Studenten als Lehrer
Mit dem Projekt UNLIT werden Studenten in die Alphabetisierungskampagnen ihrer arabischen Heimatländer einbezogen. Die Abkürzung steht für UNIversity Students for LITeracy.
von Victor Y. Billeh
Auf der Arabischen Regionalkonferenz über höhere Bildung im März 1998 hatte die "Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur" der Vereinten Nationen (UNESCO) im Beiruter Regionalbüro den Start des Projektes in den arabischen Staaten angekündigt. Jeder Universitätsstudent, so das Konzept, soll in jedem Jahr wenigstens einen Menschen vom Elend des Analphabetismus befreien. Wenn ein Student sein Grundstudium abgeschlossen hat, soll er mindestens vier Menschen das Lesen und Schreiben beigebracht haben.
Durch UNLIT werden Alphabetisierungsprogramme und höhere Bildungseinrichtungen im Kampf gegen den Analphabetismus zusammengeführt. Die Akademiker müssen dadurch ihren Elfenbeinturm verlassen und da helfen, wo ihr Engagement wirklich etwas verändern kann. Schließlich können 70 Millionen der 240 Millionen Menschen in arabischen Ländern nicht lesen und schreiben (vgl. der überblick 4/2002).
Das Regionalbüro nahm Kontakte mit je einer Universität im Libanon, Jordanien, Syrien, Jemen, Marokko und Sudan auf. Jede sollte ihren eigenen Ansatz entsprechend der örtlichen Bedingungen entwickeln. Hatte wie im Libanon das Ministerium für öffentliche Gesundheit die Federführung, verbanden die Studenten der Balamand-Universität die Alphabetisierung mit Gesundheits- und Hygieneunterricht.
Die Universitätsstudenten unterrichten als Tutoren Personen, die älter als 10 Jahre sind und weder lesen noch schreiben können. Die angeworbenen Studenten erhalten eine Einführung, wie und was sie unterrichten sollen. Dazu gehören entwicklungsbezogenen Themen wie Gesundheitsvorsorge und Umweltschutz. Die kurzen Ausbildungskurse schließen auch Besuche der Gemeinden ein, in denen die Studenten arbeiten werden. Sie erfahren etwas über die sozialen Probleme ihrer Klientel, um sich bewusst zu werden, wie schwerwiegend Analphabetismus, Armut, Gesundheitsmängel und unzureichender Teilhabe an der gesellschaftlichen Entwicklung sind. Daraus sollen die Studenten lernen, angemessen mit den Problemen umzugehen.
Ziel des Unterrichts ist es, den Zielgruppen grundlegende Fähigkeiten im Lesen, Schreiben und Rechnen sowie ein Grundwissen zu Fragen der Gesundheit, Umwelt und anderen für sie wichtigen Themen zu vermitteln. Für je 40 Stunden geleisteten Unterricht bekommen die angeworbenen Studenten einen Leistungspunkt, der für das Examen angerechnet wird. Sie sollen allerdings durch mehr motiviert sein als durch die anrechenbaren Punkte. Überwiegen muss das Interesse an sozialer und gemeinschaftlicher Arbeit und an zwischenmenschlicher Hilfe. Die Studenten sollten sich dafür begeistern, neue Erfahrungen zu machen, die über die Universität und ihren Alltag hinausreichen.
Die UNESCO hat jeder Universität eine bescheidene Summe als Anschubfinanzierung zur Verfügung gestellt, damit die notwendigen Partnerschaften zwischen den Universitäten, dem Bildungsministerium und den nicht-staatlichen Organisationen (NGOs) schneller zustande kommen. Noch gibt es nicht genügend Daten, um über Erfolg oder Misserfolg der Aktion zu urteilen. Einiges spricht aber dafür, dass sie ein wirksames Mittel im Kampf gegen den Analphabetismus ist.
An der privaten Universität von Balamand im Norden des Libanon wurden im Rahmen von UNLIT 17 junge Erwachsene angeworben, ausgebildet und in die praktische Arbeit geschickt. Problemlos ließen sich Studenten von dem Konzept mitreißen und anwerben. Das Projekt schuf neue soziale Kontakte nicht nur zwischen den Studenten und den Schülern, die von ihnen lesen und schreiben lernten, sondern auch zwischen den Universitäten und den Gemeinden, die zuvor einander fremde Welten waren.
Aber die Arbeit hängt zu sehr von den einzelnen Personen ab: Das Programm geriet stets ins Stocken, wenn die für das jeweilige Projekt verantwortliche Person ihre Arbeit beendete. Es wurde deutlich, dass ein stärkerer institutioneller Rahmen benötigt wird, damit die begonnenen Prozesse unabhängig von den einzelnen Personen weiterlaufen. Außerdem wurde deutlich, dass ein Vorhaben dieses Ausmaßes eine ständige Nachbereitung, Überwachung und Auswertung erfordert.
Andere Schwierigkeiten haben mit bürokratischer Verwaltung zu tun. Wenn die Universitätsleitung und verbundene Fachbereiche direkt und aktiv in das Projekt einbezogen wurden, waren die Resultate sehr ermutigend. Wie es allerdings die Eigenschaft von Regierungsbürokratien überall in der Welt ist, kam es zu Verzögerungen beim Start und der Umsetzung des Projektes, wenn die Ministerien für Bildung und höhere Schulbildung einbezogen wurden. Im Libanon und Jemen jedoch hatte die Koordinierung mit den Fachabteilungen für Alphabetisierung im Sozialministerium eine bessere Verwaltung und einen reibungsloseren Ablauf des Programms zur Folge.
Es ist noch zu früh, über Erfolg oder Misserfolg von UNILIT zu urteilen. Analphabetismus ist in dieser Region ein Problem, das eine Vielzahl von kreativen, inspirierten und gut ausgestatteten Lösungen und konzertierte Anstrengungen aus allen Teilen der Gesellschaft benötigt. UNILIT ist nur eine dieser Lösungen mit eigenen Qualitäten und einigen Falten, die geglättet werden müssen. Wenn das Projekt erfolgreich verläuft, könnte es eine Kettenreaktion auslösen und sich in anderen Entwicklungsländern verbreiten. Vielleicht wird eines Tages wirklich jede(r) eine(n) andere(n) unterrichten.
aus: der überblick 01/2003, Seite 34
AUTOR(EN):
Victor Y. Billeh:
Victor Y. Billeh ist Direktor des UNESCO-Regionalbüros für Bildung in den arabischen Staaten mit Sitz in Beirut.