von Jürgen Duenbostel
Die Geste der leeren Hände sagt alles: »Die Hälfte unserer Ärzte ist ins Ausland abgewandert. Wenn sie hier ihre Prüfungen bestanden und erste praktische Erfahrungen gesammelt haben, gehen sie weg. Wir haben kaum noch erfahrene Ärzte in unserem Krankenhaus.« Professor Dudu Musway ist Leiter der Universitätsklinik von Kikwit, einer Stadt mit rund einer halben Million Einwohner im Südwesten der Demokratischen Republik Kongo. Die Stadt hatte durch den Ausbruch des Ebola-Virus im Jahr 1995 traurige Berühmtheit erlangt. Daraufhin wurde die Erforschung des Virus stärker gefördert. Ein kongolesischer Kollege von Musway sollte nach sechs Monaten Ebola-Forschung an der Universität Marburg direkt in Kikwit eine Ebola-Forschungsstelle betreiben und Stellvertreter von Musway werden. Moderne Laborgeräte hat er aus Deutschland mitbekommen. »Aber der Kollege ist schon bald über Südafrika nach Paris abgewandert«, bedauert Musway.
Seit dem Ende des Apartheidsregimes ist Südafrika das bevorzugte Auswanderungsland für Ärzte aus dem Kongo. Als dort nach den Wahlen 1994 die schwarze Regierung ihr Amt übernahm, gab es zahlreiche unbesetzte Stellen für Ärzte. Insbesondere die ländlichen Gebiete waren unterversorgt. Außerdem hatten einige weiße Mediziner das Land verlassen, weil sie unter einer schwarzen Regierung keine Zukunft mehr für sich sahen. So war der Dekan der medizinischen Fakultät in Durban ausgewandert. Professor Musway wurde deshalb gebeten, dieses Amt kommissarisch zu übernehmen, bis ein Nachfolger auf Dauer gefunden würde. Da war er in direktem Sinne hin- und hergerissen: »Ich bin von Jesuiten erzogen worden, sie haben meine Ausbildung finanziert. Auch die Klinik in Kikwit ist von Jesuiten gegründet worden. Da habe ich doch eine Verantwortung, die Bevölkerung dort nicht im Stich zu lassen!« betont er. So pendelte er ständig zwischen Kikwit und Durban hin und her, leitete zeitweise die Dekanatsstelle in Durban von Kikwit aus mit dem Handy und übers Internet und dann wieder seine Uniklinik in Kikwit ebenso von Durban aus. Die Kollegen in Kikwit konnten so etwas kaum verstehen: »Doktor Dudu, was willst Du denn noch hier? Als Dekan in Durban hast Du doch alle Chancen. Hier gibt es doch keine Zukunft!«
Nicht nur weil die Arbeitsbedingungen und Bezahlung in Südafrika viel besser sind als im Kongo, sind viele kongolesische Mediziner dorthin emigriert. Manche betrachten Südafrika auch als Zwischenstation. Denn von dort aus kommen sie leichter nach London, Paris oder New York. Eine Reihe von ihnen hat südafrikanische Frauen geheiratet und dann einen südafrikanischen Pass bekommen. Außerdem gibt es in Südafrika hervorragende Passfälscher, so dass man auch ohne Frau schnell südafrikanischer Staatsbürger werden kann. Und mit einem südafrikanischen Pass erhält man auch schnell ein Visum für Großbritannien. »Wer dagegen im Kongo in der britischen Botschaft in Kinshasa ein Visum beantragen will, muss oft sechs bis zwölf Monate warten, bevor er überhaupt einen Termin bekommt,« erläutert Musway.
Als die Hälfte der Ärzte seiner Universitätsklinik abgewandert war, stellte Musway bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Dringlichkeitsantrag auf Hilfe gegen den Ärztemangel. Er wurde genehmigt, weil die Universität Kikwit eigentlich für den eigenen Bedarf genügend Ärzte ausgebildet hatte. Auf Grundlage einer Ausschreibung der WHO sind dann Ärzte von der französischen nichtstaatlichen Organisation (NGO) Médecins sans frontières nach Kikwit gekommen und haben die abgewanderten Ärzte ersetzt. Außerdem kamen von einer anderen NGO finanziert afrikanische Ärzte, die in Fernkursen von der südafrikanischen Universität UNISA in Pretoria ausgebildet worden waren. Ein Ärztekarussell gewissermaßen. Aus dem Kongo wandern schlecht bezahlte Ärzte nach Südafrika aus und von dort in reiche Industriestaaten. Die reichen Länder schicken dann mit NGO-Hilfe Ärzte in die Ausgangsstaaten zurück.
Für Musway bedeutete das eine diffizile Aufgabe bei der Verwaltung seiner Fakultät. Denn nun wird ein Teil seiner Ärzte vom kongolesischen Staat bezahlt mehr schlecht als recht und oft verspätet. Andere aber bekommen ein gutes Gehalt von den NGOs und gute Arbeitsbedingungen gleich mitgeliefert. Manche etwa in Projektkliniken im Tiefland, die komplizierte Fälle nach Kikwit überweisen haben bessere Geländefahrzeuge als Musway selber. Und von NGOs betreute Abteilungen verfügen oft über die modernsten medizinischen Geräte aus dem Ausland. Das führt zu Neid innerhalb der Ärzteschaft. Und wenn eine Stelle bei einer solchen NGO frei wird, lassen die staatlich angestellten Ärzte auf der Stelle ihre Arbeit im Stich.
Ferner gibt es Probleme bei der Rechnungstellung für die Patienten. Für eine Bluttransfusion hat beispielsweise die Uniklinik in Kikwit bislang umgerechnet 50 US-Dollar kassiert. Seit die »Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit« (GTZ) moderne Geräte dafür geliefert hat, verlangt sie, dass die Rechnung nur noch zehn Dollar betragen darf. Und die staatlich angestellten Spezialisten in der Augenklinik klagten unlängst, dass sie im vorausgehenden Monat kein Geld eingenommen hatten, weil Mediziner von dem italienischen Zweig der NGO »Ärzte ohne Grenzen« die gleiche Arbeit kostenlos machten.
Nicht zuletzt sieht Musway große Schwierigkeiten auf sich zukommen, wenn die Projektfinanzierungen der NGOs auslaufen. »Normalerweise soll so ein Projekt nach einer Anlaufphase von Trägern im Nehmerland übernommen werden. Aber sobald die NGO-Bezahlung ausbleibt und die Ärzte wieder vom kongolesischen Staat ihr Geld kriegen, werden sie weg sein.«
Vorerst aber ist der Ärztemangel durch die NGO-Hilfe ausgeglichen. Und die guten Kontakte zu den abgewanderten kongolesischen Ärzten in Südafrika, USA und Europa machen sich jetzt auch bezahlt. Denn die Migranten im Ausland setzen sich sehr für ihre alte Klinik ein. Sie spenden medizinische Geräte und Material, die der kongolesische Staat für die Universitätsklinik nicht liefert. »Was wir informell von diesen Kollegen etwa aus Südafrika bekommen, ist mehr als was wir von Südafrika über den Staat erhalten,« erläutert Musway. Ob das so bleibt, ist ungewiss. Denn inzwischen gibt es weniger freie Stellen für kongolesische Mediziner in Südafrika. Die erste Generation einheimischer schwarzer Ärzte hat ihre Universitätsausbildung abgeschlossen und wird bevorzugt eingestellt.
aus: der überblick 03/2005, Seite 21
AUTOR(EN):
Jürgen Duenbostel