40 Jahre Dienste in Übersee
Nebenan werden Stoßdämpfer angepriesen. Das Bürogebäude des evangelischen Personalfachdienstes Dienste in Übersee liegt in einem Gewerbegebiet in der Nähe des Stuttgarter Flughafens. In der Arbeit von DÜ muss man ohne "Stoßdämpfer" auskommen. In der Vermittlung von Fachpersonal und der Arbeit in Übersee treffen Menschen aus unterschiedlichsten Berufen und Kulturen aufeinander. Das macht den Reiz dieser Arbeit auf, schafft aber auch Konflikte, die ausgehalten werden müssen. Auf diesen Geist der offenen Debatte treffe ich auf allen Etagen des Hauses Nikolaus-Otto-Straße 11. Irrtümer werden offen als solche benannt, und es wird geschildert, was man daraus gelernt hat.
Gespräch mit Christoph Dehn
Das Gespräch führte Frank Kürschner-Pelkmann
Dienste in Übersee feiert in diesem Jahr sein 40-jähriges Bestehen. Was ist außer dem Namen gleich geblieben, was hat sich grundlegend verändert?
Ich hatte meinen ersten Kontakt mit DÜ im Jahre 1972. Ich wurde damals Mitglied im Überseeregister und aktiv in einer Überseeregister-Gruppe, die es ja in dieser Form nicht mehr gibt. In den früher achtziger Jahren war ich DÜler. Bis in die achtziger Jahre hinein war meine Wahrnehmung: DÜ ist eine Bewegung, etwas Ähnliches wie eine Aktionsgruppe. Heute gibt es große Professionalität und klare Orientierung in der Personalarbeit. Ich denke, es ist immer noch viel von dem Engagement einer Aktionsgruppe da, aber etwas weniger von dem Durcheinanderwirbeln und dem Überschäumen von Ideen und Aktionen.
Hat sich bei der Motivation der Bewerberinnen und Bewerber für einen Einsatz in Übersee über die Jahrzehnte etwas verändert?
Es gibt sehr große Unterschiede. Wir haben vor 30 Jahren überwiegend Menschen vermittelt, die ein starkes politisches oder auch missionarisches Engagement hatten, die eine große Menge Abenteuerlust besaßen und für die es die Gelegenheit war, fremde Welten, fremde Lebenswirklichkeiten selbst kennen zu lernen. Heute kommen viele, für die eine Zeit in Übersee ein Stück Karriereplanung ist. Viel von dem Abenteuerlichen ist weg. Die meisten sind vor ihrer Bewerbung bei DÜ wenigstens einmal im Urlaub in der Dritten Welt gewesen.
Wie wirkt sich das in der Arbeit in Übersee aus? Steht die sachlich- fachliche Arbeit heute sehr viel stärker im Mittelpunkt?
Früher ist auch sehr gute fachliche Arbeit geleistet worden, aber es hat sicher eine Verschiebung zu größerer Betonung der Fachlichkeit gegeben. Wer auf einen Überseeaufenthalt auch mit einem starken fachlichen Interesse zugeht, muss vielleicht weniger Abenteuer erleben, muss weniger beweisen, muss nicht in so starkem Maße Denkmäler hinterlassen wie jemand, der aus einer stark politischen Motivation oder christlichen Helfermotivation nach Übersee geht.
Wie wirkt es sich bei der Suche nach geeigneten Fachkräften aus, dass es Berufe gibt, bei denen ein Aufenthalt in der Dritten Welt sich karrierefördernd auswirkt, etwa für einen Tropenlandwirt, während das bei anderen Berufen nicht der Fall ist?
Im Großen und Ganzen haben wir verglichen mit den anderen Diensten nicht sehr viele Probleme, die Leute zu finden, die wir brauchen. Wir beobachten aber, dass wir in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit weniger qualifizierte Bewerberinnen und Bewerber haben, weil offenbar die, die eine Arbeitsstelle haben, diese ungern aufgeben. Diejenigen, die keine haben, fürchten, dass sie in der Zeit im Ausland den Anschluss verpassen. Insgesamt hat das Bild des Entwicklungshelfers gelitten. Wir haben in der allgemeinen Öffentlichkeit noch ein recht positives Bild, aber in der entwicklungspolitischen Fachöffentlichkeit herrscht vielfach die Vorstellung, dass die personelle Zusammenarbeit überholt ist, weil es überall im Süden der Welt gut ausgebildete Menschen gibt. Dieses Bild schadet auch der Reintegration und der beruflichen Neuorientierung aller Personen, die aus dem Entwicklungsdienst zurückkommen. In einigen sehr schnelllebigen Berufen, wo Wissen rasch veraltet, ist dies besonders der Fall.
Welche Antwort gibt DÜ den Menschen, die danach fragen, warum heute noch Fachkräfte nach Übersee entsandt werden?
Das Profil der vermittelten Fachkräfte hat sich dramatisch verschoben.
Wir hatten in den sechziger Jahren die Entwicklungshelferinnen und -helfer, die
selbst etwa als Krankenschwester oder Brunnenbohrmeister gearbeitet haben. In
einer zweiten Phase wurden die Ausbilder vermittelt. Wir sind jetzt in einer
Phase, wo wir Ausbilder für Ausbilder vermitteln. Dafür gibt es
weiterhin einen Bedarf.
Ein zweiter Bereich, für den Personalvermittlung wichtig ist,
möchte ich mit dem Stichwort "Produktive Fremdheit" bezeichnen. Wichtig
ist neben der Professionalität in einem Berufsfeld vor allem, dass die
Person von außen kommt und als Ausländer oder Ausländerin einen
bestimmten "Mehrwert" mitbringt. Das ist sehr einleuchtend bei Fragen der
Menschenrechtsarbeit und des Zivilen Friedensdienstes. Es ist aber auch in
vielen anderen Feldern gefragt. Gerade eine Person von außen kann in
Konfliktsituationen etwas einbringen, was wichtig und notwendig ist. Der
Prozentsatz der Vermittlungen, die dieses Element der "produktiven Fremdheit"
haben, wird immer höher.
In der Anfangsarbeit von DÜ haben diejenigen, die von einem Einsatz in Übersee zurückkehrten, in Schulen, Gemeinden etc. ihre Erfahrungen und Einsichten weitervermittelt. Daran besteht heute offenkundig kein großer Bedarf mehr. Was können zurückgekehrte DÜlerinnen und DÜler heute noch vermitteln?
Es gibt wenig Bedarf an Dia-Shows über Tansania. Aber viele
Partnerschaftsgruppen können eine Begleitung durch Personen brauchen, die
in Übersee gewesen sind und eine Sicht mitbringen, die man bei einem
dreiwöchigen Partnerschaftsbesuch in Tansania nicht gewinnt.
Außerdem bringt jede und jeder, der in Übersee war, ein Stück Fremdheit mit zurück. Wer einige Jahre in einem anderen Umfeld gelebt hat, wird sich nie wieder ganz hier integrieren, sondern immer eine zweite Heimat behalten. Diese "produktive Fremdheit" kann auch außerhalb der traditionellen Felder entwicklungspolitischer Bildungsarbeit in völlig normale Arbeits- und Lebensfelder eingebracht werden.
Wie wird es in Zukunft innerhalb des Evangelischen Entwicklungsdienstes (EED) mit Programmen in Deutschland weitergehen, also den Inlandsverträgen für zurückgekehrte Fachkräfte, dem Ökumenischen Dienst in Deutschland und der entwicklungsbezogenen Bildungsarbeit?
Ich halte diese Arbeit für einen Kernbereich des EED. Der EED ist in einer einzigartigen Position, weil er nicht nur ein Hilfswerk zur Unterstützung von Partnern im Süden ist, sondern auch eine eigenständige operationale Arbeit in Deutschland hat. Damit ist der EED tatsächlich ein "Eine Welt Werk". Deshalb muss er ein einheitliches Profil schaffen, das die Arbeit im Norden und im Süden umfasst und gemeinsame Vorhaben aufgreift. Das ist nicht unumstritten. So gibt es beispielsweise die Tendenz zu sagen, dass es so viel entwicklungsbezogene Bildungsarbeit in Deutschland gibt, dass der EED nicht zusätzlich eine eigene betreiben müsse. Ich würde es aber für fatal halten, die Bildungsarbeit aufzugeben. Der EED müsste sie gezielt zu den Themen machen, die er als Klammer zwischen Nord und Süd identifiziert hat.
Es hat in kirchlichen Gremien immer wieder die Auffassung gegeben, dass Programme wie Inlandsverträge für zurückgekehrte Fachkräfte und der Ökumenische Dienst in Deutschland ein Luxus seien, den man sich nur in finanziell guten Jahren leisten könne. Welche Antwort hat DÜ auf diese Anfragen?
Diese Auffassung ist sicher weit verbreitet, und wir haben darunter auch gelitten. Die Mittel für diese Programme sind zurückgegangen, während die Mittel für die Auslandsarbeit in diesem Jahr noch gestiegen sind und voraussichtlich im nächsten Jahr weiter steigen werden. Wenn für unsere Vermittlungen nach Übersee das Element der "produktiven Fremdheit" immer wichtiger wird, dann muss das auch hier gelten. Wir erleben, dass Menschen, die wir im Programm "Ökumenische Dienste in Deutschland" vermittelt haben, wichtige Impulse gegeben haben aufgrund ihrer fachlichen Qualifikationen und aufgrund ihres Blicks von außen. In gewissem Maße tun dies auch die zurückgekehrten Fachkräfte mit Inlandsverträgen. Ich halte das für wichtige Elemente unserer Arbeit.
Eine der gravierenden Veränderungen in der Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst in den achtziger und neunziger Jahren war die verstärkte Frauenförderung. Wie hat sich dies in den verschiedenen Arbeitsbereichen von DÜ ausgewirkt?
In der Geschäftsstelle von DÜ haben wir eine
Gleichstellungsvereinbarung, die vorsieht, dass auf allen hierarchischen Ebenen
Frauen und Männer in gleicher Zahl vertreten sein sollen. Das ist uns im
Großen und Ganzen gelungen. Meine Vorgängerin war die erste Frau an
der Spitze einer AG KED-Organisation.
Im Überseebereich haben wir erst vor zwei oder drei Jahren gemerkt, dass
wir als Personaldienst lange Zeit auf der falschen Spur waren. In den
Projektvorlagen wird beschrieben, inwieweit Frauen innerhalb der Organisationen
und Strukturen, die wir mit unseren Personalvermittlungen fördern,
eingebunden sind und inwieweit sie in der Zielgruppe vertreten und an
Planungsprozessen beteiligt sind. Es ist uns deutlich geworden, dass der
spezifische Punkt von DÜ eigentlich woanders liegt. Wir vermitteln
Männer und Frauen, und das hat Auswirkungen darauf, wie sie etwas tun und
wie sie wahrgenommen werden. Wir müssen bei Personalanforderungen sehr
viel stärker fragen: Wollt ihr als Partnerorganisationen einen Mann haben
oder eine Frau? Was würde geschehen, wenn eine Person des anderen
Geschlechts diese Aufgabe wahrnehmen würde?
Wir diskutieren diese Fragen mit den Partnern, es ist aber sinnlos, ihnen politisch korrekte Lösungen aufdrängen zu wollen. Die Partner bekommen von uns einen Personalvorschlag, dem sie zustimmen müssen, damit die Vermittlung zustande kommt. Wir müssen überlegen, ob wir in besonders krassen Fällen die Zusammenarbeit mit Partnerorganisationen einschränken oder einstellen, die sich der Frauenförderung verweigern. Wir streben aber einen dialogischen Prozess an.
Wie wird sich die Integration von DÜ in den Evangelischen Entwicklungsdienst auf die personelle Zusammenarbeit auswirken? Brot für die Welt wird zunächst einmal nicht zum EED gehören. Was bedeutet das für die bisher enge Kooperation mit DÜ?
Im Moment sind verschiedene Integrationsgruppen an der Arbeit, um die
direkte Zusammenarbeit von Personaldienst und finanzieller Förderung von
Partnern im neuen Werk zu planen. Es gibt Chancen dadurch, dass diese beiden
Bereiche dichter zusammenkommen, aber auch Gefahren. Wenn Fachkräfte von
den Partnern in Übersee als Kontrolleure des auch Geld gebenden EED oder
als Zugang zu diesem Geld verstanden werden, geraten sie sehr schnell in eine
schwierige und auch hochgefährliche Position. Es kann auch die Erwartung
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des EED geben, bei einem schwierigen
finanziellen Gebaren des Partners schnell über die deutsche Fachkraft
herauszufinden, was Sache ist. Es kann schließlich bei Konflikten mit
ihrem einheimischen Arbeitgeber eine Versuchung für die Fachkräfte
sein, herauszustellen, dass sie den leichten Zugang zum EED haben, von dem das
Geld kommt.
Wir müssen in diesen Fragen noch Lösungen finden. Ein Ansatz sind
klare vertragliche Regelungen. Auch in Zukunft wird es so sein, dass die
vermittelten Fachkräfte von lokalen Organisationen angestellt werden. Die
vertraglichen Regelungen müssen in der neuen Situation aber noch klarer
formuliert werden.
Nun zu Brot für die Welt. Zurzeit finden Verhandlungen zwischen
EED
und Diakonischem Werk der EKD über einen umfassenden Kooperationsvertrag
statt. Es ist vorgesehen, die Zusammenarbeit gegenüber der jetzigen
Situation eher zu verstärken. Es soll also keine strikte Arbeitsteilung
eingeführt werden, die die Bereiche voneinander trennt, sondern es soll
versucht werden, Arbeitsbereiche dichter zusammenzuführen.
Mit welchen Einsichten aus einer langjährigen Mitarbeit bei DÜ werden Sie im nächsten Jahr Ihr Büro in Stuttgart verlassen, um zum EED nach Bonn zu ziehen?
Eine sehr wichtige Zeit war für mich die Arbeit als DÜler auf den
Philippinen. Die vier Jahre, die ich dort gelebt und gearbeitet habe, haben
meinem Leben eine wichtige Prägung gegeben. Es war oft eine sehr
schwierige Zeit. Ich habe dort sehr viel über meine Fähigkeiten und
Grenzen gelernt, über das, was ich im Leben will und was ich nicht will.
Das Andere, was für mich wichtig ist, ist die Arbeit mit Menschen. DÜ arbeitet in besonderer Weise intensiv mit Menschen. Diese Arbeit ist unglaublich aufregend, und es wird nicht langweilig. Es ist jeden Tag anders und neu, und diesen Reiz der Arbeit mit Menschen möchte ich auch in den EED mitnehmen.
aus: der überblick 03/2000, Seite 114