Schönheitswettbewerbe rufen in Indien Begeisterung und Proteste hervor
Stolz auf ihre schönen Frauen sind in Indien die Menschen. Einige von ihnen wurden in den vergangenen Jahren bei Miss-Wahlen zu internationalen Schönheiten gekürt. Das indische Schönheitsideal orientiert sich an der westlichen Mode. Während sich in den Großstädten des Landes Frauen und Männer in Fitnessstudios trimmen, protestieren arme Bauern, Feministinnen und Hindunationalisten gegen die Zurschaustellung des Körpers. Am Thema Schönheit entfacht sich eine Debatte um die indische Kultur.
von Brigitte Voykowitsch
Längst ist es nicht mehr nur Domäne der Frauenzeitschriften wie Femina, nach der zeitgemäßen Selbstdarstellung der Frau zu fragen. Schon seit geraumer Zeit nämlich sind quer durch die unterschiedlichsten Medien Aussehen, Mode, Schönheit, Models und Wettbewerbe zu Dauerthemen geworden. Und “Aufstand im B-Körbchen” ist nur eine aus einer breiten Palette von Artikelüberschriften. Selbst politische Wochenpublikationen wie India Today oder Outlook, und auch die großen Tageszeitungen halten ihre Leserschaft auf dem Laufenden darüber, was “in” und was “out”, was “hot” und was völlig “uncool” ist. Sie berichten ausführlich über die Gewinnerinnen der diversen Schönheitswettbewerbe, allen voran über Aishwarya Rai. Sie schaffte nach ihrer Wahl zur Miss World im Jahr 1994 den Sprung in die indische Filmindustrie von Bollywood. Jetzt wird sie sogar als Filmstar verehrt.
Begeistert beschwört die indische Presse Rais Schönheit. “Aishwarya Rai: Globale Göttin” titelte das Wochenmagazin India Today im Mai 2003, nachdem sie in die Jury der Filmfestspiele von Cannes gewählt worden war. Und Hollywood-Schauspielerin Julia Roberts, ebenfalls Gast bei den Festspielen in Frankreich, soll Rai “die schönste Frau der Welt” genannt haben, wusste das Magazin zu berichten. Rai war die zweite indische Miss World. Im Jahr 1966 hatte Reita Faria als erste Inderin den Titel erhalten. Später, 1997, konnte sich Diana Hayden die Schönheitsköniginnen-Krone aufsetzen. Yukta Mookhey wurde 1999 und Priyanka Chopra im Jahr 2000 zur Miss World gekürt.
Die Zahl der Modenschauen und Miss-Wahlen in Indien selbst ist indes nicht mehr überschaubar, so viele College- und Lokalwettbewerbe finden heute im ganzen Land rund um’s Jahr statt. “Städtische Inder sind immer trendy gewesen”, kommentiert Nidhi Taparia, ein Kenner der Szene. Die Begeisterung, die den großen Schönheits-Shows gezollt wird, belegt “die Hingabe der Inder an die wankelmütige Göttin der Mode”, formulierte der Modejournalist Kaveere Bamzai in India Today vom 21. Juli 2003. Anlässlich der Lakme India Fashion Show 2002 waren sich die Berichterstatter einig: Die Bewohner der Hauptstadt Neu Delhi haben die Zuschauerplätze der Modenschau gestürmt, als habe es sich um das Konzert eines Weltpopstars gehandelt.
“Die Moderevolution hat uns erfasst”, berichteten die Kommentatoren von der Fashion Show einstimmig. In der Hindustan Times vom April 2003 war zu lesen: “Längst sind es nicht mehr nur Frauen, die bereit sind, tief in die Tasche zu greifen. Auch Männer lassen sich modernes Aussehen einiges kosten.” Wer in den großen Städten wie Neu Delhi, Bombay oder Bangalore die allenthalben entstehenden Einkaufszentren besucht, stellt fest: Die Medien übertreiben nicht in ihrer Schwärmerei. Mode bewegt die modernen Inderinnen und Inder, von den Kids bis zu den Mid-lifern.
Zu den großen Vorbildern zählen selbstverständlich Britney Spears und Madonna, aber vor allem die heimischen Bollywood-Stars, die den jeweils letzten Schrei in Sachen Outfit präsentieren. Diese glanzvollen Berühmtheiten sind zudem körperlich fit. So mancher Held hat jene Art von Muskeln vorzuweisen, die heutzutage immer mehr Männer in den Fitness-Studios selbst zu erwerben suchen. Frauen, die noch vor einem Jahrzehnt die eigene Körperfülle als Zeichen von Wohlstand und erfolgreicher Mutterschaft geschätzt hätten, arbeiten sich heute auf Steppern und Heimtrainern die überzähligen Kilos ab. Tausende und Abertausende Rupien geben Inderinnen und Inder heute für Gewichtsreduktion aus. Den Abbau von Fettpolstern erhoffen sie sich durch Massagen und Therapien, oder sie lassen sich schlaff gewordene Bäuche vom Chirurgen einfach wieder straffen. “Die Tyrannei, gut aussehen zu müssen, hat auch Indien erfasst”, stellte eine Reporterin Anfang dieses Jahres auf dem Fernsehkanal ZeeTV fest. Denn die Bilder von perfekten Körpern und makelloser Schönheit kommen Tag für Tag ins Wohnzimmer und gehen nicht mehr aus den Köpfen: Millionen Menschen in Indien können dank Satellitenfernsehens zusehen, wie die Sängerin Shakira ihre bemerkenswerte Taille in ihrem Song Whenever, wherever bewegt; Millionen können die Körperformen der gestählten Rettungsschwimmer in der amerikanischen Fernsehserie Baywatch betrachten und Rückschlüsse auf die eigene Figur ziehen.
In dieser Glitzerwelt, die ständig wächst, wenn man sich die Anzahl von Clubs und Discos, Restaurants und Cafes ansieht, die in letzter Zeit eröffnet wurden, wird das andere Gesicht Indiens ausgeblendet. Das hatte ja auch die bisherige Regierung unter Leitung der hindunationalistischen Partei Bharatiya Janata Party (BJP) in ihrer Kampagne vor den Parlamentswahlen im Frühsommer 2004 versucht. “India Shining” lautete der Slogan, “Indien glänzt”. Auf die Erfolge der IT-Revolution haben die Wahlstrategen verwiesen, auf die stark gestiegenen Börsenkurse und die verbesserte volkswirtschaftliche Lage. Ausgeklammert haben sie die Fakten über das andere Indien, darunter die hohe Zahl von armen Kleinbauern, die bis zum Hals in Schulden steckten und sich deshalb das Leben nahmen. Allein in den vergangenen drei Jahren waren es mehrere Tausend, und kaum ein Tag vergeht, an dem nicht in einer Zeitungsmeldung über den Selbstmord eines hoffnungslos verschuldeten Kleinbauern berichtet wird.
Der Kontrast zwischen Arm und Reich, zwischen den frivolen Anliegen einer kleinen Elite und dem Elend der Massen, war in erster Linie Anlass der Kundgebungen gegen den Miss World-Wettbewerb im Jahr 1996. Dieser fand in der südindischen Stadt Bangalore, dem Zentrum der IT-Industrie des Landes statt. Tausende Menschen demonstrierten. Ein junger Mann, Mitglied einer kommunistischen Organisation, zündete sich selbst an und erlag in der Folge seinen Verbrennungen. Vertreter einer Bauernorganisation, die zuvor schon eine Filiale von Pizza Hut zerstört hatten, drohten das Cricket-Stadion, wo die Schau stattfinden sollte, in Brand zu stecken. Die Leiterin der Mahila Jagran Samiti (Bewegung für das Erwachen der Frau) wollte sich selbst verbrennen und weitere Menschen zu dieser Art des Freitods veranlassen. Um die Situation unter Kontrolle zu halten, organisierte die Polizei ein Großaufgebot von, je nach Quelle, bis zu 20.000 Mann. Zwischen 600 und 1000 Menschen, auch hier schwanken die Angaben, wurden verhaftet und Tränengas und Gummigeschosse gegen die Demonstranten eingesetzt. Der Schönheitswettbewerb lief dann doch letztlich ohne Zwischenfälle ab. Allerdings hatte man die Bikini-Show auf die Seychellen und den Krönungsball in das stark geschützte Militär-Quartier in Bangalore verlegt.
Während die einen der künftigen Miss World entgegenfieberten, zogen Demonstrantinnen mit Papierkronen durch die Straßen. “Miss Ungebildet” und “Miss Krankheit” oder “Miss Arbeitslos” war auf ihrem Kopfschmuck zu lesen. Auch die Presse griff diese kritischen Bilder auf. Eine Zeitschrift druckte eine Karikatur von vier in Lumpen gekleideten Frauen, die auf nebeneinander angeordneten Podesten standen und auf deren Schärpen jeweils geschrieben war: “Miss Armut” und “Miss Vertrieben”, die neben “Miss Landlos” und “Miss Obdachlos” thronten. Auf dem fünften Sockel lag nur eine Schärpe mit der Aufschrift “Miss kleines Mädchen”. Der Text auf der Vorderseite ihres Podests erläuterte, warum diese Miss den Wettbewerb gar nicht erst anzutreten vermochte: “Sie konnte nicht teilnehmen, da sie kurz nach ihrer Geburt ermordet wurde.” (vergl. “der überblick” 2/2001, S.93)
Weitere leere Sockel hätten sich mühelos hinzufügen lassen: etwa einer für die “Miss Mitgift”, eine von jenen Tausenden junger Ehefrauen, die alljährlich ermordet werden, weil ihre Familien den nie enden wollenden Mitgiftforderungen des Mannes und seiner Angehörigen nicht nachkommen konnten. Auch eine “Miss Sati” hätte einen Podest bekommen können, stellvertretend für jene meist jungen Frauen, die keineswegs freiwillig ihrem verstorbenen Ehemann auf den Scheiterhaufen folgen. (vergl. “der überblick” 2/2003) Nicht zu vergessen stünde einer “Miss Unberührbare” ein Schild an einem Sockel zu. Diese Königin würde an all jene Mädchen und Frauen erinnern, die wegen Auseinandersetzungen zwischen Kasten vergewaltigt oder nackt ausgezogen durch die Hauptstraße eines Dorfes geführt worden sind.
Nicht nur die gewaltige Kluft innerhalb der indischen Gesellschaft, auch die schamlose Kommerzialisierung der Schönheit mit derartigen Miss World-Wettbewerben war damals Anlass des Protests. Aus der Sicht der Demonstrantinnen würden sie lediglich die Profite der kosmetischen Chirurgen und der Kosmetikindustrie steigern. Das wachsende Konsumdenken in Indien und die Macht der internationalen Konzerne waren ihnen ein Dorn im Auge. Nicht zuletzt prangerten sie an, dass der weibliche Körper zum Objekt herabgewürdigt würde. Viele Argumente erinnerten an die Proteste gegen Miss World-Wettbewerbe im Westen in den fünziger Jahren und in den Jahren danach. Katholische Länder wie Irland und Spanien hatten damals damit gedroht, sich aus den Schönheitswahlen zurückzuziehen, falls Frauen in Bikinis aufreten sollten. Als ein solcher Wettbewerb im Jahr 1970 in der Royal Albert Hall in London stattfand, empörten sich Feministinnen über diesen “Kuhmarkt” und warfen Mehlbomben und Früchte auf die Bühne.
Wen aber vertraten all diese Inderinnen und Inder bei den Kundgebungen gegen die Wahl der Miss World? Mangels landesweiter Meinungsumfragen zum Thema Schönheitswettbewerbe war und ist diese Frage bis heute nicht zu beantworten. Abseits der Demonstrationen äußerten sich jedenfalls nicht wenige Menschen amüsiert. “Haben diese Feministinnen nichts Wichtigeres zu tun, als hier zu protestieren?”, fragte eine IT-Studentin. Eine andere konnte nicht verstehen, warum gerade um diesen Anlass so viel Aufhebens gemacht wurde. “Wer veranstaltet Streiks gegen die Miss India-Wettbewerbe, an denen jedes Jahr Tausende Frauen teilnehmen wollen?”, tat die Managerin A. Sen die Aufregung als scheinheilig ab. Andere Frauen erinnerten an die landesweite Begeisterung, als 1994 gleich zwei Inderinnen zu internationalen Schönheiten gekrönt wurden. Mit Sushmita Sen als Miss Universe und Aishwarya Rai als Miss World, hatte dies zuvor noch kein anderes Land innerhalb eines Jahres geschafft. Die städtischen Eliten und Massenmedien hatten jubiliert, als ob es sich um ein Ereignis von historischer Tragweite handle. Der Präsident und der Premierminister hatten Sen und Rai wie hohe Gäste empfangen, stellte die prominente Feministin Madhu Kishwar, die Begründerin des Magazins Manushi, fest. Und im persönlichen Gespräch erinnerte sie an das Jahr 1995, als Manpreet Brar in die Schlussauswahl der Miss Universe-Konkurrenz gekommen war. Damals war dies The Times of India “einen achtspaltigen Artikel über die ganze Aufmacherseite wert”.
“Wenn schon Proteste, warum dann nicht gegen unsere Heiratsanzeigen?”, meinte lakonisch B. Mukherjee, eine Hausfrau aus Kolkata (ehemals Kalkutta). “Warum ist denn da das fair-skinned (hellhäutig) so wichtig bei einer Frau? Steht bei einem Mann je sein Teint dabei?” Was die Besessenheit, eine helle Gesichtsfarbe zu haben, betrifft, “sind die Menschen in Indien nicht weniger rassistisch als manche weißhäutigen Westler”, gestand auch Madhu Kishwar ein und ergänzte, dass ein befreundeter Sanskritgelehrter ihr “bestätigte, dass die Voreingenommenheit zugunsten einer hellen Haut sich bereits durch die klassische indische Literatur zieht”.
Beunruhigend waren bei all der Aufregung um die Miss World-Wahl in Indien die nationalistischen Untertöne und die politische Instrumentalisierung des Wettbewerbs. Die hindunationalistische BJP, die damals stärkste Oppositionspartei auf Bundesebene, wollte die Regierung der Vereinigten Front unter Premierminister H.D. Deve Gowda in Verlegenheit bringen. Gowda selbst stammt aus dem Bundesstaat Karnataka, dessen Hauptstadt Bangalore ist. Er hatte sich bereit erklärt, bei dem Empfang für die Teilnehmerinnen des Miss World-Wettbewerbs anwesend zu sein. Uma Bharati, eine BJP-Politikerin, die bereits in jungen Jahren sexuelle Abstinenz geschworen hatte, beschuldigte Gowda anschließend, “mit nackten Frauen zu turteln”.
Mehr noch als das politische Kapital, das die BJP offenkundig aus dem Ereignis schlagen wollte, verstörte ihre neue Kampagne zur Verteidigung der “indischen Kultur”. Doch wer kann sich das Recht anmaßen, zu definieren, was die indische Kultur ist? Und wer schwingt sich in wessen Namen zum Verteidiger eben dieser Lebensweise auf? Das waren Fragen, die Verfechter eines säkularen Indien und eines toleranten Hinduismus bewegten und bis heute bewegen. Um das “wahre” Wesen der indischen Kultur wird debattiert, polemisiert und gestritten, seit die Briten den Subkontinent kolonialisierten. Bald 60 Jahre nach der Unabhängigkeit ist diese Frage keineswegs geklärt. Zu Indien, betont der Autor Shashi Tharoor in seinem Buch India: From Midnight to the Millennium aus dem Jahr 1997, gehören in schwarze Burqas gekleidete Musliminnen ebenso wie eher spärlich verhüllte Bollywood-Stars, gehören prüde Frauen aus der Mittelschicht genauso wie arme Frauen auf dem Land, “die mit nacktem Oberkörper gehen, weil sie sich kein Gewand leisten können, um sich zu bedecken”.
Brisant erscheint die Zusammensetzung der Gegnerschaft von derartigen Miss World-Wettbewerben. Darauf verwies Shubha Chacko vom Centre for Education and Documentation, dem Zentrum für Bildung und Dokumentation in Bombay. Die Allianz von Marxisten und Kommunisten mit Bauernorganisationen, radikalen Hindugruppierungen und Feministinnen unterschiedlicher Provenienz erschien ihr, gelinde gesagt, eigentümlich, wenn nicht gefährlich. “Viele, die gegen die Globalisierung und den Neoimperialismus auftreten, berufen sich auf ein goldenes Zeitalter der indischen Zivilisation und kehren alle Ungerechtigkeiten der traditionellen hierarchischen Gesellschaft Indiens unter den Teppich. Sie gehen häufig in die Falle des Essentialismus, und sehen in den Frauen nur die ‘weiblichen’ Werte des Sorgetragens und des Mutterdaseins sowie der Friedfertigkeit verkörpert”, erklärte Chacko. Diese Kritiker der Globalisierung vertreten ihrer Ansicht nach eine Moral, die unter anderem großes Aufhebens um die Jungfräulichkeit vor der Ehe mache, Vergewaltigung in der Ehe oder andere Gewalt gegen Frauen aber nicht als Unrecht anerkenne. Es scheint fraglich, ob sich solche Globalisierungsgegner tatsächlich als Partner der Feministinnen eignen.
Führen die Proteste wie jene in Bangalore im Jahr 1996, überhaupt über die unmittelbare medienträchtige Aufregung hinaus? Welche längerfristigen Folgen haben sie? Welche Schwierigkeiten es aufwirft, einen Kampf zu führen, ohne die angestrebten Ziele vorher klar zu umreißen, stellte Madhu Kishwar in der Zeitschrift Manushi schon in der Ausgabe Mai-Juni 1995 dar. Am Miranda House in Neu Delhi, dem Elitecollege für Frauen schlechthin, an dem auch sie studierte, hätten Ende der sechziger und Anfang der siebziger Jahre das eigene Aussehen, der Busen- und Taillenumfang, die Kleidung sowie der richtige englische Akzent mehr gezählt als jede akademische Leistung. Höhepunkt des Collegelebens war die jährliche Wahl der Miss Miranda. Sie war die unangefochtene Heldin des Campus. Niemand konnte ihr das Wasser reichen, nicht die Siegerinnen der diversen Sportwettbewerbe, nicht die Studentinnen mit den besten Noten. Kishwar, die damals die Konzepte des westlichen Feminismus noch nicht kannte, aber als Marxistin die “dekadente bourgeoise westliche Gesellschaft” ablehnte, engagierte sich gegen den Miss Miranda-Wettbewerb. Für sie war er ein Symbol eines abscheulichen Elitedenkens, in dem jeder, der “in” sein wollte, westliche Musik hören und westliche Filme sehen musste. Hindi-Filme waren so “out” wie Volkslieder. Nur eine hinter der Zeit zurückgebliebene bhenji (Schwester) konnte sich für so etwas begeistern. “Die Elite war stolz auf ihre Entfremdung von ihrem eigenen Volk, ihrer eigenen Kultur und den eigenen Traditionen. Ihr Überleben hing davon ab, dass sie unkritisch und phantasielos westliche Technologie, westliche Ideen und westliche Weltanschauungen übernahm”, erklärte Kishwar in ihrer bekannten unverblümten Art.
Auch aufgrund ihres Engagements wurden die Miss Miranda-Wahlen tatsächlich abgeschafft. Die Eliten der sechziger und siebziger Jahre, die damals die Wettbewerbe abhielten, treten nun als überzeugte Feministinnen aus dem Süden auf - ein angesichts der ausländischen Hilfsgelder für Fraueninitiativen immerhin “lukratives Unternehmen”, wie sich Kishwar nicht verkneifen kann anzumerken. Die bhenjis hingegen, die damals an keinem Schönheitswettbewerb hätten teilnehmen wollen oder dürfen, würden jetzt voll darauf abfahren - wie ja die Miss World- und Miss Universe-Wahlen heute insgesamt von Frauen aus dem Süden dominiert seien, während der stärker industrialisierte und am Westen orientierte Norden kaum noch Notiz davon nehme.
Noch etwas aber ist Kishwar in Erinnerung geblieben: Mit der Abschaffung der Miss Miranda-Wettbewerbe und bald nach dem Ende der Vorherrschaft des elitären Instituts für Englische Sprache ging die Führung am College zunächst einmal an das Sanskrit-Institut über. Nun herrschte ein strenges, wieder mehr auf die indischen Traditionen bezogenes Regime für die Bewohnerinnen des Studentenheims. “Das Monopol der verwestlichten Eliten in Frage zu stellen, bringt nicht notwendigerweise eine bessere Kultur”, ja unter Umständen eine “Khomeini-Kultur für die Frauen”, stellte Kishwar fest. “Daher bin ich extrem vorsichtig, wenn es darum geht, gegen Schönheitswettbewerbe aufzutreten.”
Ein Diskurs über “authentische” indische Kultur versus Verwestlichung, die gleichbedeutend mit Korruption und Ausbeutung gesehen wird, ist jedenfalls nicht ohne Tücken. Schönheit war immer auch ein traditionelles Anliegen in der Kultur des Subkontinents. Es bedürfte sehr eingehender Analysen, um das vielschichtige Verhältnis von Schönheit und Schönheitsidealen, von Rassismus und Ausbeutung, von empowerment und disempowerment, Chancengleichheit und versperrten Möglichkeiten, zu erfassen. Gegen Schönheitswettbewerbe aufzutreten, heißt keinesfalls dagegen zu sein, dass sich Frauen schön machen, betont Kishwar. Wer wollte schon aussehen wie “Bewohnerinnen eines Gandhi-Ashrams”, also in Sack und Asche gehüllt. Interviews mit jungen indischen Models zeigen ein weites Spektrum, wie sie sich selbst wahrnehmen und welche Interessen sie haben. Nicht wenige dieser Fotomodelle studieren und streben eine berufliche Karriere auch außerhalb der Modebranche an. “Und wenn ich dann einmal Beruf und Familie unter einen Hut bringen muss, ist fraglich, wieviel Zeit dann noch bleibt für Schönheit und Fitness”, sagt die 19-jährige Sushmita S.
Verrat an der indischen Kultur hat ja auch Miss World 1994, Aishwarya Rai, nicht begangen. Ihr Auftritt anlässlich der Präsentation des indischen Films Devdas in Cannes 2002 wurde umgehend in Indien kommentiert: Als Rai “in ihrem senfgelben Sari erschien, schenkte keiner mehr den Valentino-Kleidern der anderen Stars irgendeine Beachtung”.
aus: der überblick 04/2004, Seite 32
AUTOR(EN):
Brigitte Voykowitsch:
Brigitte Voykowitsch ist freie Journalistin mit dem Themenschwerpunkt Asien und lebt in Wien.