Die Bindungen lassen nach
Einst haben die Juden in den USA wesentlich dazu beigetragen, dass der Staat Israel gegründet werden konnte. Danach haben sie über Jahre hinweg Israels Politik unterstützt und jede Kritik daran als unmoralisch betrachtet. Das änderte sich, als in Israel der Likud-Blocks an die Macht kam und der Intifada-Aufstand in den besetzten Gebieten ausbrach; die politischen Lager spalteten sich, und die Juden in den USA wurden selbstbewusster. Seither sind viele jüdische Amerikaner nicht mehr bereit, die israelische Regierung bedingungslos zu unterstützen.
von Steven Rosenthal
Paradoxe und Widersprüche kennzeichnen das Verhältnis der in den USA lebenden jüdischen Diaspora zu Israel – selbst im Vergleich zur übrigen jüdischen Geschichte. In der Ära, die der Staatsgründung vorausging, hatte zwar der Zionismus wenig Bedeutung für die amerikanischen Juden, doch wurde die Geburt des Judenstaates erst möglich dank ihrer unablässigen Bemühungen, Spenden zu sammeln und politische Unterstützung zu leisten. Niemals haben Bürger eines Landes sich so für den Erfolg eines anderen Landes eingesetzt wie die amerikanischen Juden für Israel. Doch trotz all ihrer Unterstützung für Israel, ja ihrer Besessenheit, haben die amerikanischen Juden kaum direkten Einfluss auf die Politik des jüdischen Staats gehabt. Ihr Einfluss bestand im Wesentlichen in ihren äußerst erfolgreichen Anstrengungen, die aufeinander folgenden US-Regierungen dazu zu bringen, die Politik Israels zu unterstützen. Paradoxerweise konnten die amerikanischen Juden erst dann einen gewissen Einfluss auf die Politik Israels ausüben, als sie von ihrer extremen und einheitlichen Unterstützerhaltung Abstand genommen hatten.
Das Verhältnis der jüdischen Diaspora zu Israel kann grob in zwei Phasen unterteilt werden. Während der ersten drei Jahrzehnte der Existenz Israels fand die Einflussnahme, trotz der entscheidenden Bedeutung der finanziellen und politischen Unterstützung durch die amerikanischen Juden, fast ausschließlich in eine Richtung statt: Der Judenstaat beeinflusste die amerikanische Diaspora, die sich im Allgemeinen die Politik Israels und ihre Prioritäten zu Eigen machte. In den letzten beiden Jahrzehnten ist diese alleinige, vorrangige und paternalistische Beziehung ersetzt worden durch eine Vielfalt von Beziehungen zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen, aus denen sowohl die israelische als auch die amerikanisch-jüdische Gesellschaft besteht. Zugleich hat eine zunehmend unabhängige amerikanische Judenschaft bei ihren Versuchen, die israelische Politik zu beeinflussen, bescheidene Erfolge erzielt. Diese Veränderungen sind eine Folge des Wandels sowohl der weltpolitischen Lage als auch der jüdischen Gesellschaft in Amerika und Israel.
Ohne die Unterstützung der jüdischen Diaspora in Amerika hätte Israel vielleicht gar nicht entstehen können. Als den amerikanischen Juden das Ausmaß des Massenmords an den europäischen Juden bewusst wurde, entstand aus ihrer bis dahin halbherzigen Unterstützung für den Zionismus eine Massenbewegung. Ein jüdischer Staat würde ein Zufluchtsort sein, bei dessen Aufbau man helfen könnte; er würde die Schuldgefühle der amerikanischen Juden lindern, die europäischen Juden nicht gerettet zu haben; und er würde ein Gegengewicht zu der damals verbreiteten Vorstellung von der Passivität der Juden bilden. Zwischen 1945 und 1948 waren mehr als zweieinhalb von insgesamt fünf Millionen amerikanischen Juden Mitglied in einer der Organisationen, die sich zum Ziel gesetzt hatten, einen jüdischen Staat zu schaffen. Bis 1948 hatten sie bereits die gewaltige Summe von 400 Millionen US-Dollar für Not- und Entwicklungshilfe an Israel und für seine Verteidigung aufgebracht. Noch entscheidender war, dass eine groß angelegte Werbekampagne der amerikanischen Juden die amerikanische Öffentlichkeit dazu bringen konnte, die Gründung eines jüdischen Staats zu unterstützen. Nicht zuletzt bewog ihre unermüdliche Lobby Präsident Truman, sich diesem Ziel anzuschließen und den amerikanischen Einfluss in der UNO zu nutzen, um eine Stimmenmehrheit für den Judenstaat zusammenzubringen.
Die Entstehung des Staats Israel war für die amerikanischen Juden ein Ereignis von unermesslicher Bedeutung: Grundlage neuen Stolzes und Selbstwertgefühls, das Modell eines progressiven Liberalismus, eine Quelle jüdischer Identität und ein Anlass, an ein neues Zeitalter nach Auschwitz zu glauben. Geradezu hypnotisiert von der Symbolkraft des Staates, zogen sich die meisten amerikanischen Juden vom aktiven, informierten Eintreten für den Zionismus auf eine bloß emotionale und passive Unterstützung zurück. Dies war zu einem gewissen Grad die natürliche Folge der Tatsache, dass Israel seine Angelegenheiten in die eigenen Hände nahm. Der neue Staat mühte sich, Unabhängigkeit von seinen wichtigsten Unterstützern zu demonstrieren, indem er den diasporafeindlichen Charakter der zionistischen Ideologie hervorkehrte, der lange im Namen der Einheit heruntergespielt worden war.
Fast unmittelbar nach der Staatsgründung griff Premierminister David Ben Gurion die amerikanischen Zionisten heftig an. Womöglich wollte er damit Ansprüche amerikanischer Zionistenführer auf einen Anteil an der Macht abwehren. Amerikanische Zionisten forderte er auf, nach Israel auszuwandern, da das Leben in der Diaspora keine Zukunft habe und trotz aller seiner Freiheiten Amerika das spirituelle Exil bedeute. Ein Zionist, der in Amerika bliebe, sei keiner mehr und jeder Jude, der im Exil lebe, sei ein minderwertiger Jude.
Nachdem Ben Gurion den amerikanischen Zionismus in eine Verteidigungsposition gedrängt hatte, beraubte er ihn seiner Machtbasis. Indem er der World Zionist Organization die Aufgabe des Spendensammelns entzog und sie dem nichtzionistischen United Palestine Appeal übertrug, ersetzte er gebildete und wohlinformierte amerikanische Zionistenführer durch eine bodenständige Führungsmannschaft, die vom Aufbau eines Staats recht wenig verstand. Auf diese Weise wurde zwar eine breitere Massenbasis mobilisiert, doch wurde die Gestaltung der Beziehung der amerikanischen Juden zu Israel im Wesentlichen in die Hände von Leuten gelegt, die sich diesem Staat emotional verbunden fühlten, aber intellektuell zu wenig mehr in der Lage waren, als aufrichtig ihre Brieftaschen zu leeren, um ihn zu unterstützen.
Der Masse der amerikanischen Juden fielen diese Veränderungen kaum auf, denn die meisten hatten zu Israel eine emotionale, symbolische Beziehung, die sie mit ihrem Lebensmittelpunkt in Amerika vereinbaren konnten. Während die amerikanischen Juden sich zunehmend assimilierten, war es für sie bequem, Israel mit dem Judentum gleichzusetzen und sich so die Bürde der Religion leichter zu machen: Sie bezogen ihr Jude-Sein auf einen Staat, der von zu Hause 8000 Kilometer entfernt liegt. Es kam hinzu, dass Israel höchst verdienstvolle Aufgaben anpackte, die Wüste zum Blühen zu bringen, eine neue Gesellschaft aufzubauen und sie gegen einen unversöhnlichen Feind zu verteidigen. Das faszinierte die amerikanischen Juden und legte ihnen den Schluss nahe, dass ihre Aufgabe nicht sei, Politik zu formulieren, sondern lediglich für finanzielle und politische Unterstützung zu sorgen. Eine neue Bürokratie von Organisationen entstand, die sich auf Israel bezogen und denen es darum ging, die neue Form von Mildtätigkeit und politischer Unterstützung zu propagieren und zu koordinieren. Viele individuelle Wohltätigkeits-Initiativen wurden zu einer Kampagne zusammengefasst und von Ortsgruppen jüdischer Verbände organisiert. In den fünfziger Jahren wurden wegen des hohen Bedarfs und der häufigen Notsituationen Israels bis zu 70 Prozent der Einnahmen jüdischer Gemeinden an den jüdischen Staat weitergeleitet. Der nachlassende Bedarf Israels und die Tatsache, dass neuerdings Aufgaben in Amerika Vorrang gegeben wird, haben inzwischen dazu geführt, dass der Prozentsatz der Einnahmen der jüdischen Verbände, der nach Israel geschickt wird, auf etwa die Hälfte gesunken ist.
Um die politische Unterstützung Israels zu koordinieren, wurde 1955 die Conference of Presidents of Major Jewish Organizations ins Leben gerufen. Zusammengesetzt aus zionistischen und anderen Organisationen und allen Strömungen des Judentums, repräsentierte sie ein breites Spektrum amerikanischer Juden. Dadurch konnte sich die Stimme der jüdischen Gemeinschaft besser Gehör verschaffen. Weil aber nur eine einzige Institution geschaffen worden war, die für die amerikanischen Juden sprechen sollte, begünstigte dies eine Uniformität der Meinungsäußerung, die noch stärker wurde, als sich alle Mitgliedsorganisationen der Konferenz unterordneten.
Unter den wichtigsten Organisationen, die Lobbyarbeit für Israel leisteten, waren die Anti-Defamation League, das American Jewish Committee und der American Jewish Congress. Mit unterschiedlichen politischen Akzenten setzten sie sich alle für jüdische Belange ein und unterstützten Israel nach Kräften. Diese Organisationen sorgten gemeinsam mit einflussreichen Juden in beiden politischen Parteien mittels Mobilisierung einer breiten Basis dafür, dass die Politik Israels von den Vereinigten Staaten unterstützt wurde und Israel immer mehr amerikanische Entwicklungshilfe erhielt. Der Druck, den die amerikanischen Juden ausübten, war so erfolgreich, dass es im ersten Jahrzehnt der Existenz Israels nur einmal zu einer größeren Meinungsverschiedenheit kam, nämlich als die USA nach dem Suezkrieg von 1956 die Hilfe einfroren und Israel zwangen, sich aus dem Sinai zurückzuziehen.
Die Solidarität, die die amerikanischen Juden mit Israel empfanden, wurde durch den Sechs-Tage-Krieg von 1967 und seine Folgen noch deutlich gestärkt. Die amerikanischen Juden sonnten sich im Widerschein eines überwältigenden und ruhmreichen Sieges, mit dem niemand gerechnet hatte. Sie waren tief betrübt, dass Israel dadurch die Kritik sowohl der amerikanischen als auch der internationalen Linken wegen der Besetzung der Westbank und des Sinai auf sich zog, und widmeten sich zunehmend der Aufgabe, antiisraelischer Propaganda entgegenzutreten, die sie oft und nicht immer zu Recht mit Antisemitismus gleichsetzten. Die politische Unterstützung Israels rückte in den Vordergrund, und es entstand das America Israel Political Affairs Committee, das bald zu einer der mächtigsten Lobby-Organisationen in Washington wurde.
Das Gefühl von Stolz und Verwundbarkeit bestimmte in den nächsten fünfzehn Jahren das Verhältnis der Diaspora in den USA zu Israel. Wissenschaftler sprachen von der »Mittelpunktrolle« Israels und meinten, der Judenstaat sei zur »neuen säkularisierten Religion der amerikanischen Juden« geworden. Fragen, die Emotionen erregten – wie das infame UN-Votum von 1973, das Zionismus mit Rassismus gleichsetzte -, mobilisierten einen großen Prozentsatz der jüdischen Gemeinde. Eine einheitliche Meinung zu Gunsten der israelischen Politik durchzusetzen, war kein Problem, da die weltliche Verehrung des jüdischen Staats sich mit einer Art inniger Oberflächlichkeit verband. Für viele amerikanische Juden bestand ihr Judentum zunehmend darin, dass sie zwar »HavaNagila« sangen, aber nicht Hebräisch lernten; dass sie nach Israel reisten, aber nicht die Absicht hatten, sich dort niederzulassen; dass sie zwar äußerst großzügig für den jüdischen Staat spendeten, sich aber nicht mit Fragen seines Wohlergehens und seiner Entwicklung befassten. Die heftige politische Debatte in Israel über die Gründung jüdischer Siedlungen in Westbank und Gaza fand wenig Widerhall unter den amerikanischen Juden, die allgemein der Auffassung waren, Kritik an Israel aus der Diaspora sei unmoralisch und leiste dem weltweiten Antisemitismus Vorschub.
Die Amtszeit von Premierminister Menachem Begin 1977-1983 war dann jedoch gekennzeichnet vom Aufkeimen einer neuen Unabhängigkeit der amerikanischen Juden in ihren Beziehungen zu Israel. Auf der einen Seite bedeutete das Ende des politischen Monopols der Arbeitspartei und das Aufkommen des revisionistischen Likud-Blocks, dass es nicht länger ein einziges Israel gab, von dem man seine Direktiven beziehen konnte. Auf der anderen Seite regten neue politische Entwicklungen die Diskussion an, da sich Israels Sicherheit festigte und sich seiner Regierung neue Möglichkeiten und eine Reihe strittiger Alternativen eröffneten. Während Begin zu Recht gerühmt wurde, weil er einen Friedensvertrag mit Ägypten geschlossen hatte, führten seine enge Auslegung des Camp-David-Abkommens in Bezug auf die Palästinenser sowie der fortwährende Aufbau neuer Siedlungen in der Westbank dazu, dass sich in der Einheitsfront des jüdisch-amerikanischen Mainstream erste Risse zeigten. Die Orthodoxen, zu denen fünf bis sieben Prozent der amerikanischen Juden zählen (die Reformbewegung und die Konservativen machen je 40 Prozent aus), befürworteten Begins Siedlungspolitik und misstrauten dem Friedensprozess grundsätzlich. Viele der übrigen amerikanischen Juden begannen, die israelische Politik kritisch unter die Lupe zu nehmen und Unbehagen zu äußern.
Eine Reihe von politischen Krisen und Fehlern der Israelis führten zu einer Neudefinition des Verhältnisses zwischen Israel und der Diaspora; sie untergruben die Einheit der amerikanischen Juden und ihre Passivität, die bisher das hervorstechende Merkmal der Beziehung gewesen war. Diese Neudefinition wurde durch Israels Invasion im Libanon in Gang gesetzt. Zunächst akzeptierten die amerikanischen Juden die Invasion und stellten – trotz ihrer Besorgnis über die wachsende Zahl ziviler Todesopfer – ihre Bedenken hintan, nicht zuletzt angesichts der wachsenden Kritik, die in Amerika und weltweit an der Invasion geäußert wurde. Die Massaker von Sabra und Chatila, wo rechte Milizen der libanesischen Christen 600 palästinensische Zivilisten massakrierten – unter den Augen der israelischen Armee, die die Verantwortung für deren Schutz übernommen hatte -, wurden zum Anlass für ungewohnte Gewissenserforschung, Nervosität und öffentliche Kritik amerikanischer Juden an Israel. Für sie stellte das Massaker die lieb gewordene Vorstellung in Frage, dass Israel sich qualitativ von anderen Staaten unterschied. Es wurde deutlich, dass israelische Politiker ebenso dumm, arrogant und verlogen sein können wie andere auch. Die lautstarke Forderung der amerikanischen Juden, dass die Hintergründe des Massakers aufgedeckt und die wahren Verantwortlichen benannt werden sollten, trug dazu bei, dass Premierminister Begin höchst widerstrebend die Kahan-Untersuchungskommission einrichten musste.
Die Pollard-Affäre drei Jahre später führte zur bis dahin schwersten Krise in der Beziehung der amerikanischen Juden zu Israel. Die Diaspora zeigte hier mehr Selbstbewusstsein als je zuvor. Im November 1985 wurde Jonathan Jay Pollard, ein amerikanischer Jude, der als Zivilangestellter bei der US-amerikanischen Navy arbeitete, wegen Spionage für Israel verhaftet. Die amerikanischen Juden, empört über Israels rücksichtslose Dummheit und beschämt, weil Israel einen der Ihren für seine dreckige Arbeit missbraucht hatte, wurden aktiv wie noch nie. Als Israel sich weigerte, die Verantwortung für die Affäre zu übernehmen (das geschah erst im Mai 1998), forderten die amerikanischen Juden am lautesten, dass Pollards israelische Agentenführer bestraft werden sollten. Einer von ihnen, der Kolumnist der New York Times, William Safire, schrieb: »Die amerikanischen Unterstützer Israels dürfen Unrecht weder hier noch dort dulden. Was ihre Religion und Kultur betrifft, sind viele dieser Unterstützer amerikanische Juden. Wo es aber um Angelegenheiten des nationalen Interesses und grundsätzlicher Loyalität geht, da werden die Hinhaltetaktik betreibenden (israelischen) Führer lernen müssen, uns als jüdische Amerikaner zu betrachten.«
Als die israelische Regierung sich weigerte, die Verantwortlichen zu bestrafen, nannte die Conference of Presidents dies eine »Verantwortungslosigkeit«, die in der Beziehung zwischen Israel und Amerika eine »tiefe Wunde« hinterlasse. Die Wut der amerikanischen Juden über Pollard führte zwar zum Bruch eines großen Tabus – Scharen von Leuten aus dem Mainstream übten Kritik an Israel – konnte aber nichts an der israelischen Politik ändern. Doch noch heute sind die Folgen des Streits zu spüren. Die Weigerung der amerikanischen Juden, Israels Weisung zu befolgen und sich engagiert und einmütig für Pollard einzusetzen, der 1986 zu lebenslänglicher Haft verurteilt worden ist, hat dazu beigetragen, dass er weiterhin im Gefängnis sitzt.
Die palästinensische Intifada bestärkte die Diaspora darin, sich stärker, umfassender und mit zunehmendem Erfolg zu bemühen, auf die israelische Politik Einfluss zu nehmen. Entsetzt über die Bilder davon, wie Israel gegen die Rebellion vorging, und überzeugt, dass diese Revolte bewies, wie aussichtslos die weitere Besetzung der Westbank und des Gazastreifens sei, begann eine wachsende Zahl amerikanischer Juden, nicht nur einzelne Aktionen zu kritisieren, sondern die gesamte Stoßrichtung der israelischen Außenpolitik in Frage zu stellen. Die jüdische Gemeinde in den USA war tief gespalten. Die Linke kritisierte die israelische Repression und rief zu einer Friedenskonferenz auf, die Rechte warf ihr deswegen politische Naivität und Selbsthass vor. Während zwei Monaten fuhren ständig erboste amerikanische Juden nach Israel und äußerten ihre Besorgnis, jüdische Zeitungen waren voll von polemischen Artikeln gegen Premierminister Shamir. Jeden Tag gaben mehr Personen und Organisationen bekannt, dass sie ihre finanzielle Unterstützung eingestellt hätten.
Angesichts dieser Meinungsverschiedenheiten ergriff eine ad-hoc-Gruppe amerikanischer Juden eine ungewöhnliche Initiative. Am 7. Dezember 1989 trafen sich prominente jüdische Aktivisten und Akademiker inoffiziell mit Yassir Arafat und erklärten anschließend, die PLO meine es ernst mit dem Frieden. Die USA, die sich seit zehn Jahren weigerten, mit der PLO zu sprechen, sollten ihre Haltung ändern. Da die US-Regierung eine Woche später tatsächlich beschloss, wieder Verhandlungen mit der PLO aufzunehmen, liegt der Schluss nahe, dass die radikalsten amerikanischen Juden zu einem wichtigen Katalysator geworden waren und die amerikanische Politik in einer Richtung beeinflussten, die Israels Wünschen zuwiderlief.
Die Intifada hat den Freiraum für Abweichler unter den amerikanischen Juden stark ausgeweitet und das Selbstbewusstsein der jüdischen Linken in den USA gestärkt. Die Wahl Yitzhak Rabins zum Premierminister rief die Rechte in Israel und in den USA auf den Plan, als er im September 1993 einen Friedensvertrag mit den Palästinensern abschloss. Als die Auseinandersetzung innerhalb Israels über den Friedensvertrag einen Grad von Erbitterung erreichte, der schließlich im Mord an Rabin gipfelte, gingen israelische Politiker dazu über, amerikanische Juden in das Handgemenge der israelischen Politik hineinzuziehen. Die Orthodoxen in Amerika waren mehrheitlich strikt gegen den Friedensvertrag, die meisten der übrigen Juden unterstützten ihn halbherzig. Die Likud-Opposition in Israel setzte sich über bisher respektierte Grenzen hinweg und wies ihre amerikanischen Unterstützer an, im US-Kongress Lobbyarbeit gegen dessen Unterstützung des Friedensvertrags zu leisten. Im Gegensatz zur früheren Einheit war die jüdische Gemeinde in den USA jetzt so fragmentiert, dass Rabin sich beklagte: »Nie zuvor haben wir erlebt, dass die US-Juden versuchen, auf den Kongress Einfluss zu nehmen gegen die Politik einer legitimen, demokratisch gewählten israelischen Regierung.«
Trotz ihrer vielen Fraktionen zeigte sich in der Amtszeit von Premierminister Benjamin Netanjahu (1996 – 99), dass die jüdische Gemeinde in den USA immer besser in der Lage war, Einfluss auf die israelische Politik zu nehmen. Als im April 1997 die orthodoxen Knesset-Parteien, die Netanjahu für seine Regierungsmehrheit brauchte, einen Gesetzentwurf einbrachten, wonach Übertritte zum Judentum, die bei anderen als orthodoxen Rabbinern vollzogen wurden, nicht anerkannt werden sollten, fühlten sich die amerikanischen Juden, von denen 85 Prozent nicht orthodox sind, ausgegrenzt und reagierten äußerst heftig. Wie einer der Führer des American Reform Movement es ausdrückte: »Wenn die Reform-Rabbiner in Israel keine Rabbiner sind und ihre Bekehrungen keine Bekehrungen, dann heißt das, dass unsere jüdische Religion nicht jüdisch ist und dass wir Juden zweiter Klasse sind.« Die jüdischen Medien der USA füllten sich mit empörten Leserbriefen und Leitartikeln, die mit größtem Befremden feststellten, dass die legislative Macht des israelischen Staats gegen amerikanische Juden eingesetzt werden sollte. Viele Juden verzichteten darauf, wie üblich zu spenden, und der United Jewish Appeal verzeichnete 20 Prozent weniger Spendeneinnahmen. Der israelische Botschafter berichtete: »Die Vorsitzenden jüdischer Organisationen haben uns deutlich gewarnt, dass dies zur schwersten Krise führen wird, die es zwischen den amerikanischen Juden und Israel je gegeben hat.« Der Streitpunkt ist noch immer nicht geklärt, doch die Weigerung der Knesset, das Konversions-Gesetz zu beschließen, ist unmittelbar auf den Druck amerikanischer Juden zurückzuführen.
Die Unzufriedenheit der amerikanischen Juden mit Netanjahus Religionspolitik und seiner abweisenden Haltung zum Osloer Abkommen führte zu weiteren erfolgreichen Initiativen der Diaspora, Einfluss auf die israelische Politik zu nehmen. Als die USA Druck auf Israel ausübten, den Oslo-Prozess voranzubringen, weigerten sich die wichtigsten Lobby-Gruppen der amerikanischen Juden, AIPAC und die Conference of Presidents, Israel in seiner Ablehnung zu unterstützen, – und das, obwohl sie dreimal von der Netanjahu-Regierung dazu aufgefordert worden waren. Auf der Friedenskonferenz in Wye 1998 lehnte Netanjahu es ab, Israels Truppen – als Gegenleistung für das Versprechen der Palästinenser, den Terrorismus zu bekämpfen -, aus 13 Prozent des Westbank-Territoriums zurückzuziehen, und er drohte damit, abzureisen und die Konferenz scheitern zu lassen. Als die Conference of Presidents sich weigerte, diese Politik zu unterstützen, unterschrieb der Premierminister widerstrebend das Wye-Abkommen.
Paradoxerweise scheint dieses neue Selbstbewusstsein der Diaspora zu verdecken, dass für die amerikanischen Juden Israel nicht mehr so wichtig ist wie früher. Engagierte Leute diskutieren in der Öffentlichkeit mehr, intensiver und mit unterschiedlicheren Standpunkten über Israel, aber im Ganzen hören ihnen wahrscheinlich weniger Juden zu als früher oder interessieren sich überhaupt für das Thema. Selbst als Israels Einfluss am größten war, schätzte man, dass nur ein Drittel der amerikanischen Juden sehr engagiert war, für ein weiteres Drittel die Unterstützung Israels eher eine Pflichtübung bedeutete und die Übrigen indifferent waren oder sogar als Gegner Israels bezeichnet werden konnten. Die Fürsprecher sind weniger geworden und der Umfang der Spenden für Israel ist entsprechend gesunken. Dieser Trend ist in der jüngeren Generation besonders ausgeprägt. Der Soziologe Stephen Cohen hat herausgefunden, dass für jedes Jahrzehnt, um das die Befragten jünger waren, zehn Prozent weniger Israel unterstützten. Eine der Hauptsorgen der Spendensammler ist die Frage, auf welchem Weg sie die jüngere Generation erreichen können.
Diese Trends sind eine unvermeidliche Folge der Tatsache, dass die Zeit vergeht. Die, die den Massenmord und die Geburt Israels noch erlebt haben, sterben aus, und Emotionen – auch wenn es unvorstellbarer Schrecken und höchste Verzückung gewesen ist – verlieren nach mehreren Generationen ihre Kraft. Israels heroisches Zeitalter ist ebenfalls Vergangenheit. Die Wüste hat geblüht, Millionen Einwanderer sind aufgenommen worden, das Land hat sich gegen große Widrigkeiten behauptet, und es hat eine hohe Kultur mit demokratischen Werten hervorgebracht. Unbequeme Normalität ist an die Stelle der emotionalen Höhepunkte getreten wie Staatsgründung, Sechs-Tage-Krieg oder die Kommando-Aktion in Entebbe. Ein heutiger Video-Clip von jungen israelischen Soldaten an einem Kontrollposten in Ostjerusalem spricht eben das Gefühl weniger an als das Bild ihrer Väter, wie sie an der eben befreiten Tempelmauer beten.
Andere Grundlagen der Bindung amerikanischer Juden an Israel sind ebenfalls ins Wanken geraten. Der laizistische, humanistische Zionismus, mit dem sich die amerikanischen Juden so sehr identifiziert hatten, ist passé – manche Israelis sprechen heute von einer postzionistischen Epoche – und der religiöse Nationalismus, der an seine Stelle zu treten droht, inspiriert in Amerika außer den Ultraorthodoxen Wenige. Spendensammeln – über lange Zeit das Herzstück der Beziehung – hat an Bedeutung verloren, denn der Beitrag der amerikanischen Juden macht nur noch weniger als ein Prozent von Israels Bruttosozialprodukt aus.
Israels Wirtschaftsentwicklung hat dazu geführt, dass das Spenden nicht mehr so wichtig ist. Und das Ende des politischen Konsenses verhindert die einheitliche politische Lobbyarbeit, die früher die andere Hauptaufgabe amerikanischer Juden war. Das Gefühl, dass in einer Notsituation alle an einem Strang ziehen, ist nicht mehr lebendig, und die amerikanischen Juden haben begonnen, sich mehr mit ihren eigenen internen Problemen zu befassen.
Zwar hat bei ihnen die Enttäuschung nach dem Zusammenbruch des Friedensprozesses im Herbst 2000 zeitweise das alte Schema einheitlicher Unterstützung für Israel wiederbelebt, doch dürfte in Zukunft das Verhältnis der Diaspora zum jüdischen Staat von den je nach Gruppierung unterschiedlichen Beziehungen und der Urteilsfähigkeit geprägt sein, die sich in der jüdischen Gemeinde der USA im letzten Vierteljahrhundert herausgebildet haben.
aus: der überblick 02/2001, Seite 33
AUTOR(EN):
Steven Rosenthal:
Steven Rosenthal ist Associate Professor der Geschichte des Nahen Ostens und des Judentums an der University of Hartford in Connecticut, USA. Sein jüngstes Buch ist 2001 unter dem Titel "Irreconcilable Differences? The Waning of the American Jewish Love Affair with Israel" erschienen.