"Klassisch" verlief nur der Start
Ruhestand?! Werner Gebert lacht. Der Leiter des Kommunikationsreferats beim Evangelischen Entwicklungsdienst scheidet zwar Anfang 2002 aus dem aktiven Berufsleben aus; im Rahmen eines Altersteilzeitmodells folgt eine einjährige Ruhephase, dann ist er Rentner. Aber: "Es gibt eine Menge Anfragen."
von Ilse Preiss
Festlegen mag sich der 61-Jährige noch nicht. Doch sicher ist, wofür er sich weiter ehrenamtlich engagieren wird: für die Ökumene und die Benachteiligten in der Einen Welt. Dass dabei das kabarettistische Element nicht zu kurz kommen soll, ist typisch für den Theologen, der sich seit rund einem Jahr wieder "Pfarrer" nennen darf - Einblicke in eine ungewöhnliche berufliche Laufbahn.
"Klassisch" verlief nur sein Start ins Berufsleben: Nach dem Studium absolvierte Werner Gebert ein Vikariat, wechselte dann in den Schuldienst. Der Stuttgarter Kirchentag 1969 war (auch) für ihn ein einschneidendes Erlebnis. Mit Gleichgesinnten setzte er die Forderung nach mehr Gerechtigkeit um in konkretes Tun: Sie gründeten die Aktion Selbstbesteuerung und brachten wenig später die erste große entwicklungspolitische Produktkampagne in der Bundesrepublik in Gang: Am Beispiel Rohrzucker wurde das ausbeuterische Verhalten der Industrieländer angeprangert.
Die nächste berufliche Station fiel bereits aus dem Rahmen: Ende 1970 übernahm Werner Gebert die Leitung des Internationalen Freundschaftsheims in Bückeburg. Die kontroverse politische Diskussion dort drehte sich um das - mittlerweile wieder aktuelle - Thema Gewaltfreiheit. Kernfrage: Dürfen Befreiungsbewegungen unterstützt werden, die Gewalt anwenden? Der neue Leiter führte bewusst ein offenes Haus. Dass er dabei "auch linken Gruppen ihre Marx-Lektüre in unserer Teestube" ermöglichte, war allerdings in der Zeit kurz vor dem Radikalenerlass mehr, als die Träger der Einrichtung tolerieren wollten.
Der Religionslehrer, der 1972 ans Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Gymnasium kam, war denn auch längst ins Visier des Verfassungsschutzes geraten. Das verhinderte die eigentlich fällige Übernahme ins Beamtenverhältnis ebenso wie die Verleihung des Pfarrertitels. Und Gebert ging noch weiter: Er unterhielt Kontakte zur Liga gegen den Imperialismus, arbeitete in der Simbabwe-Solidarität für die Freiheitsbewegung von Robert Mugabe mit. Dass er in einem Rundbrief die Forderung nach mehr Bewusstseinsbildung im Inland unter den Slogan "Kampf gegen den Imperialismus" stellte, gefiel auch dem Oberkirchenrat ganz und gar nicht.
Das Fass zum Überlaufen brachte die Kandidatur bei der Gemeinderatswahl 1975 in Stuttgart - auf der Liste der KPD. Gebert heute: "KPD-Mitglied werden - das stand nie zur Diskussion. Aber ein paar Anliegen der Partei fand ich unterstützenswert." Das Oberschulamt reagierte prompt: Kündigung am Tag nach der Wahl. Die Solidaritätsaktionen für Werner Gebert schlugen sich sogar im Spiegel nieder, Freunde in Kirchenkreisen versuchten zu helfen, immer wieder luden ihn Würdenträger zu ethisch-theologischen Streitgesprächen ein. Doch mehr als Arbeitslosenhilfe hatte das System nicht mehr für den Unbequemen. Nach fast dreijähriger Ungewissheit entschied der Oberkirchenrat, Gebert sei "derzeit" zum Pfarrdienst nicht geeignet - Ende einer Laufbahn.
Der Geschasste verließ das Land, um neu anzufangen: Ab September 1978 arbeitete er bei IDOC, einem internationalen Dokumentations- und Kommunikationszentrum in Rom. Das Haus an der Piazza Navona beschreibt Gebert als "Treffpunkt kirchenkritischer Leute und entwicklungspolitisch interessierter Theologen", seine Zeit dort als "anregend, lehrreich und hoch interessant". Der Deutsche knüpfte mit am internationalen ökumenischen Netzwerk, das mittlerweile den Globus umspannt.
Dieses Netz gewann stetig an Tragkraft, seit Werner Gebert im März 1980 zurückkam nach Württemberg. Er wurde Sachbearbeiter im Referat Gesellschaftsbezogene Dienste des Evangelischen Missionswerks in Deutschland: Was sich nach Aktenstaub anhört, entpuppte sich als "unglaublich spannende Aufgabe" - erst recht, als Gebert 1987 die Leitung des Referats übernahm. Konferenzen und Tagungen verschafften ihm Einblick in die Strukturen von Kirchenverbänden in aller Welt. Auf zahlreichen Reisen lernte er nicht nur Entwicklungsprojekte in Afrika, Asien und Lateinamerika, sondern vor allem die Projektpartner und ihre Anliegen kennen. Gebert: "Diese Zeit hat mich stark geprägt".
1995 schloss sich der Kreis. Mit dem Wechsel zu Dienste in Übersee engagierte sich Werner Gebert nicht nur in der Freizeit, sondern auch am Arbeitsplatz dafür, dass Fragen der Einen Welt stärker in unser Bewusstsein rücken. Durch die Inlandsarbeit, bilanziert Gebert, "hat DÜ viel in Bewegung gebracht". Dass sie mit dem Einbruch der finanziellen Mittel stark zurückgefahren wurde, bedauert er sehr. Aber er arbeitete in seinem letzten aktiven Berufsjahr energisch mit, die Inlandsaktivitäten des neuen EED zu bündeln und neu auszurichten. Das Ziel: "Unsere Aktionen sollen sich gegenseitig befruchten, es soll etwas Stärkeres entstehen." Der erzwungenen Konzentration gewinnt er eine positive Seite ab: die Rückbesinnung auf die Option für die Armen und das Grundprinzip Gerechtigkeit. "Genau hier", sagt Werner Gebert, "schlägt doch das Herz des Evangelischen Entwicklungsdienstes".
Übrigens: "Mutter Kirche" hat wieder Frieden geschlossen mit ihrem unkonventionellen Sohn. 1987 wurde Werner Gebert offiziell rehabilitiert, seit Januar 2001 trägt er den Titel "Pfarrer". Seine erste Amtshandlung: eine Trauung, die ganz und gar aus dem üblichen Rahmen fiel...
aus: der überblick 04/2001, Seite 128
AUTOR(EN):
Ilse Preiss:
Ilse Preiss ist freie Journalistin.