Nachgefragt bei Liliana Uribe Pirado - Anwältin in Kolumbien
Liliana Uribe Pirado versucht juristisch gegen Morde und Entführungen an Mitgliedern einer Friedensgemeinde vorzugehen. Sie ist Mitglied der Corporación Jurídica Libertad (Juristische Korporation Freiheit), einer von "Brot für die Welt" unterstützten Gruppe von drei Anwältinnen und vier Anwälten in Medellín. Ihre Arbeit bringt sie nicht selten selbst in Gefahr.
von Bernd Ludermann
Worin besteht Ihre Arbeit und die Ihrer Kollegen?
Ich arbeite zusammen mit einer Kollegin für die Friedensgemeinde San José de Apartadó. Andere Kollegen verteidigen zum Beispiel Menschen, die in jüngster Zeit in den Stadtvierteln Medellíns willkürlich oder nach Denunziationen verhaftet worden sind.
Seit wann besteht die Friedensgemeinde?
Sie hat sich 1997 zur Friedensgemeinde erklärt. 1996 waren verschiedene Weiler der Gemeinde Opfer einer Serie von Angriffen mit Bomben und Maschinengewehren geworden. Deshalb waren viele Menschen in den eine Stunde entfernten Hauptort der Gemeinde geflohen. Während der Verhandlungen mit dem Staat über eine Rückkehr hat man auch eine Überprüfungskommission eingesetzt. Die hat unter anderem herausgefunden, dass staatliche Funktionäre sich wie Komplizen der Paramilitärs verhalten haben, von denen viele Angriffe ausgingen. Um zu verhindern, dass die Menschen erneut vertrieben würden, haben sie sich mit Unterstützung der Kirche als Friedensgemeinde konstituiert, ihre Neutralität gegenüber allen Kriegsparteien erklärt und das in entsprechenden Prinzipien niedergelegt.
Wird die Neutralität respektiert?
Sie wird ständig verletzt im Grunde von allen Seiten, aber hauptsächlich vom Staat. Wir haben seit der Gründung der Friedensgemeinde 243 kriminelle Akte gegen sie gezählt, davon waren etwa 120 Massaker, Morde oder das Verschwindenlassen von Personen Massaker sind Mordtaten mit mehr als fünf Opfern. Die restlichen Fälle betreffen Folter, Verhaftungen, Bedrohungen oder Straßenblockaden, die zum Beispiel den Transport von Nahrungsmitteln unterbrechen. Oft errichten Soldaten eine Straßensperre und Paramilitärs drei Minuten weiter eine zweite.
Präsident Uribe verhandelt seit Beginn des Jahres mit den Paramilitärs. Menschenrechtler berichten, dass diese seitdem weniger Massaker verüben, aber dafür mehr Menschen von regulären Sicherheitskräften interniert werden. Ist das auch Ihre Erfahrung?
Nein. Die Internierungen haben zugenommen, aber die Morde nicht abgenommen. Wir haben den Eindruck, dahinter steckt eine Verschleierungstaktik. Als die Verhandlungen mit den Paramilitärs begannen, hat man von ihnen verlangt, dass sie ihre Angriffe einschränken. Seitdem schreibt man mehr Morde "unbekannten Tätern" zu, aber die Opfer, die Tatorte und das Vorgehen sind dieselben wie vorher. Außerdem ist offiziell die Zahl der Menschen gestiegen, die im Kampf zwischen der Regierung und der Guerilla getötet werden. Für "im Kampf Getötete" sind die Militärgerichte zuständig. Mindestens für einige Fälle haben wir aber Hinweise, dass es sich in Wahrheit um außergerichtliche Hinrichtungen handelt. Zum Beispiel soll ein dreijähriges Mädchen im Verlaufe von Kämpfen getötet worden sein, sie starb aber auf dem Arm ihrer Großmutter.
Was versuchen Sie für die Friedensgemeinde zu tun?
Wir halten Informationen über die Verbrechen in Berichten fest und fordern die staatlichen Instanzen auf, für Aufklärung, Gerechtigkeit und Entschädigung zu sorgen. In der Regel wenden wir uns an die Staatsanwaltschaft sowie an die internen Disziplinar-Organe der Sicherheitskräfte. Doch obwohl zahlreiche Zeugenaussagen vorliegen, hat die Staatsanwaltschaft keine Untersuchungen eröffnet oder keine Schuldigen gefunden. Sie hat behauptet, die Aussagen seien unbrauchbar. Dann sind eine Reihe Zeugen umgebracht worden. Daraufhin hat die Friedensgemeinde erklärt, dass niemand mehr Aussagen macht, bevor die Arbeit der Untersuchungsbehörden evaluiert worden ist und die Straflosigkeit aufhört.
Arbeitet in den Justizbehörden niemand ernsthaft an der Aufklärung solcher Verbrechen?
Wer das tut, stößt selbst auf große Schwierigkeiten. Der Generalstaatsanwalt Osorio, ein Freund des Staatspräsidenten Uribe, behindert solche Prozesse. Bei Klagen gegen hohe Offiziere müsste er die Anklage übernehmen. Und untergeordnete Staatsanwälte werden unter Druck gesetzt; einige haben deshalb das Land verlassen.
Ist für die Verbrechen gegen Mitglieder der Gemeinde jemals jemand verurteilt worden?
Nein. Das ist das Problem.
Ist das nicht eine äußerst frustrierende Arbeit?
Nun ja ... In unserem Beruf gibt es eben sehr schwierige Momente. Wir erreichen sehr wenig, aber wenn wir nichts täten, wäre das noch schlimmer.
Gibt es Beispiele für Fälle, in denen Sie Erfolg hatten?
Lassen Sie mich nachdenken ... Wir haben es geschafft, eine junge Frau aus der Friedensgemeinde, die im Februar 2003 verhaftet worden war, wieder frei zu bekommen. Man hatte sie an einer Straßensperre angehalten und behauptet, sie hätte Dynamit im Auto transportiert und arbeite daher mit der Guerilla zusammen. Wir haben nachgewiesen, dass die Beweise gefälscht waren. Oder einen Führer der Gemeinde hatte man wegen Verleumdung eines Generals angeklagt. Diesen Prozess haben wir gewonnen.
Werden Sie und Ihre Kollegen bedroht?
Wir leben im Bewusstsein ständiger Gefahr. Wir ziehen regelmäßig um, damit unsere Adressen nicht zu weit bekannt werden ein Kollege macht das jedes halbe Jahr. Unsere Kinder dürfen in der Schule nicht sagen, wo sie wohnen, und nicht im Büro anrufen. Wir rechnen ständig damit, dass es eine Hausdurchsuchung gibt. Mit Sicherheit sind unsere Telefone angezapft. Zwei Kollegen haben wegen Drohungen das Land zeitweise verlassen müssen, darunter ich vergangenes Jahr.
Wie wichtig ist die Hilfe von "Brot für die Welt" für Ihre Arbeit?
Diese Hilfe, ergänzt von der von Misereor und der Missionszentrale der Franziskaner, erhält unsere Arbeit aufrecht. Aber nicht nur finanzielle Unterstützung ist wichtig, sondern auch politische. Das gibt einen gewissen Schutz. Wenn jemand von uns oder der Friedensgemeinde bedroht wird, dann wenden wir uns an befreundete Organisationen im Ausland, damit sie auf die Regierung Druck ausüben.
aus: der überblick 04/2003, Seite 132
AUTOR(EN):
Bernd Ludermann :
Bernd Ludermann war viele Jahre Redakteur beim "überblick". Er arbeitet jetzt als freier Journalist in Hamburg und betreut unter anderem als Redakteur die Forum-Seiten im "überblick".