Diskussionsbeitrag des gepa-Grundsatzreferenten Gerd Nickoleit
Als der Faire Handel noch alternativer Handel hieß, war alles viel einfacher. Der "Multi" war der Böse. Er war das Instrument des ethiklosen, kapitalistischen Systems, das mit Auflagen des IWF und notfalls mit militärischer Gewalt die Rahmenbedingungen des Welthandels zu Gunsten der Reichen ordnete. Wir waren die gute Alternative, die nach ethischen Kriterien die Handelspartner und Produkte aussuchte und an Überzeugungstäter für eine gerechtere und bessere Welt verkaufte. Wir waren bereit, für "das Wirtschaftsmodell mit dem menschlichen Antlitz" literweise Nica-Kaffee zu trinken und für den Umweltschutz Taschen aus Jute statt aus Plastik zu tragen.
von Gerd Nickoleit
Heute dagegen ist alles anders und viel schwieriger. Das klare Feindbild ist uns verloren gegangen, und außerdem hat sich das Einkaufsverhalten von uns und unseren Kunden verändert. Die großen Firmen werben jetzt selbst mit Produkten, die öko und fair sind und wir sagen dazu: "finde ich gut" und haben damit auch den Alleinanspruch auf das "Gutsein" aufgegeben (siehe den Artikel von Claudia Greifenhahn im letzten überblick). Die meisten Konsumenten üben keine ganzheitliche Solidarität mehr mit den Armen der Welt; sie sind wie die "Patchwork-Ökos", die morgens Müsli und mittags Fritten futtern. Sie kaufen eher Qualitäts- als Solidaritätsprodukte und lassen die Standards von Güte-Sieglern abhaken. Ihnen ist es auch egal, von wem sie ihren ökologisch-fairen Absolutionskaffee beziehen: vom kommerziellen Lizenznehmer, der sein Image mit zwei Prozent "Ethik-Produkten" aufbessern oder von der gepa (Gesellschaft zur Förderung der Partnerschaft mit der Dritten Welt) die 100 Prozent ihrer Produkte nach prozessorientierten Entwicklungskriterien beschafft.
Die gepa hat sich diesen Veränderungen angepasst. Mit Erfolg raus aus der ideologischen Schmuddelecke. Wir bieten selbst Qualitätsprodukte in den Supermärkten an. Wir weiten aus, wir spielen mit. Nicht nur das, wir bieten unsere Konzepte zur Nachahmung an. Wir nötigen den großen Handelsfirmen Respekt ab und zeigen ihnen, dass Fairer Handel möglich ist. Auch die Regierung, die rot-grüne, betrachtet uns mit Wohlwollen wir sind für sie die Einäugigen unter den Blinden bei der Suche nach Instrumenten zur Zähmung des freigelassenen Marktes. Und dabei erfüllen wir die Auflagen unserer Gesellschafter, den Handel selbst zu finanzieren und auch keinen Anlass für Negativschlagzeilen zu liefern. Ausnahme war eine ZDF-Sendung, wo ein Bericht frontal daneben ging, als TransFair und gepa zu Unrecht beschuldigt wurden, den Kakao-Kleinbauern in Ghana die Vorteile des Fairen Handels vorzuenthalten.
Bei diesem Veränderungsprozess sind wir allerdings schlank geworden. Polster für intensive Partnerbetreuung, Bildungs- und Lobbyarbeit haben wir nicht mehr. Auch Reserven für Innovationen fehlen. Wir handeln stattdessen immer noch mit einigen langjährigen Handelspartnern, bei denen wir nicht mehr zubuttern müssen. Das sei entwicklungspolitisch aber nicht korrekt. So steht es in der "Wirkungsstudie", die die Spendenorganisationen Brot für die Welt und Misereor und die politische Friedrich Ebert Stiftung in Auftrag gegeben hatten.
Wir müssten so ist die Forderung immer dann die Handelsbeziehungen mit einem Partner abbrechen, wenn wir ihn marktreif gefördert haben. Die dauerhafte Zahlung von höheren als den Marktpreisen verführe die Handelspartner sozusagen, sich nicht den regulierenden Kräften des Marktes auszusetzen. Wir machten sie von uns abhängig. Außerdem bekämpften wir mit unseren Moralvorstellungen von einem fairen Preis nur die Symptome und nicht die verantwortlichen Rahmenbedingungen für die niedrigen Erzeugerpreise. Da müsse man politisch agieren.
Das ist kräftig. Natürlich wollen wir entwicklungspolitisch korrekt handeln. Aber wie finanzieren wir dann die Anlaufkosten bei neuen Handelspartnern und wie die politische Lobbyarbeit? Und wie bringen wir unseren Handelspartnern bei, dass ihre Forderungen nach Preisen, die eine sozial und ökologisch verantwortungsvolle Produktion ermöglichen, zwar verständlich, aber eben nicht marktkonform sind? Auf diese für uns und unsere Handelspartner existenziellen Fragen hat die Studie eine interessante Antwort: Unsere Aktivitäten sollten komplementär zu denen von NROs (Nichtergierungsorganisationen) sein und in ein umfassenderes Entwicklungskonzept eingebettet werden. Handel und Hilfe müssten aufeinander abgestimmt werden.
Dieses Konzept hat seinen Reiz. Es ist wieder ein ganzheitlicher Entwicklungsansatz. Die Händler müssten mit ihren Handelspartnern stärker die Entwicklung planen und die NROs stärker mit dem Handel rechnen. Wir könnten wieder stärker die Rolle von Impulsgebern übernehmen und bräuchten die Markt-Risiken auch nicht mehr alleine zu tragen. Das wäre für uns sehr entlastend und würde uns andererseits vor vielen Kompromissen bewahren.
Dieses Konzept erfordert aber auch ein Umdenken bei den NROs. Man müsste andere Prioritäten bei der eigenen Arbeit setzen: die Produktion und den weltweiten Handel als die Hauptquelle für das tägliche Einkommen stärker in den Vordergrund stellen, vielleicht die eigene Arbeit sogar komplementär zum Fairen Handel sehen. Die politische Diskussion um bessere Rahmenbedingungen für die Produzenten könnte kompetenter, glaubwürdiger und praxisnaher geführt werden.
Noch muss bei den NROs für dieses Konzept viel politische Überzeugungsarbeit geleistet werden. Noch sind viele Küchenchefs der kirchlichen Institutionen die härtesten Feilscher um Prozente, wenn es darum geht, neue Großkunden für unseren fairen Kaffee zu gewinnen. Noch ist Hilfe etwas Gutes und Handel, naja.
Wenn ich das nicht genutzte Potential betrachte, frage ich mich, ob unsere kirchlichen "shareholder" (Gesellschafter) überhaupt realisiert haben, was für ein "value" (Wert) der Faire Handel eigentlich ist?
aus: der überblick 03/2001, Seite 130
AUTOR(EN):
Gerd Nickoleit:
Gerd Nickoleit ist Grundsatzreferent der Fair-Handelsorganisation gepa.