Dass dies ein besonderer Tag war, machte schon ein Blick auf die Besucherränge deutlich. Dort hatten ungewöhnlich viele Frauen Platz genommen. Denn erstmals beschäftigte sich der UN-Sicherheitsrat am 24. Oktober 2000 mit den Auswirkungen des Krieges auf Frauen und ihrem Beitrag zum Frieden. In den Reden und auf den Rängen war immer wieder das Wort "historisch" zu hören.
RENATE WILKE-LAUNER
55 Jahre hatte es gedauert, bis in New York ausgesprochen wurde, was eigentlich offensichtlich ist: dass auch der Krieg Männer und Frauen sehr unterschiedlich trifft. Die Vereinten Nationen, nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, "um künftige Geschlechter vor der Geißel des Krieges zu bewahren", waren lange davon ausgegangen, dass Krieg unter Männern stattfindet und Frauen nur am Rande einbezieht. Sie spiegelten damit nur wider, was Jahrhunderte lang in aller Welt herrschende Meinung war. Dass der Sicherheitsrat das Kriegsgeschehen nun endlich einmal mit den Augen der Frauen betrachtete, ist auf zwei Entwicklungen zurückzuführen: den Krieg in Bosnien, der erstmals aller Welt demonstrierte, dass Vergewaltigung eine Kriegsstrategie ist, und der jüngeren Frauenbewegung, die den Blick dafür schärfte, dass Frauen Rechte haben.
Was Frauen im Krieg widerfährt, ist von Konflikt zu Konflikt unterschiedlich, aber häufig von unvorstellbarer Grausamkeit. Das bedeutet nicht, dass alle Frauen unter einem Krieg leiden. Es gibt Kriegstreiberinnen, Täterinnen und Kriegsgewinnlerinnen. Die Slowenin Sonja Lokar, eine Veteranin der Frauenfriedensbewegung, verweist in diesem Heft auf Mira Markovic, die jetzt ihren endlich in Untersuchungshaft genommenen Mann Slobodan Milosevic im Gefängnis besucht, aber eigentlich selbst vor ein Gericht gehört. Und vor dem Ruanda-Tribunal in Arusha muss sich die ehemalige Frauen- und Familienministerin Pauline Nyiramasuhuko verantworten. Es gibt auch Frauen, die sich freiwillig einer Guerillaarmee anschließen; weitaus mehr aber werden heute als Kindersoldatinnen und Sexsklavinnen zwangsrekrutiert (vgl. "der überblick" 4/98).
Die Mehrheit erlebt den Krieg als Zivilistinnen, was aber - anders als in den Genfer Konventionen vorgesehen - keineswegs Schutz vor Kriegshandlungen bedeutet. Radhika Coomaraswamy, die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen über Gewalt gegen Frauen, hat Anfang dieses Jahres in einem Bericht zusammengefasst, was Frauen im Krieg heute widerfährt: "Seit 1997 sind Frauen und Mädchen vergewaltigt worden - vaginal, anal und oral -, manchmal mit brennenden Holzscheiten, Messern und anderen Objekten. Sie sind von Regierungstruppen und von nichtstaatlichen Verbänden vergewaltigt worden, von Polizisten, die eigentlich zu ihrer Sicherheit da sind, von Wachleuten in Flüchtlingslagern und Grenzbeamten, von Nachbarn, örtlichen Politikern und manchmal - unter Todesdrohung - von Familienangehörigen. Sie wurden zum Krüppel gemacht oder sexuell verstümmelt und später oft getötet oder zum Sterben liegengelassen. Sie sind auf entwürdigende Weise nackt kontrolliert worden, mussten ohne Bekleidung vor Soldaten oder in der Öffentlichkeit paradieren beziehungsweise tanzen und unbekleidet Hausarbeit verrichten."
Dass Krieg eine Angelegenheit unter (bewaffneten) Männern ist, dieses Verständnis liegt auch dem humanitären Kriegsvölkerrecht zugrunde. Zwar gibt es 34 Bestimmungen der Genfer Konventionen und Zusatzprotokolle zum Schutz von Frauen in bewaffneten Konflikten, doch die Formulierungen gehen nicht von der Frau als Person aus, sondern sehen sie in ihren Beziehungen zu anderen. 19 dieser Bestimmungen dienen dem Schutz von Kindern, und wo sexuelle Gewalt angesprochen wird, geht es um Schutz vor Angriffen auf die Ehre einer Frau. Hinter der "Ehre", auch das hat die feministische Analyse der letzten Jahre herausgearbeitet, aber stecken männliche Konzepte und Wünsche. Dass diese weiterhin virulent sind, zeigt die Tatsache, dass vergewaltigte Frauen oftmals von ihren Männern abgelehnt oder verstoßen werden. Weil Frauen um die "Ehre" der Männer wissen, verschweigen sie, was ihnen angetan wurde.
"Es ist eine schlechte Angewohnheit,
dass Männern, die Kriege planen,
erlaubt wird, den Frieden zu
planen."
Gewalt gegen Frauen wurde in den großen Kriegsverbrecherprozessen in Nürnberg und Tokio nicht Gegenstand der Anklage. Erst die beiden UN- Tribunale für das frühere Jugoslawien (ICTY) und Ruanda (ICTR) haben Kriegsverbrechen gegen Frauen verhandelt und mit ihren Urteilen Rechtsgeschichte geschrieben. Das im Juli 1998 in Rom verabschiedete Statut des Internationalen Strafgerichtshofes führt erstmals Vergewaltigung und andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt als das, was sie sind: schwere Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Noch aber ist dieser Vertrag nicht in Kraft, weil erst 33 Staaten ihn ratifiziert haben, 60 müssen es sein.
Die Vereinten Nationen können eine Menge tun, um Kriegsverbrechen gegen Frauen öffentlich zu machen, Frauen an Friedensverhandlungen zu beteiligen und in den Nachkriegsgesellschaften nicht an die Seite drängen zu lassen. Das beginnt mit der Zusammensetzung von Untersuchungskommissionen. Sind dort nicht genügend Expertinnen vertreten, werden Frauen meist auch nicht gezielt befragt oder mögen sich nicht äußern. Was "genügend" bedeutet, ist inzwischen relativ klar definiert: 30 Prozent sind die "kritische Masse", ab da ändert sich wirklich etwas.
Diese Richtschnur muss auch für Friedensmissionen gelten, die heute in der Regel militärische und zivile Aufgaben haben. Dadurch hat sich zwar auch der Anteil der Frauen erhöht, er ist aber längst nicht ausreichend. Das gilt vor allen Dingen für die entsandten Truppen, da ist der Prozentsatz der Frauen immer noch verschwindend gering. Noch bedauerlicher aber ist, dass auch unter den UN-Polizisten kaum Frauen sind. Die Vereinten Nationen selbst können daran wenig ändern, da sie nehmen müssen, was die Truppen oder Polizisten stellenden Staaten ihnen schicken. Die UN selbst müssen sich aber vorhalten lassen, dass unter den 61 Sonderbeauftragten des Generalsekretärs keine einzige Frau ist.
Mehr Frauen in Uniform wären aber aus zwei Gründen ungeheuer wichtig. Zum einen, weil Frauen in von Männergewalt traumatisierten Gesellschaften sich eher einer Frau anvertrauen. Eine Werbespot für UN- Einsätze bringt das auf den Punkt. Er zeigt eine Frau in einem zerbombten Haus: "Sie ist von denselben Soldaten vergewaltigt worden, die auch ihren Mann ermordet haben. Das letzte, was sie jetzt sehen will, ist ein weiterer Soldat. Es sei denn, dieser Soldat ist eine Frau."
Zum andern haben sich manche Männer auf UN-Mission selbst als Sicherheitsrisiko erwiesen oder als Freier von der durch den Krieg geschaffenen Not bzw. von kriminellen Strukturen profitiert. Die UN-Sonderberichterstatterin Coomaraswamy klagt in ihrem Bericht auch Vergewaltigungen durch UN-Soldaten an und beschreibt, wie die Präsenz internationaler Truppen die Nachfrage nach Prostituierten erhöht. Die Prostituierten werden oft von einer der Kriegsparteien "gestellt" und kontrolliert, die die UN-Truppen eigentlich überwachen sollen. Dass die albanische UCK ihr Geld auch mit Drogen- und Frauenhandel verdient, ist inzwischen weithin bekannt (vgl. S. 22 in diesem Heft).
UN-Truppen bringen auch AIDS mit. In Kambodscha, wo es zuvor keine AIDS- Fälle gab, hatte das besonders verheerende Folgen. Deshalb hatte der Sicherheitsrat schon vor der Diskussion zum Thema "Frauen und Krieg" beschlossen, dass es pro Mann und Tag ein Kondom geben soll. Das mag man im Kampf gegen HIV/AIDS begrüßen, für die Vereinten Nationen und ihr Ansehen in der Welt ist es eher peinlich, wenn der Bordellbesuch oder kurzfristige Verhältnisse mit einheimischen Frauen und Mädchen offenbar zum Programm gehören.
Die Erfahrungen mit Frauen in UN-Missionen zeigen, dass eine relativ hohe Sichtbarkeit von Frauen sich günstig auf den Erfolg und auf die Gleichberechtigung der Geschlechter auswirken. Die angebliche mangelnde Akzeptanz im Gastland ist oft nur vorgeschoben. Da hilft es, genau hinzuschauen, was Respekt vor der Tradition bedeutet, was "westliche Werte" sind, was die UN zu nichtdiskriminierender Rekrutierung verpflichtet, was die Männer im Gastland für Vorstellungen haben und was die Ansichten und Gesichtspunkte der Frauen dort sind.
"Männern, die Kriege planen, zu gestatten, Frieden zu planen, ist eine schlechte Angewohnheit." Starke, aber wohlüberlegte Worte von Swanee Hunt, die als US-Botschafterin in Wien den Krieg in Bosnien beobachtet und mit freundlicher Beharrlichkeit immer wieder zugunsten von Frauen und Fraueninitiativen interveniert hat. Heute lehrt sie in Harvard und ist mit viel Umsicht dabei, Frauen in Konfliktgebieten miteinander zu vernetzen. In jeder Hinsicht unabhängig, gelingt es ihr, den Männern mit konventionellem Charme unkonventionelle Zugeständnisse abzuringen. Ruandas starkem Mann Paul Kagame legte sie nahe, doch Frauen an den Verhandlungstisch zu schicken - das könne das Image seines Land verbessern. Das wiederum bewegte Uganda, auch eine Frau zu ernennen.
Da sie weiß, dass Männer sich nicht gerne vorhalten lassen, Frauen zu diskriminieren, versucht sie es mit einem kaum angreifbaren Prinzip: Effizienz. Frauen zu ignorieren oder nur als Opfer zu betrachten, komme die Welt teuer zu stehen. Wer erfolgreich Frieden stiften wolle, müsse auf die Frauen setzen. Sie seien eher bereit, unkonventionelle Wege zu gehen und Brücken zu bauen statt Mauern zu errichten. Frauen seien ohnehin die Basis vieler Bürgerbewegungen, ohne deren aktives Engagement es keinen dauerhaften Frieden geben könne. Dass sie von den Machtzentren ausgeschlossen seien, verleihe ihnen zusätzliche Glaubwürdigkeit und Freiräume.
Diese Beobachtungen werden inzwischen von Erfahrungen aus aller Welt betätigt. In Nordirland hat die Northern Ireland Women's Coalition eine wichtige Rolle gespielt und sich einen Platz am Verhandlungstisch erstritten, in Liberia hat die Liberian Women's Initiative darauf bestanden, dass alle Parteien vor den Wahlen ihre Waffen abgeben, im Sudan hat die Sudanese Women's Voice for Peace auf lokaler Ebene Friedensinitiativen ergriffen. "Wenn Frauen in Camp David gewesen wären, hätten wir ein Abkommen erzielt", zitiert Swanee Hunt den früheren US-Präsidenten Bill Clinton nach dem Scheitern der Verhandlungen für ein neues Camp-David-Abkommen im Juli 2000.
Am Ende seiner Beratungen hat sich der UN-Sicherheitsrat am 31. Oktober 2000 den guten Argumenten nicht verschließen können und eine erstaunliche Resolution verabschiedet. Viele Erkenntnisse und Forderungen der Frauenbewegungen aus aller Welt sind darin aufgenommen. Krieg und Frieden haben nun ein geschlechtsspezifisches Gesicht und das für den Frieden in der Welt zuständige Organ ein genderbewusstes Programm. Solange aber in diesem Gremium die "kritische Masse" fehlt, weil dort ganz überwiegend Männer sitzen, ist das nach der Lebenserfahrung von Frauen nur ein allererster Schritt.