leute, vor allem diejenigen, die mit Missionen in Verbindung standen, nutzten das Vermächtnis von Maji Maji als Argument um zukünftigen bewaffneten Widerstand gegen den Kolonialismus zu diskreditieren.
Im Gedenkjahr 2005 wird sich einmal mehr der Bedeutung des Maji-Maji-Aufstandes erinnert, es wird diskutiert und neu interpretiert. Auch in Deutschland knüpft heutzutage – wie damals in Deutsch-Ostafrika – das Gedenken an Debatten über aktuelle Fragen an. Wie der Herero-Krieg von 1904 wird auch der Maji-Maji-Aufstand als ein Stadium innerhalb der längerfristigen Genealogie von Gewalt in der deutschen Geschichte diskutiert. Auf der Konferenz über die Formen, Ursachen und Konsequenzen von Völkermorden, die im Januar 2005 in Berlin stattfand, wurde deutlich, dass viele Teilnehmer hofften, dass mit der Erinnerung an die deutschen Kolonialkriege die späteren deutschen Gräueltaten des Holocaust besser zu verstehen seien.
Aktivisten der Anti-Globalisierungsbewegung warnen, dass der Kolonialismus oder der Neokolonialismus in Form von Globalisierung auch im heutigen Deutschland weiterlebt. Sie sehen gedenkende Wachsamkeit als einen wichtigen Bestandteil antikolonialer politischer Bewegungen. Die Geschichte des Maji-Maji-Aufstandes liefert ihnen in diesem Zusammenhang den Beleg für das Erbe deutscher Ausbeutung wie auch für die Gefahr ihrer Wiederkehr.
Andere Menschen in Deutschland sehen das Gedenken als Beitrag zur zukünftigen deutsch-tansanischen Freundschaft. Die größte im Jahr 2005 in Deutschland geplante Veranstaltung wird im November in Berlin stattfinden. Dort werden Organisationen, die mit Missionsgeschichte beschäftigt sind, zusammen mit der Deutsch-Tansanischen Freundschaftsgesellschaft eine Konferenz abhalten. Die Konferenz wie die beteiligten Organisationen betonen den Dialog, wollen historische Fakten aufdecken und Deutsche und Tansanier miteinander versöhnen. Sie hoffen, den Standpunkt sowohl der Kolonisierten als auch der Kolonisatoren darstellen zu können. Beim gemeinsamen Gedenken werden Deutsche und Tansanier zweifellos auch über ihr gegenwärtiges und zukünftiges Verhältnis reflektieren. In Tansania erfordert das Gedenken an den Maji-Maji indessen ein permanentes wissenschaftliches Umdenken. Ein Historikerteam der Universität von Dar es Salaam hat gemeinsam mit Kollegen von der Tumaini-Universität in Moshi und internationalen Experten die Geschichte des Maji-Maji-Aufstandes neu interpretiert. Zu dem Projekt gehörten Interviews, Ortsbesuche und auch archäologische Untersuchungen an den Stätten, die am stärksten in den Konflikt involviert waren. Der Historiker Bertram Mapunda, Direktor des Fachbereichs für Geschichte an der Universität Dar es Salaam, meinte in einem Interview für den Carnegie Report vom Herbst 2004: »Die Deutschen würden uns gerne glauben machen, dass es eine Horde Wilder gab, die barbarische Handlungen gegen sanftmütige weiße Menschen begangen haben. Wir müssen aber die grausamen und barbarischen Handlungen untersuchen, welche die Deutschen gegenüber den Afrikanern verübten. Wir konzentrieren uns auf die afrikanische Perspektive. Ich sehe diesen Trend als eine Rückgewinnung unserer Geschichte und unseres Erbes.«
Vielleicht ist dies das Wichtigste am Gedenken – es ermutigt uns, vergangene Ereignisse und Prozesse neu zu betrachten und sie zu überdenken. Es erlaubt uns, die Art und Weise zu überprüfen, wie solcher Ereignisse an anderer Stelle und zu anderen Zeiten gedacht wurde. Wie die Beispiele der Universität von Dar es Salaam und der Deutsch-Tansanischen Freundschaftsgesellschaft gezeigt haben, kann gemeinschaftliches Erinnern ein dynamischer und fruchtbarer Weg sein, das Erbe des Maji-Maji-Aufstandes sowie seine zukünftige Bedeutung zu betrachten.
Literatur:
aus: der überblick 02/2005, Seite 44
AUTOR(EN):
Jamie Monson
Jamie Monson ist »Associate Professor of History« am »History Department« des Carleton College in Northfield, Minnesota, USA. Zur Zeit forscht sie am Wissenschaftskolleg in Berlin zur Geschichte Tansanias.