Kindersoldaten vor internationalen Strafgerichtshöfen
Derzeit sind weltweit schätzungsweise 300.000 Kinder unter 18 Jahren in rund 30 bewaffneten Konflikten als Soldaten in Rebellen- und regulären Armeen eingesetzt. Viele von ihnen haben schwerste Menschenrechtsverletzungen begangen. Die etwa 7.000 bis 11.000 Kindersoldaten in Sierra Leone beispielsweise haben zu Tausenden Menschen enthauptet, Arme oder Beine amputiert, Frauen vergewaltigt. Deshalb wurde bei der Einrichtung des Sonderstrafgerichtshofs in Sierra Leone (SCSL) im Jahr 2002 diskutiert, ob Kindersoldaten für ihre Menschenrechtsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden sollten.
von Deborah Odumuyiwa
Der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag ist nach seinen Statuten für die Verfolgung von Personen unter 18 Jahren nicht zuständig. Kindersoldaten werden nur als Zeugen gehört. Allerdings verfolgt der ICC die militärischen Befehlshaber und andere Vorgesetzte, welche unter 15-jährige Kindersoldaten in ihren Rängen haben. Die ersten - und noch immer gültigen - Haftbefehle des ICC von 2005 richten sich gegen Kommandeure der Lord's Resistance Army (LRA) in Norduganda. Vier oberste LRA-Befehlshaber sollen sich unter anderem wegen der Rekrutierung von Kindern unter 15 verantworten. Mindestens 25.000 Kindersoldaten dienen bei der LRA. Thomas Lubanga, ehemaliger Führer der kongolesischen Rebellenarmee Union des Patriotes Congolais, ist der erste, der allein wegen der Rekrutierung von Kindern angeklagt ist. Seit Januar 2007 steht er vor dem ICC.
Ab welchem Alter die Rekrutierung als Soldat erlaubt ist, regeln internationale Abkommen unterschiedlich. Die im Jahr 2000 in Kraft getretene Konvention 182 der Internationalen Arbeitsorganisation erklärt den freiwilligen oder erzwungenen Einsatz von Kindersoldaten unter 18 Jahren als eine der schlimmsten Formen von Kinderarbeit. Nach der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen von 1990 gilt jede Person unter 18 Jahren als Kind, die Einbeziehung in Streitkräfte ist danach aber möglich, wenn Kinder das 15. Lebensjahr vollendet haben.
Eine einheitliche Altersgrenze möchte das fakultative Zusatzprotokoll von 2002 zur UN-Kinderrechtskonvention festlegen. Es verbietet den Einsatz von Kindern und Jugendlichen unter 18 Jahren in kriegerischen Auseinandersetzungen. Allerdings erlaubt es weiterhin, Jugendliche für den freiwilligen Militärdienst außerhalb von bewaffneten Kämpfen aufzunehmen, wenn sie älter als 15 Jahre sind. Ungefähr 60 Staaten haben 16 oder 17-jährige Freiwillige in ihren regulären Streitkräften, darunter Deutschland (ab 17), England und die USA.
Der Sonderstrafgerichtshof in Sierra Leone ist das einzige internationale Strafgericht, vor dem Kindersoldaten angeklagt werden können. In seinem Statut ist die auch Verfolgung von Tätern im Alter von 15 bis 18 vorgesehen. Doch der Chefankläger David Crane hat schon 2002 festgestellt, dass er keine Kindersoldaten anklagen wird. Sie werden nur als Zeugen aufgerufen; 14 von ihnen haben bisher ausgesagt. Als bevorzugte Maßnahme sieht der SCSL die Überstellung jugendlicher Angeklagter an die Wahrheits- und Versöhnungskommission in Sierra Leone. Einige Kindersoldaten haben dort Zeugenaussagen gemacht. Dies entspricht auch eher der Kinderrechtskonvention, welche für Personen unter 18 Jahren außergerichtliche Verhandlungen empfiehlt.
Vor den internationalen Gerichten werden Kinder also nur als Opfer und Zeugen in Erscheinung treten und zu Nutznießern von Wiedergutmachungsprogrammen. Dabei haben sie verschiedene Rechte, die von allen Beteiligten respektiert werden müssen. Die Resolution 2004/27 des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen über "Leitlinien für den Schutz kindlicher Opfer und Zeugen von Straftaten in Justizverfahren" vom 21. Juli 2004 sieht vor, dass Kinder ein Recht darauf haben, stets mit Würde und Mitgefühl sowie kindgerecht behandelt zu werden. Außerdem haben sie das Recht, Aussagen zu machen und juristische, psychologische und finanzielle Unterstützung einzufordern, um sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren.
Die Demobilisierung und Reintegration von Kämpfern hat weltweit Vorrang vor strafrechtlicher Verfolgung. Nach dem Ende des Bürgerkriegs in Sierra Leone etwa wurden in den Jahren 2001 und 2002 rund 7000 registrierte Kindersoldaten in entsprechenden Programmen betreut. In Liberia begann 2004 ein Demobilisierungsprogramm für 100.000 ehemalige Kämpfer, darunter viele Kinder. Den ehemaligen Kämpfern müssen langfristige Alternativen zum Soldatenleben angeboten werden können. Ein Problem solcher Programme ist, dass dadurch möglicherweise Kindersoldaten, die Verbrechen begangen haben, gegenüber anderen Kindern bevorzugt werden, beispielsweise, indem sie einen Ausbildungsplatz erhalten. Aber ohne solche Programme besteht die Gefahr, dass sie sich wieder militärischen Gruppen anschließen. In Krisengebieten, in denen weiterhin gekämpft wird, passiert das häufig.
Kindersoldaten für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich zu machen, ist nicht zuletzt moralisch fragwürdig. In der Regel ist der Eintritt in militärische Einheiten unfreiwillig. 70 bis 80 Prozent der Kindersoldaten der LRA in Norduganda zum Beispiel sind entführte Minderjährige. Gräueltaten begingen die Kindersoldaten meist unter Todesandrohungen oder Drogeneinfluss.
Auch wenn Kinder sich freiwillig zur Rekrutierung melden, tun sie dies häufig, um Verpflegung und Schutz zu erhalten oder weil sie darin die größte Überlebenschance sehen. Denn schon vor ihrer Rekrutierung sind Kindersoldaten zumeist Opfer von extremer Armut und Benachteiligung. Perspektivlose Kinder werden leichter zu Soldaten.
aus: der überblick 01/2007, Seite 32
AUTOR(EN):
Deborah Odumuyiwa
Deborah Odumuyiwa ist Ethnologin und arbeitet als freie Journalistin.